KAPITEL 25

Emilio

„Fuck!", fluchte ich laut, als mir der Schraubenschlüssel erneut aus der Hand glitt und mit einem Klirren zu Boden fiel. Ich hob ihn auf und hätte ihn am liebsten gegen die Wand der Werkstatt geschmissen, um meinem Ärger Raum zu verschaffen.

„Sag mal, was ist heute eigentlich mit die los, Junge?", erklang eine Stimme hinter mir.

Mein Kopf wirbelte zum meinem Onkel Toni herum, der mich mit gerunzelter Stirn betrachtete. Seine ölverschmierten Hände hatte er in die Seiten gestützt.

„Nichts", versuchte ich ihn abzuwimmeln. Ich wollte nicht reden. Auch wenn ich wusste, dass mein Onkel mir zuhören würde, redeten wir nicht oft über Gefühle und schon gar nicht über Frauen. Seit meine Tante an Krebs gestorben war, gab es für Toni nur noch seine Autowerkstatt und die Jokers und in meinem Leben hatte es noch nie eine Frau gegeben, über die es sich zu sprechen lohnte. Bis jetzt.

Doch Toni ließ dieses Mal nicht so leicht locker. „Wenn nichts bedeutet, dass du mit einem Gesicht rumläufst wie sieben Tage Regenwetter und ich Angst haben muss, dass du mir gleich auf die Autos einschlägst, dann würde ich auch sagen, dass nichts los ist. Komm schon, Milo, ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht."

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte mir von meinem Onkel nicht anhören müssen, dass ich mich gestern wie ein beschissenes Arschloch aufgeführt hatte, das wusste ich schon selbst. Die ganze Nacht hatte ich wachgelegen und darüber nachgedacht, was für gemeine Dinge ich Cassiopeia gestern an den Kopf geschmissen hatte. Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich völlig die Kontrolle verloren hatte. Auch wenn ich mich mental schon darauf vorbereitet hatte, dass sie mich nach unserem plötzlichen Moment der Nähe wieder von sich wegstoßen würde, war ich verdammt wütend und verletzt gewesen, als sie es tatsächlich getan hatte und mein Temperament war mit mir durchgegangen.

Ich erinnerte mich noch an alles, was ich gesagt hatte und ich wusste nicht, ob mir Cassiopeia das jemals verzeihen würde. Ich hatte ihr keine Chance gegeben, mir eine Erklärung zu liefern, weil es in meinem Kopf keine logische Antwort auf ihr Verhalten gab. Aber vielleicht gab es diese doch und ich würde sie niemals zu hören bekommen, falls Cassiopeia sich überlegte, nicht mehr mit mir zu sprechen.

Heute in der Schule hatte sie mich behandelt, als wäre ich Luft. Wir waren uns zweimal auf den Fluren begegnet und beide Male hatte sie mich keines Blickes gewürdigt. Ich hatte es verkackt und zwar so richtig. Cassiopeia hatte damit recht gehabt, als sie gesagt hatte, dass ich kein Stück besser war als Diego, als ich sie gestern angeschrien hatte.

Ich war so unglaublich wütend auf mich, auf Cassiopeia und die ganze verfickte Situation. Ich war schon immer impulsiv gewesen, aber niemals so unfair wie gestern und ich hatte Angst davor, dass mir keine Chance geben würde, mich zu entschuldigen. Zumindest für meinen scharfen Ton und die persönlichen Dinge, mit denen ich sie angegriffen hatte, den Rest meinte ich immer noch genau so.

Dieses Hin und Her machte mich vollkommen verrückt. Mal spürte förmlich die Funken in der Luft, die zwischen Cassiopeia und mir flogen, doch dann tat sie wieder so, als würden wir uns gar nicht kennen. Und trotzdem wünschte ich mir nach jedem Mal, das sie mich wegstieß, noch mehr in ihrer Nähe zu sein.

„Milo?", riss mich Toni aus meinen Gedanken zurück in die reale Welt. Er stand immer noch vor mir und sah mich fragend an. Seine Augen waren sanft, doch seine Miene war unnachgiebig. Dieses Mal würde er mich nicht so einfach davonkommen lassen.

Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus. Doch dann gab ich schließlich nach und erzählte meinem Onkel alles. Von Cassiopeias und meinem ersten Zusammenstoß und den Treffen danach. Von Diego. Von dem Abend am Strand und wie Cassiopeia mir danach gesagt hatte, dass das niemals hätte passieren dürfen. Und davon, wie ich daraufhin vollkommen ausgerastet war.

Toni schwieg die ganze Zeit über und ließ mich reden. Erst als ich geendet hatte, brummte er etwas Unverständliches in seinen Bart. Dann richtete er seinen Blick wieder auf mich.

„Da klingt nach einer schwierigen Situation, aber ich bin mir sicher, dass noch nicht alles verloren ist. Du bist ein guter Kerl, Milo, das musst du Cassiopeia nur zeigen. Für mich klingt das so, als würde sie mehr als nur Gefühle an Diego binden und als würde es ihr schwerfallen, neuen Menschen zu vertrauen", überlegte Toni. „Mir ging es mit Elsa ähnlich. Sie kam gerade aus einer toxischen Beziehung, als ich sie kennengelernt habe. Doch das hat sie mir erst später erzählt, weshalb ich am Anfang oft nicht verstanden habe, warum sie so schnell verunsichert war und sich immer wieder von mir distanzierte. Ich hingegen war schon Hals über Kopf in sie verliebt und mir hätte alles gar nicht schnell genug gehen können, aber ich habe mich immer wieder gebremst, um ihr die Zeit und den Freiraum zu geben, den sie brauchte. Mit der Zeit hat sich Elsa mir dann jeden Tag ein bisschen mehr geöffnet, doch es gab auch immer wieder Momente, in denen so verschlossen wie zu Beginn war. Das war oft nicht leicht für uns beide, aber es hat sich mehr als gelohnt.

Also mein Tipp an dich: Gib Cassiopeia Zeit. Zeig ihr, dass du da für sie bist, aber mach ihr keinen Druck. Und wenn sie dann immer noch nicht erkennt, was für ein toller Kerl du bist, ist das ihr Verlust."

Für einen kurzen Moment starrte ich meinen Onkel einfach an, ich musste seine Worte erstmal sacken lassen. Er hatte mir schon oft davon erzählt, wie er seine Frau kennengelernt hatte, aber er hatte nie erwähnt, was für Startschwierigkeiten die beiden gehabt haben. Offensichtlich konnte er mich doch besser verstehen, als ich gedacht hatte. Es gab nur einen Unterschied – Toni war ein ruhiger, ausgeglichener Mensch im Gegensatz zu mir. Er hatte vollkommen recht mit seinem Rat an mich, doch ich war mir nicht sicher, ob es mir gelingen würde, diesen zu befolgen.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann", stöhnte ich frustriert. „Und ich weiß nicht, ob Cassiopeia überhaupt noch mit mir reden wird nach gestern. Heute hat sie mich zumindest vollständig ignoriert."

„Ihr seid doch immer noch zum Mathelernen verabredet, oder?", fragte mich Toni.

Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung."

„Dann gehst du nächste Woche ganz normal dahin und wenn sie auch kommt, dann weißt du, dass sie dich noch nicht komplett abgeschossen hat. Und bis dahin versuchst du am besten, nichts Dummes anzustellen."

Ich lachte trocken auf. Nichts Dummes anzustellen war einfacher gesagt als getan. Jedes Mal, wenn ich Diego in der Umkleidekabine über Cassiopeia reden hörte, würde ich ihn am liebsten am Kragen packen und ihm ins Gesicht schreien, das er dieses Mädchen kein Stück verdiente. Aber stattdessen musste ich schweigen und einfach so tun, als hätte ich nichts gehört, damit Diego nicht misstrauisch wurde. Nachdem er mich neulich in seinem Zimmer erwischt hatte, mussten wir noch mehr aufpassen, dass er nicht bemerkte, dass wir ihn und die Devils heimlich ausspionierten.

Den Plan, auf den ich dabei gestoßen war, hatten ich noch an dem Abend Marcio gezeigt. Auch er hatte eindeutig erkannt, dass es sich bei diesem Plan um das Straßennetz von Canton handelte. Er hatte Sid, Blake, mich und seine anderen Jungs damit beauftragt, die rot umkreisten Gebäude auszukundschaften, doch bisher hatte noch niemand etwas Verdächtiges entdecken können und wir waren noch zu keinen neuen Ergebnissen gekommen, was den Plan der Devils anging.

„Ich versuche es", antworte ich schließlich, als mir auffiel, dass mich Toni immer noch erwartungsvoll anschaute.

„Gut", antwortete er und ich erwartete, dass er mich nun endlich in Ruhe ließ, doch Toni war heute offensichtlich in Redelaune. „Und wie kommst du sonst so klar? Fällt dir der Start nach den zwei Jahren schwer?"

Ich konnte nur mit Mühe ein Seufzen unterdrücken. Es tat gut zu wissen, dass sich mein Onkel um sich sorgte, doch gerade übertrieb er damit maßlos. Doch nachdem er sich eben so viel Mühe gegeben hatte, mir zu helfen, wollte ich ihn jetzt nicht so schroff abweisen.

„Es ist okay, so viel hat sich gar nicht geändert. Am Anfang haben sich die anderen Schüler fast in die Hose gemacht, wenn sie mir begegnet sind, doch seitdem ich im Football Team der Schule spiele, hat sich das geändert. Ich kann nicht verstehen wieso, aber offensichtlich steigt man alleine dadurch in der Beliebtheitsskala auf. Ich musste einiges an Unterrichtsstoff auffrischen, doch langsam komme ich wieder rein", gab ich zurück. Tatsächlich waren meine ersten Wochen auf freiem Fuß nicht so schlimm gelaufen, wie ich es befürchtet hatte.

„Und wie sieht es mit deinen Albträumen aus?", fragte Toni weiter.

„Sind weniger geworden", murmelte ich knapp. Ich sah Eddys Leiche nicht mehr jede Nacht vor meinem inneren Auge, aber immer noch oft genug und ich hatte das Gefühl, dass sich dieses Bild mit jedem Mal noch stärker in meinem Gedächtnis einbrannte. Eines Tages würde ich ihn rächen, dass hatte mir geschworen, als ich seinen kleinen, leblosen Körper in meinen Armen gehalten hatte und nicht mehr wusste, ob mein Gesicht durch das Wasser der Dusche oder durch meine Tränen nass war.

„Können wir bitte über etwas anderes reden?", bat ich meinen Onkel. Mir fiel es immer noch schwer, über meine Zeit hinter Gittern zu sprechen und wahrscheinlich würde das immer so bleiben. Niemand, der nicht selbst im Knast gesessen hatte, würde jemals verstehen, was hinter diesen Mauern vor sich ging.

„Natürlich. Ich würde dir aber immer noch empfehlen, einen Psychologen aufzusuchen und das nicht alles alleine mit dir auszumachen." Toni sah mich aus seinen warmen, braunen Augen ernst an, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ich komme klar, über meine Zeit im Knast mache ich mir aktuell am wenigsten Sorgen", erwiderte ich und wandte mich dann ab, um die restlichen Muttern an die Felge des Cabrios vor mir zu schrauben.

Auch Toni wandte sich wieder seiner Arbeit zu, schließlich standen mehr als genug Autos auf dem Hof, die es zu reparieren galt. Toni hatte in ganz Detroit und über die Stadtgrenzen hinweg einen guten Ruf als Automechaniker und ich half ihm oft an den Wochenenden oder nach der Schule, wofür er mir ein großzügiges Gehalt zahlte. Er fand es wichtig, dass ich einen Job hatte und ehrliches Geld machte.

Für eine Weile arbeiteten wir schweigend, nur das Radio plärrte im Hintergrund. In mir brodelte es dabei nicht mehr so sehr wie vorhin, es hatte wirklich gutgetan, mit Toni über meine Probleme zu reden. Nachher würde ich noch eine Runde mit meinem Motorrad drehen, um meinen Kopf endgültig freizukriegen.

„Ich habe neulich etwas von Pablo gehört", durchbrach Toni plötzlich die Stille.

Augenblicklich versteifte sich mein Körper und mein Puls begann zu rasen. Erneut begann Wut in mir aufzukochen, doch dieses Mal war es eine andere, eine noch intensivere. Eine rachsüchtige, tobende, alles zerfressende Wut. Die Nennung eines Namens reichte aus und ich sah rot.

„Ich möchte nichts davon wissen!", knurrte ich und es gelang mir nur mühsam, mich zu beherrschen.

„Ich weiß und das kann ich verstehen, aber er ist dein Vater, Emilio. Du-..", setzte Toni an, doch ich unterbrach ihn, bevor er weiterreden konnte. Ich wollte kein Wort mehr über diesen Mann hören!

„Er ist nicht mein Vater! Mein Vater ist schon vor langer Zeit gestorben! Dieser Mann hat alles kaputt gemacht und ich werde ganz sicher nie wieder mit ihm oder über ihn sprechen", schrie ich. Ich war kurz davor, völlig die Beherrschung zu verlieren. So viele Erinnerung strömten plötzlich auf ein und drohten mich zu überwältigen. Sie legten sich um meinen Brustkorb herum und schnürten ihn immer fester zu, sodass ich das Gefühl hatte, kaum noch atmen zu können. Ich musste hier raus!

In einer fließenden Bewegung wirbelte ich herum und lief mit großen Schritten durch das offene Tor der Halle auf mein Motorrad zu. Ich hörte, wie Toni hinter mir rief, dass ich warten sollte, doch da war ich bereits auf mein Motorrad gestiegen und hatte den Motor gestartet. Und einen Moment später war ich schon auf und davon.


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Hello guys👋 long time, no see!

Endlich melde ich mich mit einem neuen Kapitel hier auf Wattpad zurück. Es tut mir echt leid, dass ich mich so wortlos verabschiedet habe, aber irgendwie habe ich immer noch ein bisschen Probleme, das Schreiben in meinen Unialltag zu integrieren. Die letzten beiden Monate habe ich außerdem The American Dream nochmal komplett überarbeitet und das Manuskript im Wreaders Verlag eingereicht, was mich ziemlich auf Trab gehalten hat😅

Auch jetzt kann ich nicht versprechen, wann das nächste Kapitel kommen wird, weil ich aktuell viele Vorträge und Referate habe, aber es wird garantiert nicht so lange dauern wie beim letzten Mal. Und mit etwas Glück schaffe ich es sogar nächsten oder übernächsten Sonntag :)

Ich wollte mir auch nochmal für die vielen lieben Nachrichten bedanken, die mich in der Zeit erreicht haben, ihr motiviert mich, trotz allem am Ball zu bleiben ❤

Außerdem ist es mein Ziel, Dark Nights in Detroit dieses Jahr fertigzustellen, also muss ich wohl noch ein bisschen am Ball bleiben😂

Ich hoffe, euch hat dieser kleine Einblick in Emilios Privatleben gefallen und wir sehen uns bald wieder!

Eure Amy

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