KAPITEL 2

Cassiopeia

Ich stieß ein genervtes Seufzen aus und knallte mein Handy etwas stärker als geplant auf die Platte des gemusterten Holztisches, sodass sich die Gäste am Tisch neben mir verwirrt umdrehten. Doch das war mir herzlich egal – sollten doch alle sehen, dass ich verletzt und enttäuscht war, nachdem mir mein Freund mal wieder auf den letzten Drücker abgesagt hatte.

In letzter Zeit hatte mich Diego öfter versetzt, doch dass er mir an unserem Jahrestag eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit per Textnachricht absagte, brachte die Sache auf ein völlig neues Level. Es tat echt weh, wie ein lästiger Zahnarzttermin verschoben zu werden, gerade weil ich mich echt darauf gefreut hatte, mal wieder etwas Zeit mit meinem Freund zu verbringen.

Über die Sommerferien waren meine kleine Schwester Adhara und ich für eine ganze Weile bei meinen Großeltern in Richmond geblieben und seitdem ich wieder da war, hatten Diego und ich uns höchstens zwei, drei mal gesehen. Aber anscheinend hatte mein Freund wichtigere Dinge zu tun, weshalb ich nun alleine in diesem Café in der Innenstadt saß und auf meine halbleere Kaffeetasse blickte.

Frustriert lehnte ich meinen Kopf an die Scheibe und betrachtete die Passanten, die draußen durch die sommerliche Hitze liefen. Mein Atem stockte dabei, als mein Blick an einer ganz bestimmten Person hängen blieb.

Mehrere Tattoos ragten aus den Ärmeln seines schwarzen T-Shirts und seine dunklen Haare waren perfekt gestylt – ein Anblick den ich bisher nur ein einziges Mal gesehen hatte und bei dem ich trotzdem sofort wusste, um wen es sich handelte. Emilio.

Er schob sich zielstrebig durch die anderen Fußgänger hindurch, doch dann glitt sein Blick plötzlich zur Seite. Auch wenn er eine Sonnenbrille trug, spürte ich, wie seine Augen an mir haften blieben. Er hatte mich ebenfalls entdeckt!

Schnell wendete ich mich von der Fensterscheibe ab und versuchte mich so klein wie möglich auf meinem Stuhl zu machen. Wenn mir in diesem Moment noch eines fehlte, dann war das meine unfreiwillige Bekanntschaft von vor einer Woche.

Angespannt blickte ich zur Tür und hielt den Atem an, als sie sich öffnete. Zum Glück trat nur ein fremdes Pärchen ein, sodass ich meinen angehaltenen Atem wieder auslassen konnte. Doch dann ging die Tür noch ein weiteres Mal auf und dieses Mal war es tatsächlich Emilio, der nun im Café stand und sich suchend umblickte.

Ohne großartig nachzudenken, ließ ich mich von meinem Stuhl unter den Tisch gleiten, in der Hoffnung, nicht von ihm gesehen zu werden. Dort machte ich mich so klein, wie ich konnte und wartete mit klopfendem Herzen.

Als ich plötzlich ein Räuspern neben mir hörte, erschreckte ich mich so sehr, dass ich mit dem Kopf gegen den Tisch stieß. Ich stieß einen kleinen Fluch aus und rieb mir die schmerzende Stelle am Kopf. Doch die Scham, dass Emilio mich nach dieser peinlichen Aktion gefunden hatte, schmerzte noch viel mehr.

„Alles okay? Hast du dir wehgetan?", vernahm ich Emilios besorgte Stimme. Er hatte sich zu mir runtergebeugt und musterte mich etwas verwirrt.

„Nein, alles gut", winkte ich ab und drückte mich an meinem Stuhl wieder hoch, während sich auch der schwarzhaarige Junge wieder aufrichtete.

Ich war nur froh darüber, dass meine Haut so dunkel war, sodass Emilio nicht sah, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, aber mein Kopf fühlte sich trotzdem ganz heiß an. Die ganze Situation war einfach nur unendlich peinlich...

„Hast du dich etwa vor mir versteckt?", fragte Emilio nun mit einem schiefen Grinsen im Gesicht, nachdem ich gerade gedacht hatte, dass es nicht noch schlimmer werden könnte.

„Nein, mir ist nur mein Löffel runtergefallen", log ich.

Doch Emilios Grinsen nach zu urteilen, schluckte er diese Lüge nicht. Er war jedoch zumindest höflich genug, nicht noch weiter darauf rumzuhacken. Stattdessen sagte er: „Darf ich mich zu dir setzen? Ich weiß, dass du gesagt hast, dass du nicht von mir auf einen Kaffee eingeladen werden willst, aber da du schon einen Kaffee hast, lade ich dich ja so gesehen gar nicht mehr auf einen ein."

Er blickte mich erwartungsvoll aus seinen honigbraunen Augen an – die Sonnenbrille hatte er mittlerweile abgenommen.

„Damit ich die ganze Zeit daran erinnert werde, wie du mich gerade unter dem Tisch hervorgefischt hast? Nein, danke", entgegnete ich, konnte es aber nicht verhindern, dass meine Mundwinkel leicht nach oben zuckten.

Emilio gab jedoch noch nicht so schnell auf. „Wir können den Kaffee auch unter dem Tisch einnehmen, wenn dir das lieber ist. Ich bin da ganz flexibel", schlug er vor und ich merkte, wie mein Widerstand langsam aber sicher dahinschwand.

Mein Vernunft appellierte zwar verzweifelt an meinen Verstand, Emilio erneut den Laufpass zu geben, aber mein von Diego mit Füßen getretenes Herz sehnte sich einfach nach Gesellschaft und Emilio war echt sympathisch. Was war schon bei einem Kaffee dabei? Schließlich hatte Diego mich versetzt und war somit selber schuld daran. Ich musste ja nicht mit Emilio flirten und außerdem würde ich ihn wahrscheinlich eh nie wieder sehen.

„Okay", gab ich also schließlich nach.

Ein breites Grinsen schlich sich auf Emilios Gesicht. „Du wirst es nicht bereuen, ich bin gar nicht so schlimm, wie ich aussehe", meinte er mit einem Zwinkern.

„Aber du siehst doch gar nicht schlimm aus", rutschte es mir hinaus und ich schlug erschrocken die Hände vor den Mund. So viel zu dem Thema nicht flirten... Warum war ich überhaupt so dumm gewesen, mich überhaupt darauf einzulassen? Diego würde mich köpfen, wenn er wüsste, dass ich auch nur mit einem fremden Typen zusammen im Café saß.

„Danke, das kann ich nur zurückgeben", erwiderte Emilio und ich war heilfroh, dass in diesem Moment eine Kellnerin an unseren Tisch herantrat und nach unseren Bestellungen fragte.

Ich bestellte mir noch einen Kaffee und auf Emilios Rat hin einen Schokocookie. Er nahm dasselbe.

Als die Kellnerin wieder ging, überlegte ich angestrengt, worüber ich nun am besten mit Emilio reden konnte, ohne dass er dachte, dass ich Interesse an ihm hätte. Doch da ergriff er schon das Wort: „Und wie läuft das Superhelden-Leben? Musstest du die letzten Tage viele Leute vor Autos retten?"

„Oh ja, hunderte", antwortete ich. „Ich komme kaum noch dazu, zu schlafen, deshalb muss ich auch so viel Kaffee trinken."

Meine Antwort entlockte Emilio ein raues Lachen, wobei er den Kopf ein bisschen in den Nacken legte und sein Adamsapfel etwas hervortrat. Er hatte echt ein schönes Lachen.

„Und bei dir? Wie läuft das sich nicht von Autos überfahren lassen?", fragte ich zurück.

„Bisher ganz gut. Ich war den Tag nur etwas neben der Spur, ansonsten stelle ich mich nicht ganz so dämlich im Straßenverkehr an", antwortete Emilio.

„Das will ich auch hoffen, schließlich ist nicht jedes Mal jemand in der Nähe, der dich noch rechtzeitig von der Straße ziehen kann."

Wir scherzten noch einen Moment weiter, bis die Kellnerin uns unsere Bestellung brachte.

„Probier zuerst den Cookie", forderte Emilio mich auf.

Ich nickte und biss in den Schokokeks. Er war noch etwas warm und in die Schokoladenstücke innen drin waren ganz weich und zergingen mir auf der Zunge. Ich war mir sofort sicher, dass ich noch nie in meinem Leben etwas so Leckeres gegessen hatte, der Cookie schmeckte einfach himmlisch.

„Wow, der ist toll!", schwärmte ich und mein Gegenüber nicht zufrieden.

„Sag ich doch. Beim nächsten Mal solltest du außerdem die Himbeertorte ausprobieren."

Ich sah Emilio überrascht an. „Bist du öfter hier?"

Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. „Ich war schon lange nicht mehr hier, aber früher habe ich hier mal aushilfsweise gejobbt", erklärte er.

„Cool", staunte ich. „Das hätte ich bei dir ehrlich gesagt gar nicht erwartet."

„Das geht wahrscheinlich vielen so, ich bin da auch immer ein bisschen herausgestochen. Du kannst dir ja einfach vorstellen, dass ich eine Hipstarbrille und einen Man-Bun getragen habe, wenn das besser passt."

Bei diesen Worten brach ich in schallendes Gelächter. Mir den Typen mit den vielen Tattoos, den schwarzen Klamotten und der geheimnisvollen Aura als Klischee-Barista vorzustellen, war einfach zu lustig.

„Aber mal im Ernst, ich kann wirklich kochen. Ich mache die weltbeste Paella", erklärte Emilio so von sich selbst überzeugt, dass ich noch stärker anfangen musste, zu lachen.

Emilio schmunzelte daraufhin ebenfalls. „Du hast echt ein schönes Lachen", meinte er und es klang wirklich ehrlich. „Als ich gekommen bin, warst du aber noch ganz anders drauf. Was war da los?"

Er legte seinen Kopf leicht schief und musterte mich eingehend, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ich würde lieber nicht darüber reden", antwortete ich und mein Lachen verstummte schlagartig.

Jetzt war ich in Gedanken wieder bei Diego und dachte daran, was für eine Scheiße ich hier gerade fabrizierte. Ich flirtete mit einem fremden Typen, nur weil mich mein Freund verletzt hatte – das verstieß gegen jegliche meiner moralischen Prinzipien. Außerdem hatte ich Emilio immer noch nicht gesagt, dass ich in einer festen Beziehung war und tat somit nicht nur Diego, sondern auch ihm Unrecht. Auch wenn es mir gefiel, so frei und unbeschwert mit Emilio zu reden, musste ich aufhören damit, sonst würde alles nur noch schlimmer werden!

Ich griff nach meinem Handy und warf einen Blick auf die Bildschirmuhr. Dabei stieß ich ein leises Zischen aus, um das Ganze glaubwürdiger zu machen. „Scheiße, ich habe total die Zeit vergessen. Ich muss noch meine kleine Schwester abholen", log ich, um mich unauffällig aus der Situation herauszuziehen.

Emilio sah mich überrascht an. „Oh okay. Soll ich dich begleiten?"

Ich schüttelte den Kopf. Es fühlte sich schrecklich an, Emilio so eine Show vorzuspielen, aber nach diesem Nachmittag konnte ich nicht mehr plötzlich damit herausplatzen, dass ich eigentlich einen Freund hatte. Aber wir würden uns eh nie wieder sehen, schließlich war Detroit eine große Stadt.

„Nein, danke. Vielen Dank für den schönen Nachmittag", verabschiedete und legte eine 10-Dollar-Note auf den Tisch, bevor ich schnell meine Sachen zusammenraffte.

„Tschüss", meinte ich noch schnell im Vorbeigehen. Dann hastete ich auch schon aus dem Café und ließ einen völlig perplexen Emilio zurück.



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Hey und Willkommen zurück! Ich freue mich wirklich sehr, dass schon so viele bei Dark Nights in Detroit dabei sind❣ Wenn es euch gefällt, dann lasst doch gerne mal ein Vote oder einen Kommentar da.❤

Was sagt ihr zu Cassiopeias Verhalten? Hätte sie Emilio von ihrem Freund erzählen sollen oder werden sich die beiden eh nie wieder sehen?

Ich wünsche euch noch eine schöne Restwoche, schließlich haben wir heute schon Bergfest.🥳

Und mal eine kurze Abstimmung, wäre hat wieder Bock auf Verabschiedungen, die an Cringe nicht zu übertreffen sind?🤔😂

Man liest sich!

Eure Amy

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