~26.2~
»Aryn? Du scheinst anderer Meinung zu sein?«, fragte ihn Mehyl überrascht.
»Nein.«, sagte Aryn schnell. Doch er hatte sich verraten. Das wusste er auch selber. »Denkst du wirklich ich würde euch helfen, alles und jeden zu zerstören? Dann bist du wahnsinniger als ich dachte.«
»Ich konnte dich noch nie leiden, Aryn. Und deine Brüder ebenso wenig. Ihr habt euch immer so überlegen gefühlt, weil ihr Wolfsbestien wart und das obwohl ich euch in eurer wahren Form mit nur einem Wort hätte beherrschen können.«, zum ersten Mal bemerkte ich Missbilligung in Mehyls Augen. Sonst waren seine Augen immer kalt und ausdruckslos, aber er schien unsere Cousins wirklich zu verachten. »Ihr habt immer auf Mayser uns mich heruntergeschaut, obwohl wir viel mächtiger waren als ihr. Nur weil ein Teil unserer DNA nicht aktiviert war und wir keine Reinrassigen Wolfsbestien waren. Doch heute wirst du mit deinen Kräften Maysers aktivieren und ich werde dir alles nehmen was du liebst. Ich werde deine Familie töten und dein Rudel. Nur leider wirst du davon nichts zu sehen bekommen. Denn du wirst schon längst mit den Würmern unter der Erde liegen.«
Aryn schien Mehyls Drohung überhaupt nicht zu gefallen, denn wie ein Tollwütiger Hund stürzte er sich auf ihn und begann ihn anzuschreien.
»Du verdammter Bastard. Ich hätte dir meine Klauen in dein Fleisch schlagen sollen, als du dieser verängstigte kleine Bastard warst. Ich wusste damals schon, dass deine netten Worte schlimmer waren als Gift. Niemand hat durch diese heuchlerische Fassade geblickt, außer ich.«, schrie ihn Aryn entgegen. Des und Attica mussten zwischen Mehyl und Aryn treten, um zu verhindern, dass er ihn umbrachte.
»Dann ist das jetzt wohl deine Strafe, dafür, dass du mich am Leben gelassen hast und dafür unzählige Personen gestorben sind.«, Mehyl lachte, als würde ihn Aryn Wutausbruch amüsieren.
» Lass uns anfangen. Wir müssen vor Anbruch der Nacht fertig sein.«, befahl Mehyl. »Attica bereite die Kristalle und die Arme vor. In wenigen Stunden beginnt es. Deshar kümmere dich um Lucay. Töte ihn am besten. Und wir drei werden...«
»Luc töten?«, unterbrach Aryn ihn. Luc war ihm wahrscheinlich heute in der Versammlung sympathisch geworden, als er sich gegen alle Anführer gestellt hatte, obwohl es für ihn ein Nachteil war. Jedoch mischte sich auch etwas anderes in seiner Mine unter. Ein Hauch von Triumpf?
»Er hat keinen Nutzen für uns. Außer...«, Mehyl schien ein Licht aufzugehen. Er musterte Aryn eingehend, bevor sein Blick zu Luc huschte. »Natürlich. Danke Aryn. Daran hätte ich nicht gedacht. Lucay und Mayser haben sich seit Monaten nicht gesehen. Da wäre meine Wahl als ihr engster Begleiter nicht auf ihn gefallen.«
Luc sollte mein engster Begleiter sein? Ich hatte Mehyl immer als jemanden betrachtet, der rationale Schlüsse zog, aber ich hatte mich wohl geirrt. Des ging ein Schritt näher auf Mehyl zu. »Er ist nicht ihr engster Begleiter.«, sprach er eindringlich auf Mehyl ein.
»Sieh es doch so. Wenn er ihr engster Begleiter ist und Mayser bekommt das Heilmittel, dann wird Lucay sterben und du hast sie wieder ganz für dich allein.«
»Er ist es aber nicht.«, wiederholte Des wieder, doch Mehyl war zu dem Entschluss gekommen und wandte sich von ihm ab.
***
Bis auf Mehyl, Aryn und mich waren alle gegangen. Wiederwillig hatte Des, Luc hinter sich her geschleift, während er sich wie ein wilder gewährt hatte. Doch ohne seine Fähigkeiten hatte Luc kaum eine Chance. Nachdem Des die Kontrolle über dem Wasser in seinem Körper übernommen hatte, hopste Luc sogar wie ein glückliches Kind hinter ihm her.
»Also wie genau funktioniert das?«, fragte ich Mehyl vorsichtig.
Die Tür ging auf und eine breitgebaute Frau trat ein. »Sie ist die Expertin.«, erklärte Mehyl. »Sie wurde auch ohne ihre rechtmäßigen Kräfte geboren.«
»Wie haben Sie ihre Kräfte aktiviert?«, fragte ich sie neugierig. Ich wollte wissen, was in den nächsten Stunden auf mich zukommen würde.
»Ich habe meinen Bruder getötet und sein Herz verbrannt.«, sagte sie als wäre es das normalste auf der Welt.
»Was sie soll mein Herz verbrennen?«, fragte Aryn, wobei seine Stimmer voller Angst war.
»Muss er für dieses Ritual bei Bewusstsein bleiben?«, fragte Mehyl genervt über die sich anhäufenden Kommentare von Aryn.
»Ja.«, erwiderte sie knapp. Und obwohl diese Frau, kein dunkler Neyfrem war, glich sie uns mit dem Ausdruck in ihren Augen.
»Also muss ich nur sein Herz verbrennen?«, fragte ich.
»Ja.« Sie war nicht sehr gesprächig, was mir in einer anderen Situation egal gewesen wäre, doch jetzt wäre es mir lieber gewesen, wenn sie mir erzählt hätte, was auf mich zukam.
Sie Schritt nach vorne zu Mehyls Tisch und stellte eine Schüssel vor sich. Aus ihrer Tasche holte sie verschiedene Kräuter und Öle. Sie begann sie mit einander zu vermischen und setzte sie schließlich unter Flammen. Das Feuer loderte in die Höhe und drohte Mehyls Decke zu verbrennen. Die hellblauen Flammen leuchteten so stark, dass sie mich für wenige Sekunden erblinden ließen.
Sobald ich wieder sehen konnte, richtete ich meine volle Aufmerksamkeit auf die Frau. Aus ihrer Tasche holte sie ein Gegenstand heraus, welches in dunkler Seide eingewickelt war. Erst als sie den dünnen Stoff zur Seite schob, konnte ich sehen, dass es ein langes Messer war. Sie begann das Messer in der Kräutermischung zu taufen, die sie zuvor in Brand gesetzt hatte.
»Was ist das für eine Mischung?«, fragte ich neugierig.
»Es stärkt das Messer. Um das Herz einer Wolfbestie rauszuschneiden, bedarf es großer Stärke.«, erklärte sie mystisch.
Sie schloss ihre Augen und diesmal begannen die Flammen um das Messer zu lodern. Sie schlängelten sich von der Messerspitze bis zur Halterung. Es schien, als würden die Flammen das Metall zum spielen auffordern.
»Mit diesem Messer tötete ich meinen Bruder. Schneide ihm damit sein Herz raus. Und verbrenne es in dieser Schüssel.«, forderte sie und reichte mir das Messer. »Ich erwarte meine Bezahlung bis Morgen.«
Mehyl nickte ihr zu und sie sah es als Aufforderung zu gehen. Geräuschlos sammelte sie ihre Habseligkeiten auf und ließ mich mit Mehyl und Aryn zurück.
Erst als die Tür hinter ihr zugegangen war, wandte ich mich zurück zu Aryn, dessen Blick ungläubig auf dem Messer in meiner Hand lag.
»Du wirst mich doch nicht töten Mayser?«, fragte er klagend. »Wir haben uns nie so gut verstanden, wie du und Bay, aber ich gehöre trotzdem zu deiner Familie. Bay würde dir nie verzeihen, wenn du mich tötest.«
»Mayser ist tot. Und mich verbindet mit Bay genauso viel, wie mit dir.«, gab ich zurück. Ich ging einen Schritt auf ihn zu. »Nichts.«
»Wer bist du?«, flüsterte er. Aryn versuchte sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. »Mayser. Komm schon. Du stehst doch nicht auf seiner Seite. Das bist du nicht. Du bist doch immer diejenige gewesen, die sich gegen ihn gestellt hatte. Was hat er mit dir gemacht?«
Wieso musste ich jedem erklären auf welcher Seite ich stand? War das jetzt wichtig, wenn er gleich sterben würde? »Ich stehe auf meiner Seite.«
»Mayser. Ich will dich ja nicht hetzen, aber die Zeit läuft uns davon. Es wäre gut, wenn du dich beeilst.«, mischte sich Mehyl ein und zwang Aryn in die Knie. Dieser wehrte sich mit aller Kraft, doch ohne seine Kräfte war er ihm unterlegen.
Mit einem weiteren Schritt stand ich direkt vor Aryn. »Hör zu. Du musst das nicht tun. Egal wozu dich Mehyl zwingt. Wir werden dir helfen. Du bist eine von uns. Die dunklen Neyfrem sind nicht so mächtig wie du denkst. Sie können sterben. «
»Wir sind viel mächtiger, als du denkst.«, gab ich zurück.
Aryn riss entgeistert seine Augen auf. »Wir? So wie „Wir dunklen Neyfrem"? Du bist einer von ihnen?«
Ein Lachen entfuhr mir. Endlich hatte er es verstanden. War es nicht offensichtlich? Mein früheres Ich wäre sonst doch niemals hierzu in der Lage gewesen.
» Stell dich gegen Mehyl und wir vergessen alles was heute passiert ist. Ich gebe dir mein Wort.«, startete er einen letzten schwachen Versuch.
»Damit du Rrru tötest?« Ich ging in die Hocke und war nun auf seiner Augenhöhe. »Das kann ich leider nicht zulassen.«
Mit einer geübten Bewegung drehte ich das Messer in meiner Hand, damit ich es in meiner Hand umklammern konnte.
Aryns Kopf schoss nach vorne und stieß genau auf meinen. Hätte Mehyl durch seinen Griff nicht seinen Angriff abgedämpft, wäre ich zu Boden gegangen.
Wieder musste ich lachen. »Das gefällt mir eher.« Diesmal sicherte Mehyl Aryns Kopf mit einer Hand ab, während seine andere immer noch Aryns Hände am Rücken festhielt.
»Ziemlich feige, dass du mich nur so kaltstellen kannst. Nicht mal bei einem fairen Kampf willst du mich töten.«
»Du hast keinen ehrenvollen Tot verdient.«, fauchte Mehyl ungeduldig. »Mach schon.«
Als ich genau vor ihm stand, sah ich den hasserfüllten Blick in seinen Augen. Auch die Panik ließ nicht lange auf sich warten. Diese begann sich mit der Angst zu untermischen. Wäre ich eine Wolfsbestie gewesen hätte ich es sicherlich auch riechen können. Wie erbärmlich.
»Bitte Mayser!«, flehte er mich jetzt an. »Bitte. Ich töte deinen Ivok auch nicht. Ich...ich schwöre.«
»Du lügst.« Mit Schwung stach ich in seine Brust ein. Dabei verfehlte ich absichtlich sein Herz. Erst traf meine Klinge seine Rippe, doch mit etwas mehr Kraft fand es ihren Weg und kämpfte sich an ihr vorbei.
Aryn entfuhr ein schmerzerfüllter Schrei, der fast nicht mehr menschlich Klang. Er wehrte ich noch stärker, doch das hielt mich nicht davon ab weiter zu machen.
***
Es dauerte eine Weile, bis ich Aryns Herz herausgeschnitten hatte. Zum einen, weil er sich anfangs heftig gewehrt hatte und zum anderen, weil es in der Tat schwer war das Herz einer Wolfsbestie zu verletzten. Es war, als würde ich durch einen Stein sägen- mit einem winzigen Zahnstocher.
Aryns Körper lag mittlerweile reglos auf dem Boden. Um ihn herum Unmengen an Blut.
»Das dauert zu lange. Es ist bald Mitternacht.«, hetzte mich Mehyl nun zum tausendsten Mal.
»Halt die Klappe. Wenn du mich noch einmal nervst, werde ich etwas anderes mit diesem Messer durchtrennen.«, gab ich gereizt zurück. »Ich bin gleich so weit.«
Mit einem letzten ruck, war es geschafft.
»Werfe es ins Feuer.«, eilte Mehly weiter. Ich warf das Messer nach ihm. Ohne von Aryns Brust weg zu blicken wusste ich, dass er ihm ausgewichen war.
Vorsichtig hob ich das Herz auf und trat auf Mehyls Tisch zu. Immer noch brannten die hellen Flammen in der Schüssel, als würden sie gierig auf etwas warten.
»Müssen wir noch irgendwelche Worte sagen oder einen Tanz aufführen, damit es wirkt?«, spaßte ich.
»Du machst mich verrückt. Werfe es endlich rein.«
Ich ließ es los und es fiel mit einem dumpfen Geräusch in die Schüssel. Die hungrigen Flammen tasteten sich langsam vor, ohne es zu berühren. Vorsichtig näherten sie sich dem Herz. Bis auf einmal, wie auf Kommando alle einzelnen Flammen sich auf das Herz stürzten und es umschlangen. Ein Geruch nach verbranntem Fleisch stieg mir in die Nase. Bald war nur noch Asche übrig.
»Wie fühlst du dich?«, fragte mich Mehyl eindringlich.
Mit einem tiefen Atemzug horchte ich in mich hinein. »Ich spüre gar nichts.« Na großartig. Es war alles umsonst gewesen. »Bist du dir sicher, dass es so geht?«
»Ja. Es hat wahrscheinlich funktioniert. Lass uns gehen. Eine zweite Chance bekommen wir nicht.«
»Einfach so? Ohne es zu überprüfen?«
»Wenn heute der Tag der Erhebung deiner vollen Macht ist, müssen wir jetzt gehen. Und wenn nicht haben wir nichts zu verlieren, wenn wir gehen.«
Seit wann waren Mehyls Worte so wirr? Alles was er sagte machte zwar Sinn, aber er wollte das so sehr, dass er nicht bei klarem Verstande war.
»Na gut.«, gab ich nach und folgte ihm.
Es dauerte nicht lange, bis wir zu den anderen stießen. Attica hatte alle mobilisiert und koordinierte die Arbeiter, damit sie die Kristalle an die Soldaten verteilten.
»Reichen die Kristalle aus?«, schrie Mehyl über die Menge zu Attica.
Sie schreckte hoch, als hätte Mehyl sie aus ihren Gedanken gerissen. Attica nickte nur und befehligte einige Soldaten für sie zu übernehmen, um zu uns zu stoßen.
»Ja, es gibt genug Kristalle. Wir haben noch einen Vorrat. Ich denke wir sollten die Armee aufteilen und nicht alle zusammen durch den Baum laufen. Eine kleine Gruppe sollte zurück bleiben, falls es einen Notfall gibt und wir nicht mehr zurück können.«
»Ja. Du hast Recht. Aber wir wissen nicht was uns erwartet. Hermes war gerissen. Er hat bestimmt einiges vorbereitet.«, überdachte Mehyl.
»Jemand muss noch Freya holen. Soll ich das tun?«, fragte Attica.
»Nein. Ich mach das.«, erwiderte Mehyl. Mit einem letzten Blick zu mir ging er.
Attica stand schweigend neben mir. »Folge mir unauffällig.«, sagte sie in Gedanken.
»Was wa....?«
»Sei still.«, befahl sie und zog mich mit sich.
Erst, als wir etwas abseits der Menge standen ließ sie von mir ab.
»Was ist mit dir?« Es schien Attica nicht ähnlich so angespannt zu sein.
»Hör mir einfach zu, ja?« Sie atmete langsam aus, bevor sie sich zwang zu sprechen. »Was auch immer du denkst wer du bist. Es wird nicht durch dein Blut definiert okey?«
»Was willst du mir damit sagen?«, fragte ich dümmlich.
»Was ich damit sagen will ist, dass nicht dein dunkles Blut dich ausmacht.«, wiederholte sie und sah mich eindringlich an. »Egal was später passiert, du kannst auf mich zählen. Verstehst du das?«
»Wenn ich dich nicht besser kennen würde, hätte das für mich nach einer Verschwörung geklungen.«, gab ich offen zu. Aber das war es natürlich nicht gewesen. Wenn ich mir der Loyalität von jemandem Bewusst war, dann der von Attica. Wenn es sein müsste, würde sie mich sogar töten. Das wusste ich. Ging es etwa darum? Wollte sie herausfinden, ob ich einen Komplott gegen die dunklen Neyfrem schmiedete?
»Keine Sorge. Ich falle euch nicht in den Rücken.«, versuchte ich sie zu beruhigen.
Attica schnaubte genervt. »Und ich dachte, dass wir uns kennen würden. Aber mit dir ist es immer ein Fortschritt nur um wieder zurück an den Anfang zu fallen.«
Was sollte das bedeuten? Hieß das sie glaubte mir nicht? Attica hatte schon Recht. Wir kannten uns ziemlich gut. Das dachte ich zumindest. Aber es schien mir in letzter Zeit immer mehr, als würde sie Dinge vor mir verstecken.
»Hat das etwas mit deinen Alpträumen zu tun?«, hörte ich mich fragen.
»Was? Nein!«, versicherte sie mir erschrocken.
»Ist das vielleicht eine deiner Fähigkeiten? So wie Lucs?«, hackte ich weiter nach. Attica verdrehte genervt die Augen.
»Vergiss, dass das jemals geschehen ist.«, sagte sie eindringlich. »Aber merke dir meine Worte.«
»Aber ich verstehe sie nicht. Für was soll ich sie mir merken? Kannst du mir nicht einfach sagen was du meinst?«
»Ich stehe auf deiner Seite. Du kannst auf mich zählen.«, flüsterte sie.
»Natürlich. Wir stehen auf der gleichen Seite.« Irgendwie schien Attica enttäuscht zu sein, denn sie gab sich damit zufrieden und führte mich zurück zu den anderen. Selbst wenn ich etwas gegen die dunklen Neyfrem geplant hätte, wäre es ihr mit dieser Taktik nie gelungen etwas aus mir heraus zu bekommen. Außerdem wollte ich auch dieses Heilmittel. Immerhin war ich auch ein dunkler Neyfrem und mir würde es auch zugutekommen, wenn mein eigenes Kind ohne jemanden zu töten dunkel werden könnte. Vor allem wenn dieser tote Jemand ich sein könnte.
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