~20~

Ivys POV

Ein nackter junger Mann trat aus dem Wald und kam auf mich zu. Als er mich sah, begannen seine Augen zu strahlen und seine Miene wurde lockerer. Die Wolfsbestien um uns herum, beobachteten uns vorsichtig.

»Mayser!«, rief er fröhlich und schloss mich in eine innige Umarmung. Das war also einer der Drillinge. Ich stieß ihn nicht von mir weg, obwohl das mein erster Instinkt war. Vor allem, weil er nichts an hatte. Schließlich brauchte ich seine Hilfe. Er musste mir vertrauen. Sonst würden die Drillinge wohl nie mit mir mitkommen. Also lächelte ich ihn breit an und drückte ihn fester an mich.

»Wie heißt du noch mal?«, fragte ich ihn vorsichtig. Seine Miene verdunkelte sich. Es schien ihn zu treffen, dass ich nicht wusste, wie er hieß.

»Bay.«, erwiderte er knapp und ließ mich endlich los. »Keine Sorge. Ich nehme es dir nicht übel. Du hattest mich letztes Mal schon gewarnt, dass du mich bei deinem nächsten Besuch nicht mehr wiedererkennen würdest. Ich bewundere dich dafür. Dir selber deine Identität zu stehlen, nur damit du diesen Bastard aufhalten kannst. Das würden nicht viele tun.« Es wunderte mich, dass er das alles wusste. Ich musste ihm ziemlich vertraut haben, um ihm das anzuvertrauen. Aber all meine Opfer hatten wohl nichts gebracht, denn letztendlich war ich doch auf Mehyls Seite gelandet.

»Du bist so jung.« Ich hatte einen alten Mann erwartet, als Mehyl unsere Cousins erwähnt hatte. Immerhin war Mehyl unsterblich und ich hatte zwei Leben gelebt. Er müsste jetzt um die achtzig sein. »Du hältst dich auch gut für dein Alter.«, erwiderte er und lachte glücklich. »Das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe, war vor ungefähr 20 Jahren, bevor du zur Erde gegangen bist. Da warst du älter als jetzt. Aber du sieht aus wie früher. Du hast dich kein bisschen verändert. Das ist seltsam.« Seine Worte waren etwas wirr. »Naja. Ich weiß, wie du aussehen wirst, wenn du sechzig oder siebzig wirst.« Sein Lächeln war aufrichtig und die Freude, die aus seinen Augen sprühten schien es auch zu sein.

»Wie bist du so jung geblieben?«, fragte ich ihn.

Bay lächelte schelmisch. »Ich bin eine Wolfsbestie. Es war Teil unseres Fluchs. Jeder unserer Kinder muss zweihundert Jahre alt werden, bis es sterben kann. Ich habe schon fast die Hälfte rum.« Es klang sehnsüchtig. Als wolle er schon sterben. Wurde man des Lebens etwa so überdrüssig, wenn man schon so lange gelebt hatte?

»Was passiert dann? Müsst ihr dann sterben?«, fragte Caleb traurig. Erst jetzt schaute sich Bay um.

»Nein. Der älteste in unserem Clan ist sechshundert Jahre alt.«, erwiderte mein Cousin. Das waren viele Jahre. Ich konnte mir nicht vorstellen so lange zu leben. Selbst in der Gilde hatte ich keinen dunklen Neyfrem kennengelernt, der so alt war.

Alle schwiegen. Bay entdeckte Des. »Deshar.«, begrüßte er ihn trocken.

»Bay.«, erwiderte Zach mit dem gleichen Tonfall. Bay konnte also Des nicht leiden. Interessant.

»Und deine Brüder? Sind sie auch hier?«, wechselte ich das Thema. »Wie heißen die noch gleich?«

Bay legte seine Stirn in Falten. »Es fällt mir so schwer zu glauben, dass du uns nicht mehr kennst. Aryn und Ceyl. Du hast uns immer die ABC Drillinge genannt. Weiß du noch?« Er musterte mich und schien zu bemerken, dass da gar nichts bei mir klingelte.

Freundlich lächelte ich ihn an. So freundlich, dass mir fast die Galle hochkam. Ich unterdrückte ein Würgen und fügte hinzu. »Werde ich die ABC Drillinge sehen?«

»Ja. Sie sind im Camp.« Er schaute jeden von uns an und wägte wohl ab, ob er allen vertrauen konnte. »Du traust deinen Begleitern?« Natürlich nicht. Ich traute niemanden mehr. Dennoch nickte ich eifrig und versicherte ihm, dass man jeden einzelnen vertrauen konnte. Luc schnaubte und flüsterte Zach »Um uns sollte er sich keine Sorgen machen.« zu. Er sprach so leise, dass Bay ihn nicht gehört hatte, dennoch warf ich ihm einen warnenden Blick zu und Luc verstummte.

»Das wird ein langer Marsch.«, warte er uns. Er blickte jeden von uns an. Sein Blick blieb an Rrru hängen. Anscheinend hatte er ihn erst jetzt bemerkt, auch wenn es mir schwerfiel das zu glauben. Der Ivok war nicht gerade unauffällig. »Der Ivok kann nicht mit.«, stellte er klar. Rrru verstand Bay und schnaubte nur verächtlich, bevor er verschwand. Wir setzten uns in Bewegung.

»Können wir uns nicht zu dem Camp teleportieren?«, fragte Luc, die Frage, die uns allen auf der Zunge brannte.

»Nein. Es ist gegen unsere Natur.«, sagte Bay widerwillig. »Unser Camp ist außerdem...nennen wir es mal „geschützt".«

»Wie geht das?«, fragte nun Attica neugierig. Wenn Attica etwas nicht wusste, dann musste es wohl etwas Außergewöhnliches sein.

»Das ist unser wohlbehütetes Geheimnis. Nicht einmal Mayser habe ich es verraten.«, erwiderte er und zwinkerte mir zu.

Na toll. Das würde wieder ein anstrengender Marsch werden. Anderseits konnte ich Bay mit Fragen durchlöchern. Wir setzten uns in Bewegung, nachdem er mit einer Handbewegung den Wölfen den Befehl gab, zum Camp zurückzukehren. Schatten flogen an uns vorbei. Wir blieben mit Bay alleine und folgten ihm. Bay und ich liefen nebeneinander her.

»Aryn und Ceyl sehen dann genauso aus wie du?«, fragte ich ihn, um ins Gespräch zu kommen.

»Ohh nein.«, sagte er schockiert, dass ich so etwas auch nur annahm. »Ich bin bei weitem der bestaussehende.« Als er begann mit den Wimpern zu klimpern, entfuhr mir ein Lächeln. In diesem Moment schien es die unwahrscheinlichste Möglichkeit zu sein, dass der Mann der vor mir stand wirklich eine Bestie sein konnte. Erst recht nicht ihr Anführer.

»Ich schätze auch der Bescheidenste.«, erwiderte ich noch lachend.

»Selbstverständlich.«, entgegnete er ernst. »Ich habe dich echt vermisst Mayser. Habe schon fast befürchtet, dass ich dich nie wiedersehen würde.«

»Mayser hat dich auch vermisst.« So Gefühlsgesteuert wie sie gewesen war, konnte ich mir nichts anderes vorstellen. Bestimmt hatte dieser Gedanke sie Nächte lang wachgehalten.

»Wie kann ein Kompliment nur so beleidigend klingen.«, murmelte er.

»Also wie genau läuft das bei euch? Du bist der Anführer oder?«, wechselte ich das Thema.

Er grinste mich wieder an. »Das hast du gemerkt?« Ich verdrehte die Augen. Er wollte nur, dass ich ihm bewundernde Worte schenkte. Das würde aber nicht passieren. »Mit meinen Brüdern.«, gab er schließlich zu. »Wir entscheiden alles zusammen.«

»Und das funktioniert? Ihr schlagt euch nicht gegenseitig die Köpfe ein?«, fragte ich verwundert.

Er musterte mich misstrauisch. Was hatte ich jetzt schon wieder falsch gesagt? »Bist du dir sicher, dass du dich nicht mehr an uns erinnerst?« Lachend zog er mich zu sich. Das war wieder zu viel. Die ganzen Umarmungen und netten Worte würden mich noch erbrechen lassen. Aber ich musste sein Vertrauen gewinnen, also ließ ich es über mich ergehen und setzte ein Lächeln auf und schlug ihn leicht auf die Schulter. »Zeus sei Dank, haben wir uns noch nicht gegenseitig umgebracht.«

»Zeus? Hat er euch nicht verflucht?«, fragte ich Bay verwirrt.

»Es war kein Fluch. Nicht für uns.«, erklärte er. »Zeus hat uns damit das größtmögliche Geschenk gemacht.«

»Und ihr betet zu ihm?«, bohrte ich weiter nach.

»Nicht direkt. Wir danken ihn nur ab und zu dafür. Und haben ein Fest ihn zu ehren, aber auch um zu feiern das wir Wolfsbestien sind.«, gab er glücklich zu. Ich hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so viel positive Energie ausstrahlte.

»Also dankt ihr jemanden der euch dazu verflucht hat bei jeder Verwandlung schmerzen zu haben?«

»Weißt du, anfangs sind die Schmerzen schlimm. Während jeder Verwandlung fühlt man sich, als würde man auseinandergerissen und wieder aneinandergesetzt werden.«, gab er zu. »Aber nach einigen Jahrzehnten spürt man den Schmerz nicht mehr auf diese Weise.«

»Ach nur Jahrzehnte? Für so einen Typen würde ich auch ein Fest schmeißen.«, erwiderte ich ironisch.

»Beten die Zoyats nicht auch zu einem Gott der sie dazu verflucht hat Schmerzen zu erleiden?«

Freya trat vor uns mischte sich in unsere Unterhaltung ein. Anscheinend hatte sie gelauscht. »Du meinst die Menschen. Wir haben nicht die gleichen Götter.«

»Nur weil die Menschen keine Kräfte mehr haben, hören sie nicht auf Zoyats zu sein.«, erwiderte Bay, während er Freya aufmerksam musterte. Zach trat neben Freya. Ich wusste, dass er sich zwischen sie und jede Gefahr werfen würde.

»Doch das tuen sie.«, entgegnete sie wütend.

»Und was weißt du schon davon, kleine Neyfrem?«, fragte Bay im aufziehenden Ton.

»Ich bin....«, sie brach ab und presste die Lippen aufeinander. Sie atmete langsam aus und bohrte ihre Augen, in die von Bay. Keiner von beiden wollte als erstes wegsehen.

»Wollt ihr alleine sein?«, mischte ich mich ein und sie unterbrachen endlich ihren Starrwettbewerb. »Freya ist die Anführerin der Zoyats.« Ihr Blick schellte wutgebannt zu mir. Es gab keinen Grund das geheim zu halten.

»Ach ist sie das?«, fragte er amüsiert. »Noch andere bekannte Persönlichkeiten in deiner kleinen Runde?«

»Nicht was der Rede wert wäre.«, log ich. Das mich noch zwei Anführer begleiteten erwähnte ich lieber nicht. Es schien mir, dass die Wolfsbestien nicht besonders gut auf Neyfrem zu sprechen waren. Also wären sie bestimmt nicht von Anführern angetan. Ich spürte Attica und Lucs brennende Blicke im Rücken. Mir fiel auf, dass die hälfte unserer Gruppe aus Anführern bestanden. Nur Kate, Jay, Caleb und Zach waren keine. Wir waren außerdem eine ziemlich bunte Gruppe. Menschen, Zoyats, Neyfrem, dunkle Neyfrem und ein Ivok. Obwohl Kate und Jay wohl nicht mehr ausschließlich zu den Menschen gehörten. Sie waren Halbblüter. Wie hatte ich mich nur zu so viel Schwachsinn überredenlassen können. Diese Reise war vollkommen meiner Kontrolle englitten. Was zum größten Teil Lucs schuld war. Ich sah gerade aus.

Gelbe Augen durchdrangen meine. Die schwarze Wolfsbestie bleckte ihre Zähne und Speichel tropfte von seinem Maul. Noch nie hatte ich so scharfe Zähne gesehen. Ich sah mich um. Anscheinend war ich die einzige, die die Wolfsbestie bemerkt hatte. Die gelben Augen leuchteten auf. Er begann auf mich zuzuspringen. Eigentlich hätte ich Angst haben müssen, aber ich konnte seine Gedanken spüren. Ich wartete ab, bis er mir näherkam. Eine zierliche Hand zog mich nach hinten und warf mich mit voller Kraft zu Boden. Es überraschte mich so sehr, dass ich meinen Plan nicht ausführen konnte. Kate hatte sich vor mich geworfen. Scharfe Krallen bohrten sich in sie und durchdrangen ihr Fleisch. Blut spritzte in alle Richtungen.

Eine andere Wolfsbestie sprang von hinter mir, an mir vorbei und stürzte sich auf den Wolf vor mir. Keine Sekunde brauchte ich, um in den Geist der Wolfsbestie zu dringen, die ihre Krallen noch in Kates leblosen Körper vor mir geschlagen hatte. Ich ließ ihn Ohnmächtig werden. Als ich das selbe bei dem anderen Wolf machen wollte, bemerkte ich, dass es Luc war. Er hatte sich in eine Bestie verwandelt, um und zu retten.

Bay verschwand. Ich musterte Luc. Er sah der der bewusstlosen Wolfbestie sehr ähnlich. Nur seine blauen Augen hatte er behalten. Sie leuchteten unnatürlich stark, als er auf uns zu kam. Er presste seine Schnauzte in Kates reglosen Körper. Jay schwebte hektisch an mir vorbei und fiel aus seinem Rollstuhl. »Kate!«, schrie er. Er landete direkt neben Kate auf dem Boden. Panisch schüttelte er sie, als würde sie noch schlafen. »Kate! Nein!« Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Ivy tu doch was! Steh nicht so rum. Rette Kate!«

»Ich habe euch gewarnt.«, erwiderte ich. »Ihr wolltet nicht auf mich hören. Jetzt ist sie tot.«

»Sie hat dich gerettet. Tu etwas! Bitte.« Es war zu spät. Ich konnte nichts für sie tun. »Sie ist tot.«, erwiderte ich. Luc stieß ein heulendes Geräusch aus und rannte in den Wald.

Als Luc mit einer neuen Hose aus dem Gebüsch kam, warf er sich auf Kate und schluchzte. »Das ist alles meine Schuld. Ich hätte euch nie hierherholen dürfen.« Sie hatten sich anscheinend in meiner Abwesenheit angefreundet. Damit Luc anfing zu weinen, musste er sie sehr gut Leiden können. Seine mit Tränen gefüllten Augen suchten meine. »Tut mir leid, Ivy.«

»Muss es nicht.«, gab ich gleichgültig zurück.

»Ich habe sie beschützt. Das ist das was du gewollt hättest, aber ich war so egoistisch...« Ein schluchzten entfuhr ihm. Er war so dramatisch. Tränen liefen ihm übers Gesicht. »...wollte, dass sie die Ivy zurückholen, die wir alle kannten. Ich wollte sie nicht sterben lassen. Es tut mir so leid.«

»Ist schon gut, Luc.«, erwiderte ich, damit er endlich aufhörte sich so anzustellen.

Jay hörte auf zu schluchzen und sah mich hasserfüllt an. »Du bist nicht Ivy! Du bist ein Monster.«

»Das habe ich dir versucht zu erklären, Jay. Ivy gibt es nicht mehr.«, stellte ich zum tausendsten Mal klar.

Bay kam zurück. »Es war die einzige Wolfsbestie. Muss von einem anderen Clan gewesen sein. Tut mir leid, Mayser.«

»Können wir jetzt weiter?«, fragte ich ihn.

»Was machen wir mit Kate?«, schrie Jay mich an. »Wir müssen wie zurückholen. Eine Heilerin könnte ihr helfen.« Die Hoffnung war ihm deutlich im Gesicht geschrieben.

»Keiner kann Seelen zurückbringen. Das ist unmöglich.«, erklärte ich. Sobald Charon sich eine Seele geschnappt hatte, gab es kein zurück. Er hatte selbst gesagt, dass es außer mir noch nie jemand geschafft hatte.

»Nein... das muss ir...irgendwie gehen. Kate kann nicht...« Er brachte er nicht über sich den Satz zu beenden.

»Jay.«, versuchte Luc ihn zu beruhigen und faste ihn tröstlich an die Schulter.

»Nicht! Das ist deine schuld!«, schrie er Luc an. »Sie ist tot! Schau hin.« Luc schüttelte leicht den Kopf. Er weigerte sich den leblosen Körper wieder anzuschauen. »Wir können sie nicht einfach hier liegen lassen!«

»Dann nimm sie mit.«, erwiderte ich. Luc half den um sich schlagenden Jay in seinen Stuhl. Erst, als Luc, Kate auf Jays Schoß legte, hörte er auf Luc zu schlagen.  Er sackte über Kates Körper zusammen. »Keine Sorge Kate! Wir werden jemanden finden, der dir helfen kann.«, flüsterte er in Kates Ohr. Entschlossen brachte er seinen Stuhl zum Schweben und folgte uns.

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