~18.1~

Als ich meine Augen öffnete war ich nicht mehr an dem selben Ort, an dem ich eingeschlafen war. Es war seltsam. Ich wusste noch genau, wie ich einnickt war -nachdem wir Stunden lang durch den Wald gelaufen waren. Dieser Ort war mir sehr vertraut. Ich zog tief den Duft nach Fritten und Burger ein. Das hier konnte nur die Erde sein.

Das war das Restaurant in dem Luc früher gearbeitet hatte. Er hatte mich einmal hierher mitgebracht. Auf der Toilette hatte ich mich dann zum ersten Mal verwandelt. Ich hatte mich ungefähr zweihundert Kilogramm schwerer gemacht. Hatte mir eine Zahnspange und unnatürlich rote Wangen verpasst. Genau in diesem Restaurant stand ich jetzt. Warum wusste ich nicht. Wahrscheinlich hatte ich so einen riesigen Hunger auf Fastfood bekommen, dass ich mich im Schlaf hierher teleportiert hatte. Das konnte ich mir sogar ziemlich gut vorstellen.

Sofort lief ich an den Tresen. Ein Mann drehte sich zu mir um und wartete auf meine Bestellung. Es war der selbe Mann, der uns das letzte Mal bedient hatte.»Zwei Colas. Oder mach drei draus.« Meine Cola Sucht hatte ich zwar seit ich bei den dunklen Neyfrem im Griff bekommen, aber ab und zu vermisste ich es schon. 

 Es dauerte nicht lange, bis der Kellner mit meinen Colas kam. Die erste kippte ich runter wie Wasser. Für die anderen beiden setzte ich mich an einen der Tische. Ich nahm langsam einen Schluck und genoss das süße prickeln auf meiner Zunge. Entspannt lehnte ich mich in mein Stuhl und schloss die Augen. Ich war so vertieft darin meine Cola zu schlürfen, dass ich nicht bemerkte, wie jemand meine Zweite stahl und sich mir gegenübersetzte.

»Weißt du noch? Hier hatten wir unser erstes Date.«, hörte ich Lucs Stimme.

Ich stöhnte, ohne mich aufzurichten. Wir hatte noch nie ein Date. »Nicht schon wieder. Warum bist du hier?«

»Gib es doch zu. Du hast mich vermisst.« Er lachte neckisch. Ich verdrehte die Augen.

Er schien mich zu verfolgen. Egal wo ich hinging, da war auch er. »Ich habe dich erst vor wenigen Stunden gesehen.«

»Und seitdem hast du jede Sekunde an mich gedacht, habe ich recht?« Ich wusste, dass er das nur sagte um mich aufzuziehen. Seit ich ein dunkler Neyfrem geworden war, hatte er alles darauf gesetzt mich zu reizen und irgendwelche Reaktionen von mir zu bekommen, als würde es irgendetwas beweisen, wenn ich auf diese dummen Kommentare antwortete. Das wurde mir immer lästiger. Ich hatte seit unserer letzten Begegnung eine Nahtoderfahrung gehabt. Es gab wichtigere Dinge um die ich mir einen Kopf gemacht hatte. Luc war bestimmt keiner dieser Dinge gewesen.

Ich gab ihm nicht die Genugtuung darauf zu antworten, stattdessen schlürfte ich meine Cola weiter und ignorierte seine Gegenwart. Das schien ihm gar nicht zu gefallen.

»Wie ist deine Cola?«, fragte mich Luc gespannt. Small Talk war offensichtlich keine seiner Stärken. Ich antwortete ihm wieder nicht und schwippte noch mal an meinem Glas. Er schnaufte.  »Und wie ist deine Cola jetzt?« Plötzlich wurde sie unnatürlich warm und fing an wie verrückt zu sprudeln. Sie schwappte über und kämpfte sich ein Weg durch meine Kleidung. Schnell versuchte ich es zu retten und schob das Glas zurück auf den Tisch, was nur noch mehr Flüssigkeit auf meine Kleidung beförderte. Ein bräunlicher Fleck blieb zurück. Trotz der heißen Cola verbrannte die Flüssigkeit jedoch nicht meine Haut.

Ich funkelte Luc wütend an. »Was soll das, Luc!?«, schrie ich ihn an. Es schien ihm zu gefallen, dass ich endlich auf etwas -was er getan hatte- reagierte. Er wusste wohl nicht, wie schlecht es für ihn stehen konnte, wenn er einen dunklen Neyfrem ärgerte. Er konnte nämlich im Gegensatz zu mir, sehr wohl sterben. Ich  versuchte die klebrige Flüssigkeit auf meinen Händen abzuschütteln. Luc dachte wohl er sei heute besonders lustig. 

Ich konnte ihn aber mit seinen eigenen Waffen besiegen. »Des hat mir da vorhin etwas erzählt...«, log ich beiläufig. Denn anders als er, wusste ich welche Register ich bei ihm ziehen musste.  »Kein Wunder, dass er dich hasst.« Lucs dämliches Grinsen verschwand sofort aus seinem Gesicht und wurde durch ein finsteres Starren ersetzt. Ich wusste zwar nicht, warum Des und Luc sich hassten, aber auf die Geschichte war ich gespannt.

»Ach hat er wieder rum erzählt, dass ich schuld daran war? Seine Version der Geschichte ist eine Lüge. Er lügt immer.« Er sah mich wütend an. »Ich dachte, dass du das spätestens jetzt bemerkt hättest. Er hat uns verraten. Wie kannst du ihm da noch glauben?« Luc sah mich enttäuscht an. Er dachte wohl wirklich, ich hätte mich auf Des Seite geschlagen. 

Was für ein Idiot!

»Er klang ziemlich überzeugend.«, bohrte ich weiter nach.

»Ja, darin ist er besonders gut. Die Tatsachen zu verdrehen und sich selber gut darzustellen.« Er schnaubte und schaute mich nicht mal mehr an. Wieso erzählte er mir nicht einfach was passiert war? Irgendwie musste ich erfahren was zwischen den beiden passiert war. Auf diese Erklärung wartete ich schon ewig.

»Dann erzähl mir deine Version.«, sagte ich gleichgültig, um ihn nicht sehen zu lassen, dass ich absolut keine Ahnung hatte, um was es bei ihrem Streit gegangen war. Seit dem ich die beiden zusammen erlebt hatte, brannte ich darauf zu erfahrenen warum sie sich hassten.

Er sah mich prüfend an, bevor er nickte. »Du weißt bestimmt noch, wie ich dir erzählt habe wie meine Eltern damals mit dir -also Mayser- befreundet waren und dir geholfen haben zur Erde zu gelangen. Des hast du zwar körperlich zurückgesetzt, aber er konnte sich noch an alles erinnern. Er war ein Kind und wir wuchsen zusammen auf, aber er konnte sich an dich erinnern. Wir waren eigentlich sogar gute Freunde, als wir Kinder waren.« Er nahm tief Luft und schüttelte den Kopf, als würde er es selber nicht glauben können.

» Irgendwie fand er heraus, dass ich ein Apyé war. Frag mich nicht wie. Vor diesem Typen kann man nichts geheim halten.

Ich habe dir doch erzählt, dass ich zur Erde ging, um dich zu suchen.« Er sah mich unsicher an, fuhr aber fort. »Deshar hat mich erpresst. Er hat mich gezwungen nach dir zu suchen, obwohl ich die Anweisung meiner Eltern hatte das nicht zu tun. Deshar wollte meine Tarnung auffliegen lassen. Ich musste meine Eltern und dich verraten, um den Plan zu schützen. Des wollte unbedingt wissen wo du auf der Erde warst. Er war wie besessen von dir.« Er musterte mich.  

»Und?« Sein starren war mir unangenehm.  

» Des hat mir eure ganze Geschichte erzählt. Wie du damals seine Schwester gerettet hast und das du Schuld warst, dass Mehyl der Anführer wurde. Er hat mir auch erzählt, wie du dich danach zu Grunde gerichtet hast, um ihn aufzuhalten.« 

Er sollte endlich auf den Punkt kommen. Mir war Maysers Leben egal. Nur mein jetziges Leben war mir wichtig. Und in diesem Leben konnte ich nur die Informationen zu ihren Streit gebrauchen. Damit würde ich Des wahrscheinlich quälen können. Maysers und Ivys Leben lag in der Vergangenheit. Sie waren schwach gewesen. Keine von ihnen glich mir. Ich war weder ein Mensch, noch ein Neyfrem.

»Ich habe dich angelogen, als ich sagte, dass ich dich auf der Erde nicht finden konnte. Es war für mich genauso einfach dich zu finden, wie für dich damals Freya zu finden. Wir Anführer können uns gegenseitig spüren.« Seit er von seinem Verrat angefangen hatte, hatte er meinen Blick gemieden. Stattdessen starrte er nur auf seine Handflächen. »Seit dem ersten Augenblick, als ich auf der Erde angekommen war, wusste ich genau wo du warst. Und ich musste ihm alles erzählen. Er hat mich gezwungen mein Wort zu brechen und dadurch zerbrach auch unsere Freundschaft. Deshar war manipulativ und nur an sein eigenes Wohl interessiert. Ihm war euer Volk egal. «

»Was das ist alles? Erpressung?«, fragte ich enttäuscht. Das konnte nicht die ganze Geschichte sein. »Das ist deine Version? Geht es bei deiner Fassung nicht weiter?«

Seine Augen blitzten auf einmal wissend auf und ein Lächeln huschte ihm übers Gesicht. »Was hat Des dir den erzählt?« 

Verdammt!

  Mir fiel nichts plausibles ein. Mein Lügenkonstrukt brach in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. »Ach komm schon. Was kann schon so schlimm sein?«, gab ich auf.  Ich verdrehte meine Augen. Er sah mich erheitert an.    

  »Du bist immer noch eine schreckliche Lügnerin.«, erwiderte er und zum ersten Mal fiel mir auf, dass auf seinen Backen, ein Grübchen erschien, während er lachte.   

Luc atmete tief ein. Obwohl er sich nicht rechtfertigen musste, fuhr er fort. »Ich wollte dich nicht mehr stalken, also habe ich ihm gesagt, dass er nicht mehr auf meine Hilfe zählen sollte. Er meinte das würde Konsequenzen haben.« Luc war in Gedanken und ballte unbewusst seine Hände zu Fäuste. So stark, dass sie rot anliefen. »Das er mit Konsequenzen meinte, er würde mir die Freundin ausspannen, hatte er mir allerdings nicht gesagt. Nach fünf Jahren in einer Beziehung hat sie mich einfach für ihn links liegen gelassen. Und alles nur, weil er vorübergehend der Anführer der Arllés war.«

Diesmal war ich es, die ihn erheitert anschaute. Eine dämliche Dreiecksbeziehung? Das hatte sie entzweit? Was für eine Enttäuschung. »Dann hat er dir doch einen Gefallen getan.«, erwiderte ich.

»Er wollte mich dafür bestrafen, dass ich nicht seine Marionette sein wollte.«, entgegnete er wütend. »Deshar ist manipulativ und will immer das haben, was ihm nicht zusteht.«

»Ich sehe das so. Er hat dir geholfen zu erkennen, dass deine Freundin ein Miststück war. Wenn du das nach fünf Jahren nicht schon bemerkt hattest, hätte es wohl noch lange Zeit so weitergehen können.«, erklärte ich. »Des hat dir aus dieser falschen Beziehung geholfen.«

»Das mag sein. Aber ich werde ihm ganz bestimmt nicht dafür danken, dass er sie mir ausgespannt hat.« Wir schwiegen. Ich fand diesen Grund plausibel. Des hatte auch ihn Verraten. »Nur um sie dann links liegen zu lassen.«

Ich war der Meinung, dass es nichts mehr zu sagen gab. Als ich meinen Blick von ihm wendete und genervt auf mein leeres Glas blickte, sah er endlich zu mir auf.

»Das mit uns hat aber nichts damit zu tun. Nicht das du denkst, dass ich es Des irgendwie heimzahlen wollte.«, fügte er schnell hinzu, als hätte er etwas an meinem Gesichtsabdruck abgelesen. Ich hatte keine Gefühle, seit ich ein dunkler Neyfrem war. Lucs Beweggründe für -wie er es nannte- "uns" waren mir vollkommen egal, weil es kein "uns" gab. Das einzige was ich wollte war eine kühle Cola und meine Ruhe.

Ich verdrehte die Augen. »Es gibt kein uns.«

»Rede dir das ruhig weiter ein.«, sagte er mit seinem alten Selbstbewusstsein. »Wir wissen beide, dass dem nicht so ist.«

»Also bist du jetzt der Anführer der Apyés? Was ist mit deinen Eltern?«, überging ich seine Wahnvorstellungen. 

»Sie sind gestorben, als sie von einem Ivokrudel attackiert wurden.«, erzählte er. Er hatte seine leiblichen Eltern selten gesehen. Sein Verlust konnte nicht sehr groß sein. Dennoch sah er etwas mitgenommen aus.

»Ivy!«, schrie jemand.

»Hörst du das?«, fragte ich Luc. Die Stimme wurde immer lauter und schrie immer wieder meinen Namen.

»Nein. Was denn?« Er schien es wirklich nicht zu hören. Aber wie konnte das sein? Es war so laut. Unmöglich, dass er das nicht hörte.

  »Ivy!« Diesmal erkannte ich die Stimme. Es war die von Caleb.   

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das hier war nicht real. Ich war nicht wirklich hier. Das alles war nur eine von Lucs Illusionen. Eigentlich saß ich noch unter dem Baum im Wald und schlief. Luc hatte sich wieder in meinen Traum geschlichen. 

Natürlich. Seit ich ein dunkler Neyfrem geworden war, hatte ich nicht ein einziges Mal geträumt. Das war eindeutig Lucs Werk. Und jetzt wusste er genau wo wir uns befanden. 

»Ivy!« Ich schüttelte meinen Kopf. Versuchte mich selber wach zu rütteln, aber es gelang mir nicht.

»Lass mich aufwachen.«, befahl ich Luc.

»Also echt. Keine Manieren. Schon mal etwas vom Wort „Bitte" gehört?« Das letzte was ich sah, bevor ich aufwachte, war dein dämliches Grinsen. Am liebsten hätte ich es ihm aus dem Gesicht geschlagen.

»Wir müssen sofort weiter. Er weiß wo wir sind.«, sagte ich schnell, noch bevor ich meine Augen geöffnet hatte.

»Was meinst du?«, fragte Caleb. Er stand über mich gebeugt und hörte endlich auf mich zu schütteln. »Wer?«

Ich sprang auf. »Los! Wir müssen weiter. Jede Sekunde könnte er ...«

»Zu spät.«, kam Lucs Stimme von hinten.

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