Epilog

Aidans Sicht
Ein Jahr später

»Wen haben wir denn da?« Ein Lächeln umspielt ihre hellrosa Lippen, die pechschwarzen Haare zu einem tiefen Pferdeschwanz gebunden. Stillschweigend starre ich in ihre Augen – so braun und leer. Leblos ist das bessere Wort für den Blick in ihren Augen. Vielleicht mit einem kleinen bisschen Hass gemischt, was mich schon fast zum Grinsen bringt.

»Dein hübsches Gesicht zu sehen, habe ich nicht erwartet, Torres.« Sie lehnt sich zurück, leckt sich über die kleine Verletzung, die dort platziert wurde. »Was verschafft mir die Ehre?« Still beobachte ich sie genauer. Ihre dunklen Haare sind länger geworden. Sie wirkt blasser, dünner, fast schon zerbrechlich – als würde sie bei einem Windstoß auf ihre Knie sinken. Augenringe schmücken ihre hohlen Gesichtszüge. Abgesehen von der Wunde an ihrem Mund ist da noch ein blauer Fleck auf ihrer Schläfe und Hand- oder Fesselabdrücke an ihrem Handgelenk.

Erneut lächelt sie, beugt sich nach vorne und lässt ihre schwarzen Haare nach vorne gleiten. »Ich fühle mich geschmeichelt, aber wenn du etwas zu sagen hast, dann würde ich es jetzt tun. Ich habe nicht viel Zeit, und die Zeit, die ich habe, möchte ich nicht mit dir verschwenden. Nimm es mir nicht böse, Hübscher.« Wieder sage ich nichts, starre sie emotionslos an. Auch sie sieht mich an, lässt ihren Blick über meinen Körper wandern und wieder zurück zu meinem Gesicht. Ich weiß, dass sie mich attraktiv findet – ihre Augen beweisen es. Kann aber auch daran liegen, dass sie hier vollkommen verrückt wird und jeden Menschen mit einem Schwanz – oder auch nicht – außerordentlich anziehend findet.

Keine Ahnung, wie lange wir da sitzen, eine Glasscheibe das Einzige, was uns trennt. Doch als sie seufzt und den Hörer ablegen will, halte ich sie davon ab. »Du bist erbärmlich, Tory.« Eine Sekunde lang zuckt sie zusammen, doch schüttelt es ab, reckt das Kinn und hebt ihre Mundwinkel leicht an. »Es mag sein, dass ich im Gefängnis bin, aber ... wo ist deine Freundin, hm?« Wut entfacht in meinem Blut, pulsiert in meinen Adern und brennt sich fast durch meine Haut hinaus. Mein Herz rast, und ich muss mich zusammenreißen, nicht alles um mich herum zu zerreißen, um Tory in meine Finger zu kriegen und sie zu zerstören. Von außen muss ich kalt und gefühllos wirken, sonst weiß sie, dass sie durch mich hindurchgedrungen ist und das kann ich ihr nicht geben. Sie hat es nicht verdient, noch eine Seele zu zerbrechen.

»So ein wunderschönes Gesicht, und ich wette, auch ein atemberaubender Körper befindet sich unter diesem Pullover. Gott, was würde ich machen, um dich zwischen meinen Fingern zu spüren ...«
»Reicht es dir nicht, dass dich die Frauen hier alle genauso zwischen ihren Fingern haben wollen? Oder auch schon hatten?« Meine Augen huschen zu ihrem Handgelenk. Sichtlich ertappt legt sie ihren Arm auf ihren Schoß. Ich weiß, das war eine ekelhafte Aussage von mir, denn die Wahrscheinlichkeit, dass das von ihrer Seite aus gewollt war, ist sehr gering. Keiner hat es verdient, so etwas durchzumachen, aber sie muss endlich ihre Klappe halten, damit ich reden kann. Sie hat nämlich genug gesagt und auch genug getan.

»Du gottverdammter Bastar–«
»Wenn ich du wäre, würde ich jetzt leise sein, oder willst du deine angeblich gute Führung zunichtemachen?« Mich interessiert es nicht, ob sie sich ihre Chance vermasselt oder nicht, denn egal was passiert, sie kann nichts mehr tun. Und dass sie rauskommt, werde ich niemals zulassen. Dafür muss sie mich schon erst umbringen. Realistisch gesehen wird sie die nächsten acht bis neun Jahre keinen Blick auf die Außenwelt richten können, aber sie wird nach den Jahren immer noch jung genug sein, um eventuell das Gefängnis verlassen zu können. So viel, wie ich mitbekommen habe stellt sie sich sehr gut an, ist höflich und engagiert sich, wo sie nur kann.

»Scheiße, du bist doch derjenige, der hergekommen ist und mich wie ein Irrer anstarrt. Wenn du wen anstarren willst, dann lauf zum Grab deiner Freundin und starr das an.« Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Amüsiert lege ich den Kopf zur Seite und blicke in ihre leicht geweiteten Augen. »Die einzige Person, die wirklich tot ist, bist du, Tory.« Schmerz flackert kurzzeitig über ihr Gesicht, Anspannung spiegelt sich in ihrer Körperhaltung. »Du bist schon lange tot. Da ist nichts mehr von dir, nur noch die Hülle deiner Selbst.« Sie blinzelt mehrmals. »Mir ist es egal, was du hier durchmachst und welcher Teil von dir noch daran zerbrechen kann, aber wenn du jemals auch nur in die Nähe der Menschen kommst, die ich liebe, dann bringe ich dich um.«
»Ein wenig dumm von dir, mir in einem Gefängnis zu drohen, wo alles aufgezeichnet und mitgehört wird.«
»Ein wenig dumm von dir, zu glauben, dass man mit Geld nicht alles bekommen kann, was man will.« Es hat durchaus seine Vorteile, wenn man Unmengen an Geld besitzt. Ich mache mir nichts daraus, aber wenn ich damit die Menschen in meinem Leben beschützen kann, dann nutze ich das.

»Ein Wort von dir zu irgendwem und du bist erledigt, verstanden, Gold?« Mit knirschenden Zähnen sieht sie mich an, ehe sie im nächsten Moment aufsteht. Den Hörer noch in ihrer Hand. »Geh deiner Freundin nachheulen.« Mit diesen Worten lässt sie ihn fallen, wobei alle sich erschrocken in ihre Richtung drehen. Stumm erhebe ich mich von meinem Platz und verlasse den Raum, wo weitere Insassen mit ihren Liebsten sitzen und sich unterhalten. Fünf Minuten später bin ich aus der Anstalt und kann zum ersten Mal, seit ich das Gebäude betreten habe, richtig atmen.

Heute ist ein warmer, sonniger Tag. Die Wärme umarmt mich, weswegen ich die Lider schließe und den Kopf Richtung Sonne drehe. Entspannung und Ruhe breiten sich in meinem Körper aus, lockern meine Schultern, doch das Zuschlagen einer Autotür holt mich zurück aus meiner Fassung. Ein schwarzer BMW parkt mehrere Meter vor mir, und die Besitzerin des Wagens spaziert mit sicheren Schritten auf mich zu. Lächelnd gehe ich auf sie zu und sobald ihre Hände sich um meine Taille legen, nehme ich ihr Gesicht zwischen meine Hände und bringe ihre weichen Lippen zu meinen. Mein Herz rast, während mein Körper sich gegen ihren lockert. Ich ziehe sie näher an mich, küsse sie fester, stürmischer, packe all meine angestauten Gefühle in unseren Kuss. Sie hält dagegen, nimmt meine Gefühle auf und spiegelt sie mit denselben zurück.

Triumphierend löse ich mich von ihr, lasse aber nur kurz ihre Unterlippe zwischen meinen Zähnen gleiten und platziere einen letzten leichten Kuss darauf. Ihre wunderschönen blauen Augen strahlen, als sie mich ansieht und ihre Arme immer noch fest um mich geschlungen hat. Meine Arme liegen um ihre Schultern, als wir uns zusammen zu ihrem Auto bewegen. Wortlos hält sie mir die Schlüssel entgegen, und ich nehme sie an, bevor ich die Tür zur Beifahrerseite öffne und sie sich hineinsetzt. Sekunden später fahren wir auch schon los, eine Hand auf dem Lenkrad und die andere mit ihrer verschlungen.

»Wie war es?« Ihre Stimme ist so sanft, so himmlisch süchtig machend. Anstatt auf ihre Frage zu antworten, nehme ich ihre Hand und führe sie zu meinem Mund, wo ich jeden ihrer Fingerknöchel mit Küssen bedecke. »Ich liebe dich so sehr«, hauche ich an ihre Hand, platziere einen letzten Kuss auf ihrem Handrücken und lege sie dann zurück auf ihren Schoß, wo unsere Hände immer noch ineinander verschränkt sind.
»Ist das ein Codewort für 'Du sagst es mir später'?«
»Schlaues Mädchen.« Ein Kichern entfährt ihr.

Tory glaubt, dass mein Mädchen den Unfall vor einem Jahr nicht überlebt hat. Es war nicht gelogen, als ich meinte, dass man sich mit Geld alles ermöglichen kann. Nur etwas Überzeugungskraft und Geld hatte ich benötigt, um Vera die Sicherheit zu ermöglichen, die sie jetzt hat. Es ist ein Wunder, dass Vera überlebt hat. Tory hat es vor einem Jahr geschafft, sie erneut von der Straße zu schleudern, doch dadurch, dass die Einsatzkräfte ziemlich schnell vor Ort waren, konnte man Vera schnell verarzten und ins Krankenhaus bringen. Sie lag einige Tage im Koma und hatte sich den linken Fuß und die linke Hand gebrochen. Eine leichte Gehirnerschütterung hatte sie sich ebenfalls zugezogen. All das führte dazu, dass sie wieder für eine Weile im Krankenhaus bleiben musste, doch jetzt ist alles wieder in Ordnung. Jetzt kann sie leben – und das ohne Sorgen. Ich werde alles dafür tun, damit es auch so bleibt, denn mein Mädchen hat die Welt und mehr verdient.

Im Gegensatz zu Vera hat Tory alles verloren, zu recht. Es stellte sich heraus, das Tory Gefühle für meine Freundin hatte, die sie ihr in der Nacht des ersten Unfalls gebeichtet hatte. Alles nach dem Streit, den sie hatte, war - laut Tory - nicht beabsichtigt gewesen. Die Aussage konnte man ihr nicht abkaufen, vor allem wenn dasselbe erneut passiert ist. Blöd für sie war nur, das es dieses Mal Zeugen gab und sie sich nicht mehr herausreden konnte. Doch das alles liegt ab heute in der Vergangenheit.

Ich sehe zu Vera rüber, die blonden langen Haare zu Locken gedreht und das Make-up dezent aufgetragen. Sie sieht aus wie ein Engel – mein Engel. Leicht drücke ich ihre Hand, was sie mit dem schönsten Lächeln kommentiert und ebenfalls leicht zudrückt.

»Ich liebe dich«, flüstert sie.

ENDE

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