Kapitel 8 | One plus one

Meine Tränen rollten meine Wangen hinunter, ich schluchzte laut und musterte mich im Spiegel. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Kein Tag war vergangen und dennoch hatte ich das Gefühl, ich würde nach jeder Halluzination auf's Neue sterben. Mein Spiegelbild sah schwach aus. Ich sah schwach aus. Unter meinen Augen lagen Augenringe, als sei ich nächtelang auf Parties gewesen. Meine Haut war schon blass, meine Haare logischerweise durcheinander, zerstreut und nass. Mein Spiegelbild änderte sich dann plötzlich zu Katherines. „Du siehst aus wie eine Leiche, Schätzchen." Sie lachte mich aus und verspottete mich. Wieso war sie die Person, die ich am öftesten sah? „Bald gehörst du zu dem Haufen hinter dir." Mir lief ein Schauer über den Rücken. Hinter mir lag wieder der Haufen meiner toten Freunde. Als ich Katherine ein zweites mal lachen hörte, nahm ich mir etwas unbekanntes zur Hand, schlug damit auf den Spiegel ein und schrie: „Halt deine Klappe Katherine!" Der Spiegel zerfiel in tausend kleine Teilchen. Alle überall auf dem Boden verteilt. Unmöglich sie wieder zusammenzusetzen. Es erinnerte mich an mein Leben. Meine Finger klemmte ich mir in meine Haare und ließ mich mit zugekniffenen Augen schmerzvoll zu Boden fallen. „Mach dass es aufhört", schrie ich verzweifelt. „Elena", hörte ich Damon vom Weiten, aber konzentrierte mich weiter auf meine Bitte. Im Badezimmer angekommen stand er neben mir und betrachtete den Spiegel. „Oh Mann. Den ersetzt du aber", scherzte er. Doch ich ignorierte es. Ich ignorierte ihn. Ich war nicht in Scherz Laune. Dann erst bemerkte er, dass ich weinend auf dem Boden kniete und bückte sich hastig. „Elena, ich bin hier. Schaust du mich bitte an?" Mit Geduld versuchte er mich dazu zu bringen, hochzugucken, bis es ihm geling. Mein nasses Gesicht vom ganzen Weinen schaute kalt in seins. Im Moment fühlte ich einfach gar nichts. Keine Wut. Keine Angst. Keine Trauer. Nichts. Ich wusste nicht mehr, was ich fühlen sollte. Es passierte einfach zu viel. Alles wurde gemischt. Wie ein Kartenspiel. Jede Karte stellte ein Gefühl da und hatte einen bestimmten Wert. Doch wenn dein Gegner eine Karte hatte, die alle deine übertraf... Was brachten dir die Karten dann noch? Man warf sie weg. Verlor sie. Ließ sie irgendwo in einer Ecke stehen, bis sie wieder ihren alten, teuren Wert bekamen. „Was auch immer du gesehen hast, es war nicht echt", begann Damon, „Ich-" „Ich weiß, dass es nicht echt ist, Damon!", unterbrach ich ihn. „Aber es setzt sich so tief in meinen Kopf. Als hätte man mir einen heißen Brennstab durch den Körper geschoben." „Zieh dir was an, Bonnie wird dir ein Gegenmittel finden, okey? Ich versprechs." Nickend verließ er kurz den Raum, damit ich mir dann wieder meine Alltagsklamotten, statt dem Handtuch überziehen konnte. Dabei bemerkte ich, dass mir Glasscherben im Knie hingen. Autsch. Langsam humpelnd lief ich die Treppen hinunter. Alle drei saßen im Wohnzimmer, sprachen darüber, was es gewesen sein - und was man dagegen tun könne. Ich setzte mich dazu und wartete. „Alles ok?", wollte Damon wissen und sprach dabei auf mein verletztes Knie an, was er durch mein Humpeln bemerkt hatte. Schwach nickend erwiderte ich: „Ich hab einige Splitter im Knie." Bonnie keuchte, als ob sie die Schmerzen selbst spüren würde, Caroline verzog bemitleidend das Gesicht und Damon verschwand. Nach wenigen Sekunden war er wieder da. „Setz dich hin und streck dein Bein aus. Ich verarzte dich." Ich befolgte seine Anweisungen und legte mein verletztes Bein sanft auf seinem Schoß ab. Damon wickelte mein Hosenbein hoch und fing an mit einer Pinzette die einzelnen Glassplitter zu entfernen. Ab und an zog ich scharf meine Luft ein. „Okey Elena", begann Bonnie, „Diese Halluzinationen haben nichts mit einem Zauber zu tun. Kein Zauberspruch dieser Welt kann dir dagegen helfen." Na toll. Nein danke. Ich werde so nicht weiterleben. „Aber vielleicht deuten die Halluzinationen auf etwas. Und wenn ich weiß, was, kann ich dich davor beschützen." „Also soll ich dir erzählen, was ich in meinen Halluzinationen gesehen habe?" Sie nickte. Also dann. Zurück in die Traumas, die ich erlebt hatte. „Anfangs hab ich Katherine im Grill gesehen. Sie stand dort mit Jeremy. Und hat ihn umgebracht", zählte ich eines auf. Bonnie wusste sofort bescheid: „Tod. Das deutet eindeutig auf den Tod." Kurz musste ich überlegen. Was war das zweite, das mir passiert war? Zuerst Jeremy... Dann Katherine. „Dann hab ich Katherine alleine gesehen. Sie hat mich beobachtet. Vielleicht sogar verfolgt." Bonnie überlegte, Caroline ebenfalls. Damon sah nur zu und kümmerte sich dabei um meine Wunde. Selbst ich hatte keine Ahnung, auf was diese Halluzination deuten könnte. „Vielleicht hat Katherine auf etwas gewartet", schoss es Caroline durch den Kopf, „Wenn die Halluzination davor sich um den Tod gedreht hat. Wieso nicht bei diesem auch? Katherine hat bestimmt auf den Tod von irgendjemanden gewartet." „Gut möglich. Schieben wir das erst mal bei Seite. Vielleicht sehen wir nachher einen Zusammenhang", sprach Bonnie. Der daraufhin folgende deutete ebenfalls auf den Tod. Und die Halluzination mit Stefan deutete auf Angst und Panik. Alle danach auch auf den Tod. Abgesehen von dem Spiegelvorfall. „Es klingt, als hätte Katherine zusehen wollen, wie du stirbst", überlegte Bonnie. Sofort hüpfte Caroline auf und ab. „Siehst du? Meins war richtig. Sie hat auf Elenas Tod gewartet." Mein Selbstbewusstsein brach immer mehr in sich zusammen. Toll. Ein psychokranker Vampir erwartete meinen Tod. „Das waren alle?", checkte nochmal Bonnie ab. Ich hatte ihr das mit Damon und mir verschwiegen. Sollte ich es ihr sagen, oder nicht? „Jede kleinste Halluzination kann wieder auf ein total anderes Endergebnis führen. Jedes Detail ist wichtig. Waren das wirklich alle?" Ich knirschte mit den Zähnen. Es war wichtig. Aber es handelte sich nur um einen Kuss. Was war daran schon wichtig zu wissen? „Elena?", Caroline schaute mich misstrauisch an. Sie hatte mich durchschaut. „Das letzte deutet auf Liebe", sprach ich. Caroline riss die Augen auf: „Wooow, was hast du gesehen?" Mein Blick wanderte auf Damon, welcher mit meiner Verletzung fertig war und mein Bein weiter auf seinen ruhen ließ. Dieser schaute mich genau so wie Caroline an und wartete auf eine Antwort. Bonnie war die einzige, die mich mit ihrem Blick nicht durchbohrte. Sie wusste, dass ich damit irgendwann rausrücken würde. Also behielt sie Geduld. „Das war der echteste Traum von allen", begann ich und alle Augen lagen auf mir, „Ich hielt Damons Hand, um mir sicher zu sein, dass was auch immer passierte, er da war. Und er war da. Deshalb kam es mir so echt rüber." Ich atmete tief ein und aus, blickte kurz auf Damon und erklärte dann weiter: „Wir haben uns geküsst." Ich schluckte. Bonnie verschlug es die Sprache, Caroline war schockiert und Damon lächelte glücklich. Als hätte der Kuss wirklich statt gefunden. „Oh mein Gott!", brüllte Caroline, „Das kann doch nicht dein Ernst sein!" „Ich kann mir die Halluzinationen nicht aussuchen, Caroline!" Sie zog sich zusammen, gab einige Laute von sich, wie ‚Bäh' und ‚Ih' und verließ dann das Wohnzimmer. „Also ich werde jetzt frische Luft schnappen, damit ich nicht völlig den Verstand verliere. Och, komm schon! Damon und du? Ehrlich? Wieso zum Teufel-" Ihre lange Rede wurde von einem Handyklingeln unterbrochen. Und zwar ihrem eigenen. Wie vor einigen Stunden auch. Sie blickte darauf, dann nochmal zu uns und verließ das Haus. „Ich geh auch kurz raus. Bin in fünf Minuten wieder da", sprach Bonnie und lief Caroline hinterher. Damon lächelte mich an. Das konnte ich schon sehen, ohne ihn anzugucken. „Schade, dass die Halluzination schrecklich war, hm?", lachte er. Dachte er, ich fand den Kuss schlimm? Es war... Atemberaubend. Wenn ich meine Träume aussuchen könnte, würde ich genau in diesen zurück. „Die Halluzination an sich war nicht schrecklich, Damon." „Ach nein?" Schon wurde er ernst. Tatsächlich hatte er gedacht, ich fand es mies. Ätzend. Ekelerregend. Bäh. Ich schüttelte den Kopf und nahm wieder Damons Hand. „Das schreckliche daran war, dass ich den Kuss fantastisch fand", flüsterte ich schon fast und mied den Blickkontakt zu Boden schauend. Damon grinste noch mehr als zuvor, schien sich aber dessen unbewusst zu sein, ob es passend war zu lächeln. Immerhin sagte ich dass ich es nur nicht mochte, da es mir gefiel. Er streichelte mir mit der Hand über die Wange. Und dann kam mir ein Geistesblitz. Mir wurde eins über die Halluzinationen klar. Einfach so. Man musste nur eins und eins zusammen zählen. Ich wurde manipuliert. Und von wem? Natürlich. Von Katherine.

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