XX

Dort stand Mister George Wickham nun- oberhalb des einzigen Ausweges von dieser Aussichtsplattform- am oberen Ende dieser Treppe.

George Wickham hatte wohl recht schnell die Situation erfasst und konnte erahnen, dass sich seine Position in diesem Moment nicht vorteilhaft zeigte. Er hatte erkannt, dass sich ihm die Option einer lukrativen Flucht und Heirat mit Miss Georgiana Darcy nun nicht mehr aufzeigte. Denn Miss Georgiana wart hervorragend behütet in den Armen ihres Bruders- beschützt und gesichert vor Wickhams unlauteren Planungen und Gedanken.

Und Miss Georgianas Tränen?

Sie wischte sie sich aus ihrem Gesicht, dies konnte auch Wickham aus der Ferne erkennen. Doch diese Tränen waren keineswegs Ausdruck der Freude über ein Wiedersehen mit dem vermeintlichen Verehrer- dies war George Wickham schnell bewusst.

Diese tränen flossen aus Trauer über den Verlust eines schönen Traumes und einem starken weiteren Gefühl- der Enttäuschung. Denn jetzt, da der Plan augenscheinlich dem Bruder offenbart worden war, ließen diese überwältigenden Gefühle sich nicht mehr zurückhalten oder unterdrücken. Georgiana hatte dazu auch nicht die Kraft. Und so flossen Tränen in Strömen- ob ihrer großen Enttäuschung. Und dies, so lang es ihr nötig erschien.

Und Mister Darcy? Er hielt seine Schwester an sich gedrückt, lieh ihr ein Stofftuch zum Schnäuzen und gab ihr Rückhalt, bis Miss Georgiana wieder gefasst schien.

Dann erst richtete Mister Darcy einen abschätzenden Blick auf Mister Wickham, der all die Verachtung gefühlten Betruges in sich barg.

Fitzwilliam Darcy zu erzürnen war ein Fehler. Nicht nur, dass Mister Darcy Mittel hatte und Möglichkeiten hierdurch ausschöpfen im Stande war. Auch war er geübt im Umgang mit Waffen, ein geübter guter Schütze- sollte man ein Duell erwägen.

Darcy hatte jedoch für diesen Moment nur ein Anliegen: seine Schwester Georgiana geschützt an Mister Wickham und seiner intriganten Mitspielerin und Tante Mistress Young vorbei zu lancieren. Nur hierdurch war dieser unangenehmen und für die Geschwister Darcy als überaus unvorteilhaften strategischen Position zu entgehen.

"Komm Georgiana. Halt dich hinter mir. Ich bringe Dich jetzt an dieser Schurkengesellschaft vorbei, die jegliche Ehre und Respekt verloren hat. Wenn wir oben sind, so nimm mein Pferd für Dich. Es ist ein ruhiges Tier- sei unbesorgt. Ich werde Dir dort aufhelfen. Und wenn ich Dich in dann in Sicherheit weiß, dann gehen wir einfach zurück nach Ramsgate. Denn eine Flucht und Furcht steht uns nun nicht mehr zu, wollen wir Dir dein Leben zurück erstreiten. Wollen wir dies gemeinsam durchstehen, Schwester?"

So sprach Fitzwilliam Darcy leise aber entschlossen zu seiner Schutzbefohlenen und strich Georgiana letzte Tränen einer verlorenen Illusion auf wahre Liebe aus dem Gesicht.

Und Georgiana? Sie wollte jetzt stark sein und auch solch Auftreten zeigen. So schüttelte Georgiana kurz ihren Kopf und zeigte sich aufrechter, als es kaum zuvor von Nöten war, atmete schnell tief ein und heftig wieder aus. All die Luft verließ einen erfrischten Körper, der Haltung bewahren konnte.

"Ja. Das Werden wir. Gemeinsam!", betonte Georgiana entschlossen.

Aufmunternd lächelte Fitzwilliam seiner Schwester zu- beeindruckt von Georgianas Stärkebekundung. Für diesen kurzen Weg schien sie heftiger und deutlicher Entschlossenheit zeigen zu wollen, als für die Umsetzung einer ehrlosen Flucht vor der Wirklichkeit nach Gretna Green.

"Dann komm. Verlassen wir diesen Ort!"

Fitzwilliam Darcy führte seine Schwester eingehakt langsam zur Treppe hin. Ab dort gab er ihr im Rücken Halt beim Aufstieg durch seine Hand. So ging es Schritt für Schritt zum Plateau hinauf.

Dort tuschelten Mistress Young und ihr Neffe George Wickham miteinander- in Fassungslosigkeit und auch etwas gemeinsamer Hilflosigkeit geeint.

Mister Darcy war dies egal. Er hatte seine Georgiana einmal mehr zu behüten- in der Hauptsache vor Worten oder Bekundungen von George Wickham, von dem die größte Gefahr für Georgianas junges Herz ausging.

"Komm. Wir gehen einfach immer weiter. Ich schaffe dich hier fort:", motivierte Fitzwilliam für die letzten Meter zum Pferd.

Und dann war es im Grunde geschafft für die Geschwister. Sich haltend erreichte man die oberste Stufe und gelangte in direkter Nähe zu Mistress Young und Mister Wickham auf den Pfad, der sich zu den hölzernen Halfterstangen öffnete. Die Wickham- Sippschaft verharrte auf Höhe der Treppe und ließen die Flucht- Suchenden passieren.

Fitzwilliam geleitete Georgiana mit leichtem, drängenden Schieben weiter- war man auch vorbei an diesen zwei Personen, bis zu seinem Pferd musste Georgiana noch durchhalten.

Erst als Georgiana in den Sattel geholfen war und sie dort erträglich, aber aufrecht und sicher saß, da fiel von den beiden Darcys die Last der Rettung durch die Linie des Gegners ab.

'Contenance bewahren!' - dies dachte sich Fitzwilliam Darcy über die ganze Zeit hinweg, wenn nicht seine Gedanken bei Georgiana waren.

Dieser unangenehmen Situation war nur mit Fassung und Haltung begegnet worden. Dies half den Geschwistern, unbesonnene Schritte hier zu meiden. War es doch so einfach wie auch menschlich, sich zu Unsachlichkeit oder gar zu Grobheit hinreißen zu lassen, um die angestaute Gefühle der Wut gegen Mistress Young und Mister Wickham zu richten.

Doch wenngleich diese Gefühle beinahe durchbrachen, hielt Mister Darcy stand. Denn ein gezeigtes Erzürnen könnte weit schlimmere Folgen nach sich ziehen. Folgen, welche nicht abzuschätzen waren.

George Wickham- bislang in Wortlosigkeit verfallen, löste sich nun von seiner Tante, der Mistress Young. Er ging auf Fitzwilliam Darcy zu, der noch Georgiana in den Steigbügel half.

Wickham schien versucht, durch listenreiche Erklärungen noch das Beste aus der Situation heraus schlagen zu wollen- wohl auch in der Hoffnung, dass Mister Darcy noch nicht alles von seiner Schwester erfahren haben könnte.

"Fitzwilliam. Lassen sie mich kurz erklären.", erbat Wickham vorsichtig offensiv.

Womit jedoch George Wickham nicht rechnete war das gefasste und entschlossene Auftreten von Mister Darcy ihm gegenüber.

"Für Sie, Mister Wickham, bin ich nur noch Mister Darcy- sollten sie es zukünftig als notwendig erachten, mich anzusprechen. Doch dies wünsche ich weder jetzt noch in der Zukunft, wobei ich Ihnen die Gründe hierfür wohl kaum darstellen muss. Dies in keinster Weise. Aber lassen sie mich eine ehrliche Wertung ihres Handelns geben: Es war ehrlos, meine Schwester derartig zu verführen und ihr einen Plan vorzuschlagen und damit ihrem jungen Gewissen aufzulasten, welcher schändlicher nicht sein konnte. Ich bin froh, dass sich Miss Georgiana offenbarte und mich von dem geheimen Vorschlag auf Flucht und ebenso heimlichen Plan der Vermählung unterrichtete. Der Plan, welchen Sie- Mister Wickham- ersonnen haben, wohl und berechnend wissend um dessen augenscheinliche Tragweite. Sie werden zukünftig weder auf Pemberley noch auf allen anderen Gütern der Familie Darcy als Freund angesehen. Ich erteile Ihnen Hausverbot und spreche Ihnen ab, je wieder Kontakt zu meiner Schwester oder anderen Mitgliedern meiner Familie aufnehmen zu dürfen. Und so- Mister Wickham- werden sich hier unsere Wege für ewig trennen."

Wickham warf ein "Aber?" ein, welches Mister Darcy ignorierte und sich George Wickhams Tante, Mistress Young, zuwandte.

Was auch immer Mister Wickham noch vorzubringen gedachte, es löste sich in Luft auf.

"Und von Ihnen, Mistress Young, bin ich umso mehr enttäuscht, dass sie ein in Ihre Person gesetztes wertvolles vertrauen meiner Familie so grob enttäuschten und all diese Ehrlosigkeiten durch eigenes Zutun aktiv mitgetragen haben. Ich gebe Ihnen und ihrem Gemahl, Mister Young, einen Tag, um persönliche Habe unter meiner Aufsicht und Kontrolle aus meinem Stadthaus in Ramsgate zu holen. Ich zahle Ihnen Beiden- wenngleich es mir innerlich widerstrebt- den ganzen Monatslohn sofort nachher aus. Mister Young wird seiner Verantwortung als Verwalter für Ramsgate enthoben, so wie sie selbst die Verantwortung als Gouvernante entzogen bekommen. Ich kann diesen Vertrauensmissbrauch nur in dieser Form beantworten. Sehen sie mir zudem nach, wenn ich Ihnen selbst und ihrem Mann unter diesen Umständen kein Zeugnis einer Empfehlung mitzugeben wünsche."

Mehr hatte Fitzwilliam Darcy in diesem Moment nicht zu sagen, wenngleich er sich sicher war, wesentliche kleinere Dinge nicht ausgesprochen zu haben.

So ging er zu Georgiana zurück und nahm den Riemen des Pferdes.

Er führte Georgianas Pferd den Weg zum Ort nach Süden.

Mistress Young und Mister Wickham blieben dort oben nahe der Klippen zurück. Das Beide heftig zu streiten schienen- ob des misslungenen Planes, dies nahm Mister Darcy nicht mehr wahr.

Einzig Georgiana wagte noch einmal einen Blick zurück- zu dem Mann, der ihr so übel mitzuspielen gedachte und ihr Herz so böswillig und unehrenhaft entflammt hatte. Dies alles würde die arme Georgiana sehr lange noch in ihrer jungen Seele tragen.

Ramsgate kam nun langsam in Sicht, je weiter sie sich bergab bewegten.

Darcy war sich darüber im Klaren, dass er Georgiana erst einmal von hier wegbringen musste- am Besten würde Sie wohl derzeit auf Pemberley über all den erlittenen Verrat hinwegkommen können.

Doch galt es noch, eine schnelle und nachhaltige Nachfolge für den Verwalter von Ramsgate zu finden, um sich zurückziehen zu dürfen.

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