XIX

"Nun, geliebter Bruder? Sicherlich sagt man dies, wenn man gedanklich unvorbereitet wirkt und im Grunde Jemand anderen erhoffte zu treffen.", gestand Georgiana offen ein. Hierbei zog die junge Frau entschuldigend die Mundwinkel zu einem erzwungenen Lächeln unnatürlich herauf.

"Was meinst Du damit?" Fitzwilliam Darcy war nicht gewohnt, derlei keck vorgetragene Worte von seiner Schwester zu erhalten.

Es irritiert ihn überaus, denn nunmehr war er selbst derjenige, welcher überrascht war. Dies war für ihn verwunderlich- wollte er selbst doch durch sein unangekündigtes Erscheinen als spontaner Besucher für Überraschung sorgen.

Georgiana schien sich wohl in diesem Moment sofort bewusst, welch Ungehörigkeit ihre scharfen Worte gegen den Bruder darstellten.

Wenn eine gute Wortwahl mit Musik zu vergleichen wäre, so würden die soeben von Georgiana gesagten Worte ein Durcheinander schlecht gestimmter Instrumente darstellen, deren Konzert Jederman verschrecken würde.

Do so verschwammen nun erste Absicht und Realität, da Georgiana ehrliche Freude zeigte, dennoch unstet und abgelenkt wirkte.

"Fühlst Du Dich nicht?", fragte Darcy seine Schwester besorgt. "Was bewegt Dich so sehr, dass Du Dich so beunruhigt zeigst?"

"Es ist nichts!"

Georgiana tat die Sorge des Bruders als unbegründet ab.

Doch merklich kämpften in Georgiana die Gefühle gegeneinander.

Fitzwilliam Darcy suchte durch Beobachtung seiner Schwester auf deren Empfindungen zu schließen. So waren es nach Fitzwilliams Auffassung sicherlich jugendliche Entscheidungen einer werdenden Frau, die wohl im Widerstreit zueinanderstanden und eigene Entscheidungen von Georgiana abverlangten. Entscheidungen, welche sie vielleicht- und nicht leichtfertig- zu treffen bereit war. Jedoch erwog sie wohl noch den letzten Schritt dazu- so wirkte es zumindest auf Fitzwilliam Darcy. Irgendetwas war Georgiana merklich eine Last, welche gleich einer persönlichen Bürde oder Verpflichtung auf ihr lastete.

„Ich erkenne, wenn es Dir nicht gut geht, teure Schwester.", sprach Fitzwilliam Darcy voll Verständnis- jedoch nicht wissend, welchen Umfang und welche Tragweite Georgianas Entscheidung hatte.

Fitzwilliam ging für sich davon aus, dass seine Schwester Georgiana sich nicht mit allzu großen Entscheidungen des Lebens in ihrem Alter beschäftigte.

Doch dieses Mal irrte Darcy.

Als Bruder schätzte er Georgianas ungezwungenen und ehrlichen Blick, den seine Schwester für ihre Umwelt hatte. Sie war behütet und versorgt, durch stetige Betreuung waren ihr Aufgaben geboten. Zudem hatte sie den Vorzug von bester Bildung.

Und auch aus der Rolle des Vormunds gab es keine Kritik zu üben.

Uns so war es wohl nun schwesterliches Vertrauen, welches Georgiana nun zu bewegen schien, sich ihrem Bruder mitzuteilen.

„Ach Bruder, Du wirst mich gewiss für einfältig und töricht halten, würde ich Dir sagen, wofür ich eine Entscheidung traf. Ich möchte es Dir nun dennoch sagen, obschon ich sicher bin, Du wirst es mir vorhalten."

Georgiana blickte ihren Bruder tief in die Augen- kurz darauf entfloh ihr Bick auf etwas hinter ihm. Georgiana blickte kurz zurück nach der Gouvernante und Lehrerin, Mrs. Young.

Darcy hätte nie gedacht, über welch Intrigenspiel er nun von seiner Schwester informiert werden würde.

Georgiana war von innerem Zweifel- dies war ihren Worten zu entnehmen und auch ihre Gesten bezeugten dies.

Nun erklärte sie sich dem Bruder- auch im Vertrauen auf dessen Nachsicht, Verschwiegenheit und Kompetenz, denn wie es schien, erwartete Georgiana zu dieser Stunde den Besuch oder ein Treffen mit einem glühend auftretenden Verehrer. Und dies eben jetzt und hier- am Aussichtspunkt der Klippen nördlich von Ramsgate. Der Gentlemen umwerbe sie schon längere Zeit- doch wollte der Gentlemen nun alles tun, die Verbindung zu ihr auf Dauer zu gründen und dies durch Heirat zu entscheiden- auch ohne den Willen oder das Wissen ihrer Familie. So habe Georgiana dem Mann bereits zugesagt, mit ihm gemeinsam alsbald entfliehen zu wollen in Richtung Schottland. In Schottland wolle man sich nach Gretna Green begeben, wo Liebende aus freier Entscheidung heraus eine heimliche Heirat eingehen dürfen. Und sollte nicht die Erreichung eines Bundes aus tief empfundener Liebe auch das Erstrebenswerte sein? So wurde es ihr doch immer vorgetragen?

Fitzwilliam Darcy hörte sich die Schilderungen der Schwester mit Entsetzen an, jedoch suchte er äußerlich gefasst und ruhig aufzutreten. Seine wahren Gefühle waren hier zu unterdrücken und im Zaum zu halten.

Georgiana sprach mit ehrlichen und entflammenden Worten und schilderte Details des Plans.

Doch wie war einem jugendlichen entflammten Herz gebührlich und mit Verstand zur Überlegung mit angemessenem Worte entgegen zu stehen?

Darcy war sich darüber bewusst, dass er in diesem Moment alles für Georgiana gewinnen und retten konnte, doch gleichfalls war es auch die Klippe der Entscheidungen, über welche er Georgiana auf immer verlieren könnte.

Fitzwilliam Darcy erkannte jedoch auch, dass dieser- wie Georgiana ihn beschrieb- Gentlemen wohl wenig Wert auf Etikette, Ehre und gesellschaftliche Wertvorstellungen gab. Denn es war erkennbar, dass dieser Herr seine Schwester so für einen ehrlosen Vorschlag zu begeistern wusste.

Und nebenher- Georgiana war nicht irgendwer. Sie war eine bekannte junge Dame von Stand, Vermögen und Ansehen.

Wie konnte es nur soweit kommen? Georgiana war doch hier in Ramsgate im Schutz und in Aufsicht vieler Personen- nicht zuletzt auch der gestreng wirkenden Gouvernante Mrs. Young. Und auch Mister Young als Ehemann der Gouvernante war am Ort und über Jahre schon in vertrauensvoller Anstellung der Darcys.

Und all dies in Ramsgate - nicht in London, Bath oder Bristol, wo sich weit mehr Gelegenheiten für junge Damen ergaben, jemanden kennen zu lernen. Ramsgate war ein Seebad von gutem Ruf. Und in Ramsgate gab es saisonal nicht viele öffentliche Anlässe oder gesellschaftliche Möglichkeiten, welche es Georgiana Darcy ermöglichen konnten, im Schatten der Gesellschaft einen solchen Herren kennen zu lernen- und wohl auch sodann unbemerkt weiterhin bei Gelegenheiten zu treffen und sich gar mit privaten Worten auszutauschen.

Also stellte sich Fitzwilliam Darcy die begründete Frage: nach dem Wie. Wie war all dies möglich.

Irgendeinen Aspekt musste es bei dieser Liaison geben, der diesem ehrlosen Vorschlag und Plan den Boden bereitete.

Georgiana neigte bislang noch nie dazu, so unbedacht zu handeln. Warum hatte sich ihr sonst so scharfer Verstand und ihre Auffassungsgabe so schnell dem Willen des Herzens gebeugt?

Doch war jetzt nicht der Moment, zu verharren und dies alles schweigsam hinzunehmen.

Allein schon die Planung solch ehrlosen Unterfangens wie einer Flucht nach Gretna Green zeigte eine Gewissenlosigkeit auf, die jeden Gentlemen nur ehrlos erscheinen ließ. Schon das Andeuten oder bloße Erwähnen musste eine große Tragweite erkennen lassen, die angesehene Adelsfamilien- wie die Darcy's - im Ansehen der Gesellschaft erschüttern würde.

Schon bauten sich diese dunklen Gedanken wie eine Wand in Darcys Kopf bereits auf, während seine Schwester Georgiana noch weitere Offenbarungen zum Plan gab und Details benannte, welche auszuführen wohl nun offenblieben, da Fitzwilliam davon Kenntnis erhielt. Als Georgiana einräumte, dem Herrn bereits aus eigenem Mitteln gewisse finanzielle Zuwendungen zur Vorbereitung und Besicherung der Flucht nach Schottland vertrauensvoll übergeben zu haben, so war dies der Moment, als Fitzwilliam darcy seiner Schwester dann doch ins Wort fiel. Er zeigte hierbei besorgte und ernste Gesichtszüge.

„Und? Darf ich erfragen, wer dieser vermeintliche Gentlemen ist?", fragte Darcy kurz und scharf.

„Es ist Dein Freund, geliebter Bruder. Mister George Wickham.", erklärte Georgiana- die Entsetztheit ihres Bruders und dessen Sprachlosigkeit verkennend. „Bei meinem letzten Aufenthalt auf Pemberley unterhielten wir uns ja mehrfach. Und er gestand mir vor seiner Abreise, auf ein baldiges Wiedersehen von Herzen hoffen zu dürfen. Ließ ich diese romantische Avance doch eher unbeachtet und tat dies als eher höflich ab- so wurde sein romantischer Wunsch in Ramsgate schon alsbald Wirklichkeit."

„Wickham?" Fitzwilliam schien sich zu fangen und die Tragweite nun deutlich zu erkennen.

„Ja. Und stell dir vor, er besuchte das Ehepaar Young eher zufällig schon bald danach. Mistress Young ist ja seine Tante und steht ihm nahe. Und Wickham ist der Sohn eines respektablen Mannes- denn als solcher wurde unser ehemaliger Verwalter stets auf Pemberley bezeichnet. Und George wird es seinem Vater gleichtun. Ganz gewiss."

„Liebe Schwester, wo du eine zufällige Aneinanderreihung der Ereignisse siehst, da sehe ich kühle Berechnung. Und in Wickham Auftreten erkenne ich weit weniger Zufälligkeit als Du es erkennen möchtest. Wenn er sich Dir schon auf Pemberley- über gebotene Gebühr hinweg- näherte und sein heimliches Werben sich Dir offen zeigte, so war dies schamlos und unehrenhaft. Doch damit nicht genug, spielte er mit Dir und gab vor, wahrhafte Zuneigung zu empfinden. Gewiss hat er Dir nicht vorgetragen, durch eigenes Verschulden fast mittellos geworden zu sein. Sein Snobismus und Stolz werden ihm dies sicherlich vom Wesen her verbieten. Solche Flucht zu planen dokumentiert nur seine Ehrlosigkeit und seinen Charakter. Und Georgiana, dass Du es bist, welche hier betroffen ist- und im Angesicht deiner Schilderungen- erscheint Dir dein Kavalier nunmehr nicht in anderem Licht?"

„Ich weiß es noch nicht, was ich von alldem halten soll. Bruder? Du weißt, dass es mir fern liegt, Dich zu hintergehen?" Georgiana schien auf eine Antwort zu bestehen.

So nickte Mister Darcy seiner Schwester zu. Denn dies ist das Band der Vertrautheit zwischen Geschwistern, wie sie es waren.

„Georgiana, ich muss Dir auch noch etwas sagen, was ich vielleicht schon hätte früher machen sollen- im Angesicht der Entwicklung: Bei unserem letzten Treffen auf Pemberley erbat George Wickham Geld von mir. Er sah eine bereits vorausgegangene und von ihm akzeptierte Zahlung auf die Pfründe Kimpton als nicht ausreichend an mit einem Male. Nur im Andenken an Vaters Wunsch, George Wickham versorgt zu sehen, gab ich ihm beim ersten Mal bereits großzügig nach. Jedoch zuletzt auf Pemberley sah ich diese Schuld als beglichen an. Ich gab George Wickham daher nichts mehr. Und sodann näherte er sich Dir."

Kaum hatte Fitzwilliam Darcy dies ausgesprochen, winkte Georgiana mit schmerzlicher Mimik ab und wendete sich- enttäuscht von der Wahrheit- mit dem Blick seitlich ab.

„Bitte Fitz. Schweig vorerst. Mrs. Young könnte aufmerksam werden.", flüsterte Georgiana leise und traurig, den Blick auf die Gouvernante oberhalb an der Treppe zur Aussichtplattform stehend. „Insgeheim befürchtete ich all dies. Doch es schmeichelte mir wohl zu sehr. Wickham ist ein gutaussehender Mann."

„Doch sein Wesen ist dies weit weniger."

„Dies erkenne ich nun auch langsam. Gib mir bitte Zeit.", erbat Georgiana von ihrem Bruder.

„Oh. Dir gebe ich keine Schuld. Und Du hast alle Zeit, welche Du benötigst. Und meine Unterstützung, wann immer Du danach verlangst. Doch bei Anderen werde ich weit weniger Nachsicht üben. Die Familie Young muss für diese Schurkerei sofort unseren Dienst verlassen."

Georgiana blickte hinauf zum oberen Auslauf der Treppe. „Sieh nur!"

Fitzwilliam drückte seine Schwester beschützend an sich, als er oberhalb auf dem Plateau bei Mrs. Young sich einen Mann nähern sah, der vorerst noch lächelte und sich die Hände rieb.

'Wickham!', fuhr es Darcy durch den Kopf. Es klang wie ein Racheschwur, der sich in Gestalt seines Jugendfreundes nun ergab und stetig anzuwachsen drohte. Wie umgehen mit ihm? Ein Duell fordern? Oder ihn dorthin schicken, wo es ihm am meisten wehtun wird: in die Bedeutungslosigkeit.

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