Vertrauensvorschuss
Kapitel 12:
Vertrauensvorschuss
Eine gute Stunde später wurden Kakarott und sein Häftling im Palastgarten abgeholt und von einem Krieger der Mittelklasse in einen anderen Teil des Palastes geführt. Es war ein weniger öffentlicher Abschnitt. Hier war viel weniger Trubel auf den Gängen. Es schien ein Teil des Palastes zu sein, der weniger funktional war, stattdessen reihten sich hier unzählige Wohnräume von Elitekriegern aneinander.
Der Mittelklassekrieger, ein recht kleiner, glatzköpfiger Saiyajin, schien einige der Räume schon von innen gesehen zu haben. Zumindest schwärmte er von der Einrichtung und dem Komfort, von dem er in seiner Sammelunterkunft nur träumen konnte. Doch sie ließen die kleineren Appartements hinter sich und stiegen noch eine steinerne Wendeltreppe zum Westturm hinauf. Am Ende dieser Treppe offenbarte sich eine Tür, die im Gegensatz zu den vorherigen Türen nicht aus Holz bestand, zumindest nicht auf den ersten Blick. Sie war überzogen von einer weißen Schicht, die sie glänzen ließ und in deren reflektierender Oberfläche sich schemenhafte Umrisse der drei ungleichen Gestalten spiegelten.
Direkt vor dieser Tür blieb der Glatzköpfige stehen, kramte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, steckte diesen in das dafür vorgesehene Schlüsselloch. Mit einem kräftigen Ruck zog er die Tür zu sich und öffnete sie. Dahinter zeigte sich eine kleine Diele mit dunklem, edel wirkendem Parkett.
„Willkommen in deinem neuen Zuhause", sprach der Krieger nur zu Kakarott – den Häftling aus Prinzip mit Verachtung und Ignoranz strafend – und wies mit einer Hand hinein.
Kakarott blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte die Ausmaße der Wohnung bislang nur erahnen, aber er hatte bereits jetzt das Gefühl, dass er hier mehr Platz haben würde als in dem Haus, in dem er aufgewachsen war.
„Ich zeige dir den Rest, dann kannst du dich in Ruhe einrichten", erklärte der Kleinere weiter und ging voraus, da sich Kakarott immer noch nicht vom Fleck bewegte.
Der Häftling rollte genervt die Augen, konnte sich schon vorstellen, dass sein gutmütiger Artgenosse vom Anblick des Appartements geschockt sein würde. Immerhin wusste Vegeta, wie diese Wohnungen üblicherweise eingerichtet waren. Kakarott kannte zwar einige Räume des Palastes, aber eine Bleibe wie diese hatte er mit Sicherheit noch nie gesehen. Seine Reaktion würde wohl ähnlich werden, wie die von Radditz, als er damals das erste Mal in Vegetas Zimmer gewesen war. Ein einmaliges und eher ungeplantes Ereignis, über welches Vegeta nur ungerne nachdachte.
Schnell schüttelte er den Gedanken ab und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seine neue Unterkunft. Diesmal war es Vegeta, der seinen Wärter mithilfe der Kette hinter sich herzog, denn dieser stand immer noch regungslos im Eingangsbereich.
Durch den Ruck an der schweren Kette, wurde aber auch Kakarott aus seiner Trance gerissen und stolperte in den Flur.
Links von ihnen zeigte sich direkt ein weiterer Raum. Es war eine Küche, nicht gerade königlich, aber mit allem, was das Herz begehrte. Die Arbeitsplatte, die Fronten der Schränke und die Geräte wirkten hochwertig und noch dazu unbenutzt. Als wäre alles brandneu.
Gegenüber der Küche war das Badezimmer. Ausgestattet mit Badewanne, Dusche, zwei großen Waschbecken und einer Toilette. Die Fliesen am Boden schimmerten in einem dunklen Anthrazitton, das Porzellan der Einrichtung war dagegen hell, ebenso wie die Fliesen an der Wand.
Am Ende des Flures zeigte sich ein großzügig geschnittener Wohnbereich, der in zwei etwas kleinere Bereiche unterteilt war. Vornean befand sich eine gemütliche Couch und ein Sessel aus hochwertigem Leder, eine Vitrine mit Gläsern, ein flacher, runder Holztisch und eine kleine Bar. Mittels eines Schrankes, der sich als Kleiderschrank entpuppte, wurde das dahinterliegende Bett, auf welchem bequem zwei Personen platznehmen konnten, separiert. Neben dem Bett stand noch eine Kommode und das wars.
Kakarott sah sich neugierig um, ging gleich auf das Bett zu und ließ seine Hand über das weiche Laken gleiten. So hochwertige Stoffe hatte er noch nie sein Eigen nennen dürfen und jetzt sollte er in einem solchen Luxus wohnen? Das war nicht nur merkwürdig, es fühlte sich falsch an. Er machte sich doch gar nichts aus solchen Dingen. War das nicht ein bisschen viel? Besonders wenn man bedachte, dass sein Schützling eigentlich in einer Zelle ausharren sollte... Kakarott wollte natürlich nicht, dass der König den Häftling wieder wie ein Tier anketten und in einer stinkenden, dreckigen Zelle verrecken ließ, aber das hier...? Das war vielleicht doch ein wenig zu dekadent. Oder wollte sich der König damit Kakarotts Vertrauen erschleichen? Wollte er es ihm so angenehm wie möglich machen, damit er bei diesem Häftling nicht aufgab?
Kaum blitzte der Verbrecher wieder durch seine Gedanken, sah der 18-Jährige zu dem Kleineren, der immer noch in Ketten hing und sich ohne große Bewegungen im Raum umsah. Für den Armen war das sicherlich eine Wohltat. Vielleicht half das ja wirklich dabei, die traumatischen Erlebnisse seiner Vergangenheit zu verarbeiten. Vielleicht konnte er hier ein bisschen abschalten und sich entspannen.
»Entspannen...«, dachte Kakarott plötzlich und sah wieder zum Bett und dann zu dem Mittelklassekrieger, der sie begleitet hatte. „Ähm... Sag mal, sollen wir hier etwa in einem Bett schlafen? Oder gibt es noch ein Zimmer, was wir noch nicht gesehen haben?"
Der Soldat lachte kurz erheitert auf. „Nein, nicht doch". Langsam kam er auf Kakarott zu, hielt ihm die Hand hin und sah auf die Kette, mit der er den Häftling festhielt. „Darf ich?"
Zögerlich warf Kakarott einen Blick zu dem Kleineren, hatte irgendwie ein schlechtes Gefühl dabei, seinen Häftling aus der Hand zu geben. Schließlich klappte es bei ihnen bislang recht unproblematisch. Aber würde das bei diesem anderen Soldaten auch so sein? Oder würde der gefährliche Sträfling die Chance nutzen, einen weiteren Mord zu begehen?
»Ach was...«, dachte Kakarott kopfschüttelnd. Er war schließlich hier und konnte sofort eingreifen, wenn er etwas versuchen würde. Also übergab er die Kette dem Soldaten.
Dieser zog den Häftling zu sich heran, packte ihn nah am eisernen Halsband und schubste ihn dann ruckartig in die hintere Ecke des Raumes.
Vegeta stolperte, geschwächt wie er nun mal war, vorwärts und knallte mit einem dumpfen Aufprall und unterdrücktem Keuchen gegen die steinerne Wand.
Währenddessen war auch der Soldat an eine Wand herangetreten und drückte auf einen kaum sichtbaren Schalter, wodurch ein Lichtschild aktiviert wurde, welches Vegeta in der Ecke einsperrte. „Das wird ihn aufhalten. Dank der Energieschellen an seinen Gelenken, wird er es nicht schaffen, diese Barriere zu durchdringen".
„Sicher?", harkte Kakarott nach, dem es ganz und gar nicht gefiel, wie ruppig der Glatzkopf den Häftling gerade in die Ecke geschubst hatte. War das denn wirklich nötig? Aber leider war das nun mal die normale Umgangsform mit Verbrechern wie ihm.
„Klar. Es wurde an den besten Elitekriegern getestet und die sind mit voller Kraft nicht durchgekommen. Daran wird sich dieser Psychopath mit seiner unterdrückten Kampfkraft sicher die Zähne ausbeißen".
„Okay, gut". Kakarott sah wieder zurück zu dem Bett. Irgendwie musste er ja selbst mal zur Ruhe kommen, auch wenn ihm diese Art der Unterbringung für seinen Anhang nicht zusagte. Aber er würde sich schon etwas anderes einfallen lassen. Den Häftling den gesamten Tag in diesem winzigen Bereich zu verwahren, war für seine Rehabilitation sicher nicht förderlich. Vielleicht war diese Art der Unterbringung für die ersten Nächte sicherer, sodass auch Kakarott mal wieder ein wenig Kraft tanken konnte. Und ihm war bewusst, dass dies der Umgang war, den man von ihm erwartete. Im Beisein der übrigen Krieger durfte er nicht zu viel Mitgefühl mit seinem Schützling zeigen.
„Ach, übrigens", unterbrach der Soldat die grübelnden Gedanken Kakarotts. „Sobald du den Schalter betätigst, wird dein Fingerabdruck für die Verriegelung gescannt. Das heißt, dass nur du den Schalter aktivieren kannst und dieser Abschaum dich nicht so leicht überlisten und fliehen kann. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Wohnungstüre".
„Alles klar...". Er mochte es nicht, wie der Soldat über den Häftling sprach. Aber da konnte er gerade nicht viel dran ändern.
„Sonst noch Fragen? Ich hab' noch einiges zu tun".
„Nein, alles gut. Vielen Dank für die Führung".
„Kein Thema". Der Soldat salutierte vor Kakarott und überreichte ihm den Schlüssel für seine neue Bleibe. Anschließend wendete er sich ab und verließ das Appartement.
Kakarott blieb zurück und atmete erst einmal tief durch. Den Schlüssel steckte er sich in die Hosentasche und sah herüber zu Vegeta, der an der Wand heruntergerutscht war und nun wieder am Boden kauerte, seinen strafenden Blick auf Kakarott geheftet.
Seufzend ging der 18-Jährige zum Schalter herüber und betätigte diesen, sodass die Barriere verschwand. „Ich werde dir auf jeden Fall erst mal diese Ketten abnehmen und dann würde ich vorschlagen, dass wir uns noch ein bisschen ausruhen. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bin hundemüde".
Vegeta nickte dem Größeren dezent entgegen. Ob er damit einen großen Gewinn zu der Zelle gemacht hatte? Zumindest war er nicht dauerhaft angekettet und seine Gelenke wurden nicht schmerzhaft verdreht... Dennoch war seine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und er hatte nur den kalten, nackten Boden für sich.
Während Kakarott die schweren Ketten löste – die Energieschlingen blieben natürlich an seinen Handgelenken und am Hals – erklärte er dem Kleineren, was er sich gedacht hatte: „Also, ich denke, du kannst nachvollziehen, dass ich dich hier nicht die ganze Zeit frei herumlaufen lassen kann, oder?"
Ein Zischen vonseiten Vegetas folgte. Natürlich war ihm das klar.
„Gut. Wenn ich schlafe, wirst auch du in deiner Ecke bleiben, aber sonst kannst du dich hier frei bewegen. Ich will dich nicht dauerhaft einsperren".
Verwundert und sichtlich erfreut weiteten sich Vegetas Augen. Das war ein großes Entgegenkommen. Mit so viel Freiheit hatte er gar nicht gerechnet. War Kakarott wirklich so gutmütig, oder war er einfach nur...dumm? Immerhin war Vegeta ein mehrfacher Mörder. Der Mörder vieler starker Elitekrieger. Kakarott wusste das und gab ihm dennoch einen so großen Vertrauensvorschuss. Das... Das hatte er wirklich nicht erwartet.
Vegeta schluckte unbemerkt. Dieses Grundvertrauen hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt. Unter Saiyajin war das alles andere als üblich. Eigentlich hatte er dieses Grundvertrauen nur von seiner Mutter erfahren... Eines war dem Saiyajinprinzen jedoch klar. Wenn Kakarott wüsste, dass er dessen Vater umgebracht hatte, dann wäre dieses Vertrauen hinfällig. Es würde sich in Luft auflösen und nichts außer Verachtung übriglassen.
Es galt also, alles daran zu setzen, diese Tat zu verheimlichen, bis er sein Ziel – die Rache am König – erreicht hatte.
Kakarotts Blick wanderte derweil wieder durch den Raum. „Außerdem möchte ich nicht, dass du da auf dem Boden schlafen musst...". Kurzentschlossen schnappte er sich den Sessel, der, wie er feststellte, elektrisch verstellt werden konnte, sodass man auf diesem auch liegen konnte, und stellte ihn in Vegetas Ecke. Im nächsten Moment folgte eines der Kopfkissen und eine Decke. „So. Jetzt hast du es auch halbwegs bequem. Wie sieht's aus? Musst du noch mal ins Bad? Ansonsten würde ich mich wirklich gerne mal hinlegen und etwas Schlaf nachholen. Ist das in Ordnung?"
All das war so schnell gegangen, dass Vegeta kaum hinterhergekommen war. Sein Blick klebte mit geweiteten Augen auf dem Sessel, der tatsächlich recht bequem aussah. Jeder andere hätte ihn auf dem Boden schlafen lassen. Jeder andere hätte keinerlei Aufhebens um sein Wohlergehen gemacht. Aber jeder andere hätte ihn auch einfach in der Zelle verrotten lassen. Kakarott war nun mal nicht wie jeder andere. Und genau von dem weichen, gutherzigen, vielleicht sogar naiven Verhalten, über welches er sich früher lustig gemacht hatte, profitierte er nun.
Wäre Kakarott nicht so, wie er nun mal war, dann würde er immer noch in dieser Zelle hängen. Dann wäre er keinen Schritt näher an seiner Rache. Er war so weit, wie er es sich nie zu träumen gewagt hätte.
Kakarott war tatsächlich der Schlüssel für seine körperliche und seelische Genesung. Der Schlüssel zur Vergeltung, für Gerechtigkeit und für die Zukunft.
„Musst du noch mal ins Bad?", fragte Kakarott erneut, weil der Häftling bislang nicht reagiert hatte.
Der Angesprochene zuckte irritiert zusammen, drehte sich zu dem Größeren herum und nickte schließlich.
„Gut. Schaffst du das allein?"
Wieder folgte ein angedeutetes Nicken. Vegeta war immer noch nicht bereit, mit Kakarott zu sprechen oder ihm durch Körpersprache zu viel zu verraten. Kakarott mochte der Schlüssel für seine Rache sein, aber das hieß nicht, dass er etwas von ihm erfahren musste. Das schaffte er auch allein.
Der Häftling setzte sich langsam in Bewegung Richtung Flur und von dort aus zum Badezimmer. Kurz bevor er eintrat, drehte er sich um und sah Kakarott vorwurfsvoll an, der ihm gefolgt war.
»Ich dachte, ich soll allein gehen. Was soll das jetzt schon wieder?«, fragte er sich, während er sich in den Türrahmen lehnte.
„Keine Sorge, ich bleibe vor der Tür stehen. Nur wäre es wahrscheinlich besser, wenn ich dich zumindest halbwegs im Blick behalte".
»So viel zum Vertrauensvorschuss... Schon kommen Einschränkungen!« Genervt verdrehte Vegeta seine Augen, drehte sich im selben Atemzug um und wollte mit einer Handbewegung die Tür zuschlagen, doch... Da war keine Tür.
Irritiert blickte er zum Türrahmen. Tatsächlich. Es war gar keine Tür angebracht. Er würde nicht einmal beim Kacken Privatsphäre haben?! Beinahe wäre Vegeta ein verärgertes Knurren über die Lippen gekommen, aber er konnte sich gerade noch davon abhalten. Immerhin war auch dieser Zustand besser als alles, was er in der Zelle zur Verfügung gehabt hatte.
Prüfend sah er erneut über seine Schulter und stellte fest, dass sich Kakarott abgewendet hatte und sich gerade dem Türschloss widmete. Also riss sich Vegeta zusammen und steuerte die Toilette an. Mit einer Hand stützte er sich an der Wand ab, während er mit der anderen in seiner Hose kramte, um sein Glied hervorzuholen.
Während die ersten Tropfen Urin aus ihm herausplätscherten, ließ er zufrieden den Kopf in den Nacken fallen. Das war gerade das erste Mal seit vielen, vielen Monaten, dass er eigenständig sein Geschäft verrichtete. Das erste Mal, dass er selbst entscheiden konnte, wie, wann und wo er seine Blase entleerte. Es war so banal und doch spürte er ein nicht zu verachtendes Gefühl von Kontrolle über seine eigenen körperlichen Bedürfnisse, welches ihm in den letzten Monaten verwehrt worden war.
Erst als er fertig war, öffnete Vegeta seine Augen und sah hinab in die Kloschüssel. Sein Urin war dunkelgelb, fast bräunlich. Er hatte in der Vergangenheit viel zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen. Aber es war nicht nur die geringe Flüssigkeitsaufnahme. Auch kleine Wunden an und in seinem Glied, schlechte körperliche Hygiene, Quetschungen und Blutergüsse sorgten dafür, dass das Wasserlassen in seiner Harnröhre brannte wie tausende kleine Nadelstiche.
Für ein paar Herzschläge klebte Vegetas Blick im inneren des Porzellans. Er suchte nach weiteren Auffälligkeiten, die für eine Infektion oder größere Blutmengen sprachen, aber seine Augen waren noch nicht so scharf wie gewohnt, außerdem wollte er nicht so lange hinabstarren. Der intensive Geruch seines konzentrierten Urins machte ihn schon ganz schwindelig. Er betätigte noch die Spülung und wendete sich ab, um sich die Hände zu waschen.
Kakarott war mittlerweile fertig mit dem Türschloss und warf wieder einen Blick zu seinem Häftling, der es offensichtlich genoss, das Wasser über seine Hände und Handgelenke fließen zu lassen. Mit seinen Handflächen fing er etwas Wasser auf, warf es sich in sein Gesicht und trank anschließend aus seinen Händen.
Der Größere schmunzelte. „Sag doch was, wenn du durstig bist. Du brauchst doch nicht aus der Leitung zu trinken". Schnell wendete er sich ab. In der Küche waren doch mit Sicherheit genügend Vorräte.
Während sich der 18-Jährige in der Küche umsah, trocknete sich Vegeta das Gesicht ab und verließ das Badezimmer. Langsam und vorsichtig ging er durch den Flur zurück in den großen Wohnbereich. Bevor er sich hinlegte, wollte auch er sich die Ausstattung dieser Wohnung noch etwas genauer ansehen. Die Bar hatte schon beim Hereinkommen seine Augen gefangen genommen. Sie stand so zentral und die vielen bunten Flaschen waren ein ganz bewusster Blickfang.
»Nicht das beste Sortiment, aber es ist in Ordnung«, stellte Vegeta fest, der bereits seit einigen Jahren ein Virtuose auf diesem Gebiet war und von den teuersten Likören und Spirituosen gekostet hatte. An sich hätte er schon große Lust auf einen Drink, in der Hoffnung mit diesem sein Gehirn zum Schweigen zu bringen. Andererseits war er in einem so miserablen körperlichen Zustand und hatte so lange nichts getrunken, dass er von einem einzigen Schluck wahrscheinlich schon kotzen gehen müsste. Aber irgendwann... Irgendwann würde er auch jeden Grund dazu haben, die Gläser klirren zu lassen.
Doch wer würde mit ihm anstoßen?
Es war das erste Mal, dass Vegeta darüber nachdachte, den potenziellen Sieg über seinen Vater mit jemandem feiern zu können. Denn nur, wenn er jemanden hatte, mit dem er diesen Sieg und diesen Erfolg teilen konnte, würde es sich richtig anfühlen. Aber dafür müsste er auch jemanden einweihen. Zumindest ein Stück weit. Wer sollte das sein? Radditz? Wie sollte er mit dem Kontakt aufnehmen? Vielleicht würde es ihm irgendwie gelingen über Kakarott den Kontakt zu Radditz herzustellen.
Oder er würde doch Kakarott mit seinen Plänen vertraut machen. Aber...
Vegetas Finger glitten nachdenklich über die helle Holzverkleidung der Bar.
Aber konnte er Kakarott so sehr vertrauen? War dieser naive Trottel wirklich der Richtige dafür? Es wäre die einfachste Lösung. Immerhin würden sie die nächsten Wochen rund um die Uhr aufeinander hängen. Gezwungenermaßen.
Ruckartig zog Vegeta seine Hand zurück und schüttelte seinen Kopf. »Schwachsinn!«, dachte er. Darüber könnte er sich noch Gedanken machen, wenn es soweit war. Und selbst wenn er diesen Sieg am Ende ganz allein feiern müsste. Das war doch völlig irrelevant. Wichtig war nur, dass er seinem Vater das Handwerk legte. Und für dieses Ziel würde er alles tun, was notwendig war.
Der Häftling wollte sich von der Bar abwenden, da stieß er auf einmal gegen etwas Weiches. Kakarott hatte sich mit mehreren Glasflaschen bewaffnet hinter ihn gestellt und konnte diese dank seiner guten Reflexe gerade noch auffangen, bevor sie scheppernd zu Boden gefallen wären. Dadurch, dass Kakarott aber einen Ausfallschritt machen musste, um auch die letzte Flasche vor dem Aufprall zu bewahren, hockte er nun in taktisch ungünstiger Position direkt vor Vegeta, der mit leicht geweiteten Augen missbilligend auf ihn herabblickte.
»Das...«. Unwillkürlich hielt Kakarott inne. Genau das hatte er doch schon mal gesehen. Dieser abwertende Blick von oben herab. Ihm war so, als hätte er das schon einmal erlebt. Wie ein Déjà-vu. Er konnte es nicht benennen. Er konnte es nicht zuordnen. Aber ein plötzliches Gefühl tief in ihm sagte ihm, dass ihm dieser Häftling nicht unbekannt war.
Und noch während Kakarott innehielt, kam ihm der Gedanke, dass ein wahnsinniger, psychopathischer Massenmörder diese einmalige Gelegenheit nicht ungenutzt lassen würde. Aber sein Gegenüber machte nicht den Anschein, reagieren zu wollen. Vielleicht war er einfach nur zu perplex von der Situation. Vielleicht wollte er ihm aber auch gar nichts tun...
Vegeta hingegen wusste ganz genau, woher er diesen Anblick kannte. Wie oft hatte Radditz seinen jüngeren Bruder mit zu ihrem gemeinsamen Training geschleift, weil er mal wieder auf ihn aufpassen musste? Und auch wenn Kakarott ein paar Jahre jünger gewesen war, so hatte Vegeta es nicht zugelassen, dass der Knirps nur daneben saß und zusehen durfte. Nein. Kakarott musste ebenso mitkämpfen, wie Radditz. Der junge Prinz hatte diesen Anblick schon viel zu oft gesehen. Kakarott, der hilfesuchend, überfordert und mit großen Augen vor ihm kniete und ihm haushoch unterlegen war.
Wenn Vegeta jetzt darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er dieses Bild in einem fairen Kampf nicht mehr so leicht erreichen würde, wie damals. Kakarott hatte wahnsinnige Fortschritte gemacht und war ebenso zu einem Supersaiyajin geworden, wie er selbst. Ein Sieg über Kakarott wäre nun eine deutlich größere Aufgabe. Ein Sieg wäre nun nicht mehr ein alltägliches Ereignis, sondern etwas, was er sich hart erkämpfen müsste. Eine echte Herausforderung.
Und genau dieser Gedanke war es, der dem Prinzen ein winziges, innerliches Schmunzeln bescherte. Es drang nicht nach außen, aber er fühlte zum ersten Mal seit Ewigkeiten Vorfreude auf die Zukunft. Vorfreude auf den Tag, an dem sie gelöst von sämtlichen Fesseln und Ketten, gelöst von den Zwängen der Vergangenheit, gegeneinander würden kämpfen können.
Da sich auch Kakarott noch keinen Millimeter bewegt hatte, immer noch versuchte zu eruieren, wieso ihm diese Situation so wahnsinnig bekannt vorkam, war es nun Vegeta, der sich aus seiner Starre löste, die Augen des Größeren fixierend ebenfalls in die Hocke hing und ohne den Blickkontakt abzubrechen eine der Flaschen in seine Gewalt nahm. Kurz verharrte er am Boden, starrte in die schwarzen Opale seines Gegenübers, nur um sich dann ruckartig zu lösen und den Sessel in der anderen Ecke des Raumes anzusteuern.
Kakarott wäre beinahe hintenüber gekippt. Kurz war ihm die Luft weggeblieben. Dieser Blick... Der Häftling hatte seine Mimik überhaupt nicht verändert und doch hatte sich der Ausdruck in seinen Augen innerhalb eines Wimpernschlages so sehr gewandelt. Von oben wirkte er noch so arrogant, so unnahbar, als würde er sich für etwas Besseres halten. Doch als sie für einen Moment auf Augenhöhe waren... Da hatte er doch so etwas wie Vorfreude und Kampfeslust in seinem Blick gesehen, oder etwa nicht? Er mochte sich irren, aber diese Kampfeslust war keineswegs mörderischer Natur. Ihr lag eher genau die Leidenschaft zugrunde, die auch er selbst für den Kampf hegte.
Sprachlos erhob sich auch der Jüngere, stellte die übrigen Wasserflaschen auf die Kommode neben seinem Bett. Wieder sah er zu dem Häftling, der sich bereits auf den Sessel gelegt und die Hälfte der Wasserflasche innerhalb weniger Züge leergetrunken hatte.
Bei diesem bescheuerten und ratlosen Blick hätte Vegeta am liebsten lauthals losgelacht. Es amüsierte ihn so sehr, dass ein Schmunzeln kaum noch zu unterdrücken war. Da hatte er den kleinen Kakarott ja ganz schön aus der Fassung gebracht. Wenn der wüsste, mit wem er hier gerade ein Zimmer teilte, hätte er diesen Blick vielleicht besser einschätzen und werten können. Aber so? Ein psychopathischer Massenmörder, der ihm einen kampfeslustigen Blick zuwarf. Dass Kakarott nicht schreien davongelaufen war, war wohl nur seinem neuen Supersaiyajin-Selbstvertrauen geschuldet.
Vegeta wollte aber nicht noch länger auf diesem Moment, der sich wie ein winziger Sieg anfühlte, herumreiten. So nahm er einen weiteren Schluck aus seiner Wasserflasche und sah dann herüber zu dem Schalter an der Wand, der das Lichtschild aktivierte. Kakarott wollte doch zur Ruhe kommen. Und nach so viel Aufregung... Nach dem, was Kakarott heute alles schon für den Häftling riskiert hatte... Da hatten sie es sich beide redlich verdient.
Kakarott verstand den Blick des Verbrechers und betätigte den Schalter. Und auch, wenn er immer noch verwirrt war und nur zu gerne ergründen wollte, woher ihm diese Situation so verflucht bekannt vorkam, so forderte der vergangene Tag nun doch endlich seinen Tribut. Der 18-Jährige taumelte ins Bett und kaum, dass er sich zugedeckt und in das weiche Laken gekuschelt hatte, war er auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
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