Eine Kindheit voll Eiscreme
Nach Schulschluss hält mich rein gar nichts in dem Schulgebäude und so schnell wie mich meine langen Beine tragen können, rase ich zum Parkplatz.
Wenn ich auch nur einen Moment zögere, gerate ich ungewollt in den Stau aus Autos und Schülern die wie lästige Käfer blöd rumstehen und sich nur schrittweise fortbewegen. Das letzte Stück renne ich praktisch zu meinem silbernen Mercedes, bevor ich die Tür aufreiße, meine Tasche hinein pfeffere und mich schnurstracks ans Steuer setze. Gerade als ich die Tür zuschlagen möchte, höre ich wie jemand laut meinen Namen ruft.
Verwirrt halte ich in der Bewegung inne und starre durch die Windschutzscheibe auf den überfüllten Schulhof. Mist! Wenn ich jetzt nicht los fahre, komme ich hier nie weg.
Entschlossen packe ich den Türgriff, als schon wieder mein Name ertönt.
Ich seufze frustriert auf und versuche den Rufer ausfindig zu machen.
„Gillian!"
Da schon wieder! Im nächsten Augenblick sehe ich eine große schlanke Gestalt, die verdammt schnell in meine Richtung gebrettert kommt und mich die Augen aufreißen lässt. Verflucht!
Ohne noch länger zu zögern, schlage ich die Autotür zu und drehe den Zündschlüssel im Schloss herum, doch als mein Auto sich nicht bewegt, bricht mir der Schweiß aus.
„Verdammtes Auto! Geh schon an!", hektisch drehe ich den Schlüssel ein weiteres Mal herum und endlich erwacht der Motor schnurrend zum Leben.
Sofort bahne ich mir einen Weg durch die vielen Idioten die entweder lebensmüde sind, oder verzweifelt an meinem Autolack lecken wollen.
„Verzieht euch!", rufe ich und hupe mich lautstark aus meinem Parkplatz heraus.
„Gillian!" Dieser Idiot! Er soll mich endlich in Ruhe lassen.
Ich trete das Gas durch, während meine Faust durchgehend auf die Hupe gepresst ist und jeden davor warnt, mir nicht zu nahe zu kommen.
Ein Blick in den Rückspiegel verrät mir, dass Harrison Stanley mir nicht länger folgt.
Ich habe ihn abgehängt.
Erleichtert gehe ich vom Gas runter und richte mich nach dem vorgegebenen Tempolimit.
„Gillian!", Ein spitzer Schrei verlässt meinen Mund und für einen Atmezug entgleitet mir die Kontrolle über den Wagen, bevor ich mich zusammenreiße und einen Blick aus dem Fahrerfenster werfe. FUCK!
„Du verfluchter Idiot!", schreie ich und gehe unweigerlich ein wenig vom Gas.
Er fährt neben mir auf einem Fahrrad, ein Helm befindet sich nicht richtig angeschnallt auf seinem Kopf, während seine Augen auf mir liegen. Sein Kopf ist hochrot vor Anstrengung und dennoch behält er das Tempo konstant bei. Respekt.
„Halt an! Ich muss.....", Wütend trete ich wieder aufs Gas und beschleunige somit den Wagen, bis ich Harrison Stanley in meinem Seitenspiegel sehen kann.
Was will dieser Typ nur von mir?! Er soll mich verdammt nochmal endlich in Ruhe lassen! Und das alles nur weil ich ihn mit einem Stift beworfen habe.
Ein Blick in den Rückspiegel zeigt mir, dass er immer weiter nach hinten fällt, bis ich ihn endlich aus den Augen verliere. Erleichtert atme ich aus und entspanne mich gänzlich in meinem gemütlichen Ledersitz.
Als ich in mein Wohnviertel komme, würde ich am liebsten irgendeinen Grund haben, um nicht nach Hause zu müssen. Aber den gibt es nicht.
Meine Freundschaft zu Sasha und Stacy ist eher oberflächlich und so viel Zeit verbringen wir nicht miteinander, es sei denn es ist Sale Saison. Ich liebe Sale.
Eine nervige Klimmpermusik durchbricht meine Gedanken und kurz darauf sehe ich, wie der weiß-blaue Eiswagen um die Ecke gebogen kommt und kurz darauf stehen bleibt. Drei kleine Mädchen rennen über die Straße auf den Wagen zu und stellen sich vor das kleine Schiebefenster, durch welches sie ihre Bestellungen aufgeben. Eis...
Ich parke meinen Wagen am Straßenrand und betrachte die Szene für einige Momente.
Das Mädchen mit den dunklen Locken bekommt gerade eine Eiswaffel mit einer roten und einer blauen Eiskugel. Ich hasse Erdbeereis. Blauer Engel geht klar, aber Fruchteis an sich sollte verboten werden. Die Freundin vom Lockenkopf, eine braungebrannte Asiatin mit kurzen, schwarzen Haaren wählt etwas, das verdächtig nach Spaghettieis aussieht. Schon wieder Erdbeer.
Grimmig steige ich aus meinem Wagen und laufe die paar Schritte zum Eiswagen, eine kleine Abkühlung schadet nicht. Ich stelle mich hinter das kleine, gertenschlanke Mädchen, das nervös an ihrem blonden Pferdeschwanz zupft und sich nicht entscheiden kann, was es nehmen möchte.
„Na los Harper! Es ist doch nur Eis!", nörgeln ihre Freunde und versetzen die Kleine in Unruhe. Sie tritt von einem Bein aufs andere und nickt ihren Freundinnen zu, um sich anschließend wieder zu dem kahlköpfigen Typen zu widmen, der geduldig auf ihre Bestellung wartet. Fred betreibt diesen Eiswagen Verkauf bereits seitdem ich denken kann. Wenn ich mich Zuhause mit meinen Schwestern gezankt habe, dann war er stets der einzige der mich wirklich aufheitern konnte. Das Eis ließ meine Wut jedesmal vollständig verdampfen.
Genervt atme ich laut aus und verschränke die Arme vor der Brust. Die Kleine braucht zu lange.
„Ähh... Ich nehme Schokolade und eine Kugel Cookies", sagt sie leise und wirft mir einen Blick über ihre Schulter zu. Ihre großen blauen Augen weiten sich kurz und ihre Kinnlade sinkt für einige Zentimeter, bevor sie rot anläuft und sich schnell wieder nach vorne wendet. Fred reicht ihr lächelnd ihre Eiswaffel, während sie ihm im Gegenzug zwei, ein Dollar Noten reicht.
Sie wirft mir noch einen kurzen neugierigen Blick zu, bevor sie zu ihren Freundinnen rennt, die bereits die Straße überquert und sich bei den Schaukeln niedergelassen haben.
„Gilly Vanilly. Schön dass du deinen alten Freund und Kumpel auch mal wieder einen Besuch abstattest." So kahl sein Kopf auch ist, seine Augenbrauen sind das komplette Gegenteil. Dicke, buschige, schwarze Brauen wölben sich über seinen warmen braunen Augen. Er meinte mal, dass er in seiner Jugend volles Haar gehabt haben soll und ihm die Mädchen nur so hinterher gejagt sind. Der Stress fing an, als seine selbst gegründete Firma, die Plastikwaren herstellte, insolvent ging und ihm somit Büschelweise die Haare ausfielen. Mit dem wenigen Geld das ihm nach seinem Bankrott übrig blieb, kaufte er sich diesen Wagen und verkauft seitdem seine Eigenkreationen.
Er benutzt seltsame Zutaten für sein Eis, zum Beispiel Vanillepudding.
Als ich damals tränenüberströmt zu ihm gerannt bin, ich war kaum acht Jahre alt und bereits riesig für mein Alter, servierte er mir seine neuste Kreation, Vanillepudding gemischt mit Pistazieneis. Ich fand das es so schrecklich schmeckte, dass ich meine Trauer fast komplett vergaß und mich stattdessen über ihn lustig machte.
Am selben Tag experimentierten wir gemeinsam mit dem Vanillepudding, bis wir uns einigten, dass es mit mit Butterkeksen am besten schmecken würde.
Seitdem macht er Milcheis mit Kekstücken und Puddingflecken.
Es ist der absolute Hit und trägt den Namen 'Gilly Vanilly'. Ich war so stolz und glücklich darüber, dass ein Eis nach mir benannt wurde, das ich wochenlang grinsend durch die Gegend hüpfte.
„Hey Calvo", begrüße ich ihn und grinse in mich hinein, als ich sehe, wie er bei seinem Spitznamen zusammen zuckt.
'Calvo' bedeutet kahl auf Spanisch und passt viel besser zu ihm als Fred.
Der Name Fred setzt voraus, dass er ein abartig großer Schlägertyp ist, der es auf kleine gelbe Schwämme abgesehen hat. Ich hoffe ihr bemerkt die Parallelen, denn wenn nicht, bin ich ehrlich beleidigt.
Na ja um genau zu sein, ist er abartig groß, wirkt jedoch keinesfalls furchteinflößend. Eher zahm, wie Barney dieser lila Dino.
„Gillian du sollst mich doch nicht so nennen", seufzt er schüttelt dennoch mit einem Lächeln auf den Lippen seinen Kopf.
„Ich weiß und genau deswegen tue ich es auch. Gibt es was neues zum probieren?", frage ich ihn neugierig und versuche an ihm vorbei in das Wageninnere zu spähen, doch seine große Gestalt lässt dies nicht zu.
„Nee diese Woche ist nichts zustande gekommen, mir gehen die Ideen langsam aber schnell aus. Vielleicht sollte ich den Wagen verkaufen und mich doch endlich auf einen konstanten Platz festlegen", er kratzt sich die glänzende Glatze und stemmt anschließend die Hände in die Hüften.
„Was?! Nein! Das darfst du nicht Calvo! Was wird dann aus mir? Ich brauche dein Eis."
Wenn er den Wagen aufgibt, dann ist er nicht länger auf der Straße anzutreffen und das wiederum wäre eine Katastrophe! Wie soll ich ohne mein Pensum an Eis klar kommen?
„Mädchen, ich kenne dich seitdem du jung und schlaksig bist. Gib doch einfach zu, dass du mich vermissen würdest, immerhin bist du für mich wie die Tochter die ich nie wollte", lacht er und legt dabei den Kopf weit in den Nacken.
Dieses Drecksschwein.
Ich steige in sein Lachen ein und gemeinsam lachen wir über den Witz, den er seit zehn Jahren regelmäßig reißt und mich trotzdem immer wieder zum lachen bringt.
„Du bist so ein Arsch, Calvo. Gib mir das übliche", sage ich und wühle in meinem Portemonnaie nach Geld.
Schnell füllt er mir einen Becher mit meinen Lieblingssorten Cookies, Tiramisu und Gilly Vanilly, weil er genau weiß, dass ich die Waffel hasse.
Ich reiche ihm das Geld, setze mich auf die nahegelegene Bank und betrachte die kleinen Mädchen, welche kichernd über den Spielplatz rennen.
„Du warst nie so", sagt Fred als er sich neben mir nieder lässt und ebenfalls den kleinen Mädchen beim Spielen zusieht.
„Du warst schon immer der Teufelsbraten mit dem Engelsgesicht und kaum Freunden."
Wir schweigen, beide wissen wir, dass er vollkommen Recht hat mit dem was er sagt.
Ich war nie ein wirklich fröhliches Kind. Als jüngste Tochter von insgesamt sechs ist es mehr als schwer nicht unterzugehen. Vor allem wenn man aus solch einer Familie wie ich kommt.
„Tja das zeigt mal wieder wie cool und einzigartig ich bin", scherze ich.
„Genau wie Oreo", sagen wir beide gleichzeitig. Grinsend löffle ich mein Eis und genieße die verschiedenen Geschmacksrichtungen auf meiner Zunge.
Wenn Fred den Wagen aufgibt, bin ich aufgeschmissen und zwar so richtig.
„Das ist doch jetzt dein letztes Jahr, oder? Weißt du schon welches College es wird? In ein paar Monaten ist Frist, Gilly." Als ob ich es nicht selber wüsste.
„Ja ich weiß. Ich habe sogar schon einen eine Million Dollar Plan erstellt. Ich sage nur: Alter Knacker mit Batzen", grinsend schiebe ich mir einen weiteren Löffelvoll von der cremigen Köstlichkeit in den Mund und verschlucke mich fast bei dem schockierten Gesichtsausdruck den mir Fred zuwirft.
Kichernd schlage ich mir mit der flachen Hand auf die Brust und lasse beinahe mein Eis fallen.
„Das ist nicht lustig Gillian. Es wird langsam ernst und wenn du es ihnen allen zeigen willst, dann musst du was tun. Du bist klüger als du dich gibst, also wieso stellst du dich so an?"
Gute Frage. Wieso?
Ich saß jetzt genau fünf Stunden an diesem Kapitel...... Das ist mega viel, aber ich wollte einfach mal etwas deutlich machen. Ich hoffe sehr, dass euch klar geworden ist, was ich meine😅, wenn nicht, dann ist das auch nicht unbedingt schlimm, da es noch viele solcher Kapitel geben wird ♡
Eine Leserin hatte mich gefragt, ob diese Story noch einen tieferen Sinn bekommt und die Antwort ist ganz klar ja.
Gillian ist nicht nur die kopflose Zicke sondern viel mehr. Darüber muss man sich im klaren sein, wenn man die Story verstehen will😉❤
Ich wünsche euch eine gute Nacht ♡
See ya
xo Dina
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