Zu spät
Noch einen Moment starrte ich auf die wenigen letzten Worte. Mir wurde es auf einmal viel zu eng in diesem Zimmer und ich hatte das Gefühl, die Wände würden mir gleich entgegenstürzen. Also hastete ich zur Tür, riss sie auf und stürmte den Gang entlang, die Treppe hinunter. Bevor ich mich versah, rannte ich die Straße entlang.
Weg. Einfach weg!
Irgendwann hielt ich an, sah mich schwer atmend um und stützte die Hände in die Seiten, bis das leichte Stechen wieder verschwand. Zwar war ich immer noch aufgewühlt und wollte fluchtartig so viel Abstand wie möglich zwischen mich und dieses verwünschte Buch bringen, doch da ich nicht wirklich wusste wohin, zwang ich mich dazu, meine Schritte zu verlangsamen und bedachter die Straße entlangzugehen. Mir war nicht einmal klar, wie weit ich schon gelaufen war oder wie lange ich bis hierher gebraucht hatte. Ich wusste nur eins. Ich hatte aus einer Eingebung heraus den Weg zur alten Bibliothek eingeschlagen. So als zöge mich eine unbekannte Kraft genau zu diesem Ort.
Als mir richtig bewusst wurde wo ich mich befand, blieb ich abrupt stehen und hob den Kopf, um das Gebäude vor mir zu betrachten. Es erschien mir logisch, dass mich meine Füße hierher getragen hatten. Irgendwo musste ich schließlich die Antworten finden. Irgendwas musste uns doch helfen können. Ein Ruck ging durch meinen Körper und nun lief ich zielstrebig auf die große Eingangstür zu. Es interessierte mich in diesem Augenblick nicht, dass ich ziemlich unvorsichtig war. Würde mich jetzt jemand sehen, riskierte ich eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Unter allen anderen Umständen wäre ich sicher vorsichtiger gewesen, doch nicht heute. Meine Gedanken kreisten einzig und allein um dieses dämliche Ritual und um unsere grenzenlose Dummheit.
Ohne weiteres Zögern drückte ich meinen schmalen Körper durch den Spalt der hohen, schweren Eichentür, sah mich nicht weiter um und eilte schon mit langen Schritten auf die Treppe zu. Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal und fluchte innerlich wie ein Rohrspatz über all die grotesken Zufälle, die uns in diese missliche Lage gebracht hatten.
Nrg... Ich war gerade so dermaßen wütend auf mich selbst.
Oben angekommen, lief ich zur Holzvertäfelung leicht rechts vom Treppenaufgang. Mit ziemlich viel Kraft drückte ich die Lampe, die als Hebel diente, nach rechts und trat leicht gegen die Wand, da diese für meinen Geschmack gerade viel zu lange brauchte, um sich zur Seite zu schieben.
„Geh auf du verfluchtes Mistding", knurrte ich sie an und voilà, die Wand schwang zurück und ließ mich in den finsteren Korridor treten.
Shit... Ich hatte nicht einmal mein Handy mitgenommen. Na geil. Wie dumm kann man denn bitte sein?
Kurz stand ich verloren vor der geöffneten Tür, dann schoss mir eine Möglichkeit in den Sinn, die mich hoffentlich davon abhielt, den ganzen Weg zurücklaufen zu müssen.
Ich stürmte die Treppen wieder nach unten und hastete hinter den Empfangstresen. Dort riss ich wahllos die Schubladen auf und suchte nach dem gewünschten Objekt. Hier war tatsächlich alles noch in bester Ordnung.
Zunächst fand ich ein paar alte Notizhefte, einen Folianten in dem die Ausleihlisten aufbewahrt wurden, einen Locher und Klebeband. Dann endlich, im untersten Kasten lag sie.
Eine Taschenlampe.
„Yes." Zufrieden griff ich nach der recht klobigen Lampe und fand den kleinen Schieber, mit dem man sie aktivieren konnte. Ich betätigte ihn und sogleich erstrahlte ein kleiner Lichtkegel auf der Schubladeninnenseite. „Dann mal los."
Auch diesmal beeilte ich mich, nach oben zu gelangen und leuchtete denn den Weg in den kleinen, stickigen Raum mit der Lampe aus. Als ich dann wieder inmitten des Arbeitszimmers stand, wusste ich zunächst nicht wo ich eigentlich mit meiner Suche anfangen sollte. Ich ging zu dem Regal, aus dem wir die anderen Bücher mitgenommen hatten und entschied mich, hier zu beginnen. Der kleine, helle Lichtstrahl wanderte über die vielen Einbände, die mit einer dünnen Staubschicht bedeckt waren. Sorgfältig las ich die Titel, um ja keinen nützlichen Anhaltspunkt zu übersehen. Mir war ja noch nicht mal wirklich klar, nach was ich hier suchte. Meine Hoffnung bestand eher darin, dass mir der Hinweis einfach direkt ins Auge fallen würde, sobald er sich vor meiner Nase befand. Doch plötzlich flackerte die Taschenlampe, dann leuchtete sie noch ein paar Mal schwach auf und erlosch schließlich ganz.
„Scheiße! Kann denn nicht wenigstens irgendwas funktionieren? Ist das denn wirklich zu viel verlangt?", zeterte ich vor mich hin und versuchte mich ganz im Dunkeln aufzurichten. „So eine verdammte Scheiße." Als ich stand, streckte ich meine Arme aus, um nicht irgendwo gegen die Möbel zu laufen. Äußerst vorsichtig tastete ich mich an einem der Regale vorwärts und versuchte den Ausgang anzupeilen. Meine Frustration und die Ungewissheit über unsere Lage machten es mir umso schwerer, ruhig und gelassen zu bleiben.
Ich machte einen weiteren Schritt nach vorn und noch einen und plötzlich stieß ich mit dem Fuß heftig gegen eine Kante. „Ich werde hier gleich wahnsinnig... So ein gottverdammter Dreck." Meine Wut über die gesamte Situation staute sich immer höher und ich trat nochmal kräftig gegen den Gegenstand vor mir, der nur ein dumpfes Geräusch von sich gab.
„Selbst die Qualen der Hölle wären zu schön für dich, du dämlicher Tisch", fluchte ich weiter und war gerade im Begriff meinen Unmut noch weiter an dem an sich unschuldigen Gegenstand auszulassen, als ich ein Kichern hörte.
„Deine Phantasie in allen Ehren, aber verschone doch den armen Tisch. Vielleicht kann ich dir ja behilflich sein."
Direkt vor mir erschien wie aus dem Nichts ein strahlend, weißes Licht und tauchte den Raum in gleißende Helligkeit.
Geblendet und zeitgleich vollkommen überrascht kniff ich die Augen zusammen und legte zusätzlich meine Hände schützend vor mein Gesicht. Für einen Moment war meine Netzhaut so überreizt, dass kleine rote Punkte vor meinem inneren Auge flimmerten.
„Sag mal geht's noch? Muss das sein?", echauffierte ich mich. Aus schmalen Schlitzen sah ich zu der Person genau vor mir. Doch dann riss ich die Augen weit auf und machte in Unglauben einen kleinen Schritt zurück.
Der Junge, der nur wenig Meter von mir entfernt stand, hielt eine kleine, nun schwächer leuchtende Kugel in der Hand. Das wirklich Bizarre daran war, dass er die Kugel dabei nicht einmal berührte, sondern lediglich die Hand darunter ausgestreckt hatte. Zusätzlich schien dieses komische Irrlicht von innen heraus zu pulsieren, so als hätte es ein Eigenleben.
„Faszinierend nicht?", riss mich die ruhige Stimme aus meiner Bewunderung und erst jetzt sah ich mir meinen Gegenüber näher an.
Verdammt... Das ist also der, den ich beschworen habe.
Ich war mir ziemlich sicher, dass der wirklich interessante junge Mann vor mir kein Mensch war. Allein dank der Tatsache, dass er eine Lichtkugel in oder über seiner Hand schweben lassen konnte. Zu mehr cleveren Schlussfolgerungen war mein geplagtes Gehirn leider nicht mehr fähig.
Ich straffte meine Schultern und musterte den etwas Kleineren kühl. „Jaa, äußerst faszinierend Dämon." Das letzte Wort spie ich beinahe verachtend aus und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du auch hier, weil du meinen Arsch ruinieren willst? Dann tut es mir außerordentlich leid, dich enttäuschen zu müssen aber das kannst du vergessen."
„Oh, wie schade. Und ich dachte schon, du würdest es jetzt gleich hier zwischen den Büchern auf deinem heißgeliebten Tisch mit mir treiben. Hier würde keiner dein lautes Stöhnen und deine Schreie hören", gab der Dämon trocken zurück.
„Tss... War ja klar, dass ihr alle nur das Eine wollt." Angewidert funkelte ich ihn an und versuche meinen Blick dabei nicht über seine breiten Schultern und die auch sonst sehr muskulöse Gestalt gleiten zu lassen. Sein Körper war rein optisch wirklich ziemlich attraktiv, doch das war ja eigentlich logisch. Wer jemanden verführen wollte, konnte ja nicht aussehen wie der letzte Dreck.
Jetzt zog der andere eine Augenbraue hoch und ein feines Lächeln zog sich um seine Mundwinkel. "Wollen wir das?" Seine Worte klangen fast unschuldig, so als wüsste er nicht ganz genau, wovon ich sprach. Doch sein Lächeln und die funkelnden Augen bewiesen das Gegenteil. Offenbar wollte er, dass ich es ebenfalls erkannte. Meine schlechte Laune schien ihn nur noch mehr zu amüsieren.
„Na, du und deine zwielichtigen Dämonenfreunde, die meine Freunde halb ins Nirvana befördert haben. Jisung und Jeongin waren...." Plötzlich lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. SEUNGMIN!
„Verdammt!" Diesmal wollte ich noch viel dringender losstürzen und gerade als ich mich an dem Dämon vorbeizwängte, griff dieser nach meinem Handgelenk und hielt es fest umschlossen, sodass ich mich wieder zu ihm umdrehte und ihn wütend anfunkelte.
„Was ist denn los mein kleiner Wirbelwind?"
Fassungslos starrte ich ihn einige Sekunden lang nur an und versuchte dann mit aller Kraft mein Handgelenk zu befreien. „Untersteh dich, mir Kosenamen zu geben. Sonst werde ich richtig ungemütlich. Ich konnte schon zwei meiner Freunde nicht vor deinen Fickkumpeln bewahren. Aber Seungmin kann ich wenigstens noch retten." Entschlossen wand ich meinen Arm aus seinem Griff und betrat den Gang. Den Diener der Hölle ließ ich dabei eiskalt stehen und scherte mich auch nicht darum, ob er mich nun für unhöflich oder launisch hielt.
Ich musste so schnell wie möglich zu Minnie und ihm alles erzählen.
„Zu spät Felix."
Ich erstarrte. „W-was meinst du?" Ich wagte es nicht einmal der Kopf zu drehen, kein Muskel bewegte sich und mein Körper schien wie versteinert. All meine Nerven waren zum Zerreißen angespannt.
„Es ist zu spät. Dein kleiner Freund hat bereits von der Dunkelheit gekostet. Chan sollte gerade noch bei ihm sein."
Ein wütender Schrei entfuhr meinen Lippen. Blitzschnell drehte ich mich um, stürmte auf den Jungen zu und baute mich vor ihm auf. Meine Vorsicht war vergessen. All die mahnenden Worte, sich nicht mit einem Dämonen anzulegen, waren wie weggefegt.
„Willst du mir jetzt ernsthaft sagen, dass Seungmin gerade das Gleiche passiert, wie Ji und Innie?" Ich musste mich wirklich beherrschen, ihn nicht schon anzubrüllen. Wobei die verbale Konfrontation mir sowieso als zu harmlos erschien. Viel lieber hätte ich ihm eine verpasst.
„Du bist doch ein cleverer Junge Felix. Sag du es mir."
Die Gelassenheit des Dämons machte mich rasend. Meine Wut staute sich noch höher und etwas in mir wollte dieser Wut nachgeben. Ich konnte nicht einmal sagen, ob ich jemals solchen Zorn verspürt hatte, wie jetzt in diesem Augenblick.
„Ich habe dich etwas gefragt! Antworte mir gefälligst!"
„Wow Binnie, du hast dir ja den ganz Wilden ausgesucht."
Ich fuhr herum und erblickte einen dunkelhaarigen Jungen, der lässig die Hände in seiner schwarzen Lederjacke vergraben hatte und mich leicht spöttisch ansah. Seine Ausstrahlung war ganz anders als bei dem Jungen, der nun schräg neben mir stand.
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Und wer bist du?", knurrte ich, immer noch viel zu aufgebracht, um mir Gedanken zu machen, ob ich nicht möglicherweise in Gefahr war.
Mein Gegenüber lachte nur verächtlich. „Oh man...ich wünsche dir jetzt schon viel Spaß ihn zu zähmen Changbin."
Ich nahm nur aus dem Augenwinkel wahr, wie Binnie oder Changbin den Kopf neigte und sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen konnte. Auch ihn schien dieser Moment viel eher zu belustigen, während er mich zur Weißglut trieb.
„Sag mal hörst du schwer? Ich hab gefragt, wer du bist." In mir staute sich eine unglaubliche Hitze und ich war kurz davor, zu explodieren wie ein Vulkan.
Die Augen des Dunkelhaarigen bohrten sich in meine und ich hatte das Gefühl, er würde tief in meine Seele blicken. Wäre ich gerade nicht so wütend, hätte ich wohl zugeben müssen, dass er verdammt gut aussah. Verdammt gut und verdammt furchteinflößend.
„Ich habe dich bestens verstanden Küken." Trotz seiner ruhigen Sprechweise stellten sich mir alle Nackenhärchen auf, als seine Mundwinkel kurz nach oben zuckten. „Deine Frage ist doch wohl eher, welchen deiner kleinen Freunde ich im Bett hatte, stimmts?" Er kam einige Schritte näher und ich ballte meine Hand zur Faust. Sobald er direkt vor mir stand, sah er einige Sekunden ausdruckslos auf mich herab. Dann schloss er seine Augen. Als er sie wieder öffnete, glaubte ich, direkt in die Hölle sehen zu können.
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