Wie die Luft zum Atmen

Triggerwarnung: besitzergreifendes Verhalten, Choking

Jeongins Pov:

Mein Heimweg zog sich viel länger hin als sonst. Üblicherweise schaffte ich die Strecke von Jisungs Elternhaus zu meinem in knappen zehn Minuten. Doch als ich jetzt zum wiederholten Male auf mein Handy sah, hatte ich bereits gute fünfzehn Minuten vertrödelt und war noch nicht mal in unsere Straße eingebogen. Gut, es mochte auch daran liegen, dass ich sehr langsam lief und mehr vor mich hin grübelte. All die Ereignisse des heutigen Tages beschäftigten mich. Sie schwirrten in meinem Kopf herum wie lästige Fliegen, die sich immer wieder in mein Blickfeld verirren und einfach nicht verschwinden wollten.

Ich hatte heute tatsächlich zugesehen wie dieser Dämon, den Ji beschworen hatte, mit einem meiner besten Freunde geschlafen hatte.  Doch nicht die Frage nach dem Warum oder Weshalb beschäftigte mich, sondern eher die Frage, wieso mich das so fasziniert hatte. Allein Jisungs Stöhnen und seine willigen Laute für diesen Teufel hatten etwas Anziehendes an sich.

Schnell schüttelte ich meinen Kopf und versuchte, mich einem unverfänglicheren Gedanken zuzuwenden. Beispielweise der nagenden Sorge darüber, dass Felix mehr über unsere missglückte Beschwörung erfahren hatte und wir alle tatsächlich mit dem puren Bösen im Bunde waren.

Ich hatte mir vorhin große Mühe gegeben, mir meine Niedergeschlagenheit und die leichte Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, die ich dennoch deutlich verspürte. All das, was mit uns gerade passierte machte mir Angst, panische Angst. Ich machte mir nicht nur um mich selbst Sorgen, sondern vor allem um die anderen drei. Dennoch versuchte ich für sie stark zu sein, ruhig und entspannt zu wirken. Denn das war im Moment das einzige, was ich für sie tun konnte. Ich wollte sie beruhigen, die Zuversicht ausstrahlen, die sie gerade so sehr benötigten. Vor allem mein Lächeln schien dieser positiven Wirkung sehr zuträglich zu sein, weshalb ich heute mein Bestes gegeben hatte. Dennoch fühlte ich mich jetzt selbst melancholisch und ziemlich unwohl.

Was würde nun weiter passieren? Was würden die Dämonen mit uns anstellen? Würden sie uns einfach weiterhin als ihre Spielzeuge benutzen? Denn das waren wir doch oder? 

Dieser Gedanke hatte sich heute nur noch stärker manifestiert, als ich Jisung auf Minho gesehen hatte. Der Dämon hatte keine Rücksicht gezeigt, keine Scham und keine Gnade. Er beherrschte meinen Freund und machte keinen Hehl aus seiner Überlegenheit.

War das jetzt unser neuer Alltag? Konnten wir denn gar nichts gegen sie tun? Es würde ja schon helfen, sie uns kurzzeitig vom Leib zu halten oder zumindest eine Wahl zu haben, ob man sie sehen wollte oder nicht... Doch diese Wahl gab es scheinbar nicht.

Resigniert kramte ich den Schlüssel hervor, da ich endlich vor meinem Elternhaus angelangt war.

Vielleicht sollte ich mal im Internet recherchieren. Es gab doch sicher Möglichkeiten, Dämonen zu verbannen oder sie von sich fernzuhalten.

„Hallo Liebling. Da bist du ja. Möchtest du etwas essen? Ich habe heute Kimbab gemacht." Meine Mutter stand im Türrahmen zur Küche und lächelte mich an. Also zwang ich mich auch zu einem Lächeln, damit sie sich keine Sorgen machte und nickte.

„Ja, Mam... ich bin gleich da. Ich ziehe mich noch um und dann komme ich zum Essen."

Sie nickte beruhigt und verschwand dann wieder in der Küche, aus der ich nun das Klappern der Teller und Schüsseln hören konnte und dann ein leises Summen. Ich seufzte bekümmert und schlich die Treppe hinauf in mein Zimmer. Diesmal lag es verlassen und dunkel vor mir als ich eintrat. Ich blickte sogar unter den Schreibtisch, um ganz sicher zu gehen, dass kein Dämon auf mich lauerte. Aber da war nichts. Als ich realisierte was ich da eben getan hatte, erschrak ich über mein eigenes Verhalten. Ich wurde eindeutig schon paranoid und das war gar nicht gut. Schnell schlüpfte ich in eine bequeme Trainingshose und ein weites Oberteil, bevor ich nach unten ging. Sobald ich die Küche betrat, stieg mir der angenehme Duft des Essens in die Nase und ich entspannte mich zusehends. Auch mein kleiner Bruder saß bereits am Tisch und starrte konzentriert auf sein Handy. Ich stupste ihn kurz an und erhielt dann ein eher abwesendes „Hallo Innie" von ihm, aber das war fast schon mehr als ich von ihm erwartet hatte. Deshalb setzte ich mich neben ihn und wartete geduldig und ohne auf mein Handy zu sehen, bis sich meine Eltern ebenfalls am Tisch einfanden und wir begannen zu essen.

Natürlich fragte mich Mama wie fast immer nach meinem Schultag und auch wo ich nach der Schule gewesen war. Zum Glück glaubte sie mir, dass ich einfach nur gemeinsam mit Jisung und Felix gezockt hatte. Schließlich gab es für sie auch keinen Grund, um mir zu misstrauen.

Normalerweise waren meine Eltern sowieso nicht besonders streng. Sie achteten zwar darauf, dass ich an Wochentagen pünktlich wieder zu Hause war, doch ansonsten durften mein kleiner Bruder und ich von ihrer eher antiautoritären Erziehung profitieren.

Auch dieses Abendessen lief entspannt ab und die Konversation war so locker und ungezwungen, dass selbst ich mich wieder wohler, ja fast schon sicher fühlte. Ich half meiner Mutter noch beim Abwasch und verzog mich dann nach einem schlichten „Gute Nacht" wieder in mein Zimmer. Doch ich wahr fest entschlossen, mir jetzt ein paar eigene Ergebnisse, in Form von ausgiebiger Internetrecherche, zu besorgen. Natürlich hätte ich auch auf Felix morgigen Bericht warten können, doch ich konnte und wollte nicht tatenlos herumsitzen und ins offene Messer laufen. Es musste doch einen Weg geben, diesem verfluchten Pakt zu entkommen.

Ich schnappte mir mein Handy und warf mich bäuchlings aufs Bett, stützte die Unterarme auf und hob meinen Kopf. Dann tippte ich das Erstbeste, das mir zu unserem Problem in den Sinn kam in die Suchzeile meines Browsers ein: Dämonen verbannen.

Es war wirklich erstaunlich, wie viele verschiedene Möglichkeiten allein die erste Seite, die ich antippte, mir lieferte. Meiner Meinung nach waren auch ein paar hirnrissige Ideen dabei, wie zum Beispiel sein Haus mit Salbei ausräuchern oder Lärm zu veranstalten, um die bösen Geister oder Dämonen zu vertreiben.

Vermutlich würden sie viel eher lachend in der Ecke sitzen und sich prächtig über diese kläglichen Versuche amüsieren, als wirklich zu verschwinden. Auch die Verteilung von Salz an Fenstern und Türen, sowie das Auslegen reinigender Kristalle verwarf ich als brauchbaren Schutz schnell wieder. Ich massierte mir ein wenig frustriert die Schläfen und wandte mich der nächsten Seite zu, die mir hoffentlich brauchbarere Resultate lieferte als diesen Unfug.

Mit entfachter Neugier las ich den nächsten Eintrag, der mir tatsächlich sinnvoller erschien. Dieser besagte, dass man sich selbst läutern sollte und dies entweder durch heilige Artefakte, wie Kreuze, Ketten oder das gute, alte Allheilmittel Weihwasser oder durch Gebete. Gleich darunter befand sich der Zusatz, man solle sich bei besonders starkem Dämonenbefall an sogenannte Profis wenden. Bei diesem Satz musste ich leise schnauben.

Es sollte tatsächlich Dämonenprofis geben? Leider wurde mir bei meiner Suche nicht gleich die Handynummer von Sam und Dean Winchester angezeigt... Doch dafür der sachdienliche Hinweis, dass besonders Priester oder ein Medium in solchen Situationen Hilfe leisten konnten.

Nachdem ich auch den Gedanken rasch verworfen hatte, einen solchen „Profi" zu Rate zu ziehen, wandte ich mich wieder der Möglichkeit zu, die mir am einfachsten aber auch am sinnvollsten erschien: das Beten. Zwar war ich nie wirklich gläubig gewesen, doch in Anbetracht der Tatsache, dass nun echte Dämonen in unseren Alltag eingriffen, sollte ich wohl nichts unversucht lassen. Vielleicht würde es ja wirklich helfen. Ich las nach, dass die Gebete, welche man in Verbindung mit dem Rosenkranz aufsagte, der wirksamste Schutz gegen Dämonen sein solle.

Der Text war recht lang, doch ich speicherte ihn mir ab. Nur für alle Fälle natürlich.

„Wie ich sehe, bist du ja schwer beschäftigt mein süßer, kleiner Mensch." Ertönte plötzlich eine Stimme neben mir und ich zuckte furchtbar zusammen. Mein Handy plumpste aufs Bett und ich starrte fast schon schuldbewusst in das Paar eisblaue Augen, das mich aufmerksam und fast schon höhnisch musterte.

„Und ich dachte, du wärst ein braver Junge...", murmelte der Dämon und setzte sich neben mir auf die Bettkante. „Jammerschade, ich war wohl nicht so überzeugend, wie ich dachte." Beinahe bedauernd schüttelte er seinen Kopf und hob dann seine Hand. Ich zuckte automatisch zurück und legte schützend die Hände vors Gesicht.

Ein helles aber freudloses Lachen ertönte. „Du denkst also, ich würde dich schlagen? Wie unerfreulich, dass du glaubst, dass ich sowas nötig habe. Aber vielleicht sollte ich es ja tun. Es würde dir ein bisschen Respekt einflößen." Mein Körper zitterte leicht und ich wollte ihn bereits um Verzeihung bitten. So kühl und furchteinflößend gefiel er mir weitaus weniger, als noch heute Nachmittag bei unserem Kuss. Seine Präsenz und die Überlegenheit, die er gerade ausstrahlte, machte mich schwach und ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war.

„Ich-ich... es tut mir leid", wimmerte ich in mein Kissen und zitterte immer noch.

„Das sollte es auch Jeongin. Ich dachte, du vertraust mir. Ich dachte, du bist ein braver Junge und würdest mich nicht hintergehen." Eine Hand legte sich auf mein Haar und strich behutsam darüber. Sein Finger wickelte eine Strähne auf und dann kraulten seine Fingerspitzen meinen Kopf, während er mich mit lauernder Stimme aufforderte: „Sag mir Jeongin, wem gehörst du?"

Ich holte tief Luft und hob meinen Kopf ein Stück an, damit ich in sein wunderschönes Gesicht sehen konnte. „Ich gehöre nur dir", sagte ich mit erstaunlich fester Stimme und schmiegte mich seiner Hand entgegen. Es war so, als würden allein diese Worte mich alles glauben lassen. Als würden sie meine Entscheidung besiegeln und doch war da noch der Rest Unsicherheit, ob er mich auch akzeptieren würde. Ob er meine Worte für aufrichtig und glaubhaft erachtete.

„Dann solltest du dich wohl bei mir entschuldigen mein Kleiner. Oder wie siehst du das?"

Ich nickte eifrig und beeilte mich, mich aufzurichten, auf seinen Schoß zu klettern und meine Arme um seinen Nacken zu schlingen. Für einige Augenblicke schmiegte ich meinen Kopf fest gegen seine Brust, dann hob ich ihn wieder an, platzierte meine Hand schüchtern an seiner Wange und küsste ihn ganz vorsichtig, bevor ich die Worte erneut aussprach. „Ich gehöre dir."

Seine Augen schienen ein etwas dunkleres Blau anzunehmen, das irgendwie deutlich wärmer und angenehmer aussah, als das eisblau.

„Ich glaube dir, wenn du mich nochmal richtig küsst."

Sofort vereinte ich unsere Lippen wieder und schenkte dem Silberhaarigen vor mir einen fast schon langen und intensiven Kuss, der meine verbleibenden Gedanken hinwegfegte wie Blätter in einem Herbststurm.

Dann packte Hyunjin mein Haar und drückte mich noch fester an sich. Schneller als ein Mensch es je könnte, warf er mich herum und lag im nächsten Moment über mir, sodass ich unter ihm gefangen gehalten wurde und seinen Berührungen und seinen Küssen schutzlos ausgeliefert war. Sie wurden immer stürmischer und seine Hand schloss sich dabei fester um meinen Hals. Kurz stieg in mir die Erinnerung auf wie Minho das bei Jisung getan hatte und ich erschauderte.

Hyunjin löste sich von mir und grinste wissend auf mich herab. „Du bist ganz sicher nicht so unschuldig, wie du aussiehst mein Kleiner. Dir gefällt das also, wenn ich deinen zarten und zerbrechlichen Hals zudrücke?" Wie auf Kommando presste er mich stärker ins Laken und schloss seine Hand eisern um meine Kehle. Ich blinzelte überrascht, als ich bemerkte, dass ich weder sprechen, noch mich richtig bewegen konnte. Langsam tauchten sogar schwarze Punkte vor meinen Augen auf, die zu flimmern schienen und immer zahlreicher wurden. Dennoch war das Gefühl irgendwie berauschend. Er hielt gerade die gesamte Kontrolle in seiner Hand und vorsichtig bewegte ich mich unter ihm. Rieb mich an seinem Becken und sah ihn flehend an. Immer weniger Luft drang in meine Lungen und endlich schien mein Körper auch zu registrieren, dass er sich in einer heiklen Lage befand. Ich legte schwach eine Hand um seinen Unterarm und sah hinauf in seine eisblauen Augen.

„Du wolltest es doch so... Soll das deine Strafe dafür werden, dass du mich so dreist hintergangen hast?", fragte er kalt und ließ noch immer nicht locker. Ich hingegen wurde immer schwächer und brachte nur ein leises Röcheln zustande. Dennoch hoffte ich, dass er mich verstanden hatte.

„Hast du deine Lektion gelernt Jeongin?" Seine Stimme war emotionslos, berechnend und ich hatte plötzlich Angst, er würde mich nicht mehr loslassen und mich einfach erwürgen. Wahrscheinlich wäre es sogar ein Leichtes für ihn, mein Genick mit der bloßen Hand zu brechen. Ergeben schloss ich die Augen. Ich hatte nicht mehr die Kraft irgendeinen Laut von mir zu geben und ich ließ seinen Arm los.

Mein letzter, klarere Gedanke: Ich gehöre ganz dir Hyunjin. Ich bin dein. 



Sie behandeln uns wie Luft und vergessen, dass sie ohne Luft nicht leben können. - Walter Ludin 

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