Streitschlichter und Unruhestifter

Felix Pov:

Montage. Entweder man hasste sie oder man ignorierte sie. Zumindest so gut es eben ging. Heute war eindeutig ein ignorieren-wir-alles-Montag. Er war in der Wertung meiner bisherigen Montage ein glatter Durchschnitt. Alles war normal und ruhig. Der Unterricht zog sich ein wenig in die Länge aber das machte nichts. Naja, gerade war es eher eine Entspannung im Unterricht zu sitzen. Denn ich hatte noch zehn Minuten Kunst und durfte mich dann auf den Weg zu meiner letzten Doppelstunde Französisch machen. Bis dahin würde ich dem Vortrag eines Mitschülers über verschiedene Drucktechniken lauschen.

Ehrlich gesagt waren digitale Printverfahren und das Anfertigen von Flyern und Broschüren eine recht angenehme Aufgabe. Ich mochte es, praktisch zu arbeiten. Aber einem Vortrag zuzuhören, der noch nicht einmal besonders gut war und sowieso das wiederholte, was ich bereits wusste war nicht meine bevorzugte Beschäftigung. So schweifte mein Blick viel lieber über meine Mitschüler und ich verfolgte gespannt was sie taten, um nicht vor Langeweile zu sterben.

Eine Reihe schräg vor mir war Mark damit beschäftigt sein Federmäppchen neu zu sortieren. Er hatte den Inhalt auf dem ganzen Tisch verteilt und spitzte nun jeden Stift fein säuberlich an und schob ihn dann zurück an seinen vorgesehenen Platz. Sein Banknachbar sah ihm unauffällig zu und hatte sich den Knetradiergummi von Mark geklaut, den er nun zu einem Würfel formte.

Links neben mir tuschelten Jennie und Jisoo leise über irgendein neues Modemagazin und Kleidung. So genau hörte ich nicht hin, da ich auch den Vortrag nicht komplett ausblenden wollte. Dann warf ich einen Blick zu Seungmin und Jeongin, die links von mir und Jisung saßen. Während Seungmin wohl wirklich dem Sprechenden vor der Tafel lauschte, schien Jeongin die Vokabelliste für Französisch nochmal abzuschreiben, da er das hellgrüne Buch aufgeschlagen hatte und seine Augen immer wieder zu der Buchseite huschten, bevor er etwas auf seinen Block schrieb.

Zu unseren beiden Neuen konnte ich nur einen flüchtigen Blick riskieren. Gunhak blickte mit unlesbarer Miene in Richtung Tafel, doch ich war mir nicht sicher ob es ihn überhaupt interessierte, was der Vortragende von sich gab. Es war schon interessant. Er wirkte immer so kühl und manchmal auch unbeteiligt, was mich ein oder zweimal dazu veranlasst hatte zu glauben, er würde auch nicht gerade zu den besten Schülern gehören. Doch jedes Mal wenn eine Lehrkraft ihn nach der Lösung fragte oder ihn an die Tafel bat, konnte er eine zufriedenstellende Antwort liefern. Bei seinem Bruder war es ähnlich. Hwanwoong war zwar alles andere als still und zurückhaltend, dafür aber genauso aufmerksam und fleißig. Wenn er Antworten geben durfte, machte er zwar meistens seine kleinen Scherze, die die gesamte Klasse zum Kichern brachten aber das konnte ihm keiner tatsächlich übelnehmen. Auch jetzt schien er zu bemerken, dass ich ihn ansah und sogleich winkte er mit einem Grinsen und eilig erwiderte ich die fröhliche Geste. Jedoch wandte ich mich rasch wieder um und sah nun zu meinem direkten Banknachbar.

Jisung hatte eine geschickte Lösung gefunden der Langeweile entgegenzuwirken, sogar die Unauffälligste und am wenigsten Störende. Er kritzelte in seinen Block und sah dann und wann zur Tafel, so als würde er dem Vortrag folgen und Notizen machen. Stattdessen prangte auf seinem weißen Blatt ein Kreis, der mit filigranen Linien gefüllt worden war. Sie waren symmetrisch angeordnet und liefen alle auf die perfekte Kreismitte zu. Dann fielen mir auch die kleinen Symbole darin auf und ich erkannte eines der Pentagramme wieder, die wir in einem der Bücher gefunden hatten. Allerdings war es mit weiteren Symbolen und Linien ergänzt und ergab ein fast schon ästhetisches Gesamtbild.

Gerade als ich mich weiter nach vorn lehnte, um es eingehend zu betrachten, schob es Jisung schon über den Tisch zu mir und sah mich erwartungsvoll an.

Seine Augen funkelten neugierig und schienen mir seine unausgesprochene Frage mitzuteilen.

„Es sieht es gut aus", wisperte ich zurück und tippte dann auf den äußersten Kreis. „Wie wäre es mit einer stärkeren Umrandung und ein paar Symbolen außerhalb?"

Mein bester Freund nickte zustimmend, zog das Blatt zurück und setzte den Stift wieder an, um meine Vorschläge in die Tat umzusetzen, als die Pausenglocke ertönte. Sofort breitete sich eine gewisse Unruhe in der Klasse aus, da der Vortrag noch nicht beendet worden war. Eilig ratterte der Junge die letzten Stichpunkte auf seiner Folie herunter und dankte uns dann für unsere Aufmerksamkeit. Diese Worte gingen aber schon in dem Lärm unter, der von dem Stühlerücken oder den Gesprächen einiger Schüler herrührte. Auch ich erhob mich und packte meine Tasche zusammen. Ich machte mir nicht die Mühe so schnell wie möglich hinaus in den Flur zu gelangen. Viel eher wartete ich auf meine Freunde und schließlich waren wir die Letzten, die sich überhaupt noch im Kunstraum aufhielten.

Gut, nicht ganz die Letzten. Auch Hwanwoong und Gunhak waren noch da. Was mich nicht verwunderte, denn Gunhak mied riesige Schülermengen wie der Teufel das Weihwasser. Dennoch trat er nun mit seinem Stiefbruder und uns hinaus auf den Gang. Hier im obersten Stockwerk war der Ansturm schon nicht mehr so schlimm und wir konnten beinahe ohne Warten oder Durchdrängeln zur Treppe gelangen. Uns kamen zwei Jungen entgegen, die sich angeregt unterhielten. Ehrlich gesagt achtete ich nicht auf sie, bis zu dem Zeitpunkt als einer der beiden den knapp vor mir laufenden Gunhak im Vorbeigehen anrempelte und sich dann voller Wut zu seinem Kumpel umdrehte, diesen an die Wand schubste und dem vollkommen perplex aussehenden Jungen mit der Faust ins Gesicht schlug. Geschockt stolperte ich zurück und sah ungläubig zu dem Jungen, der den anderen nun auch noch anschrie.

„Ich sag es jetzt zum letzten Mal, ich mache dieses dämliche Projekt nicht mit dir und Seokmin. Kannst du sowas von vergessen."

Ratlos und auch ziemlich erschrocken von der Brutalität des Jungen, wandte ich mich hilfesuchend in Richtung meiner Freunde, doch diese schienen ebenso wenig eine Lösung zu haben. Also fiel mein Blick wieder auf die Jungen vor mir. Der Geschlagene hielt sich noch immer eine Hand auf die Wange und stotterte undeutlich sowas wie eine Antwort. Dies schien seinen Gegenüber aber nur noch wütender zu machen, wobei ich nicht einmal verstand warum. Mir war nur klar, dass wir nicht länger einfach nur zusehen konnten. Als ich bereits ansetzte, irgendetwas Schlichtendes zu sagen, hörte ich Woong, der auf Gunhak einredete.

„Unternimm was dagegen. Sonst wird es nicht bei ein paar blauen Flecken bleiben."

Überraschenderweise nickte sein Stiefbruder und trat dann vor, zog den Jungen, der gerade zu einem weiteren Schlag ausholen wollte von seinem Kumpel weg und schubste nun ihn gegen die Wand. Erst da fiel mir wieder ein, dass der Blonde irgendeinen Kampfsport machte und deshalb wohl eine solche Auseinandersetzung am besten schlichten konnte. Immer noch drückte er den wütenden und nun fluchenden Jungen gegen die Wand und sah ihn stumm an. Dann drangen nur zwei Worte über seine Lippen.

„Hör auf."

Und tatsächlich erlahmte der Widerstand und das zornentbrannte Gesicht wandelte sich allmählich zu einer schuldbewussten Miene. Die Hände, die gerade noch versucht hatten Gunhak wegzudrücken, sanken jetzt herab. Die Haltung war weniger bedrohlich, eher resigniert und verwundert über den eigenen Ausbruch. Er sah hinüber zu seinem Freund, der immer noch wie vom Blitz getroffen dastand.

„Das- das tut mir leid Soonyoung. Ich weiß nicht..." Beschämt senkte er den Kopf und nuschelte die letzten Worte. „...warum ich das gemacht habe."

Sein Freund schien sich von dem Schock erholt zu haben, denn er trat nun einen Schritt auf den Jungen zu, während Gunhak diesen jetzt losließ und nochmal einen prüfenden Blick zu dem Unruhestifter warf. So als wolle er sichergehen, dass er nicht nochmal eingreifen musste.

„Schon gut Jihoon. A-aber sag nächstes Mal einfach, dass du keine Lust hast zusammen mit mir zu arbeiten."

„Nein, so ist es ja gar nicht..."

Ich hatte genug gehört und scheinbar war alles wieder in Ordnung, denn Gunhak trat nun zu uns und etwas sagte mir, dass wir die beiden besser ungestört reden lassen sollten.

„Na kommt, lasst uns Französisch nicht verpassen", meinte Jisung mit gerunzelter Stirn und folgte Hwanwoong und Gunhak, die bereits die Treppe nach unten nahmen.

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„Ich hab diesen Vorfall noch immer nicht ganz verdaut", gestand mir Jeongin, als wir gerade mit den Schülermassen hinaus auf den Schulhof geschwemmt wurden. Jisung und Seungmin folgten uns und die beiden Neuen hatten sich schon von uns verabschiedet.

„Ja, das war wirklich heftig und es kam auch wie aus dem Nichts. Ich verstehe es nicht." Überlegend zog ich die Stirn in Falten und seufzte dann. „Gott sei Dank hat das kein Lehrer gesehen. Sonst hätte dieser Jihoon wahnsinnig Ärger bekommen."

„Da hast du recht. Hoffentlich geht es seinem Kumpel gut."

Mittlerweile waren wir beinahe am Schultor angekommen. Hier zerstreute sich die Menge bereits und Jisung und Seungmin schlossen wieder zu uns auf.

„Habt ihr heute schon..." Just in dem Moment als ich meine Freunde fragen wollte, ob wir unseren Nachmittag zusammen verbringen würden, sah ich einen Jungen ganz in schwarz am Schultor lehnen. Seine Haare glänzten in der Sonne und seine Augen fixierten mich bereits. Mir blieben die letzten Worte im Hals stecken und ich räusperte mich. Rasch wollte ich eine Entschuldigung für die anderen finden. Sowas wie, dass sie nicht auf mich warten sollten, dass ich noch etwas Dringendes erledigen müsse. Aber alles erschien mir unglaubwürdig und wir waren dem Dämon auch schon viel zu nahe.

„Verdammt", murmelte ich und blieb dann auch schon stehen, was Jeongin veranlasste es mir gleichzutun. Verwirrt sah er zwischen mir und Changbin hin und her, da wir uns nun intensiv anstarrten. Auch Jisung schien schnell zu erfassen was los war.

„Du bist Changbin, oder?"

Ohne den Blickkontakt zu lösen antwortete mein Gegenüber.

„Messerscharf kombiniert Jisung." Erst jetzt wendete er sich meinem besten Freund zu und sah dann auch Jeongin und Seungmin einen Augenblick lang an. Jisung schien kurz überrascht und legte den Kopf schief.

„Woher-" „Woher ich deinen Namen weiß? Tss~ Auch Dämonen unterhalten sich ab und an." Damit schien für Changbin alles gesagt zu sein und er wandte sich wieder mir zu.

„Hast du Zeit? Ich will dir etwas zeigen." Noch kryptischer gingen seine Andeutungen auch nicht aber irgendwie war seine Anwesenheit auch erfreulich. Schließlich hatte er mir gesagt, dass wir uns bald wiedersehen würden und es war genauso passiert wie er es versprochen hatte.

„Ähm... ja." Bekräftigend nickte ich und trat einen Schritt auf ihn zu, bevor ich mich nochmal zu meinen Freunden umdrehte. „Also... sehen wir uns morgen?", fragte ich eher unbeholfen, da die Situation nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

„Klar, bis morgen." „Ja, wir sehen uns." „Geht klar." Meine Freunde waren wohl ähnlich verwundert wie ich, doch überließen mir die Entscheidung. In Jeongins Blick erkannte ich leichte Sorge, Seungmin musterte immer noch Changbin, so als wolle er herausfinden zu welcher Gattung Monster er gehörte und Jisung schien mir mit seinen hellen braunen Augen nur sagen zu wollen, dass ich gut auf mich aufpassen solle. Deshalb winkte ich nochmal betont lässig und folgte dem Dämon dann, der nach meinem Handgelenk griff und mich schon um die nächste Straßenecke zog. Er lief nicht weit. Nur bis zu einer schmaleren Gasse und sah sich nochmal prüfend um, bevor er mich an sich drückte und dieses unangenehme Ziehen einsetzte. Auch diesmal wurde es hell um uns herum und im nächsten Moment stand ich nicht mehr in der Gasse neben meiner Schule sondern auf einem sauberen, ebenen Weg aus weißem Stein, der schnurgerade durch die Landschaft zu führen schien. Als ich meinen Blick vom Boden löste, der sich endlich aufhörte um mich zu drehen, riss ich die Augen auf und gab einen überraschten Laut von mir. 

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