Mors certa, hora incerta
Für alle, die kein Latein in der Schule haben/hatten und nicht googlen wollen: Der Titel heißt übersetzt Der Tod ist gewiss, die Stunde ungewiss.
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??? Pov:
Der schwarze Marmor ließ kaum erahnen, dass sich jemand über ihn bewegte. Es war so, als würde die Dunkelheit des Steins auch die Geräusche schlucken, dennoch drehte sich der Dämon mit dem dunklen Haar zu dem Eintreffenden um, ja er schien ihn bereits zu erwarten. Jedenfalls neigte er kaum merklich den Kopf, um dem Neuankömmling seinen Respekt zu zollen, dann lehnte er sich wieder über die hüfthohe Festungsmauer und sah hinüber zu den kargen Feldern, die gerade kaum einen Halm hervorbrachten. Sie waren in den letzten Wochen von unkontrollierten Flammen und unterschiedlichen Zaubern verwüstet worden. So niedergetrampelt und trostlos, waren sie kaum noch als schön zu bezeichnen.
Erst in der Ferne wurde das Land üppiger und besonders farbenprächtig. Wogendes dunkelrotes Gras spross dort und bedeckte den Boden. Doch nun kehrte der Blick des Dämonen zurück, zu den näheren Dingen. Er drehte sich zu dem Palast in seinem Rücken und betrachtete die Türme und den Vorhof.
„Man sieht kaum noch, dass hier vor wenigen Tagen noch Kämpfe stattgefunden haben. Es hat wirklich Vorteile sehr geschickte zauberkundige Dämonen und Geister auf seiner Seite zu haben."
Sein Gegenüber neigte den Kopf und fügte hinzu.
„Das Land und die Festung heilen ebenso schnell wie der Eroberer des Thrones selbst. Daran erkennt man doch einen starken Herrscher, oder?"
Ein feines Lächeln streifte um die Mundwinkel des anderen. „So könnte man es natürlich auch sagen. Apropos... Wie geht es deinen Wunden? Und hast du deinen widerspenstigen Bruder schon gefunden?"
Ein verdrossenes Schnauben war zu hören und dann schüttelte der Dämon den Kopf.
„Nein, er spielt lieber Verstecken mit mir und will unbedingt, dass es auf die schlimmste Art mit ihm zu Ende geht."
Sein Gesprächspartner hatte sich mittlerweile neben ihn gelehnt, sah hinauf zu den höchsten Zinnen des Palastes und zuckte daraufhin die Schultern. „In einem Krieg kann man nicht alle retten. Geschweige denn sollte man das tun. Zugegeben... Ihr Prinzen seid eine besonders hartnäckige Spezies von Dämonen."
Ein belustigter Laut gelangte über die Lippen des Dunkelhaarigen und dieser beobachtete nun den Sprechenden ganz genau.
„Ich werde das als Kompliment auffassen, immerhin hat mich Satans Blut selbst so geschaffen. Nur dank der zahllosen Fähigkeiten seines Blutes ist es möglich, dass ich der bin, der jetzt hier steht."
Sein Nebenmann lehnte sich weiter über die Mauer, nickte zustimmend und konnte das süffisante Grinsen kaum noch von seinem Gesicht bannen.
„In der Tat. Er hat euch nach seinen Wünschen geschaffen: Stärker, erbarmungsloser und furchterregender als jeden anderen Dämon. Ihr seid seine wohl größte Schöpfung."
„Und doch haben wir ihn dann und wann mit unserem Verhalten enttäuscht und tun es auch jetzt noch."
Der Kopf des anderen schnellte zu ihm herum. „Hättest du ihn jemals wirklich nachdrücklich enttäuscht, wüsstest du es."
Sein Gegenüber schien ihm stumm zuzustimmen und lenkte das Thema anschließend recht geschickt in eine andere Richtung.
„Also... Dieser Mensch an den du gebunden bist. Er trägt jetzt dein Blut in sich."
Auf die Feststellung folgte ein ebenso stummes Nicken.
„Du warst dir im Klaren, was das für ihn bedeutet und dennoch hast du es getan. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass er es bis jetzt überlebt hat."
„Ich weiß so gut wie jeder andere in der Hölle, was es bedeutet. Und nein, ich finde es tatsächlich nicht verwunderlich, dass er es überlebt hat. Sein Körper ist stark... Ebenso wie das Blut, was ich ihm verabreichen musste."
„Du wolltest, dass er überlebt. Du hast alles dafür getan, stimmts?"
Eine Pause entstand, fast als würde sein Gegenüber es nicht zugeben wollen. „Vielleicht. Vielleicht wollte ich aber auch keinen Krieg auslösen... Der Naphil hätte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt und das wäre äußerst kontraproduktiv. Zunächst müssen wir die Hölle ganz unter unsere Kontrolle bringen und die letzten Untreuen aufspüren. Wir können nicht an zwei Fronten kämpfen."
„Da gebe ich dir recht. Obwohl ich dir eigentlich erklären sollte, wie Kriegsstrategien funktionieren. Immerhin bin ich hier der Heerführer der Armeen der Unterwelt."
„Lass den Leviathan das nicht zu laut hören. Immerhin teilt ihr euch dieses Vorrecht."
„Stimmt auch wieder, aber ich gebe mich auch gern damit zufrieden, in der Thronfolge weiter oben zu stehen als er."
„Charmant wie immer", kommentierte sein Gegenüber und seine Finger tippten auf den dunklen Stein der Mauer. Plötzlich wurden seine Fingernägel länger und spitzer, bis sie tödlich scharfen Krallen bildeten und dann schlug er sie etwas heftiger in den glatten Marmor vor sich.
„Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird. Alles an diesem Ritual ist falsch und wir wissen es. Dennoch können wir nichts dagegen tun, weil es keine Informationen gibt. Und dann auch noch diese Sache mit der Kugel, die Jisung getroffen hat. Das ist kein Zufall. Es ist Berechnung. Das Gleichgewicht wird durch dieses Ritual empfindlich gestört und wir können nur dabei zusehen und reagieren, wenn das Problem bereits aufgetreten ist. Das ist zu wenig." Die Krallen kratzten mit einem unangenehmen Geräusch über den Stein und hinterließen tiefe Furchen darin.
„Das ist nicht zu fassen. Ich bin nicht hier, um mich jetzt von einem Menschen aufhalten zu lassen."
„Du hast ebenso wie ich die Worte von Lucifer gehört. Dieses Ritual ist mehr als ein Binden der Seelen. Sonst wäre kein Naphil an einen gefallenen Engel gebunden. Es gilt auch herauszufinden, welche Rolle unsere Verbindungen spielen. Wir haben festgestellt, dass wir sie nicht einfach sterben lassen können. Wenn wir beide es schon nicht schaffen, wird es den anderen wohl ähnlich gehen."
Ein verstimmtes Schnauben war zu hören und einige Steinchen brachen aus der Mauer, als die Krallen der Kante zu nahe kamen.
„Ein neuer Tiefpunkt unserer Existenz. Wir verlieren gegen die Empfindungen zu normalen Menschen... Ich wollte ihn wirklich töten. Direkt nach der Schlacht war ich bei ihm und wollte mich dieses Problems entledigen. Und dann tritt er einfach in sein Zimmer, sieht mich an und ich vergesse für Sekunden meine Pflicht. Ich führe mich auf wie ein Idiot, obwohl so viel davon abhängt."
Sein Gegenüber lauschte ihm vollkommen ungerührt und stellte dann wesentlich ruhiger fest.
„Ich kenne dich schon sehr lange. Ich habe zugesehen, wie du eiskalt Deals geschlossen hast, die selbst mir einen Moment des Zögerns abverlangt hätten. Du hast immer aus deiner Überzeugung heraus gehandelt und nun sehe ich dich das erste Mal über deine Entscheidungen mit einem vorherrschenden Gefühl reflektieren. Wenn du es also nicht schaffst, einen kühlen Kopf zu bewahren, hat keiner von uns eine Chance." Plötzlich brach ein Lachen aus seiner Kehle und es nötigte seinen Nebenmann dazu, endlich die Klauen aus dem Stein zu ziehen und ihn stattdessen anzusehen.
„Möglicherweise bin ich ein noch größerer Narr als du."
Langsam materialisierte er eine kleine Phiole auf seiner Handfläche. Die Phiole war mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllt und mit spitzen Fingern nahm sein Gegenüber ihm das winzige Fläschchen ab. Er blickte einen Moment eindringlich auf die Flüssigkeit, anschließend entkorkte er das Gefäß und schnupperte daran.
„Das Blut einer Königin", stellte er fest und verschloss die Phiole wieder, bevor er sie dem anderen Dämon reichte. „Wenn du das damit vorhast, was ich denke, dann werden wir uns alle keine Freunde im Himmel machen."
Ein boshaftes Lächeln erschien auf den Lippen des Dunkelhaarigen. „Wieso solltest nur du deinen Spaß haben dürfen und für Aufruhr sorgen?"
Ein kleines missbilligendes Schnalzen war die Antwort. „Du weißt, dass im Blut einer Königin Macht steckt. Viel Macht. Du willst ihn nicht nur zu einem von uns machen, sondern ihn auch gleichzeitig adeln."
„Ich spreche ja nicht davon, es sofort zu tun." Eine kurze Stille kehrte ein, bevor der Dämon weitersprach.
„Dabei wollte ich von Beginn an deinem Beispiel folgen und den Menschen töten, wenn es für uns alle am passendsten erscheint. So lösen wir in der Hölle doch Probleme. Wir richten uns nach dem Nutzen unserer Handlungen und fragen nicht, wenn etwas notwendig erscheint. Und jetzt stehen wir beide hier. Unfähig das Nötigste für unsere eigene Sicherheit zu tun. Wir laufen offenen Auges ins Verderben und du musst zugeben, dass wir es auf eine gewisse Weise verdienen."
Der Dunkelhaarige neben ihm warf einen grimmigen Blick in Richtung der Magma tief unter ihnen. Er schien sich mit diesem Gedanken noch nicht ganz aussöhnen zu können.
„Wenn wir das nicht schnell wieder unter unsere Kontrolle bringen, werden wir mit ihnen stürzen. Wir werden verlieren... Alles."
Ein aufgeregtes Funkeln trat in die Augen des anderen Dämons, dann grinste er erneut.
„Tia, du müsstest die Gesetze unseres jetzigen Herrschers am besten kennen... Welche Strafe war dafür vorgesehen, eigenmächtig neue Wesen der Dunkelheit zu erschaffen?" Er tat so, als müsste er überlegen, während sein Gesprächspartner die Augen verdrehte und sich anschließend auf die niedrige Mauer setzte.
„Seine Strafe fürchte ich am wenigsten", konterte dieser trocken, was den anderen Dämon zum Schmunzeln brachte. Doch bei den nächsten Worten wurde er erneut ernst. „Das Hindernis ist der Himmel. Das Schicksal wird einen Ausgleich fordern. Ein Leben für ein Leben."
Plötzlich stützte er sich mit den Händen auf der Mauer ab und zog die Beine an, sodass er gleich darauf auf der breiten Brüstung hockte wie eine Katze. Sekunden später richtete er sich vollkommen sicher und ohne zu schwanken auf. Er balancierte einige Meter über die Begrenzung, die den Palast vom Lavastrom tief unten in der Schlucht trennte und sah ab und an prüfend hinab.
„Ich habe Lust, meine Bestrafung selbst vorzunehmen... Vielleicht wird mich dieser Schmerz endlich zur Vernunft bringen."
Sein Gesprächspartner lehnte vollkommen abgeklärt an der Mauer und beobachtete seelenruhig, wie der Sprecher sein Gesicht nun dem Abgrund zuwandte und die Arme langsam und ruhig ausbreitete.
„Gut, dann muss ich dich nicht erst in den Thronsaal schleifen und vor versammelter Hofgesellschaft deiner Untaten bezichtigen."
„Das wäre wirklich unter unserer Würde", antwortete der Dunkelhaarige mit einem verschmitzten Lächeln, bevor er noch einen letzten Schritt an die Vorderkante trat und sich daraufhin vollkommen frei von Angst nach vorn kippen ließ.
Sein Körper war dabei aufrecht und selbst im Fall bewahrte er seine stolze Haltung. Der andere Dämon blickte ihm nach, beobachtete aufmerksam den Fall, bis die Hitze der Magma die Sicht beinahe unmöglich machte und der Fallende in den Fluten aus flüssigem Feuer versank.
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