Mit Zähnen und Klauen

„Ich denke ihr Menschen habt in beinahe allen Sprachen einen ähnlichen Namen für mich. Ich bin das, was einem Drachen am nächsten kommt."  

Hallten die Worte in meinem Kopf wider.

Sie verursachten ein leichtes Schwindelgefühl in mir und ich schüttelte abwehrend den Kopf.

„A-aber das ist doch... vollkommen unmöglich", murmelte ich die letzten beiden Worte leise und starrte das Tier vor mir an. Leider musste ich zugeben, dass es durchaus Ähnlichkeit mit einem Drachen besaß. Gut, ich hatte mir Drachen immer viel breiter und muskelbepackter vorgestellt...

Hyunjins Rumpf glich viel eher den Drachen, die man aus der chinesischen Mythologie kannte. Er war lang, beinahe schmal und er besaß keine Flügel. Dafür ziemlich spitze Klauen und viele schillernde blaue Schuppen, von denen nun das Wasser abperlte. Auch sein Kopf war eher schlank und besaß zwei lange nach hinten gebogene Hörner. Aber am faszinierendsten waren für mich immer noch die Augen. Die schlitzförmigen Pupillen verliehen dem Wesen erst sein gefährliches und animalisches Aussehen; die unnatürliche Farbe tat ihr Übriges und ich erschauderte bei dem Gedanken daran, was Hyunjin gerade noch getan hatte.

„Du- du bist also ein Drache." Ich musste diese Worte einfach selbst nochmal aussprechen, um sie verarbeiten zu können. Auch wenn mein Verstand gerade schreiend und mit wild fuchtelnden Armen wegrannte, so versuchte ich das zu erfassen, was ich hier vor mir sah.

„Kann man so sagen. Allerdings habe ich auch schon andere Bezeichnungen wie Seeschlange oder Lindwurm gehört."

Ein Schnauben drang aus den geblähten Nasenflügen, so als fände die Bestie die ihr zugeordneten Namen durchaus erheiternd. 

„Aber-aber wieso? Also ich meine warum?" Besser konnte ich all meine Fragen momentan nicht formulieren und ich glaubte fast, dass sich eine der weichen Lefzen bei meinem Gestammel anhob, bevor ein tiefes Summen aus dem Inneren des Ungeheuers ertönte.

„Weil sich mein Schöpfer nun mal dachte, dass er mich zu einem wunderschönen Monster machen will... Allerdings ist manchmal genau diese Schönheit so trügerisch. Sie lässt euch Menschen in Ehrfurcht erstarren, ihr sprecht von ihr wann immer ihr könnt und müsst immer die Ästhetik in allem erkennen. Dass sie genauso tödlich und zerstörerisch für euch ist wie das Hässliche, werdet ihr wohl nie verstehen. Genauso ging es meinem Schöpfer. Er wollte etwas Vollkommenes erschaffen und hat damit das perfekte Monster hervorgebracht."

Ich nickte und hatte das Gefühl, eigentlich gar kein Wort verstanden zu haben. Was sollte ich schon groß dazu sagen? 

Doch plötzlich fröstelte ich als mein Blick auf die Trümmerteile und die leblosen Tierkörper um uns herum fiel.

„Du hast das getan, weil du ihr Leiden gespürt hast, oder?" Etwas umständlich hielt ich mich über Wasser und deutete hinüber auf eine Stelle, die besonders blutgetränkt war.

„Ich habe es getan, weil diese Menschen zum Vergnügen töten. Ich musste sie erinnern, dass sie nicht immer die Jäger sind... Sie nutzen unwürdige Methoden um unschuldige und wehrlose Tiere zu beseitigen. Sie sind diejenigen, die weniger wert sind. Solche Menschen sind die wahre Schande für diese Welt." 

Während seiner Worte, die tief in meinem Kopf nachhallten, war seine Ausdrucksweise beinahe feinselig geworden. Er wirkte wieder wütend und dann stieß der Drache ein unheilvolles Fauchen aus. 

"Ich bin mit dem Meer und all seinen Bewohnern verbunden. Was sie spüren, spüre ich. Was ihnen schadet, beseitige ich und wer etwas im Wasser grausam tötet, der wird in der tiefsten Hölle dafür brennen."

Seine Schwanzspitze peitschte durch das Wasser und ließ Wellen entstehen, die mich dazu nötigten einige Schwimmzüge zu machen, um nicht vom Wasser überspült zu werden. 

„Du-du hast das Richtige getan", sagte ich vorsichtig und versuchte wieder näher zu Hyunjin zu gelangen. Zögerlich streckte ich sogar meine Hand nach vorn und berührte den schuppigen Nasenflügel. Er war ganz kalt, viel kälter als das Wasser und er blähte sich leicht bei meiner Berührung.

Jetzt verstand ich auch endlich seine Worte von der Party. Seine Aussage dass er mich verschlingen konnte.

So als hätte er sich ebenfalls an genau diesen Moment erinnert, öffnete sich das Maul ein wenig und die blanken, weißen Zähne kamen spitz und tödlich zum Vorschein. Sie waren so lang und scharf, dass ich mit den Armen zurückruderte, um mich nicht in Reichweite dieser Bestie zu befinden.

Doch sogleich schloss sich das Maul wieder. Und dann hörte ich Hyunjins Stimme in meinem Kopf.

„Ich denke, dir ist klar dass ich dir nichts antun werde. Zumindest nicht heute."

Der große Kopf schob sich weiter aus dem Wasser, drehte sich und betrachtete das angerichtete Unheil nochmal gründlich. Jedoch schien es ihm ziemlich egal zu sein, was er da vor sich sah. Nur ein leises Schnauben drang aus den geblähten Nüstern und dann sah er wieder auf mich herab.

„Ich werde mich jetzt wieder zurückverwandeln und dann bringe ich dich nach Hause." Es war viel eher eine Feststellung als eine Frage und deshalb nickte ich nur, da ich sowieso einverstanden mit all seinen Worten war. Dann würden hoffentlich die Angst und dieses bohrende Gefühl der Trauer um die armen Tiere gemindert werden.

Die blaue Schwanzspitze zuckte unruhig durchs Wasser und warf kleinere Wellen auf. Die silbrigen Augen wurden nun etwas heller und dann streckte sich der Drache. „Warte hier. Ich bin gleich zurück." 

Anschließend tauchte er mit dem Kopf voran in die Fluten. Selbst dieses simple Manöver sah bei ihm unglaublich majestätisch aus. Der lange, blau geschuppte Körper krümmte sich und beschrieb schon fast einen Bogen, bevor er nach unten abtauchte. Schließlich sah man nur noch die Schwanzspitze, die sanft hin und her ruderte und dann war auch sie gänzlich verschwunden.

Ich wusste nicht so recht ob ich durchatmen sollte oder nicht. Allein das Adrenalin hielt mich aufrecht und irgendwie wünschte ich mir, dass Hyunjin schnell zurückkommen würde. Ich brauchte ihn. Auch wenn er mir Angst machte. Denn trotz dessen, beschützte er mich vor Schlimmerem. So als könnte man ein Monster nur mit einem noch gefährlicherem Monster bekämpfen.

„So, hier bin ich wieder. Ich hoffe, du erkennst mich noch." Witzelte der Dämon, der nun wieder mit silbrigen, nassen Haaren und blaugrauen Augen dicht neben mir aufgetaucht war. 

Untypisch für ihn griff er nach meiner Hand und nahm sie fest in seine. Im ersten Moment wollte ich zurückzucken, doch unterließ es dann. Seine Augen musterten mich aufmerksam und wahrscheinlich suchte er nach einem Zeichen, was ihm sagte, ob ich ihn nun vollkommen verabscheute, Panik hatte oder doch halbwegs damit klarkam. Als er offenbar nicht allzu Beunruhigendes fand, zog er mich näher zu sich und schon bemerkte ich das Ziehen. Aber diesmal begrüßte ich das Gefühl schon fast. Denn es hieß, dass ich gleich von diesem Ort wegkommen würde und nicht mehr länger dieses Massaker sehen musste.

Erleichtert schloss ich die Augen und vertraute Hyunjin einmal mehr mein Leben an. Wohlwissend, dass dieser Dämon es mit einem Hieb seiner Klauen oder einem Zuschnappen seiner Zähne beenden konnte.

Doch stattdessen landete ich erneut in unserem Bad. Diesmal jedoch neben der Dusche. Und ohne darauf zu achten dass ich den gefliesten Boden volltropfte, zog ich meine Kleidung aus. 

Ja, alles. Ohne Nachzudenken schälte ich mich auch aus der Unterhose und stopfte dann alles auf einmal in die Waschmaschine. Ich wollte diese mit Blut und Tod vollgesogenen Klamotten am liebsten verbrennen, doch stattdessen schüttete ich viel Waschpulver hinterher und warf die Tür zu, bevor ich den Intensivwaschgang einschaltete und einen Moment lang dabei zusah, wie die Waschmaschine ihre Tätigkeit aufnahm.

„Jeongin... Ich weiß, das ist heute nicht optimal gelaufen und ich hatte ganz andere Pläne mit dir." Hyunjin trat zu mir, als ich ihm den Kopf zuwandte und musterte mich forschend. So als wäre er sich unsicher, ob er mich in diesem aufgewühlten, emotionalen Zustand alleine lassen konnte. „Aber du hast es gesehen. Ich kann solche Grausamkeit nicht dulden... Ich bin kein guter Umgang für einen Menschen. Es liegt nicht in meiner Natur nachsichtig und freundlich zu euch zu sein." Seine Augen färbten sich eisblau und seine Fingerspitzen legten sich auf meine nackte Schulter. Sie strichen nur hauchzart darüber. „Ich wurde nicht dafür geschaffen um Gutes zu tun oder ein mir unähnliches Wesen zu mögen."

Ein kalter Schauer zog sich über meinen Rücken und ich verschränkte schützend die Arme vor der Brust. Dann wischte ich mit einer raschen Handbewegung seine Finger von meiner Schulter und erzitterte, als ich erst jetzt so richtig wahrnahm, dass ich vollkommen unbekleidet im Bad stand. 

Am liebsten wollte ich nur noch unter die heiße Dusche steigen und jeden Zentimeter meiner Haut gründlich abschrubben, um dieses ekelhafte Gefühl loszuwerden. Bevorzugt mit einem Reibeschwamm und Scheuermilch oder reinem Alkohol, um gleich die Haut zu desinfizieren. Aber diesen Gedanken verwarf ich wieder. 

Zunächst drehte ich mich also um, schaltete schon mal das warme Wasser an und wandte mich dann zurück zu Hyunjin.

„Ich habe verstanden. Ich werde nicht von dir erwarten, dass du mich so behandelst. Wenn du das selbst nicht willst, werde ich dich nicht dazu zwingen." Tief atmete ich durch, um genug Kraft für die nächsten Worte zu haben. „Aber dann ist es vielleicht auch besser, wenn du dich von mir fernhältst. Du willst mir bis jetzt nicht wehtun... dann tu uns beiden den Gefallen und wahre du den Abstand. Ich bin vielleicht nicht dazu in der Lage."

Die letzten Worte hatte ich nur leise geflüstert. Mein Blick war stur auf die leicht wasserverschmierten Fließen gerichtet und dann drehte ich mich um und stieg in die Duschkabine. 

Ich erwartete keine Antwort von ihm. Immerhin wäre alles was er sagen könnte, dass er mir zustimmte oder dass er es ignorieren würde. Mit einer Nachfrage, was meine Worte bedeuten sollten, rechnete ich ohnehin nicht und tatsächlich blieb es still.

Schon dachte ich, er wäre bereits gegangen, doch als ich mich umdrehte, die gläserne Tür schloss und mich dann unter den heißen Wasserstrahl stellte, konnte ich seine Umrisse etwas unscharf durch den warmen Dunst erkennen. Er stand reglos und mit auf mich fixierten Augen da. Noch immer schwieg er und ich fröstelte trotz der Hitze, die mich ummantelte.

„Vermutlich hast du recht."

Eigentlich sollten mich diese Worte doch beruhigen aber viel mehr überkam mich der Wunsch, meine Aussage zurückzunehmen und ihn zu bitten einfach zu bleiben. Doch meine Kehle schnürte sich zu. Als würde mich mein gesunder Menschenverstand vor jeglicher Dummheit bewahren. 

Hyunjin trat dicht vor die Glastür und hob seine Hand an. Er legte seine Fingerkuppen auf die durchsichtige Oberfläche und seine Augen funkelten mich an.

„Wir sehen uns, Jeongin."

Zögernd drückte ich meine Hand von innen gegen das Glas und nickte nur. Nach dem nächsten Blinzeln war der Dämon verschwunden und ich flüsterte in den leeren Raum hinein.

„Bis bald, Hyunjin." Dann lief eine stumme Träne meine Wange hinab und vermischte sich sogleich mit dem warmen Wasser. 

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Danke für eure Geduld. 💕 Hier habt ihr auch das zweite Kapitel. 

Übrigens ist das jetzt das 100. Kapitel dieser Story 😄 echt krass. Wie gefällt es euch denn bis hierhin? Wird es euch langsam zu viel oder kommt ihr noch mit? 🤣

Ich weiß jetzt zwar nicht, inwiefern ihr euch vorstellen könnt wie Hyunjin als Drache aussieht, aber wenn ihr mal meine bescheidene, immer noch unvollendete Vorstellung sehen wollt, dann hab ich hier mal ein Bild für euch. 

Wie gesagt, es ist nicht fertig. Und ich mag es eigentlich überhaupt nicht unfertige Sachen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aber das sind Ölfarben und die brachen Zeit zum vollständigen Trocknen sonst reißen die unteren Schichten. 

So als kleine Erklärung: Ich weiß nicht wir gut ihr euch mit chinesischen Tierkreiszeichen auskennt, aber die Tiere sind eben auch bestimmten Jahren zugeordnet und da Hyunjin 2000 geboren ist, hat er den Drachen als Tierkreiszeichen. Um genau zu sein eigentlich einen goldenen Drache. Aber da ich diese Story hier schon angefangen hatte, als ich auch mit dem Bild begonnen habe, dachte ich mir blau passt einfach besser. 😄


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