Mit Steinen im Glashaus
„Das hätte ich nicht von dir erwartet, Jisung. Wie genau stellst du dir das vor? Du hast doch die Pflicht, unseren Familiennamen weiterzuführen. Ist dir nicht bewusst, dass die Leute reden werden?"
Diese Worte waren härter als irgendeine hysterische Reaktion ihrerseits und aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie meine Mama unruhig wurde. Sie erntete ebenfalls einen scharfen Blick ihrer Mutter, so als hätte sie all dies verhindern müssen. Doch da mussten wir jetzt wohl durch.
Haltsuchend griff ich nach Minhos Hand und antwortete betont ruhig. „Ich fühle mich aber damit wohl, einen Mann an meiner Seite zu haben. Und ich bin nicht dazu verpflichtet, nur für meine Familie meinen Stammbaum fortzusetzen... Genauso gut kannst du einen deiner anderen Enkel darum bitten." Ich spürte den sanften Druck um meine Finger und bemerkte, wie meine Haut sich bereits erhitzte. Ich musste mich jetzt tatsächlich zusammenreißen. Tief atmete ich durch und lächelte dann kurz und ebenso falsch. „Und um Tratsch mache ich mir keine Sorgen. Ich denke, es werden sich viel weniger Menschen für meinen Beziehungsstatus interessieren, als du befürchtest, Großmutter."
Diese presste nun die Lippen zusammen und ihre Augen blitzen auf. Aber sie kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, da wurde sie schon von meiner zweiten Oma sanft zur Seite geschoben.
„Jisung. Es ist eine Freude dich zu sehen. Komm her mein Schatz." Die Mutter meines Vaters trat mit raschen Schritten auf mich zu und bevor ich überhaupt blinzeln konnte, umarmte mich die gutmütige ältere Dame. Ihr unvergleichlicher Geruch nach Rosenparfum und Seife stieg mir in die Nase und ich lächelte, bevor ich mich etwas nach vorn beugte und meine Arme um sie legte. „Hallo, Oma."
Ich hörte das missbilligende Schnauben meiner Großmutter, die es noch nie hatte leiden können, wie unkompliziert und unförmlich ich zur Mutter meines Vaters sprechen durfte. Doch weder Oma noch ich nahmen gerade davon Notiz. Endlich lösten wir uns voneinander und ich strahlte sie an.
„So schön dich wiederzusehen. Wie geht es dir Oma?"
Die vielen Lachfältchen in ihrem Gesicht traten hervor, als sie abwinkte und frei vom Herzen antwortete. „Frag nicht, das Alter will mich plagen. Dein Opa kann dir ein Lied von meinen Klagen singen. Wo ist der eigentlich abgeblieben?" Sie sah sich suchend nach ihrem Ehemann um, winkte allerdings ab, als sie ihn nicht sofort fand. Stattdessen lächelte sie mich erneut an und schien dann erst so richtig zu bemerken, dass ich nicht alleine war. Sie beäugte Minho neugierig, fast schon schamlos. „Dich kenne ich aber noch nicht junger Mann." Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. „Ich bin Mina, Jisungs Oma."
Minho streckte ihr mit einem charismatischen Lächeln die Hand entgegen und antwortete vollkommen unumwunden. „Ich bin Minho, Jisungs Freund."
„Oh, wie schön." Mit einer Kraft, die man dieser Dame bei ihrer zierlichen Statur nicht zutraute, zog sie den Dämon unvermittelt in eine Umarmung und zwinkerte mir über seine Schulter hinweg zu. „Willkommen in der Familie." Etwas peinlich berührt trat ich von einem Bein aufs andere, musste aber feststellen, dass meine Oma noch längst nicht damit fertig war, mich auf ihre liebevolle Art zu blamieren.
„Sie sehen wirklich unglaublich gut aus. Ich kann verstehen, warum mein Enkel Ihnen verfallen ist. Sie geben ein hübsches Paar ab."
Endlich entließ sie Minho wieder und grinste beinahe verschmitzt. Minho hingegen blickte mit einem Schmunzeln zu mir. „Finden Sie?"
Er hatte offenbar Spaß daran gefunden, mich ebenfalls zu necken, oder er wusste einfach, dass mir das jetzt unangenehm war.
„Oh ja, sie haben genau das richtige Temperament. Ich sehe das. Sie können meinen kleinen Jisung richtig in rebellische Stimmung bringen." Meine Oma war in ihrem Element und ohne auf die anderen zu achten, hakte sie sich bei Minho ein. „Kommen sie mein Lieber, ich mache Sie mit dem Rest der Familie bekannt. Bei dieser Gelegenheit können wir Ihnen auch gleich einen guten Platz aussuchen." Und schon dackelte sie los, führte den Dämon zu der reservierten Tafel, was sich er Dunkelhaarige erstaunlicherweise gefallen ließ. Schon Sekunden später hörte ich, wie meine Oma lautstark und voller Stolz verkündete, dass ich nun einen Freund hatte.
Währenddessen stand ich noch etwas verdutzt herum und fing dann den Blick meiner Mama auf. Sie schwankte offenbar zwischen den Emotionen. Zum einen schien sie erleichtert, dass der Widerstand nicht größer gewesen war, zum anderen war es für sie sicherlich noch nicht ausgestanden. Ich trat zu ihr und versuchte etwas Beruhigendes zu sagen. „Großmutter wird sich schon damit abfinden. Danke, dass du mir diese Chance gegeben hast Mama." Ich strich über ihren Arm und sah, wie sie sich ein wenig entspannte.
„Du musst dich nicht bedanken, Jisung. Ich bin deine Mutter, ich werde immer auf deiner Seite stehen. Das hätte ich dir schon viel eher sagen sollen." Dankbar umarmte ich sie kurz und wandte mich anschließend um, um meine Tanten, Onkel und Cousinen und Cousins zu begrüßen. Sie alle hatten schon mehr oder weniger erfahren, dass ich einen Freund hatte und wie zu erwarten, waren die Reaktionen gemischt. Einige waren überrascht, andere freuten sich für mich, doch nie war die Resonanz so auffallend negativ wie bei meiner Großmutter.
Schließlich fand ich auch meinen Opa, den Vater meines Vaters, der sich mit ebendiesem angeregt über seinen Obstgarten unterhielt.
„Jisung. Wie schön dich zu sehen. Mina hat mir schon deine bessere Hälfte vorgestellt. Ein wirklich wohlerzogener junger Mann. Ich sollte wohl aufpassen, dass er meiner Frau nicht den Kopf verdreht mit seinen charmanten Worten." Dann lachte Opa gut gelaunt und deutete hinüber zum Tisch, wo Minho meiner Oma tatsächlich gerade den Stuhl zurechtrückte und sich anschließend zu ihrer Linken niederlies. Dabei trafen sich unsere Blicke und er betrachtete mich einen Moment lang. Ich tat es ebenso und entschied mich, zu ihm zu gehen.
Auf dem Weg dorthin tippte mich plötzlich meine zwei Jahre jüngere Cousine an, die mich sogleich mit Fragen löcherte.
„Wie lange bist du schon mit Minho zusammen? Woher kennt ihr euch? Wie hast du dich eigentlich geoutet?" Dezent überfordert von der Flut an Worten, drehte ich mich zu ihr. „Ähm... Naja, wir sind jetzt seit fast zwei Monaten zusammen. Und wir-wir haben uns durch Freunde kennengelernt..." Das kam mir am Treffendsten vor und es blieb vage genug, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Ich zuckte die Schultern. „Es war eigentlich nicht geplant, aber Mama und Papa haben uns dabei erwischt, wie wir uns geküsst haben." Das blonde Mädchen neben mir kicherte und schlug sich eilig die Hand vor den Mund. „Und dann? Was haben sie gesagt? Waren sie einverstanden mit der Beziehung?"
Flüchtig blickte ich hinüber zu meiner Mama, die sich mit meiner Großmutter unterhielt. Besser gesagt redete meine Großmutter auf meiner Mutter ein und ich seufzte. Nun tat mir Mama selbst ziemlich leid. „Papa hat es sehr gut aufgenommen und die Wogen geglättet, als Mama etwas überfordert war."
„Oh, das kann ich mir vorstellen. Sicher hat sie mit der Zurückweisung von Großmutter Hyojoo gerechnet... Dieses familiäre Pflichtbewusstsein steckt bei meiner Mama auch noch zu tief in den Knochen. Aber das wird schon. Ich finde es toll, dass du dich das so traust." Sie grinste mich an und wurde dann davon abgelenkt, dass die Kellner den Champagner verteilten. Also eilte ich auch zu meinem Platz, ließ somit neben Minho auf meinen Stuhl sinken und konnte zuhören, wie er mit meiner Oma sprach.
„Oh ja, die Seychellen sind ein fantastisches Reiseziel. Wenn sie dort sind, sollten sie unbedingt zum Beau Vallon Beach gehen und der Botanische Garten ist ebenfalls sehr sehenswert. Es gibt dort Riesenschildkröten und Flughunde."
Meine Oma hing an seinen Lippen und nickte begeistert, bevor sie ihm den Arm tätschelte und sich ihrem Mann zuwandte.
„Hast du gehört, da müssen wir unbedingt hin." Mein Opa nickte gutmütig, aber interessierte sich vielmehr für die kleinen Appetizer, die der Kellner gerade auf dem Tisch abstellte.
Ich grinste und lehnte mich zurück. Es war irgendwie süß, wie unvoreingenommen meine Oma mit Minho umging und dass es sie absolut nicht zu stören schien, dass ich mit einem Mann zusammen war.
Warum konnte das nicht immer so unkompliziert sein?
Aber allzu sehr zerbrach ich mir darüber nicht den Kopf. Rasch griff auch ich nach den Häppchen und lauschte den Unterhaltungen bei Tisch viel lieber, als aktiv an ihnen teilzunehmen.
Ich sah ab und an hinüber zu meiner Mutter und meiner Großmutter, beide hatten sich mittlerweile unweit gegenüber von uns niedergelassen und schienen kein Wort miteinander zu wechseln. Dabei fiel mir etwas ein und ich beugte mich zu Minho.
„Wieso hast du meine Großmutter vorhin so angesehen?", flüsterte ich, um keinen auf uns aufmerksam zu machen. Der Dämon wandte mir sein hübsches Gesicht zu und ließ die Gabel mit der angespießten Garnele wieder sinken. Kurz schien er abzuwägen, ob er etwas sagen sollte.
„Kannst du dich noch einen Moment mit der Antwort gedulden Sungie?", fragte er ruhig, aber schien genau zu wissen, dass seine Worte das genaue Gegenteil bei mir auslösten.
Dennoch nickte ich entschlossen. „In Ordnung." Und so wandte ich mich erneut dem Essen zu.
Zwischen dem Hauptgang und dem Nachtisch bestimmte größtenteils meine Großmutter das Gespräch an der Tafel. Während ich noch seelenruhig mein letztes Stück gedünstete Möhre aß, begann sie von meiner ältesten Cousine und ihrem Mann zu schwärmen, die heute nicht einmal anwesend waren. Sie ließ jeden wissen, welch vorbildliches Leben sie doch führten. Ich wusste sofort was sie damit bezweckte. Leicht angesäuert stach ich das arme Möhrchen etwas heftig auf meine Gabel und kaute dann besonders ausgiebig darauf herum.
„Ich sage es euch, es dauert sicher nicht mehr lange, bis Jihyo schwanger ist. Immerhin ist sie jetzt schon zwei Jahre mit ihrem Mann verheiratet. Langsam wird es Zeit."
Ich legte Gabel und Messer fein säuberlich an den Rand des Tellers und schon eilte der dienstbeflissene Kellner herbei. Als er den Teller aufnahm, rutschte das Messer ein Stück zur Seite und er wollte es festhalten, zuckte jedoch zurück, so als habe er sich daran verbrannt. Auch Minho hatte die Szene verfolgt und griff nun nach meiner Hand.
„Sungie, ist alles in Ordnung?" Als wüsste er das nicht besser.
Aber da ich merkte, dass auch meine Oma zu uns sah und bei Minhos sanfter Geste ganz aus dem Häuschen war, spielte ich ebenso mit.
„Ja, alles gut, Min." Ich erkannte sowohl Minhos belustigt gehobene Augenbrauen, als auch Omas verzücktes Lächeln.
Allerdings war der Dämon ein perfekter Schauspieler. Er schmunzelte und verschränkte unsere Finger, legte unsere Hände auf dem Tisch ab und strich mir mit der anderen Hand das blaue Haar zurück. „Ach Schatz, deine neue Haarfarbe steht dir wirklich ausgezeichnet."
„Oh, da kann ich nur zustimmen", klinkte sich meine Oma in das Gespräch ein. „Du siehst damit so rebellisch und gleichzeitig erwachsen aus. Einfach toll."
Ich entschied mich, diese Scharade mitzuspielen und nickte. „Danke, ich mag sie auch echt gern." Dann lächelte ich Minho zuckersüß an. „War ja immerhin auch deine Idee, Liebling."
Minhos Augen bohrten sich in meine, sein Grinsen wurde nur noch breiter. Jedoch wurden wir etwas unsanft unterbrochen, als meine Großmutter meinen Namen rief.
„Jisung!?"
Ertappt und ein wenig erschrocken blickte ich auf. „Ja?"
„Wie sind deine Zukunftspläne? Hast du schon entschieden, auf welche Universität du gehst?"
Am liebsten hätte ich die Augen verdreht, da dieses leidige Thema jedes Mal durchgekaut wurde, wenn wir uns sahen.
Mit so neutraler Miene wie möglich antwortete ich ihr.
„Ich habe mich noch nicht entschieden, Großmutter. Und ich bin mir auch noch nicht sicher, was ich studieren will." Man sah sofort, dass sie diese Worte missbilligte und ihr Blick wanderte zu meinen Eltern. Als ob diese etwas dafür könnten, dass ich im Moment ganz andere Sorgen hatte als die Collegebewerbungen.
Doch dann änderte sie ihre Taktik und betrachtete Minho etwas abschätzig.
„Und Sie, junger Mann? Welchen beruflichen Werdegang haben Sie eingeschlagen?"
Mein Herz rutschte kurz in die Hose und ich rechnete schon mit einer abgeklärten Antwort à la: Hauptberuflich foltere ich gern ungezogene Seelen in der Hölle und ansonsten schließe ich fiese Deals ab, um noch mehr unschuldige Wesen in den Abgrund zu ziehen.
Stattdessen fiel die Antwort schon fast langweilig und zur Zufriedenheit meiner Großmutter aus.
„Ich habe meinen Bachelor in Business Management abgeschlossen und mache jetzt meinen Master, damit ich bald das Familienunternehmen übernehmen kann, wenn mein Vater nicht mehr will."
Da diese Antwort vielmehr dem entsprach, was sich meine Großmutter für mich wünschte, musste sie nun wenigstens eine Lehre für mich daraus ziehen. Und ich erinnerte mich plötzlich an eine Aussage meiner Mutter. Sie hatte damals erzählt, dass Großmutter nie akzeptiert wollte, dass sie Schauspielerin wurde. Nur dank der Überzeugungskraft meines Vaters war sie ihrem Traum nachgegangen.
„Siehst du Jisung, nimm dir ein Beispiel an ihm. Er hat bereits viel erreicht und die wichtigen Entscheidungen für sein Leben getroffen."
„Mit Verlaub, meine Entscheidungen mein Leben betreffend mache ich ganz sicher nicht an meiner zukünftigen Arbeitsstelle fest. Meine Präferenzen dahingehend können sich jederzeit anpassen und vielleicht in zwanzig Jahren ganz anders aussehen. Viel entscheidender ist die Frage, wer nach diesen zwanzig Jahren noch an meiner Seite steht und wem ich auf diesem Weg begegnet bin." Minhos Stimme war ruhig aber sehr deutlich zu hören. „In den Jahren, die ich schon erlebt habe, war Erfolg und Ruhm das vergänglichste. Entscheidend waren diejenigen, die bei mir geblieben sind. Und gerade bin ich hier, weil ich Jisung unterstützen will, mir kann es gleich sein, ob er Geld besitzt oder einen hohen Posten in einem Unternehmen hat... Entscheidend ist am Ende seine reine Seele."
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