Kerzenschein und Weihrauch

Passion conjungat duas animas in aeternum.

Immer noch starrte ich gebannt auf die Worte, die sich vor meinen Augen aus der Zeichnung formten. Die dunkle Tinte glänzte leicht, so als wäre sie ganz frisch aufgetragen und noch feucht, doch als ich das Buch etwas weiter anhob, dicht vor mein Gesicht hielt und mit der Fingerspitze sanft die Kontur entlangfuhr, stellte ich fest, dass die Flüssigkeit trocken war und lediglich durch den sanften Lichtschein eine fast schon metallisch schwarze Oberfläche aufwies.

Ich war auf eine seltsame Art und Weise vollkommen fasziniert und starrte die Zeichnung und die elegant geschwungenen Linien, die sich zu einem großen Ganzen verbanden, noch einige Sekunden an. So etwas war wirklich neu, spannend und mysteriös. Allein die Idee an sich, in einer Zeichnung eine Beschwörungsformel zu tarnen, war meiner Meinung nach brillant. Vielleicht sollte ich dieses Konzept für mein nächstes Motiv übernehmen und durch feine Linien und integrierte Schrift ein Kunstwerk im Kunstwerk erschaffen. Das wäre der totale Blickfang.

Aber was genau ist das jetzt für eine Beschwörung?
Von der Zeichnung ausgehend, würde ich behaupten, dass diese Zauberei einen Dämon erscheinen lassen soll, mit dem man seine Begierde und Leidenschaft austesten kann. So eine Art Callboy, nur in übernatürlich und möglicherweise etwas ungezügelter. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Mir fiel es seltsamerweise sehr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen seit ich diese Buchseite aufgeschlagen hatte. Etwas daran reizte mich, es auszuprobieren, zu testen, ob es nicht vielleicht doch funktionierte und ein Wesen erschien, dass nicht aus dieser Welt stammte.

Ich wusste nicht genau, was mich dazu bewog aber ich lachte leise auf, drehte das Buch um 180 Grad, reichte es Felix und tippte auf die versteckten Worte und die aufreizend verschlungenen Figuren.

„Wie wäre es Felix? Wollen wir uns unseren eigenen Dämon der Lust beschwören? Dann wird der Abend wirklich sündhaft heiß." Anzüglich drückte ich meine Zungenspitze gegen meine Wangeninnenseite und Felix beugte sich interessiert über das Buch. Seine Finger strichen die Seite glatt und seine Lippen bewegten sich minimal, als er die Worte entzifferte. Jeongin löste sich nun von Seungmin und sah noch einen Moment angetan auf die nun deutlich geröteten und geschwollenen Lippen direkt vor seinen Augen. Dann wandte er sich etwas verlegen zu uns und inspizierte ebenfalls die dargebotene Seite. Seungmin rutschte näher heran und versuchte genauso einen kurzen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen.

„Als ob du so einen Mist glaubst. Das ist doch alles Unfug. Nur weil es in einem Notizheft steht, dass irgendein Verrückter in der Bibliothek hinterlassen hat, heißt das noch lange nicht, dass solche Rituale funktionieren", beschwerte er sich sogleich und warf mir einen abschätzigen Blick zu.

Meine Mundwinkel hoben sich, da ich irgendwie schon mit seiner Gegenwehr gerechnet hatte. Seungmin war immer derjenige von uns vieren, der sich auf realistisches Denken und klare Tatsachen berief. Ich glaubte zwar ebenso wenig an eine übernatürliche Macht, geschweige denn an den Teufel, doch was sollte schon passieren?

„Wenn es so großer Mist ist, dann können wir es ja einfach aus Neugier machen. Was ist schon dabei? Es klingt schon so abgefahren, dass man es wenigstens einmal getestet haben muss. Also warum nicht hier und jetzt? Diese Beschwörung scheint jedenfalls vielversprechend." Ich kicherte. „Wahrscheinlich wirken schon die bloßen Worte wie ein Aphrodisiakum und man braucht gar keinen Dämon, der einem dann wie ein Stripper erscheint und ein bisschen mit dir flirtet."

Jeongins sonst so schmale Augen wurden größer und er sah mich aufgeregt und dennoch entschlossen an. „Das klingt wirklich extrem witzig. Stell dir mal vor, es gäbe wirklich übersinnliche Wesen. Würden wir dann einen Dämon bekommen, der ganz auf unsere persönlichen Wünsche abgestimmt ist? Ich meine, man beschwört ihn ja extra, um von ihm einen Gefallen einzufordern..." Felix lachte und gab dem Jüngsten ein High five.

„Mir gefällt wie du denkst."

Dann blätterte er einige Seiten weiter nach vorn und schien nach etwas zu suchen. Schlussendlich stieß er einen kleinen zufriedenen Laut aus und sah sich die aufgeschlagene Seite genauer an. „Ah, hier steht es ja."

Ich überflog den Text, der für mich gerade auf dem Kopf stand. Doch konnte trotzdem erfassen, dass es sich dabei um eine Liste mit benötigten Gegenständen und eine präzise Anweisung für eine durchzuführende Beschwörung handelte.

„Was brauchen wir denn alles für unser teuflisches Experiment?", fragte ich interessiert nach und ließ meine Finger zärtlich durch das kupferrote Haar meines besten Freundes gleiten, der sich in die Anleitung vertieft hatte. Jeongin sah ebenso neugierig aus wie ich und kicherte leise.

„So kompliziert ist es gar nicht", meinte der Australier schließlich. Endlich sah er wieder zu mir auf und seine tollen, herzförmigen Lippen verzogen sich zu einem verschlagenen Lächeln. „Wir brauchen Kerzen, vorzugsweise nicht weiß und Weihrauch. Naja, das könnte vielleicht doch etwas komplizierter sein. Schließlich hat nicht jeder Weihrauchvorräte zu Hause, falls man mal ganz zufällig einen Dämon beschwören musst", scherzte er.

„Also Kerzen haben wir ganz sicher da und Weihrauch dürfte auch kein Problem werden", überlegte ich laut. „Meine Mutter mag den Geruch und zündet es manchmal an, wenn sie ein Entspannungsbad nimmt. Also sollte das alles sein, dann wird es sogar leichter als erwartet."

Felix nickte. „Super. Dann besorgst du mit Seungmin die Kerzen und den Weihrauch und ich schaffe mit Jeongin die perfekte Atmosphäre für unsere kleine Zauberei." Nach diesen Worten erhob er sich von meinem Schoß und sah sich im Raum um. So als würde er bereits planen, wo das Ritual am besten durchgeführt werden könnte.

Ich grinste ebenso freudig in die Runde und winkte Seungmin zu, damit er mir folgte. Immer noch nicht so überzeugt von unserem Plan, erhob sich der Junge mit dem karamellfarbenen Haar und trottete mir nach. Zunächst machte ich einen kurzen Abstecher ins Bad meiner Eltern. Glücklicherweise erinnerte ich mich ungefähr, wo meine Mutter ihre Duftöle und Badeessenzen aufbewahrte. Dort würde ich sicherlich auch den Weihrauch finden. Eifrig kramte ich in den Schubkästen unter dem Waschbecken und sah aus dem Augenwinkel, wie sich Seungmin auf der Umrandung der Wanne niederließ und zu mir herübersah.

„Wieso machen wir das nochmal? Ich meine, du kannst mir doch nicht erzählen, dass du an so einen Mist wirklich glaubst... Ich kenne dich Jisung. Du bist genauso davon überzeugt wie ich, dass dieses Universum keine übernatürlichen Lebewesen beheimatet. Sowas ist einfach ausgemachter Schwachsinn."

Ich kicherte und musste ihm zumindest soweit zustimmen, dass ich nicht an Dämonen, den Teufel oder sonstige metaphysische Wesen glaubte. „Ach Seungmin, mir geht es viel eher um die Erfahrung an sich. Ich habe sowas noch nie ausgetestet und selbst wenn nichts passiert, ist diese Stimmung bestimmt ziemlich cool. Ich meine, man sieht es ja sonst immer in Filmen oder im Fernsehen. Wenn solche Leute Séancen abhalten oder Geister beschwören. Es geht dabei doch viel mehr um die erzeugte Spannung und die magische Aura. Alles andere halte ich ebenso für Unfug."

„Du machst das also nur, weil du mal wieder den Nervenkitzel spüren willst und weil es etwas Neues ist?", erkundigte sich Seungmin und musterte mich eindringlich, wie ich noch immer hochkonzentriert die einzelnen Fläschchen und Döschen inspizierte.

„Jop, genau so ist es." Bestätigte ich seine Aussage und hielt triumphierend ein kleines Päckchen mit dem groben bernsteinfarbenen Granulat in die Luft. In der feinen Handschrift meiner Mutter war 'Weihrauch' darauf geschrieben. „Zutat Nummer Eins ist uns schon mal sicher." Mit diesen Worten erhob ich mich wieder, was mir der Jüngere gleichtat und mir ins Erdgeschoss folgte. Ich wusste aus zuverlässiger Quelle, dass wir im Aufbewahrungsschrank noch einige Kerzen und sicher unzählige duftende Teelichter hatten. Meine Mutter mochte diesen ganzen wohlriechenden Kram und gerade dankte ich ihr im Stillen für ihren großen Vorrat, den sie sich angelegt hatte.

Ich öffnete den großen Schrank und konnte schon auf Augenhöhe einige Kerzen von verschiedener Größe und Form erkennen. Gerade als ich nach den zwei weißen Wachskerzen griff, die ganz vorn am Rand standen, hielten mich Seungmins Worte davon ab.

„Ich dachte, man sollte keine weißen nehmen. Aber guck mal, deine Mom hat auch noch welche in rot und blau. Die sind sicher besser geeignet." Er deutete auf die entsprechenden Kerzen und ich nickte. Tatsächlich hatte ich dieses kleine Detail schon beinahe wieder vergessen, doch jetzt griff ich zielstrebig nach den beiden dicken, roten Kerzen und reichte sie an meinen Begleiter weiter.

„Du trägst die hier." Dann holte ich auch noch die Blauen hervor und Seungmin klemmte sie sich unter den Arm. „Du kannst schon mal nach oben gehen. Ich bringe noch die Teelichter mit und hole uns ein Feuerzeug aus der Küche", wies ich ihn an. Er nickte lediglich und machte sich mit den Kerzen zurück auf den Weg in die erste Etage. Kurz sah ich ihm nach und eine seltsame Euphorie überkam mich. Schnell plünderte ich also auch noch unseren Haushaltsvorrat an handelsüblichen Teelichtern und riss mir gleich zwei Packungen unter den Nagel. Es waren einmal Teelichter mit Limonenduft und die anderen verströmten bereits durch die Verpackung einen dezenten Lavendelgeruch. Ich zog kurz die Nase kraus und hoffte, dass mein Zimmer nach diesem Ritual nicht roch wie ein Puff.

Anschließend machte ich einen kurzen Zwischenstopp in der Küche, holte ein Feuerzeug, stieg dann mit den erbeuteten Dingen wieder die Treppe hinauf und lief den Gang entlang zu meinen Freunden. Direkt vor meinem Zimmer, ich war gerade dabei die Tür zu öffnen, strich etwas Weiches um meine Beine und ich zuckte aufgrund der unerwarteten Berührung zusammen.

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