Glühend gelb
"Ich will, dass du dich bei mir wohlfühlst, dass du mich nicht fürchtest. Deshalb habe ich es dir nicht gleich gesagt."
Ich runzelte die Stirn. „Also wolltest du mich schützen indem du mich belügst?", fragte ich angefressen und verschränkte meine Arme, um meinen Unmut besser zum Ausdruck zu bringen. Erst jetzt spürte ich auch wieder die Kälte der Nacht. Die Lederjacke lag zwar noch über meinen Schultern, doch sie spendete nur noch wenig Wärme. Mein Gegenüber schien es schnell zu merken und drückte seine Fingerspitzen neben sich auf den Boden. Wie aus dem Nichts züngelten kleine Flammen in einem Kreis um uns auf und alles um mich herum wurde angenehm warm, fast schon heiß. Doch ich riss nur meine Augen auf und sah zu den rot glimmenden Flämmchen.
„Du kannst also auch Feuer beschwören?" Ich dachte an die Beschreibung der anderen Dämonen und sah fasziniert den Flammen dabei zu, wie sie weder durch den Wind noch durch die Bewegungen des Grases unterbrochen wurden. Es schien, als könnte ihnen nichts etwas anhaben und sie würden nach ihrem eigenen Belieben mal ein wenig höher schlagen oder auch wieder in sich zusammensinken. Dabei ließen sie auch die grünen Grashalme und den Boden unberührt und verbrannten ihn nicht.
„Das kann so gut wie jeder Dämon", kommentierte Chan amüsiert. „Schließlich ist die Hölle ein recht warmer Ort... Wenn man dort zu Hause ist, dann sollte man mit Feuer klarkommen." Mit einem Schnipsen setzte der Junge neben mir seine Fingerspitzen in Brand und drehte mir die Hände zu, die nun langsam aber sicher mit hellen, lodernden Flammen bedeckt waren.
„Eine unserer wirkungsvollsten Waffen. Jedoch kann nicht jeder Dämon das Feuer gleich stark nutzen." Als hätte er bereits zu viel verraten, verstummte der Braunhaarige neben mir und sah auf seine eigenen Handflächen.
„Was für einer bist du?" Traute ich mich dann doch zu fragen.
„Ich bin die ganz fiese Sorte, die kleine Jungen in die Besenkammer der Schule zerrt", antwortete Chan mit einem verschlagenen Lächeln. Er versuchte mich aufzumuntern und das rechnete ich ihm hoch an. Denn mich in diesem Zustand der Verzweiflung vorzufinden und zu erheitern, das gelang nicht jedem. Deshalb wandte ich mich ihm nun weiter zu und musterte ihn neugierig.
„Du sagst es mir nicht weil das gegen eure Prinzipien ist oder? Felix hat schon davon berichtet, dass ihr nicht wollt, dass wir zu viel von euch erfahren."
Chan neigte seinen Kopf und dann sah er mir wieder in die Augen. „Du bist wirklich clever aber das wusste ich auch schon vorher. Meiner Meinung nach hast du zumindest einen Teil der Wahrheit verdient. Auch für uns ist dieser Zustand neu und außergewöhnlich." Er hielt inne und suchte scheinbar nach den passenden Worten. „Wir sind ganz anders als ihr Menschen und je weniger wir mit euch zu tun haben, desto weniger Probleme tun sich vor uns auf. Wir sind frei. Unserer Existenz werden kaum bis keine Grenzen gesetzt und wir leben bereits so lange, dass sogar der Tod uns keine Angst mehr einflößt. Wir haben vollkommen andere Maßstäbe und Erwartungen an euch Menschen. Normalerweise nutzen wir eure Schwäche zu unserem Vorteil. Wir suchen uns in den Beschwörungen und den Bitten einen Schlupfwinkel, um die Oberwelt unsicher zu machen und uns selbst ein beschauliches Leben zu ermöglichen, uns an den Freuden eurer Welt zu sättigen und dann wieder zu verschwinden. Doch jetzt bin ich hier. Ich bin an einen Menschen gebunden und habe noch nie so stark gespürt, dass mich etwas festhält und mich zu einem anderen Wesen hinzieht."
Plötzlich glommen seine Augen auf. Wie in dem Moment in der Besenkammer, wurden seine braunen Augen heller, doch diesmal trat an die Stelle des Brauns ein leuchtendes Gelb. Man hätte es mit dem Strahlen eines Neongelbs auf einem dieser Warnschilder vergleichen können aber das hätte nicht im Entferntesten beschrieben, wie überaus erhaben und tödlich diese Augen aussehen konnten. Für einen Wimpernschlag wollte ich den Blick abwenden und vor der Intensität des Starrens fliehen, doch ich musste diese Probe bestehen. Ich musste Chan beweisen, dass ich stark genug für diesen Anblick war und ich mich nicht vor ihm verstecken würde.
„Ich werde ehrlich sein. In den ersten Sekunden nach eurem Ritual, in denen ich deine Präsenz, deine Anwesenheit, gespürt habe, wollte ich nur eines. Ich wollte die Bindung lösen und dich notfalls töten, um wieder frei zu sein."
Hätte ich geglaubt, das Gelb könnte nicht noch markanter hervorstechen und mich in die Tiefe reißen, so wurde ich jetzt eines Besseren belehrt. Ein unangenehmer Schauder raste durch meinen Körper und diesmal musste Chan meine Furcht wohl nicht mal in meinen Gedanken lesen, sondern konnte sie schon in meinem Blick und meiner erstarrten Haltung erkennen.
„Wie gesagt, in den ersten paar Sekunden... Danach habe ich wohl oder übel auch die Seite gesehen, die uns zueinander gebracht hat. Es mag in diesem Universum viele Zufälle geben, doch wenn dieses Ritual schon vom Schicksal spricht, dann werde nicht einmal ich mich dagegen wehren." Ein belustigtes Funkeln trat in seine Augen. „Nicht mal unser Herrscher und Meister würde sich dem Rad der Fortuna vorbehaltlos entziehen können."
Für kurze Zeit war es still zwischen uns und dann nickte ich träge. „Das heißt also, du willst mich eigentlich schon umbringen, kannst es aber nicht, weil du nicht weißt, was dann passieren würde?"
„Nein, das verstehst du falsch Seungmin." Der Dämon zog mich wieder näher zu sich. „Ich will dich nicht töten, noch dir wehtun. Du bist immerhin ein nahezu unschuldiger und reiner Mensch." Die gelben Augen glühten kurz stärker und waren jetzt Signalgelb. „Wir sind Dämonen... normalerweise verführen wir Menschen, die sowieso schon einen gewissen Reiz und Anlass zum Verbotenen und Schlechten hegen. Doch bei dir und deinen kleinen Freunden sind eure unmoralischsten Handlungen wohl die Notlügen für eure Eltern und eure putzigen Versuche, dem alltäglichen Trott zu entkommen." Ein Kichern war zu hören. „Das ist selbst für uns eine Herausforderung. Aber eben auch ein unglaublicher Triumph und ein Beweis für unsere herausragenden Fähigkeiten als Diener der Hölle."
„Das klingt jetzt wieder mehr nach einer Art Spiel", nuschelte ich und die trüben Gedanken und das Bedürfnis zu Weinen kehrte zurück.
„Puppy... wir sind nicht wie ihr. Wir sind kein liebes und zuvorkommendes Volk, das sich an die Regeln hält und nach der wahren Liebe sucht. Aber wenn du bei mir bist, dann kann ich dir dennoch alle Wünsche und Träume erfüllen. Ich kann dir ein glückliches Leben quasi zu Füßen legen. Alles was du dafür tun muss ist, mich in deinem Leben zu akzeptieren. Unsere Verbindung zu akzeptieren. Stell es dir wie eine normale Partnerschaft vor. In jeder Ehe und Beziehung müssen Kompromisse geschlossen werden und es kann nicht immer harmonisch verlaufen. Das ist wider die Natur."
Bei ihm klang das so leicht und leider auch noch erschreckend logisch. Die Frage war doch nur, ob ich das auch so sehen konnte. Immerhin war ich gerade mal 17 Jahre alt und da durfte man wohl noch an sowas wie eine perfekte Liebe und ein harmonisches Zusammenleben glauben. Was aber nicht bedeutete, dass ich nicht verstand wovon der da sprach. Ich hatte es bei meinen Eltern schließlich schon oft genug erlebt, dass eine Partnerschaft nicht nur helle Seiten hatte. Nicht immer leicht und schön war, so wie man es sich wünschte. Nein, manchmal war eine Beziehung wohl auch das genaue Gegenteil. Streit war da wohl unumgänglich, nicht immer konnte man einer Meinung sein und die Gegebenheiten hinnehmen. Das Wichtigste schien jedoch zu sein, dass man sich wieder vertrug, dass man eine gemeinsame Lösung suchte und nicht nur nach einem Ausweg oder einem schnellen Kompromiss, der keinem so wirklich half. In all den Jahren, in denen ich meine Eltern hatte beobachten können, in denen ich ihre Streitereien mit anhören musste oder auch die Konsequenzen ihrer übereilten und wenig erfolgversprechenden Einigungen ertragen hatte, war mir auch klar geworden, dass nicht alles immer schwarz oder weiß war. Nicht einer trug die Schuld sondern beide. Aber auch um Schuldzuweisungen ging es nicht... Ich wollte immer nur jemanden finden, der wirklich zu mir passte. Der mich all die schlechten Erinnerungen langsam vergessen ließ und offen und ehrlich mit mir war.
Und jetzt stellte ich mir doch ernsthaft die Frage, ob eine solche Partnerschaft mit einem Wesen der Hölle möglich war. Chan hatte gerade selbst gesagt, dass er mich vernichten könnte. Was also würde passieren, wenn er meiner überdrüssig wurde oder ich ihm nicht genug war? Wenn ich etwas falsch machte und in seinen Augen versagte?
„Seungmin. Sieh mich an." Seine Stimme war leise, ruhig und wieder so zuvorkommend, wie ich sie kannte. „Vertraue darauf, dass ich weiß was ich tue. Sollte es wirklich so weit kommen, dass sich einer von uns beiden in dieser Situation nicht mehr wohl fühlt und sich sicher ist, dass diese Bindung und die Nähe keinen guten Ausgang für uns nehmen, dann werden wir darüber sprechen und so weit wie es möglich ist Abstand halten. Wir werden das vernünftig klären und nicht mit einem Blutbad."
Trotz der angespannten Situation und des ernsten Themas, ja, vielleicht gerade deshalb, musste ich plötzlich lachen.
„Das klingt einfach nur verrückt, weißt du das? Ich sitze hier und unterhalte mich mit einem Dämon. Jeder normale Mensch würde mich allein dafür in die Geschlossene einweisen lassen und ich verhandle mit dir währenddessen seelenruhig über meine Zukunft."
„Auch ich kann nicht leugnen, dass dieser Moment nicht einer gewissen Ironie und einem Bruchteil an Größenwahnsinn entbehrt. Aber ich meine es ernst. Lass es uns versuchen. Gib mir die Chance, dich kennenzulernen und ich werde dir einen Weg zeigen, mehr über mich zu erfahren und dir nebenbei die außergewöhnlichsten Dinge auf diesem Planeten offenbaren."
Ich horchte in mich hinein und erwartete, dass mein Verstand und mein Herz Widerwort geben würden, doch in diesem Moment schwiegen sie beide. Ich konnte wohl einfach nicht nein sagen. Also nickte ich schließlich. Musste dann aber doch wieder lachen und legte meinen Kopf in den Nacken, um zum Himmel hinaufsehen zu können. Mittlerweile war es schon so dunkel, dass die ersten Sterne am Firmament auftauchten.
„Ok. Ich will dich kennenlernen, sowie du mich kennenlernen wirst." Ich holte tief Luft. „M-muss ich noch etwas sagen oder tun, um unsere Bindung zu besiegeln?"
Als ich zurück in seine Augen sah, glühten die Pupillen in einem warmen Sonnengelb. Mein Gegenüber griff nach meiner Hand und umschloss sie mit seiner. „Sag es. Sag das was du denkst", murmelte er beinahe zärtlich und schon wieder musste ich lächeln.
Natürlich, er hatte die Worte in meinem Kopf wohl schon vor mir gesehen und wusste ganz genau, dass sie die Richtigen sein würden.
Meine zweite Hand legte ich zaghaft auf seine Wange und versank immer tiefer in dem strahlenden Gelb.
„Ich akzeptiere dich Chan."
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