Glanz und Glorie
Felix Pov:
Changbin hatte Wort gehalten und meine Mutter und mich zu uns nach Hause gebracht. Jetzt standen wir zu dritt in unserem Flur und es war gefühlt totenstill. Nicht mal richtig nervös sein konnte ich, da meine Emotionen ebenso verrücktspielten. Deshalb sah ich lediglich zwischen meiner Mama und Changbin hin und her und hoffte, dass einer von ihnen beiden eine Entscheidung treffen konnte. Denn ich war im Moment nicht fähig dazu.
„Ich- ich denke ich werde mich ein bisschen ausruhen." Meine Mama verkraftete das Teleportieren wohl ganz gut, doch der Rest an Informationen war einfach zu viel gewesen. Sie wirkte erschöpft und auch leicht überfordert. Als ich ihr jedoch Hilfe anbieten und mich um sie kümmern wollte, winkte sie ab. „Schon gut, Felix. Du scheinst selbst noch eine Menge Fragen zu haben. Klärt das unter euch."
So leicht wie das bei ihr klang, war es zwar nicht aber ich nickte bestätigend und zupfte dann minimal an Changbins Hemdsärmel.
„Ist gut, Mama. Ruh dich aus." Ich hatte leise gesprochen und dirigierte den Dämon an ihr vorbei und zog ihn dann hinter mir in mein Zimmer. Es war komisch diesen Raum zu betreten. Es fühlte sich so an, als sei alles gleich geblieben. Alle Möbel standen an ihrem Platz, alle Bilder hingen noch ebenso durcheinander und bunt gemischt an den Wänden, die Bettdecke lag unordentlich auf der Matratze. Alles war wie immer. Nur ich war anders und machte den Unterschied. Ich hatte mich verändert. Als wäre ich der Eindringling in meinem eigenen Leben.
Rasch versuchte ich die Gedanken abzuschütteln und strich mir stattdessen mit beiden Händen durchs Haar. Selbst dieses fiel nun anders, seitdem es offensichtlich auch seine Farbe gewechselt hatte. Etwas unbeholfen lief ich hinüber zu meinem Spiegel und blickte hinein. Hellblaue, wache Augen starrten mir entgegen. Sie schienen jedes Detail wahrzunehmen. Ich hatte sogar das Gefühl jetzt wesentlich schärfer sehen zu können als zuvor. Dann traf mein Blick auf die blonden, gewellten Haare, die mein Gesicht schmeichelnd umrahmten und es tatsächlich noch zarter aussehen ließen. Ich konnte es nicht einmal leugnen, ich sah aus wie ein Engel.
Ruckartig wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und fokussierte den Dämon, der immer noch recht nahe neben der Tür stand und lediglich beobachtete was ich jetzt tat. Dabei wirkte er nun weniger angespannt und dennoch konnte ich eine Art Missfallen in seinem Blick lesen. Offensichtlich hatte er sich seine Verbindung zu einem Menschen weitaus weniger kompliziert vorgestellt. Es war sicher nicht gerade angesagt, als Dämon mit dem Kind eines Engels verbunden zu sein.
Doch dafür, dass Changbin nicht das große Los gezogen hatte, wirkte er äußerst gefasst. Da war er sogar gestern weitaus gefährlicher gewesen nachdem dieser Typ mich angebaggert hatte. Tia, wäre es auch nur einen Tag später passiert hätte ich mich wohl selbst verteidigen können.
„Und ich dachte immer du wärst nur ganz besonders stur und eigenständig... Ich hätte es wohl besser wissen müssen." Changbin durchquerte mit gemächlichen Schritten den Raum, ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen und blieb dann dicht vor mir stehen, bevor seine ruhige Stimme erneut ertönte. „Es ist wirklich erstaunlich. Aber vor heute habe ich es nicht einmal bemerkt."
Ich wusste zwar was er sagen wollte, doch ich konnte nicht umhin mich nochmal seiner Antwort zu versichern. „Du meinst, du hättest wissen müssen, dass ich ein Naphil bin?" Fragte ich betont ruhig und beobachtete ihn nun meinerseits. Seine Mundwinkel zuckten nach oben und dann nickte er.
„Aber so wie du es beschrieben hast, konnte ich es wohl nicht bemerken. Deine Kräfte waren wie versiegelt. Ich hätte sie spüren müssen, wären sie bereits bei unserer ersten Begegnung aktiv gewesen." Er runzelte selbst die Stirn und schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. „Sie sind erst heute und offenbar fast schon explosionsartig aufgetaucht. Das ist vollkommen untypisch."
Ebenso misstrauisch wie auch neugierig sog ich alle Worte in mir auf und verarbeitete sie zu brauchbaren Informationen. „Warte kurz... Wieso hättest du sie denn spüren müssen? Können Dämonen sowas? Und warum untypisch?"
Wenn man Changbins Rede Glauben schenken konnte, dann liefen die sonstigen Offenbarungen von himmlischen Kindern etwas anders ab als meine eigene. Und da ich selbst keinen blassen Schimmer hatte, wie alles zusammenhing, musste ich mich erst einmal auf die Worte eines Dämonen stützen.
„Ja, Dämonen können andere übernatürliche Präsenzen wahrnehmen und sie normalerweise sehr genau zuordnen."
Das klangt sehr plausibel und doch fehlte mir irgendetwas an dieser Erklärung. Dennoch hörte ich weiter zu und unterbrach ihn nicht. „Aber wie gesagt, da war nichts. Nichts an dir war ungewöhnlich... nicht bis heute morgen. Und normalerweise werdet ihr Nephilim gleich mit eurer Besonderheit geboren. Ihr kommt bereits mit Glanz und Glorie auf die Welt, so wie es sich für eure Spezies nun mal gehört." Ein wenig Spott war bei den letzten Worten hauchzart eingestreut, doch ich ignorierte sie fürs Erste und nahm auch dies hin.
„Das heißt also ich war von Geburt an ein Engelskind, nur irgendwie sind meine Fähigkeiten erst jetzt hervorgekommen. Gab es schon mal so einen Fall?"
Changbin lachte leise, jedoch klang es viel mehr nach einem ungläubigen Laut.
„Was glaubst du eigentlich, wie viele weitere Geschöpfe deiner Sorte derzeit existieren? Glaubst du, euch gibt es wie Sand am Meer?" Er schüttelte widerwillig den Kopf und wartete tatsächlich einige Sekunden auf eine Erwiderung meinerseits. Als ich bemerkte, dass ich wohl doch raten sollte, zuckte ich zunächst die Achseln und murmelte dann undeutlich.
„Keine Ahnung... so um die zehn oder zwanzig?"
Die Dämonenaugen leuchteten kurz auf und schienen mich mit ihrem weißen Glanz zu verhöhnen. Seine nächsten Worte hallten laut und deutlich im Raum nach und da er so dicht vor mir stand, konnte ich sie bestens aufnehmen. Nur das durchdenken fiel mir ungewohnt schwer.
„Du bist seit hundertfünfzig Jahren der einzige Naphil auf dieser Welt, Felix... so selten seid ihr. Engel verbinden sich kaum mit Menschen. Die meisten halten euch nicht für würdig, ihr reines Blut mit dem euren zu verbinden... und ich muss ihnen recht geben. Der Großteil eurer Spezies ist schrecklich einfältig und unwürdig. Jedenfalls kein Volk, vor dem man knien müsste oder die man als Gottes höchste Schöpfung betrachten sollte." Er spie diese Worte fast verächtlich aus und fügte dann noch hinzu: „Um also deine Frage zu beantworten... es gab noch nie einen Fall, bei dem ein Naphil seine Fähigkeiten nicht bei seiner Geburt erhielt oder sie später entwickelte. Was mich zu der Annahme bringt, dass es bei dir kein Zufall war."
Nun schnappte ich nach Luft und blinzelte verwirrt. Selbst wenn ich gerade sehr viel zu verarbeiten hatte, so lieferte mir mein Hirn doch einige brauchbare Statements. „Das-das würde doch aber heißen..." „Ja, das würde heißen, dass deine Kräfte absichtlich blockiert wurden. Deshalb konnte ich sie nicht wahrnehmen. Keiner konnte das..."
Grimmig starrte Changbin auf meine blonden Haare und zog dann die Nase kraus. „Und das führt unweigerlich zu der Annahme, dass es jemanden gibt, der dafür verantwortlich ist, dass du deine Kraft erst heute erhalten hast. Entweder war es so geplant... was angesichts der Art deiner Offenbarung und dem Schmerz eher abwegig ist oder aber dass etwas deine Blockade gelöst hat und du deshalb auf deine himmlischen Erbanlagen zugreifen kannst."
Schon wieder hörte es sich für mich so an, als würde er etwas verschweigen aber darauf konnte ich im Moment nicht achten. Spekulationen würden mir gerade sehr viel Zeit und Energie rauben und ich war bereits genug vor den Kopf gestoßen.
„W-was genau kann ich denn nun alles?" fragte ich unbeholfen und dann wurde mir auch klar, dass diese Frage wohl dezent unverschämt war. Denn ganz offensichtlich richtete sich die Macht eines Engels hauptsächlich gegen einen Dämonen. Somit würde mir Changbin verraten, was ich tun konnte, um seinesgleichen zu besiegen, oder? Wenn er mir überhaupt antwortete.
Zwischenzeitlich glaubte ich, er würde mir keine Auskunft geben, doch schließlich sprach er.
„Das kann ich dir nicht genau beantworten. Zum Teil werden deine Fähigkeiten auch davon abhängen, wie mächtig deine himmlische Verbindung ist. Sie wird durch beide Elternteile beeinflusst. Natürlich ist der übernatürliche Part bei der Vererbung dominant und hat größere Auswirkungen auf die Entwicklung. Doch deine Mutter kann durch ihren Einfluss auf dich ebenso bestimmte Eigenschaften gefördert und verstärkt haben. Sicher ist nur dass die Kraft, die du in dir trägst rein und gutartig ist. Sie ist darauf ausgerichtet alles was ebenso gut ist zu beschützen und dem Schwachen zu helfen. Doch du weißt sie noch nicht einzusetzen. Und genau da liegt der Fehler. Gute Kräfte können ebenso tödlich und verheerend sein wie Schlechte...denn wenn du sie nicht beherrschst, dann wenden sie sich gegen dich."
Endlich glaubte ich zu verstehen, was er sagen wollte.
„Das heißt also, ich kann unbewusst Schaden anrichten, wenn ich nicht genau weiß wie ich meine Engelskräfte einsetzen soll." Stellte ich viel mehr fest als zu fragen. Denn für mich lag es auf der Hand. Dann sah ich ihn direkt an.
„Bin ich in der Lage Dämonen zu töten?"
Ein frostiges Lächeln huschte über Changbins Lippen.
„Nichts Geringeres habe ich von einem Engel erwartet..." Diesmal war seine Intonation eine Mischung aus Kampfeswillen, Vorsicht und einer kleinen Portion Anerkennung. „Versuch es doch, wenn du dich traust." Seine Augen blitzten weiß auf und seine Haltung spannte sich kaum merklich an, doch ich sah es deutlich. So als wüsste er ganz genau was er tun musste, um mich zu provozieren. Aber ich ging nicht darauf ein und er nickte.
„Das kannst du. Zumindest kannst du es versuchen." Jetzt schloss er den letzten Abstand zwischen uns und drückte mein Kinn sanft nach oben, sodass wir uns direkt ansehen konnten. „Aber sei vorsichtig... kleine übermütige Engelchen bekommen schnell die Federn gestutzt, wenn sie zu waghalsig werden."
Ein freches Grinsen tauchte auf seinen Lippen auf und dann beugte er sich allmählich nach vorn, bis seine weichen Lippen auf meine trafen und in meinem Inneren ein kleines Feuerwerk an Empfindungen ausbrach. Die eine Seite wollte sich höchstwahrscheinlich gegen den dämonischen Part wehren. Der andere genoss den Kuss und wollte ihn vertiefen. Und da mein ganzer Tag schon viel zu verwirrend war, ließ ich mich gegen Changbins Brust sinken und erwiderte den Kuss.
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