Eine reine Seele

"Deine Seele."

Überrascht und auch leicht erschrocken blickte ich noch immer auf die zarte Blume.

"Das ist doch nicht möglich." Brachte ich geistreich hervor und dennoch hatte ich eigentlich keinen Zweifel an dieser bedeutungsvollen Aussage.

"Ich habe sie mir nicht genommen Jisung. Sie gehört immer noch dir", sagte Minho mit fester Stimme. Also hob ich meinen Kopf und sah ihn nochmal an, um dann die Ernsthaftigkeit in seinen Augen zu erkennen. Es war beinahe erstaunlich, wie die sonst so berechneten Blicke des Dämonen sich erweichten und sich in einer Art Bewunderung auf das legten, was sich in seiner geöffneten Handfläche befand.

"Sie ist wunderschön", stellte er mit belegter Stimme fest und plötzlich hob sich seine zweite Hand. Je näher die Finger der kleinen Blüte kamen, desto länger und klauenartiger formten sich die Fingernägel und plötzlich bekam ich Angst.

"Minho." Ich wollte nach seiner Hand greifen, ihn aufhalten das zarte Blütenblatt mit seinen spitzen Krallen zu berühren, doch ich war nicht schnell genug. Stattdessen sah ich nun zu, wie die dunkle Klaue behutsam eines der Blätter streifte und sich dann wieder zurückzog. Sogleich verstärkte sich das Glühen und auch der Rosaton dieses Blütenteils wurde kräftiger. Der kleine Puls der Seele verstärkte sich und sie schloss sich erneut. So als würde sie sich vor einem drohenden Unheil schützen wollen. Sobald sie sich jedoch wieder öffnete, stieß sie kleine helle Partikel aus, die sich nur knapp über ihr wieder auflösten.

"Unmöglich", murmelte der Dämon und starrte auf seine Handfläche, als würde auf dieser der Heiland persönlich sitzen.

"Was ist unmöglich Minho?" Nun packte mich wieder die Sorge, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war. Hatte meine Seele jetzt einen Schaden? War sie bereits mit Dunkelheit beschmutzt?

Doch bevor er mir überhaupt antwortete, riss sich der Teufel von dem Anblick los und wiederholt färbten sich seine Augen zurück zum Rot. Entschlossen griff er nach meinem Nacken und dann, ohne Zeit zu verschwenden, presste er seine Handfläche erneut gegen meine Brust. Noch kurz leuchtete die berührte Stelle, dann wurde mir plötzlich ganz warm und alles fühlte sich für einen Moment besonders überwältigend und intensiv an. Dann atmete ich durch und alles war wieder normal. Nichts deutete mehr darauf hin, dass ich gerade etwas Außergewöhnliches gesehen hatte, dass ich etwas erblicken durfte, über das alle anderen Menschen immer nur mutmaßen konnten.

Minhos Hand ruhte immer noch auf der gleichen Stelle, also griff ich nun nach seinem Handgelenk und fragte erneut. "Was ist unmöglich?"

Endlich schien der höllische Scherge aus seiner Starre zurückzufinden, denn er schüttelte den Kopf und fokussierte mich mit stechend roten Augen.

"Ich meinte außergewöhnlich. Es ist selten, dass menschliche Seelen eine klare Gestalt haben", erklärte er mir.

"Heißt das, es ist etwas nicht in Ordnung mit mir? Bin ich krank?", fragte ich alarmiert und griff noch etwas fester nach seiner weichen, warmen Hand. Doch das folgende Grinsen und das Kopfschütteln gaben mir Hoffnung.

"Ganz im Gegenteil Jisung. Nur besonders aufrichtige und reine Menschen erlangen eine so klare Form. Wer seine Prinzipien und Werte genau kennt und nicht von ihnen abweicht, kann seine Seele zu einer Transformation bringen. Es zeugt von Stärke und Beständigkeit seinem innersten Ratgeber eine bestimmte Form zuzuweisen. In jedem einzelnen Blatt, in jeder Faser dieser Blüte steckt ein Teil von dir. Alles was dich ausmacht ist tief mit dir verwurzelt wie diese Blume."

Seine Erklärung schmeichelte mir dann doch und es machte mich stolz, dass ich offenbar in der Lage war mir selbst so treu zu bleiben. Der Dämon schien aber noch mehr sagen zu wollen, denn kurz wurde seine Miene wieder kühl.

"Du siehst also, ich habe deine Seele nicht gestohlen. Sie nicht mit Dunkelheit besudelt und sie auch nicht zerstört. Sie gehört immer noch dir und das bleibt auch so. Ich habe es nicht nötig, sie mir mit faulen Tricks und Lügen zu erschleichen." Kurz klang er etwas verstimmt, doch so schnell das Feuer in seinen Augen entflammte, genauso schnell war es wieder verschwunden. "Du gehörst dennoch mir. Du bist an mich gebunden und das weiß auch deine Seele." Es klang fast so, als wolle er weitersprechen aber dann passierte etwas, dass mich ebenso überraschte wie seine Worte.

Die Hand in meinem Nacken lockerte sich, die zweite wandte er sanft aus meinem Griff und platzierte sie dann an meiner Wange, bevor er mich an sich zog und seine Lippen auf meine drückte.

Ich konnte es nicht anders beschreiben als zärtlich, zuvorkommend, behutsam und einfach unvergleichlich schön. Meine Augen schlossen sich. Und mir meiner Taten vollkommen bewusst, küsste ich ihn zurück. Der Kuss war fesselnd und intim, so als wäre es der erste, den wir wirklich teilten. Gleichzeitig kribbelten meine Lippen angenehm und ich erschauderte, als Minhos Fingerspitzen durch meine Haare strichen und mich nur noch näher an ihn zogen. Wie von allein schlang ich meine Arme um seinen Hals und drängte mich ihm entgegen. Ich wollte immer mehr von dieser neuen Art. Ich wollte mehr von diesem Minho. Mehr von alledem. Bevor ich mich versah, wurde ich angehoben und zum Bett getragen. Doch statt mich daraufzuwerfen oder mich zumindest loszulassen, wurde ich weiter geküsst und dann lehnte er sich weit über das Bett, setzte mich vorsichtig ab, ohne dabei unsere Knutscherei zu unterbrechen und kletterte anschließend über mich. Erst dann drückte er mich langsam nach hinten. Behielt dabei aber seine Hand in meinem Nacken, sodass er sicher ging, dass ich nicht den Halt verlor und durch ein mögliches nach hinten Kippen der Kontakt zu seinen Lippen abbrach. In diesem Moment erwachte das Kribbeln in meinem ganzen Körper. Die Wärme wurde stärker und ich blinzelte schüchtern. Ich wollte nur kurz nachsehen was mein Dämon gerade tat und erhaschte einen Blick auf seine geschlossenen Augen, die von den dunklen Wimpern gesäumt wurden. Rasch presste auch ich meine Augen wieder zusammen und griff mit den Händen nach dem Stoff des lockeren Hemdes und krallte meine Nägel ein wenig hinein, als seine plüschigen Lippen sich auf meinen Mundwinkel drückten.

Beinahe wartete mein Körper in freudiger Anspannung darauf, dass Minho mich nun ausziehen würde oder anders beginnen wollte, mich zu verführen. Auch wenn er das mit seinen Küssen eigentlich schon genug tat. Doch nichts dergleichen geschah. Der Dämon bewegte sich nur dann auf mir, wenn wir unsere Position beim Küssen eher unabsichtlich veränderten, ansonsten strichen seine Hände nur zärtlich über meinen Hals, meine Wangen oder meine Haare. Es schien fast so, als wollte er gar nicht mehr. Und ich akzeptierte es. Stattdessen genoss ich die Vertrautheit und entspannte mich zunehmend. Unsere Münder prallten immer wieder aufeinander und ich atmete schon merklich schneller und flacher, da ich häufig nicht genug Luft in meine Lungen saugen konnte, bevor ich mich wieder in den Küssen verlor. Aber ich war auch zu stur und viel zu verzückt von seiner Zärtlichkeit, um es jetzt zu beenden. Deshalb ließ ich meine Hände auch hinauf in Minhos Haar gleiten und zog sanft an den dunklen Strähnen, während ich meinen Körper passend an ihn schmiegte und überall seine Wärme fühlen konnte, da er beinahe gänzlich auf mir lag und mich unter sich begrub. Dies tat er jedoch auf eine so angenehme Art und Weise, dass ich nie wieder damit aufhören wollte.

Schließlich lösten sich seine Lippen dennoch von meinen und ich japste erschöpft nach Luft. Im gleichen Atemzug jedoch zog ich seinen Kopf wieder herab. "Nicht aufhören", forderte ich atemlos und öffnete meine rot geschwollenen Lippen, um ihm mehr Zugang zu verschaffen. Ein zustimmendes Summen war zu hören und dann umfingen wir uns bereits wieder. Diesmal schob sich seine Hand allerdings urplötzlich unter meinen Rücken und er drehte sich so geschickt und schnell, dass ich es kaum realisierte. Schon lag ich nun auf ihm und wollte gerade meine Hände neben ihm abstützen, als er diese abfing und ein Stück nach oben zog, sodass er sie mit seinen umgreifen konnte und einfach an Ort und Stelle hielt.

Langsam aber sicher verlor ich mich vollständig in den Küssen und erst als ich mich ein weiteres Mal kurz von ihm löste, um Luft einzusaugen, spürte ich mein Herz, das schneller schlug als sonst und sich anfühlten als wolle es jeden Moment seinen Dienst quittieren, da es dem Druck nicht standhalten konnte. Hektisch stieß ich die gerade eingeatmete Luft wieder aus und sah hinab auf den Dämon mit den dunklen Haaren.

Er sah einem Menschen so ähnlich. Könnte ich nur für einen Moment vergessen, dass er viel eher einem Monster glich als einem wunderschönen Menschen, den man tatsächlich mögen konnte...
Gerade schien es wirklich zu funktionieren. Seine braunen Augen sahen mir intensiv entgegen aber hielten nicht wie sonst diesen gefährlichen, dunklen Schimmer in sich gefangen sondern schienen eher wie flüssige Schokolade zu schmelzen. So gefielen sie mir wesentlich besser. Denn nichts an diesem makellosen Gesicht implizierte, dass der Dämon mir etwas Böses tun wollte.

Als ich merkte, wie lange ich ihn schon anstarrte, senkte ich den Blick und wollte mich schon entschuldigen, als sich eine Hand in meinen Nacken schob und mich dann wieder auf den warmen Körper hinabdrückte. Minhos Lippen fanden die meinen und verwickelten mich sogleich in einen berauschenden Kuss, der gar nicht mehr zu enden schien. Erneut fühlte es sich an, als würde ich ins Bodenlose stürzen, als würde ich mich in den Fängen dieses Wesens verlieren und nicht mehr von ihm loskommen. Doch was mich am meisten schockierte war, dass es sich nicht unangenehm anfühlte. Viel eher verspürte ich sowas wie Zufriedenheit und als ich darüber nachdachte was ich hier tat, musste ich lächeln.

Irgendwann hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren und nach einem kleinen Zungenkampf zog ich mich schließlich zurück, stützte meine Hände neben Minhos Kopf auf und entschied dann, mich von ihm herabzurollen. Noch immer mit einem Lächeln lag ich neben dem dunkel gekleideten Dämon, der sich sofort in meine Richtung drehte, gierig auf meine Lippen starrte und mir dann schon wieder einen Kuss raubte.

„Minho", kicherte ich gespielt vorwurfsvoll, drückte ihn an der Brust etwas zurück und fühlte mich gerade wie eines dieser Mädchen in den schrecklich schnulzigen Filmen, die endlich Zeit mit ihrem großen Schwarm verbringen können. Meine Aktion war mir fast schon peinlich, weshalb ich nach meiner Decke griff und rasch versuchte mich darunter zu verstecken. Gerade als ich sie auch über mein Gesicht ziehen wollte, griff Minhos Hand nach der Decke und hielt sie bestimmt fest während er mir tief in die Augen sah.

„Versteck dich nicht vor mir. Ich würde dich überall finden."

Ich war mir nicht ganz sicher, ob es ein Versprechen sein sollte oder doch eher eine Drohung. Aber für eine Drohung hatten seine Worte nicht kalt genug geklungen. Sie hatten nur diesen starken, beinahe unumgänglichen Klang. Er meinte das, was er sagte auch so. Minimal eingeschüchtert und auch irgendwie fasziniert ließ ich die Decke wieder los, mein Kopf sank zurück auf mein Kissen und ich starrte ihn gebannt an.

„Ich weiß", murmelte ich dann und hob eine Hand, um sie auf seiner Wange abzulegen. Er blinzelte kurz und exakt in dem Augenblick als ich glaubte, er würde sich langsam zu mir herabbeugen und wie einer dieser Märchenprinzen einen samtig weichen Kuss auf meine Lippen hauchen, hielt er inne und seine Augen färbten sich tiefrot. Für einige Sekunden geschah gar nichts, dann sah er auf mich herab und schien zu überlegen, ob er mich noch immer küssen sollte. Stattdessen richtete er sich auf und schwang seine Beine über die Bettkante.

„Ich werde gebraucht", meinte er forsch. Schon stand er neben dem Bett und drehte sich dann doch zu mir um. Nun behielten seine Augen wieder dieses gefährliche Rot bei und augenblicklich wusste ich, warum ich zweifelte. Warum ich nicht genau wusste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte und was das zwischen uns überhaupt werden würde. Diesmal war ich jedoch gefasst und nickte nur knapp.

„Ok. Dann bis später."

Seine Augen fixierten mich und ich hätte schwören können, dass nichts mehr von dem Jungen übrig geblieben war, der mich gerade noch so liebevoll im Arm gehalten hatte und mich bei unserem Rumgeknutsche sogar streichelte. Nur der Dämon war noch da, der dann auch schon in einer lodernden Flamme verschwand und mich mit all den unbeantworteten Fragen zurückließ.

Ich ließ mich wie ein Stein zurück aufs Bett plumpsen und brummte verstimmt. Es ärgerte mich selbst, wie viel ich an dieses höllische Wesen denken musste und dass ich nie zu einem klaren Ergebnis kam. Da waren so viele widersprüchliche Emotionen in mir. Angst, Hoffnung, Zweifel, Lust, Anspannung, Freude und eine Mischung aus Unwissenheit und Faszination. Einfach zu viel, um es wirklich fassen zu können.

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Das zweite Kapitel wird heute etwas später kommen. 💞

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