Ein zuverlässiger Aufpasser
Seungmins Pov:
Ich wusste jetzt wieder, warum Partys für mich nur Stress bedeuteten und ich sie sonst mied. Es war schon schlimm genug so vielen bekannten Menschen zu begegnen, vor denen man sich besser nicht blamierte. Doch dann auch noch mit diesen halb betrunkenen Menschen Wahrheit oder Pflicht zu spielen, gab mir den Rest. Diese dämlichen Aufgaben und der steigende Alkoholpegel ließen es doch automatisch irgendwann eskalieren.
Doch für uns war das Spiel jetzt offenbar beendet, denn selbst unser Gastgeber hing viel mehr an den Lippen seines Lovers... oder auch beider Lover? Sicher war ich mir nicht. Irgendwie etwas verloren sah ich mich nach den anderen dreien um, entdeckte aber nur Jeongin, der sich sein Glas gerade erneut mit irgendeiner blutroten Flüssigkeit füllte und diese dann in großen Schlucken trank.
Geistesgegenwärtig hastete ich zu ihm und zog das Getränk von seinen Lippen.
„Sag mal geht es dir noch ganz gut? Trink gefälligst langsamer", blaffte ich ihn etwas heftig an, doch im Augenblick waren all meine Sinne überreizt und meine Intuition sagte mir, dass ich aufpassen sollte. Zumindest ich musste noch einigermaßen klar und bei Verstand bleiben, wenn schon alle anderen es nicht für nötig hielten.
Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich nach einer Spur von Felix und Jisung und fand sie schließlich. Sie knutschten wild rum und waren augenscheinlich gerade dabei, die Treppe nach oben zu erklimmen.
„Ach wisst ihr was... jetzt habe ich auch keinen Bock mehr", knurrte ich und schnappte mit Jeongins Becher und kippte den Inhalt selbst in einem Zug herunter. Anschließend schüttelte ich mich und zog die Nase angeekelt kraus. „Bäh... haben die hier nichts Besseres?"
Als ich erneut in Richtung Treppe schielte, waren meine beiden Freunde verschwunden und ich konnte mir selbst mit meiner recht nüchternen Auffassungsgabe blühend vorstellen, was sie nun treiben würden...
Dann spürte ich ein sanftes Ziehen an meinem Ärmel und blickte zu Jeongin, der mich mit einem breiten Lächeln ansah. „Tanzt du mit mir, Hyung?"
„Pff~ sehe ich so aus?", fragte ich sarkastisch und als der Jüngere mich nur mit verwirrtem Gesichtsausdruck betrachtete, schüttelte ich nachdrücklich den Kopf. „Nein, ich werde mich nicht in diese verrückte Menge stürzen. Wie auf Kommando hörte man ein lautes Grölen von der sogenannten Tanzfläche und im nächsten Moment flogen dort Oberteile und sonstige Stofffetzen nur so durch die Luft, bevor der Pool förmlich überrannt wurde.
Ich stand mit einem wissenden Nicken, das sagen sollte, dass ich sowas geahnt hatte, neben meinem Kumpel und sah diesen an.
„Genau deshalb."
Er jedoch kicherte und fasste mich bei der Hand. „Gut, dann musst du jetzt was mit mir trinken, Hyung."
Bei allen Unheiligen und Satan selbst, lass diesen Kelch im wahrsten Sinne des Wortes an mir vorübergehen.
Dennoch folgte ich dem Jüngeren in die Küche, beobachtete ihm kritisch dabei, wie er tatsächlich zwei Shotgläser mit klarer Flüssigkeit füllte und mir dann eines entgegenhielt. Ich seufzte, als ich nun das Etikett lesen konnte und feststellte, dass ich mir gleich puren Vodka einflößen würde.
„Los Minnie", kicherte Jeongin fröhlich und setzte das Gläschen an seine rosigen Lippen. Aus brüderlicher Verbundenheit tat ich es ihm gleich und legte meinen Kopf dann in den Nacken, um jeden Tropen aufzufangen.
Der Alkohol brannte nicht so stark wie erwartet, was wahrscheinlich daran lag, dass er eiskalt war und damit nur angenehm erfrischend die Kehle hinablief.
Auf was hatte ich mich da nur eingelassen?
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Diese Frage stellte ich mir eine Weile später erneut. Diesmal jedoch aus einem anderen Grund. Denn nun hatte ich meine Hand sanft auf Jeongins Rücken gelegt und strich beruhigend auf und ab, während der Kleine mit dem Kopf über der Kloschüssel hing und würgte.
In diesem Moment lag mir schon ein zynischer Kommentar wie „Ich habe es dir doch gesagt." oder „Wir hätten nach dem dritten Shot doch aufhören sollen" auf den Lippen. Doch ich verkniff es mir, einfach weil ich wusste, wie beschissen diese Situation war. Und ich wollte für Innie da sein und diese Misere nicht noch unangenehmer machen. Schließlich reichte ich ihm nur ein angefeuchtetes Tuch und kloppte ihm sanft auf den Rücken.
„Geht es wieder?"
Er nickte schwach und sah dann mit glasigen Augen zu mir auf. „Ich bin so müde, Seungmin." Sein ganzer Körper zitterte leicht und die Anstrengung musste wohl doch etwas viel gewesen sein. Deshalb versuchte ich eilig einen Plan zu entwickeln, wie wir am Schnellsten hier verschwinden konnten. Am besten wäre es natürlich, wenn wir zu Jisung könnten, da sein Haus am nächsten lag. Doch so wie ich die Situation einschätzte, war das gerade keine Option. Ich hatte nämlich absolut keine Lust, den Älteren jetzt zu suchen und ihn dann womöglich in einer Position vorzufinden, die nicht für meine Augen bestimmt war. Also half ich Jeongin auf und wartete, bis er sein Gesicht gewaschen hatte.
„Ich bringe dich nach Hause, so weit ist es ja nicht."
Dankbar nickte der Jüngere und tastete sich dann an der Wand entlang zur Tür. Ich seufzte und folgte ihm, fasste ihn draußen um die Taille und so verließen wir die Party fast schon unauffällig. Ich sollte Jisung später eine Nachricht schicken, die er sowieso erst morgen lesen würde.
„Minnie?"
„Mhm?" Ich zog Jeongin näher zu mir, da er gefährlich strauchelte, als er den Bürgersteig entlanglief und ich um jeden Preis vermeiden wollte, dass er sich ernsthaft verletzte.
„Sag mal... magst du Chan?"
Es verwirrte mich, dass er mir gerade jetzt, zwei Uhr nachts, diese Frage stellte und da ich selbst schon nicht mehr nüchtern war, kam meine Antwort wohl ein wenig voreilig und unbedacht. „Klar. Er ist echt heiß."
Doch der Junge mit dem weißblond gefärbten Haar schüttelte den Kopf und nuschelte dann. „Isch meine- so rischtig gernhaben. Du liebst ihn oder?"
Etwas schockiert sah ich Jeongin an und versuchte dann den Kopf zu schütteln, doch es wurde dann nur ein Achselzucken und am Ende fühlte ich mich hilflos und durchschaut. Auch wenn ich eigentlich nie wusste, wie ich meine Gefühle für andere Menschen in Worte packen sollte, so merkte ich, dass meine Empfindungen definitiv nicht normal waren. Und so wie ich von dem Dämon bereits abhängig war, konnte man vielleicht schon davon sprechen, dass ich ihn liebte. Auf meine eigene, recht kranke Art und Weise war er alles, was ich mir von einem Beschützer und Liebhaber wünschte. Er war eine sichere Konstante in meinem Leben und diese wollte ich nicht wieder hergeben.
„Ich- ich brauche ihn so sehr", flüsterte ich heiser und war nun selbst den Tränen nahe. Wir standen nun mitten auf dem Bürgersteig, noch immer keine zwanzig Meter von Jacksons Haus entfernt und sahen uns einfach an. Jeongins Augen waren erstaunlich klar, trotz dessen, dass er eigentlich ziemlich betrunken war und er nickte verstehend.
„Das weiß ich, Minnie."
„Was ist denn hier los? Seungmin?" Ich zuckte kurz zusammen, als mich die Stimme ansprach, die ich schon einmal gehört hatte. Dann drehte ich mich zur Seite und erkannte wenige Schritte neben uns Christian, der prüfend zwischen uns hin und her sah. Wir mussten ein komisches Bild abgeben. Mitten auf dem Gehweg stehend, uns halb umarmend, was aber auch als gegenseitiges Abstützen gewertet werden konnte.
„Kann ich euch irgendwie helfen?", fragte der Jüngere und blickte dann zu Jeongin, der sich von mir löste und leicht zur Seite taumelte. Sogleich streckte er einen Arm aus, um ihn notfalls stützen zu können.
„Ähm- naja, keine Ahnung", murmelte ich und zuckte schon wieder überfordert die Schultern. Doch da sprach der Junge mit dem dunkelbraunen krausen Haar schon weiter. „Wart ihr auch auf Jacksons Party?"
Ich nickte und hatte somit auch die aufkeimende Frage beantwortet bekommen, die ich wohl als nächstes gestellt hätte. Und da ich wirklich froh darüber wäre, wenn noch jemand mitkam, der offenbar nicht so viel getrunken hatte, fragte ich dann leise. „Wäre es okay, wenn du mir hilfst, Jeongin nach Hause zu bringen? Ich komme dann schon allein zu mir, aber zumindest die kurze Strecke zu ihm? Es geht Innie nicht so gut."
Christians Augen huschten wieder zu Jeongin, der nun brummend versuchte zu demonstrieren, dass er noch vollkommen selbstständig laufen konnte und keine Hilfe brauchte.
„Aber klar, Seungmin." Schon hechtete Christian nach vorn und zog Jeongin sanft am Kragen zurück, bevor dieser noch Bekanntschaft mit der Bordsteinkante machte. „Oh man, wie viel hat er denn getrunken?"
Ich trat die wenigen Schritte zu ihnen und kicherte dann angeheitert. „Keine Ahnung, ich hab nach dem fünften Shot aufgehört zu zählen... oder waren es nach dem Sechsten?"
Auf einmal wirkte der Alkohol stärker. Wahrscheinlich hatte ich mich bis gerade eben nur so sehr zusammengerissen, um Innie heil zu sich zu bringen, aber jetzt ging das nicht mehr so gut.
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„Soll isch noch mit reinkommen, Innie?", lallte ich und umarmte meinen Freund fest, als dieser gerade versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu schieben. Schließlich erbarmte sich der Schlüssel und öffnete die Tür für unseren Jüngsten, der sich mit einem Kichern und einem folgenden, nicht gerade leisen „Pschhhhht" die Schuhe von der Füßen trat und in den Flur schwankte.
„Muscht du nischt, Minnie", summte er und ich streichelte über seine Taille, bevor ich mit einem angetrunkenen Lächeln folgenden Satz hervorbrachte.
„Schaffst du es denn, disch alleine auszuziehen?" Im Augenwinkel erkannte ich Christians verwirrte, vielleicht auch leicht verstörte Miene und löste mich dann doch von Jeongin. Aber drückte ihm noch ein Küsschen auf die Wange und trat dann wieder zurück. „Gute Nacht, Innie. Melde disch morgen."
Nachdem mein Kumpel ein letztes Mal niedlich gewinkt hatte, schloss er die Tür und ich seufzte irgendwie benommen von dem Alkohol. Dann erinnerte ich mich an Christian und sah zu ihm hinüber.
„Danke für die Hilfe", murmelte ich und wollte ihn nun von seinem Dienst erlösen. „Jetzt habe isch dich lange genug aufgehalten. Du solltest auch nach Hause."
Dieser lachte nur und schüttelte den Kopf. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich in diesem Zustand allein nach Hause laufen lasse. Sonst finde ich dich morgen im nächsten Busch schlafend", zog er mich auf und ich schmollte.
„Hey! Isch schaffe das", verteidigte ich mich und ließ aber zu, dass sich der Braunhaarige langsam in Bewegung setzte und den Weg in Richtung meines Elternhauses einschlug.
„Das werden wir ja sehen", meinte der Jüngere herausfordernd und drehte sich mit einem breiten Grinsen zu mir um und als ich ihm die Zunge herausstreckte, erwiderte er die Geste und kicherte. Dann aber folgte ich ihm und einige Minuten liefen wir schweigend die recht dunkle Straße entlang. Es war immer noch erstaunlich mild und auch die Grillen waren noch nicht müde und zirpten leise in den Hecken der Gärten.
Mein Alkoholpegel war wohl genau richtig, denn meine Laune war schon den ganzen Weg über recht ausgelassen und ungewöhnlich fröhlich. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich den Weg nicht allein zurücklegen musste.
„Wie geht es dir eigentlich?" Ich betrachtete Christian von der Seite und stellte fest, dass seine Blessuren besser aussahen. Zwar verfärbten sich die Prellungen langsam, doch anscheinend hatte er es gut überschminkt. Nun drehte der Braunhaarigen sich zu mir und meinte dann ruhig.
„Schon besser, Dank deiner tollen Verarztung verheilt alles."
Fast schüchtern winkte ich ab und erwiderte schnell, bevor ich auch noch rot werden konnte. „Das hätte doch jeder getan. Nicht der Rede wert."
„Das denke ich nicht, Seungmin, Nicht jeder hätte mir so geholfen wie du", stellte Christian klar und stoppte dann vor meinem Elternhaus. Er blickte mich direkt an und etwas daran fühlte sich fast schon intim an. Aber ich verdrängte den Gedanken sofort wieder und schloss die Tür auf.
„Kann ich noch kurz was zu trinken haben? Dann mache ich mich auch auf den Weg nach Hause", fragte der Jüngere und ich nickte ihm zu.
„Klar, kein Problem. Leise sein müssen wir eigentlich nicht. Mein Vater hat Nachtschicht und meine Mutter... naja, keine Ahnung wo sie wirklich ist. Sie meinte nur, dass sie die nächsten Tage nicht da ist."
Gott sei Dank hielt die Niedergeschlagenheit über diese Aussage nur einige Sekunden an bevor sich mein Kopf wieder luftig leicht anfühlte und ich die Tür aufstieß. Meine Schuhe fanden ihren Weg auf den Abtreter und dann lief ich schon zur Küche, um dann noch über die Schulter zu fragen. „Was möchtest du trinken? Wir haben Limo, Wasser, Saft, keine Ahnung was sonst noch."
„Wasser reicht vollkommen", kam die Antwort prompt und Christian folgte mir. Er stoppte erst, als er Berry sah, der nun aus meinem Zimmer getapst kam und bei unserem Anblick nun seinen Kopf schieflegte und dann ganz sacht mit dem Schweif wedelte.
Dann aber stellte sich sein Fell auf und er trat näher zu mir. Christian hingegen schien plötzlich wie versteinert und selbst in meinem benebelten Zustand verstand ich.
„Oh, hast du Angst vor Hunden? Er ist sehr brav und tut keinem was. Ich kann ihn aber auch in mein Zimmer bringen, wenn du möchtest."
Doch schnell hatte sich Christian wieder gefangen und schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut. Ich- ich gewöhne mich gerade daran. Bei einem so kleinen Hund sollte es eigentlich gehen. Nur große sind etwas problematischer", scherzte er halb und hockte sich dann sogar auf den Boden und streckte zögernd die Hand nach Berry aus.
Erneut wedelte dieser sanft mit dem Schweif. Selbst seine sonst eher überschwänglichen Begrüßungen unterließ er, wahrscheinlich weil er auch merkte, wie unsicher Christian war. Ich rechnete es dem Hund hoch an und beschloss, ihn später dafür ausgiebig zu streicheln.
„Hier, dein Wasser." Ich reichte ihm das randvolle Glas, als er wieder aufgestanden war und trat dann zurück zur Spüle, um mir selbst mehr non-alkoholische Flüssigkeit zukommen zu lassen.
„Dankeschön. Du bist tatsächlich ein sehr führsorglicher Mensch."
Ich lächelte und war irgendwie stolz, dass man meine Qualitäten als Freund und Gastgeber doch zu schätzen wusste.
„Tia, manchmal kann ich sehr nett sein. Bei meinen Freunden und Leuten, die mir wichtig sind, fällt mir das irgendwie leicht", meinte ich und schnappte mir auch ein Glas aus dem Schrank.
„Ja, das habe ich vorhin schon gesehen", foppte Christian mich und setzte dann aber hinzu. „Deine Freunde können sich sehr glücklich schätzen, so einen hilfsbereiten und treuen Menschen bei sich zu wissen. Sicher genießen sie deine Anwesenheit sehr."
Summend ließ ich das Glas volllaufen und meinte dann geradeheraus.
„Ja, doch, ich denke, sie wissen das. Sie sind ebenso fürsorglich mir gegenüber. Sie wissen dass ich es nicht immer einfach hatte. Sie sind dennoch für mich da und geben mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein."
„Macht Chan das auch?"
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