Ein Grabmal der ewigen Liebe
Als ich meinen Blick vom Boden löste, der sich endlich aufhörte um mich zu drehen, riss ich die Augen auf und gab einen überraschten Laut von mir.
Majestätisch erhob sich ein rein weißer Palast vor mir und schien in der strahlenden Sonne des anbrechenden Morgens zu baden. Die vier Türme die an den Ecken den Hauptbau begrenzten, ragten in den Himmel und lenkten den Blick dennoch direkt zu der großen Kuppel in der Mitte. Diese spannte sich prächtig über das Hauptgebäude und ragte noch höher in das helle Blau des Morgens. Direkt vor meinen Füßen, höchstens zwei große Schritte entfernt, begann ein Wasserbecken, das mit klarem Wasser gefüllt war. Dieses Becken war lang und schmal, wurde auf beiden Seiten von dem Weg umschlossen, der wiederum von kleinen perfekt zurechtgeschnittenen Bäumen gesäumt wurde. Selbst in dem sauberen Wasser erkannte man die Spiegelung des prachtvollen Baues, der sich vor uns erstreckte.
Alles um uns herum hatte ich ausgeblendet. Ich wollte die Schönheit des Moments genießen und jedes Detail, das mir auffiel abspeichern. Selten war ich von einem Gebäude so fasziniert und eingenommen gewesen, doch dieses hier war jeden Blick wert. Es sah so vollkommen aus. So rein weiß und frei von Makel.
Es war als könne ich mich nicht sattsehen und doch machte ich jetzt einen Schritt nach vorn. Kurz sah ich in die Spiegelung des Wassers und entschied mich dann, links am Becken vorbeizugehen und endlich näher an dieses Monument der Zeit zu gelangen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Changbin neben mir her schritt und immer wieder einen belustigten Blick in Richtung meines Gesichts warf.
„Und gefällt dir der Taj Mahal?"
„Gefallen", nuschelte ich vor mich hin und schüttelte dann den Kopf bei dieser schamlosen Untertreibung. „Er ist atemberaubend."
„Oh. Dann sollte ich wohl schleunigst nach einem Sauerstoffzelt für dich fahnden", scherzte der Dämon und kicherte als ich ihm einen schnellen Seitenblick zuwarf, der ihm sagen sollte dass ich jetzt keine Zeit für seine Witze hatte.
Mittlerweile lief ich mit angemessenen Schritten auf das Hauptgebäude zu und erfreute mich noch immer an dem weißen Schimmer, der über dem gesamten Anwesen lag. Auch die Kombination von geformter Natur und Gebäude waren unbeschreiblich schön.
Abrupt blieb ich stehen und sah dann doch eher misstrauisch hinüber zu meinem Begleitdämon.
„Warum hast du mich hierhergebracht?"
Changbin lachte und zuckte dann die Schultern. "Wie gesagt. Ich dachte es könnte dir gefallen. Außerdem wollte ich irgendwo hin, wo ich nicht gleich wieder mit dir vögeln kann. Auch wenn dein Anblick sehr verlockend ist."
Er wollte mir also sagen, er habe mich kurz nach Indien gebracht nur um nicht Gefahr zu laufen wieder mit mir im Bett zu landen? Eine wirklich lausige Ausrede. Aber ich kam auch nicht hinter die wahre Bedeutung seiner Aussage also beschloss ich, sie so hinzunehmen. Dennoch konnte ich mir die Frage nicht verkneifen.
„Und deshalb bringst du mich hierher? Machen wir jetzt eine Sightseeing Tour?", scherzte ich mit einem fast spöttischen Lächeln und wandte mich wieder dem Bauwerk vor mir zu.
„Der Taj Mahal hat mehr zu bieten als sein schönes Aussehen", meinte Changbin mit einer Stimme als würde er mich gleich belehren wollen. "Was weißt du über dieses Kunstwerk?"
Seine Frage ließ mich leicht ratlos zurück, da ich zwar wusste wie der Bau vor mir hieß und wo er auf dieser Welt zu finden war, doch sehr viel mehr bot mir mein Gehirn an Informationen auch nicht an. Es nervte mich etwas, dass ich ihm nicht adäquat antworten konnte, deshalb seufzte ich eher unwillig und zuckte mit den Schultern.
„Viel mehr als den Namen und den Standort kenne ich nicht Changbin."
Seine Augen leuchteten kurz auf und dann griff er tatsächlich nach meiner Hand. Er führte mich weiter den Weg entlang auf das weiße Gebäude zu und dann begann er zu sprechen.
„Das was du hier vor dir siehst ist eigentlich nur ein einfacher Ziegelbau. Nichts Besonderes. Erst seine Verhüllung macht ihn zu etwas Außergewöhnlichem. Der gesamte Baukomplex wurde mit Marmorplatten bedeckt und erst deshalb strahlt er in diesem unvergleichlichen Weiß. Aber nicht nur das. Es gibt weitaus mehr zu sehen, weitaus mehr Reichtum zu bestaunen. Neben dem weißen Marmor ließ man auch schwarzen und gelben Marmor verwenden und als wäre das noch nicht genug Verschwendungssucht wurden Edelsteine in den Marmor eingesetzt, um alles noch mehr strahlen zu lassen."
Mittlerweile schritten wir gemeinsam auf den Eingang des Bauwerkes zu und ich bestaunte die Schönheit jetzt aus der direkten Nähe.
„Erzähl mir mehr", bat ich und setzte noch hinzu. „Ich will alles wissen."
Anstatt sich über meine letzte Bemerkung lustig zu machen, sprach Changbin mit seiner angenehmen Stimme weiter. „Der Taj Mahal ist ein Mausoleum, also eine Grabstätte. Genau genommen wurde er für nur eine einzige Person errichtet. Mumtaz Mahal. Die erste Frau und große Liebe von Shah Jahan. Er war eine längere Zeit Herrscher des Mogulenreichs. Shah ist übrigens persisch und bedeutet soviel wie König der Welt. Deshalb hatte Shah Jahan mehr als genug Güter und Mittel seiner Frau nach ihrem Ableben diese prunkvolle letzte Ruhestätte zu errichten."
Mit großen Augen sah ich zu ihm hinüber und wich dann einer kleinen Gruppe Touristen aus, die sich in einer fremden Sprache unterhielten. Noch waren nicht viele Leute zu sehen und ich vermutete, dass es an der frühen Uhrzeit lag. Die Zeitverschiebung von den Vereinigten Staaten bis hierher nach Agra musste ungefähr einen halben Tag betragen, wenn ich mich nicht irrte. Doch ich wollte Changbin auch nicht unterbrechen, da es viel zu spannend war ihm zuzuhören und mehr über diesen Herrscher zu erfahren.
„Wann hat dieser Shah Jahan denn gelebt?"
„Er wurde 1592 geboren, soweit ich es in Erinnerung habe. Sein Leben war wie das bei Prinzen so üblich ist ein Auf und Ab an Kämpfen und Machtdemonstrationen. Jedoch war er ein sehr fähiger Heerführer und konnte einige Schlachten für sich entscheiden. Nur bei den Rebellionen gegen seinen eigenen Vater versagte er immer wieder aufs Neue. Obwohl dieser es durchaus verdient hatte durch einen starken, jungen Mann ersetzt zu werden. Doch wie das bei Vätern so ist, ruhen sie sich gern auf ihrer Macht aus. Sie glauben ihr Status allein würde ausreichen um ewig zu herrschen." Ein scharfer Ton der Missbilligung schwang in seinen Worten mit und ich verstand nicht ganz warum.
„Aber scheinbar hat er es ja geschafft Shah zu werden. Hat er also seinen Vater doch besiegt?"
Changbin schüttelte den Kopf und schien sich erneut auf die Erzählung zu fokussieren. „Nein, sein Vater ernannte seinen Halbbruder zum Shah und starb bald darauf. Jahan ließ seine Brüder und den Shah selbst ermorden, um die Regierung zu übernehmen. So hat am Ende zumindest er sein Ziel erreicht."
Verstehend nickte ich und sah mich nun staunend in dem hohen Saal um, den wir soeben durch die Eingangstür betreten hatten. Ehrlich gesagt wusste ich nicht mal so recht wie wir hier ohne Schwierigkeiten und Eintritt zu zahlen hineingekommen waren aber es hatte wohl seine Vorteile einen Dämon als Begleitung zu haben. Etwas schlecht fühlte ich mich ja schon, doch da ich Changbin jetzt auch nicht darüber belehren wollte, dass man sich nicht einfach so Zutritt zu Gebäuden verschaffte, schwieg ich und betrachtete die kunstvoll behauenen Gesteinsplatten, die jeden Zentimeter des Raumes verkleideten. Wir durchschritten einen langen Gang und betraten nun den Teil des Gebäudes, der offensichtlich genau unter der eindrucksvollen Kuppel lag, da hier die Decke unglaublich hoch war. Durch die Fenster fiel die Morgensonne in den Raum und hinterließ auf dem Boden ein Schauspiel an Lichtpunkten.
„Du meintest vorhin er habe das alles für seine Frau errichtet. Dann muss er sie wohl sehr geliebt haben." Ich sah ihn bei meinen Worten nicht einmal an, da ich bereits wusste, dass es ihn wohl wenig interessierte was dieser Herrscher aus einer Gefühlsregung heraus entschieden hatte. Dennoch überraschte mich seine Antwort.
„Das hat er. Über alles sogar. Er war 19 Jahre mit ihr verheiratet. Sie hatten gemeinsam 14 Kinder. Er hat sie sogar auf seine Kriegszüge mitgenommen, um nicht von ihr getrennt zu sein. Das grenzt entweder an Besessenheit oder wie du es so nett bezeichnet hast an aufrichtige Liebe. Sie starb bei der Geburt ihres 14. Kindes."
„Oh- das klingt wirklich tragisch."
„Mag sein. Aber der Tod macht vor niemandem Halt. Noch sollte man sich anmaßen wollen ihn zu umgehen oder ihn auszutricksen."
Ich verstand sehr gut was er meinte und lächelte irgendwie traurig. „Er gehört zum Leben. Je eher man sich damit abfindet desto leichter fällt es schließlich loszulassen und die Person in einer guten Erinnerung zu behalten." Natürlich dachte ich dabei an meinen Vater aber ich wollte diesen Augenblick nicht mit schlechter Laune verderben.
„Genau das habe ich ihm auch gesagt", meinte Changbin, der dicht neben mir zum Stehen gekommen war und nun gemeinsam mit mir auf die beiden Särge sah, die je auf einer Marmorplattform thronten und davon zeugten, dass die beiden Liebenden zumindest im Tod die Vereinigung gefunden hatten. Die beiden Särge wurden abgeschirmt von einer achteckigen Trennwand, die sich filigran und äußerst elegant um den mittigen Sarg von Mumtaz Mahal spannte. Das Grab ihres Mannes lag links von ihr.
„Wem hast du das gesagt?", fragte ich verwirrt.
„Shah Jahan. Er wollte, dass ich seine Frau zurückbringe. Er wollte einen Handel eingehen. Am Ende hat er mich sogar angefleht sie nur ein letztes Mal im Arm halten zu dürfen."
Geschockt sah ich ihn an und blinzelte im nächsten Moment verwundert. „Warum hat er gerade dich gerufen? Ich meine du bist doch kein Dämon, der Verträge mit den Menschen schließt, oder?" Es kam mir zunächst seltsam vor, doch seine folgende Erklärung klang einleuchtend.
„Stimmt, das tue ich normalerweise nicht. Zunächst hatte er mich nur gerufen, um die Erinnerungen an seine Frau für die Ewigkeit in seinem Geist weilen zu lassen. Er wollte sie nie vergessen, was rückblickend für ihn jedoch eher schädlich als heilsam war. Als er aber sah, dass ich ihm diesen Wunsch tatsächlich erfüllte, wollte er mehr. Er flehte mich an, ich solle sie ihm zurückbringen und ich sagte nein." Changbin sah hinab auf das Grab der Frau und wandte sich dann zu mir um.
„Nicht alle Menschen können ihr Schicksal akzeptieren. Einige wehren sich gegen die bestehende Ordnung. Nur um irgendwann zu erkennen, dass es sie nicht von Leid oder Trauer fernhält."
Behutsam, so als könnte ich jemanden stören, trat ich näher an die Marmorplattform. „Du sagtest, es ging dem Shah durch die Erfüllung seines Wunsches nicht besser. Warum?"
„Er hat mich darum gebeten seine Frau nie zu vergessen und das hat er auch nicht. Doch wenn die Erinnerungen ständig präsent in deinem Kopf sind, kannst du auch nie loslassen. Der Herrscher hat sich zwei Wochen lang nicht um die Staatgeschäfte gekümmert. Hat niemanden empfangen und selbst nach dieser Frist hat er eine zweijährige Staatstrauer erwirkt. Sein Gram ging so weit, dass er sich selbst alle Freuden des Lebens versagte. Er hörte keine Instrumentalmusik, trug keinen Schmuck oder kostbare Gewänder und aß keine reichhaltigen Mahlzeiten."
Je mehr er mir von dem traurigen Schicksal des Shahs berichtete, desto mehr bedauerte ich diesen Mann, den ich noch nicht einmal kannte. Der Gedanke, der sich präsent in meinem Hirn festsetzte war, dass er seine Frau wirklich geliebt haben musste. Sie musste ihm alles bedeutet haben wenn er sogar bereit war einen Handel mit einem Dämon zu riskieren. Doch er war durch seine Trauer auch unvorsichtig geworden und hatte sich etwas gewünscht, dass ihn schlussendlich noch mehr quälte.
„Mit euch Geschäfte zu machen hat immer einen Haken, oder?"
Changbin sah mich beinahe ausdruckslos an, dann hob sich sein Mundwinkel und es war ein schmallippiges Lächeln, das so wirkte als würde er jemandem gegenüberstehen, der die Kernaussage nicht verstanden hatte.
„Meistens ja. Wir tun nichts ohne Gegenleistung und dennoch betrügen wir euch nicht. Wir führen das aus, was ihr uns auftragt. Wir erfüllen unseren Teil. Auf das Kleingedruckte und die Risiken achten die Wenigsten und wir sind nicht verpflichtet euch darauf hinzuweisen wenn ihr ins offene Messer lauft."
Ich hatte es geahnt. Man sollte immer gut aufpassen, wenn man sich mit dem Bösen einlässt. Aber diesen Fehler hatte ich ja bereits begangen.
Betont ruhig blickte ich mich in dem Raum um, in dem wir uns befanden und erkannte noch mehr von dem vorhergesagten Prunk. In der Platte direkt vor mir waren kleine rote Edelsteine eingelassen und sie funkelten im einfallenden Licht. Sie waren blutrot und ließen den umliegenden weißen Stein ebenfalls leicht rötlich erscheinen.
„Das ist Blutjaspis. Ich sagte ja, der Shah hat keine Kosten gescheut. Immerhin etwas, dass er für seine Frau tun konnte. Sie nach ihrem Tod mit Reichtum überhäufen."
„Wenn man König der Welt ist wird man sich das wohl leisten können", meinte ich scherzend und sah mir noch einige kleinere Edelsteine an, die schwarz glänzten. „Was sind das für welche?", fragte ich interessiert und er sah mir über die Schulter.
„Onyx. Und bevor du fragst es finden sich hier auch Diamanten, Saphire, Kristall, Lapislazuli und ein paar andere mehr oder minder wertvolle Steinchen."
Immer noch ergriffen von der Geschichte des Gebäudes und auch seiner Vollkommenheit, lief ich weiter und betrachtete alles ganz genau. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her und ich genoss die Stille. Durch sie fühlte ich mich allem hier näher, konnte es mit allen Sinnen erfassen und mich ganz darauf einlassen. Als wir schließlich wieder draußen vor dem prachtvollen Taj Mahal standen, sah ich hinauf zu der weißen Kuppel, die dem Gebäude sein unverkennbares Aussehen verlieh.
Dann blickte ich auf den Fluss, der nahe des Gebäudes gemächlich dahinfloss und erkannte auch hier eine Spiegelung in den dunklen Fluten. Allerdings sah der Taj Mahal im Wasser des Flusses eher schwarz als weiß aus und aufgeregt über diese Entdeckung zupfte ich an Changbins Hemdsärmel.
„Sieh mal." Ich deutete auf das Wasser und er folgte meinem Blick, bevor sich ein mildes Lächeln auf seine Lippen legte und er mich ansah.
„Dann hast du den letzten Teil der Geschichte ja schon selbst erkannt. Es gibt eine Legende, dass der Shah für sich selbst ein identisches Bauwerk auf der anderen Seite des Yamuna errichten wollte. Mit dem Unterschied, dass er dafür schwarzen Marmor verwenden wollte. Ein solches Bauwerk kam nie zustande und doch heißt es, dass es existiert und zwar durch die Spiegelung des weißen Taj Mahal."
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Mit einem leichten Ziehen in der Magengegend und doch unglaublich begeistert, kam ich in meinem eigenen Zimmer zum Stehen, während mich Changbin noch immer festhielt. Er sah auf mich herab und schien zu warten ob ich etwas sagen würde. Doch stattdessen schlang ich meine Arme um seinen Nacken und küsste ihn mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen. Dann sah ich ihn an und sagte die Worte, die ich aus tiefstem Herzen auch so meinte.
„Danke Changbin. Danke für den schönen Tag."
Wieder sah ich dieses Lächeln. „Gern geschehen. Wir sehen uns Felix." Dann drückte er seine Lippen erneut gegen meine und schob mich dann minimal von sich. Im nächsten Moment war er verschwunden.
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Bevor ihr euch wie bei X-Factor fragt ob die Story zum Taj Mahal wahr ist. Ja, ist sie. Ausgenommen der Part mit Changbin. Aber hey, ich will euch entertainen. Ich darf das. 🤣
I love you. 💖
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