Ehrliche Empfindungen

Felix Pov:

Seit Jisungs Eltern wieder da waren, erschien es mir zu heikel, mit den anderen zu ihm zu gehen in seinem Zimmer über die Dämonen zu reden. Außerdem wäre es nur eine Frage der Zeit, bis es seinen Eltern seltsam vorkommen würde, dass wir viel mehr drin hockten und nicht wie früher in der Gegend herumstreiften oder uns ausgelassen am Pool unterhielten. Unsere aktuellen Themen waren zu brisant, um jeden mithören zu lassen.

Deshalb hatte ich heute entschieden, die alte Bibliothek als Treffpunkt vorzuschlagen und uns dort einen ruhigen Ort zu suchen. Da ich auch nicht einfach so in Jungkooks privaten Räumen herumlungern wollte, entschied ich mich für die Geschichtsabteilung, die mit gemütlichen Sesseln ausgestattet war.

Ich war derjenige gewesen, der den anderen heute Vormittag eine kurze Nachricht geschickt und vorgeschlagen hatte, hierher zu kommen. Schon seit meinem Erwachen heute Morgen hatte ich ein komisches Gefühl, so als wäre etwas nicht in Ordnung und ich war mir nicht ganz sicher, ob es durch die Offenbarung Lucifers kam, oder ob mehr dahinter steckte. Jedenfalls lief ich etwas ziellos zwischen den Regalen umher, bis ich mich entschloss, schon einmal einige der Sessel näher zusammenzurücken und sie abzuklopfen, um den Staub loszuwerden.

Diesmal waren wir nicht alle gemeinsam an der Bibliothek angekommen, wie sonst üblich. Ich traf als erster ein und vermutlich hatten meine Fähigkeiten mir geholfen, schneller hier zu sein. Immer noch grübelte ich über die Dinge nach, die ich gestern Abend erfahren hatte und versuchte abzuwägen, was ich den anderen erzählen sollte und was nicht. Sie würden sich nur zusätzliche Sorgen machen, wenn sie von alledem erfuhren.

„Oh, hey, du bist ja schon da." Schwungvoll drehte ich mich um und erblickte Jeongin und Seungmin, die wohl zusammen hergelaufen waren. Der Jüngere lächelte zaghaft und ich bemühte mich, es zu erwidern.

Verdammt, noch immer war ich so unsicher, was ich ihnen anvertrauen sollte. Wäre es nicht zu viel des Guten, wenn sie wüssten wer Changbin wirklich ist? Was ist, wenn sie Angst bekommen und dann etwas Unüberlegtes tun? Ich wusste ja selbst nicht genau, was ich tun oder wie ich mich richtig verhalten sollte. Aber sie mussten es erfahren. Ich konnte sie nicht aus reiner Herzensgüte vor der bitteren Wahrheit schützen.

„Hey ihr beiden." Einladend deutete ich auf die Sessel und schob eines der vier klobigen Möbelstücke noch etwas näher, sodass wir uns leise unterhalten konnten und uns nicht zubrüllen mussten, um uns zu verstehen.

Dann prüfte ich kurz die Uhr meines Handys und runzelte die Stirn. „Habt ihr Jisung auf dem Weg hierher nicht gesehen?"

Sowohl Seungmin als auch Jeongin schüttelten den Kopf. Es breitete sich eine unangenehme Stille aus und ich sah nochmal auf unseren Chat, den er vorhin, nachdem ich allen geschrieben hatte, nur knapp mit einem Ja beantwortete. Ich entschied mich dazu, noch eine Weile zu warten. Möglicherweise war er von jemandem aufgehalten worden.

„Ist bei euch alles in Ordnung?", fragte ich sanft und beobachtete Jeongin und Seungmin genau. Seungmin war in den letzten Tagen recht still gewesen, doch gerade funkelten seine Augen wieder lebendig und als ich einen Blick auf seinen Hals warf, entdeckte ich neben dem Seidenband einige dunkelrote Flecken, deren Bedeutung ich nur allzu gut kannte. Meine Augen ruhten nun auf Jeongin, der teilweise abwesend, ja fast schon zerstreut wirkte. Bei ihm konnte ich nicht einschätzen, ob es an Hyunjin lag oder ob noch mehr auf seinem Gemüt lastete. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich mich ebenfalls so gravierend verändert hatte, seit die Dämonen aufgetaucht waren – wenn man einmal von meinen Naphilfähigkeiten absah.

„Ja, doch... es ist alles okay." Jeongin verschränkte seine Finger und blickte auf sie hinab, während Seungmin nickte und dann zurückhaltend anfügte. „Ist nur ungewohnt, sich hier zu treffen. Ich meine, sonst sind wir in unseren Ferien einfach schwimmen gefahren oder haben uns zu einem Shoppingtag verabredet... und jetzt sitzen wir hier und quatschen über Wesen aus der Hölle."

Er strich sich fahrig durchs Haar und überraschte mich fast schon mit seiner Mitteilsamkeit. „Und was hat es uns bisher gebracht? Nichts. Wir sind keinen Schritt weiter. Wir wollten sie erst loswerden, worin wir ja grandios gescheitert sind. Dann wollten wir sie besser kennenlernen und verstehen. Super, jetzt haben wir Verrückten wohl auch noch Gefühle für diese kalten, tödlichen Arschlöcher entwickelt und im Moment sitzen wir hier und sind genauso weit wie am Anfang. Nur das wir weniger wir selbst sind als zuvor. Wirklich großartig."

Plötzlich blinzelte er schon beinahe beschämt über seinen spontanen Ausbruch und die Emotionen, die einen tiefen Einblick in seine Gedanken gaben.

„Sorry, ich wollte nicht... ich meine, er bedeutet mir etwas und..."

Noch während Seungmin um seine Worte rang, stand ich auf und lief zu ihm.

„Mir geht es genauso", gestand ich sofort und selbst Jeongin wirkte ziemlich ergriffen. Ich ging neben Seungmins Sessel in die Hocke und legte eine Hand auf seine. „Aber wir können nicht aufgeben. Wir stecken da alle zusammen drin und ich werde mein Bestes tun, um euch zu beschützen. Ihr seid wie eine zweite Familie für mich." Ich griff auch nach Jeongins Hand und strich vorsichtig darüber.

„A-aber was sollen wir denn noch tun? Wir können doch eigentlich gar nichts machen und-"

Jeongin hielt im Sprechen inne und starrte in Richtung des Durchganges, der diese Sektion mit der Vorherigen verband. Auch ich hob den Blick und erkannte Jisung, der verloren und mit kleinen Schritten auf uns zukam. Seine Augen sahen furchtbar übernächtigt aus und seine gesamte Haltung war gebückt. Sogleich sprang ich auf, war mit wenigen Schritten bei ihm und legte einen Arm um seine Schulter.

„Ji? Was ist los mit dir? Ist etwas passiert?"

Träge blickte Jisung nun zu mir auf und am liebsten wäre ich zurückgezuckt, als ich in die stumpfen leeren Augen sah. Sie machten mir Angst und rasch drückte ich Ji in einen der breiten Sessel, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu sammeln.

„Ich-ich brauche einen Moment, okay Lix?" Sekundenlang schloss mein bester Freund die Augen und atmete tief durch. Er schien unglaublich müde zu sein und dennoch hielt ihn irgendetwas davon ab, seinem Körper Ruhe zu gönnen.

Schweren Herzens gab ich ihm etwas Freiraum, blieb aber in Reichweite, um sofort da sein zu können, wenn er meine Hilfe brauchte. Auch Seungmin und Jeongin tauschten einen besorgten Blick und wir verständigten uns stumm, Jisung nicht zu bedrängen, sondern ihm die Zeit zu geben, die er benötigte.

Dieser blinzelte nun schläfrig und öffnete dann doch schwerfällig seine Augenlider. „Ich- ich hab nicht viel geschlafen letzte Nacht", murmelte er und ich schnaufte leise. „Das sehe ich. Ist es wegen Minho? Hat er dich.. naja, also hattet ihr Sex?"

Stumm nickte der Ältere und ich knurrte verärgert. „Verdammt nochmal, er kann dich doch nicht so zurichten, nur weil es ihn befriedigt. Langsam geht er mir wirklich auf den Keks."

Jisung schob seine Hand sanft über meinen Unterarm und tätschelte ihn sanft, um mich aus meiner Schimpftirade, die ich schon minutiös geplant hatte, zu lösen. „Das ist es nicht. Er war nicht zu hart", nuschelte er. „Wir waren gestern zusammen unterwegs", fügte er im Flüsterton an, doch dann verfiel er plötzlich in Schweigen, so als würde ihm etwas das Sprechen verwehren und er starrte vor sich hin. Seine Mimik wurde immer besorgniserregender für mich und schließlich begann seine Unterlippe zu zittern.

„Ji, was ist passiert?", fragte Seungmin einfühlsam, der mittlerweile gemeinsam mit Jeongin neben mir hockte. 

Doch unser Freund antwortete nicht. Stattdessen passierte etwas, dass ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Dicke, runde Tränen kullerten über die weichen Wangen und ein leises Schluchzen löste sich aus Jisungs Kehle. 

Selbst mir brach bei diesem Anblick das Herz und ohne nachzudenken, schlang ich meine Arme um seinen Körper und drückte ihn eng an mich. Doch Sekunden später zuckte ich zurück und auch neben mir hörte ich ein schmerzerfülltes Zischen, als Jeongin seine Hand zurückzog.

Ungläubig sah ich zu Jisung, der nur noch mehr weinte und schützend die Arme um sich legte. Jedoch war das nicht der Grund, weshalb ich zurückwich. Schuld an dieser Tatsache waren die vielen kleinen Flammen, die um seinen Körper züngelten und sich über seine Haut zogen, als hätte man ihnen Brandbeschleuniger gegeben, um sich auszubreiten. Sie glommen so hell und purpurn, dass selbst ich die Wärme spürte. Mir hatten sie zwar kaum wehgetan, da meine Engelskraft die Gefahr gespürt hatte, doch auf Jeongins Hand bildeten sich bereits Brandblasen.

Ich wusste nicht, wem ich zuerst helfen sollte, doch da war Seungmin schon wieder näher zu Jisung getreten. Er hielt einen kleinen Sicherheitsabstand und sprach dann aber mit beschwichtigender Stimme auf ihn ein.

„Ji, beruhige dich bitte. Egal was passiert ist, rede mit uns. Erzähl uns alles. Wir bekommen das wieder hin, ich verspreche es." Nun erst wurde auch mir klar, dass die Flammen Jisung selbst nichts antaten. Denn weder schrie er vor Schmerz noch krümmte er sich oder versuchte die Flammen loszuwerden. Er sah sie höchstens panisch an, aber das war wohl verständlich. Also wandte ich mich schnell zu Jeongin und schnappte mir sein Handgelenk. Um seine Verbrennungen nicht unbeabsichtigt zu verschlimmern, nahm ich seine Hand vorsichtig zwischen meine beiden und fokussierte mich auf die Heilung.

Schon spürte ich, wie meine Energie in die Finger floss und ich runzelte die Stirn. Es kostete mich mehr Kraft als erwartet. Es fühlte sich an, wie damals als ich Seungmin von Christians Wunden geheilt hatte. Die Verätzungen seiner Haut waren ähnlich kompliziert zu schließen gewesen, wohingegen die Schnitte und Stiche mit dem Messer wesentlich leichter zu beheben waren. Aber dann verstand ich.

Das Feuer, das Jisung umgab, war nicht menschlich, nicht natürlich. Es stammte nicht aus dieser Welt und beanspruchte meine himmlischen Fähigkeiten mehr.

Was war nur mit ihm geschehen?

Als ich spürte, wie sich Jeongin entspannte und auch die Energie keinen Widerstand mehr fand, ließ ich seine Hand los. Die Haut war noch ein wenig rosig, aber nicht mehr verletzt. Stattdessen drehte ich mich rasch zu Jisung und Seungmin und konnte dabei zusehen, wie die Flammen um meinen besten Freund langsam erloschen. Ji saß zusammengekauert auf dem Sessel, dessen Sitzpolster nun versengt und schwarz war. Sein Körper jedoch schien unversehrt und zitterte nur noch. Auch Seungmin wandte sich gerade zu mir um und fragte stumm, was wir jetzt tun sollten.

Instinktiv spürte ich, dass die Gefahr vorüber war und ich mich meinem Freund ohne Probleme nähern konnte. Also hockte ich mich vor ihn und zog ihn nun von dem unbrauchbar gewordenen Sessel direkt in meine Arme. Zärtlich streichelte ich seinen Rücken und lehnte seinen Kopf an meine Schulter, sodass er sich ausruhen konnte.

„Jisungie? Kannst du uns erzählen, was passiert ist?", fragte ich so rücksichtsvoll wie möglich und drückte ihn enger an mich, als ich ein kurzes Aufwallen der Wärme verspürte, die von ihm ausging. Doch er schien wieder gefasster, denn er klammerte sich nur an mich und atmete tief durch.

„Ich-ich bin fast gestorben." 

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