Die Stille der See

Jeongins Pov:

Endlich war ich zuhause. Der Schultag war heute wirklich lang und nervenaufreibend gewesen. Jedenfalls hatte ich eigentlich nur noch Lust, mich ins Bett fallen zu lassen und irgendetwas zu zocken oder einfach Videos zu gucken, bis ich einschlief. Dementsprechend begrüßte ich meine Eltern nur flüchtig, lehnte das Essen ab, da ich bereits in der Schule zu Mittag gegessen hatte und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Allerdings wusste ich in der Sekunde in der ich die Tür öffnete, dass mein Tag wohl doch nicht so ruhig und entspannt werden würde, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Denn mein Bett wurde bereits okkupiert und zwar von niemand Geringerem als einem Dämon höchstpersönlich. Dieser hatte sich lässig auf der Matratze ausgestreckt, die Beine überkreuzt und blätterte durch eines meiner Schulbücher. Ich sah auf den grünen Umschlag und wusste, dass es mein Geografiebuch war.

„Hallo Innie. Wie war die Schule?"

Wenn es nicht schon ungewöhnlich genug war, mit einem Dämon bekannt zu sein, dann war dieser Anblick und seine gerade gestellte Frage noch viel irrwitziger und absurder. Dennoch ließ es mich kurz lächeln, da er sich soweit für mich interessierte, dass er nach meinem Tag fragte.

„Es war ziemlich anstrengend", murmelte ich und warf meinen Schulrucksack unachtsam in die Ecke.

„Oh... warum denn das?" Ich glaubte fast so etwas wie Neugier aus seiner Stimme zu hören und drehte mich zu ihm um, während ich mein Oberteil tauschte. Zwar wurde ich ein wenig rot, aber ich versuchte es zu überspielen, als er mich vom Bett aus interessiert musterte und sich dann über die Lippen leckte. Also entschied ich mich dazu, ihm einfach die Wahrheit zu erzählen. „Naja, wir hatten Sport und dann auch noch Französisch und jetzt meinte unsere Klassenlehrerin auch noch, wir sollen uns für die Projektwoche ein Referatsthema aussuchen und ich habe absolut keinen Plan, was ich nehmen soll. Es gibt so viele Möglichkeiten und Ideen aber ich hab irgendwie das Gefühl, das nichts mich wirklich interessiert oder zu hundert Prozent zu meinen Vorstellungen passt." Mittlerweile hatte ich mir ein schlichtes hellgraues Oberteil angezogen und trat nun zum Schreibtisch, um meine Schulbücher auf diesem abzulegen. Deshalb merkte ich auch erst viel zu spät, dass Hyunjin aufgestanden war und nun direkt hinter mir stand. Erst als er seine Hände über meine Taille nach vorn schob, wurde ich mir seiner Präsenz bewusst und ich erschauderte.

„Dann habe ich eine großartige Idee, wie du für ein paar Stunden deinen verwirrten Gedanken und diesen lästigen Schulaufgaben entfliehen kannst", raunte der Dämon anzüglich. Seine Hände schlangen sich um meinen Bauch und zogen mich an ihn. Allein diese Berührung ließ mich angenehm erschaudern.

„Bitte Hyunjin- keinen Sex... Mir gefällt es ja auch, aber bitte", versuchte ich den verführerischen Teufel zu erweichen. Es war ganz sicher nicht so, dass ich keine Lust hatte mit ihm zu schlafen oder es nicht genoss wenn er mich anfasste. Viel eher hatte ich Angst, ich würde ihn dann wieder zu nahe an mich heranlassen. Ihn einfach alles tun lassen was er wollte und mich in seinen tiefblauen Augen und der Leidenschaft verlieren, die er jedes Mal auslöste. Diese Anspannung und Begierde würde mich nur zu Dingen treiben, die ich nicht mehr beherrschen konnte.

Nun wollte ich mich zu ihm umdrehen aber er kam mir zuvor und legte sein Kinn auf meine Schulter.

„Ich spreche nicht von Sex Innie.... Mach kurz die Augen zu." Seine Anweisung war unmissverständlich, doch ich traute ihm nicht. Ich schloss zwar die Augen aber wollte gerade dazu ansetzen, nochmal mit ihm zu schimpfen, da ich mir sicher war, dass er dennoch mit mir schlafen wollte. Doch plötzlich spürte ich ein Ziehen in meinem Körper. So als würde man sich zu schnell im Kreis drehen. Dann hörte ich ein sanftes Rauschen und die aufgeregten Schreie einiger Möwen.

Möwen? Wieso waren Möwen in meinem Zimmer. Schlagartig öffnete ich die Augen und schnappte überrascht nach Luft, als ich mich plötzlich außerhalb meines Zimmers auf einem Fels mitten in der Brandung des Ozeans wiederfand. Um mich herum war das Tosen der Wellen zu hören, diese schlugen an den abschüssigen und dunkeln Stein, auf dem ich stand und kleine kalte Spritzer der Gischt erreichten meine Beine. Direkt über mir war der strahlend blaue Himmel an dem die vielen Möwen kreisten und ihre lauten, etwas heiseren Schreie ausstießen.

„Und? Das ist doch schon viel besser als diese nervige Schularbeit oder?" Langsam drehte ich mich um und merkte jetzt erst, dass ich immer noch dicht an Hyunjin gepresst dastand. Nur jetzt hatte der Dämon keine braunen Augen mehr sondern wieder sein hübsches Meerblau. Als hätte er es eben mal an den Ozean unter uns angepasst. Sein Gesicht wirkte vollkommen entspannt und seine Hände hielten mich immer noch fest, sodass ich nicht stolpern und ins Wasser fallen konnte. Seine Haare waren nun offen und wurden vom Wind hin und her geweht. Es sah beinahe so aus als würden sie tanzen und sich mit dem Wasser freuen.

„Was... was machen wir hier?"

„Alles was du willst Kleiner. Ich dachte mir, du könntest eine kleine Entspannung vertragen. Wenn du willst, dann kann ich dir Orte zeigen, die normalerweise nicht so leicht zugänglich sind. Was denkst du? Gibt es einen solchen Ort, den du gern einmal besuchen möchtest?" Doch dann funkelten seine Augen plötzlich geheimnisvoll und er zog mich enger an sich. „Oder soll ich für uns entscheiden?"

Für einen Moment war ich überrascht von seinem Angebot aber entschloss mich dann, dass ich ihm in diesem Fall vertrauen konnte und sah ihn neugierig und mit einem leichten Kribbeln in der Magengegend an.

„Entscheide du."

Schon wieder glänzten seine Augen und er hielt mich noch ein wenig fester. „Dann schließ deine Augen wieder", hauchte er bestimmend und sobald ich dies getan hatte, kam dieses seltsame Ziehen erneut in mir auf. Alles um mich herum schien in Bewegung zu sein und ich blieb automatisch ganz nahe an Hyunjin gepresst. Diesmal hörte ich auch das Rufen einzelner Möwen, doch die Brandung schien hier weniger stark zu sein. Nur ein sanftes Schwappen des Wassers war zu vernehmen. Also öffnete ich die Augen und schloss sie fast sofort wieder, weil die Sonne diesmal erstaunlich stark schien und im Wasser vor uns reflektierte. Erst als ich mehrmals blinzelte, konnte ich die Umgebung erkennen und war fast enttäuscht über den Anblick.

Wir standen auf einem langen Pier, der recht verlassen schien und sahen hinaus auf eine Bucht. In der Mitte des Wassers spannte sich ein flaches weißes Gebäude über die Meeresoberfläche. Im Hintergrund lag eine Insel. Kurz sah ich mich verstohlen um, ob ich etwas an diesem Ort erkannte, musste dies aber verneinen.

„Wo sind wir hier?", fragte ich möglichst neutral und lief einige Schritte in Richtung Hafenkante. Ich kickte ein Steinchen vor mir her und erst als ich ein Kichern hörte, drehte ich mich wieder zu meinem persönlichen Begleitdämon um.

„Das ist ja fast schon enttäuschend Jeongin... Weißt du wirklich so wenig über die Geschichte deines Heimatlandes, dass du keine Ahnung hast wo wir hier sind? Sieh dich um." Mit einer ausladenden Handbewegung beschrieb er einen Halbkreis um uns herum und deutete so auf das Panorama. Seine Augen hatten dabei ein tiefes Sturmblau angenommen.

Wie gefordert, drehte ich mich langsam um mich selbst und versuchte irgendetwas zu finden, das mir vertraut vorkam. Der gigantische Pier schloss an eine breite Kaimauer an, die von sattgrünen Palmen und kleinen blühenden Büschen gesäumt wurde. Als ich nochmal genauer aufs Meer hinaussah, konnte ich erkennen, dass vor dem weißen Gebäude etwas aus dem Wasser aufragte und ich kniff meine Augen zusammen, um der tiefstehenden Sonne entgegenzuwirken. Das was hervorragte war rund und sah ziemlich verrostet aus. Als läge es schon lange dort. Und plötzlich glaubte ich, noch mehr zu entdecken.

Ich lief ein Stück den Pier hinab und reckte meinen Hals, um eine bessere Sicht zu haben. Und jetzt war ich mir ganz sicher. Das, was sich dort knapp unter der Wasseroberfläche als dunklerer Schatten abzeichnete, war ein Schiffswrack.

Doch leider konnte ich immer noch keine Verbindung zu einem geschichtlichen Ereignis herstellen und wandte mich deshalb zu dem Jungen mit den hellgrauen Haaren. Noch bevor ich sprechen konnte, kam er mir zuvor.

„Das ist nicht das einzige Schiffswrack, das in dieser Bucht liegt. Sie sind in die Geschichte Amerikas eingegangen. Sie bezeugen einen der schwersten militärischen Verluste der USA." Ein fast schon belustigter Ausdruck schlich sich auf seine Lippen, als er ebenfalls auf den dunkleren Fleck mitten im Ozean sah. „Aber ihr Menschen lernt es ja nicht. Euch kann man nicht mal mit Gewalt Einhalt gebieten."

Mit aller Kraft strengte ich meine grauen Zellen an und bemühte mich einen sinnvollen Rückschluss auf eine historische Begebenheit zu ziehen. Aber unter dem Druck, eine Antwort hervorzubringen, fiel mir plötzlich gar nichts mehr ein.

„Wo sind wir hier Hyunjin? Von welchem Ereignis sprichts du? Ich habe das Gefühl, ich hätte deine Worte schon einmal gehört und müsste es eigentlich wissen, aber es fällt mir nicht ein."

Der Dämon blickte gelassen hinaus auf das Wasser, betrachtete die spiegelglatte hellblaue Oberfläche und wandte mir dann wieder seine volle Aufmerksamkeit zu. Mit einigen geschmeidigen und lautlosen Schritten trat er zu mir, drehte mich so, dass ich ebenfalls hinaus auf das Wasser sah und legte seine Arme von hinten locker um meinen Oberkörper.

„Das hier Jeongin... das ist Pearl Harbour."

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Ich weiß, ihr werdet schon wieder mit einigen Fakten angefüttert aber diesmal habe ich sie in leicht verdaulichen Häppchen serviert. 💕

Noch einen Hinweis. Am Anfang des nächsten Kapitels werde ich den Song verlinken, den ich ziemlich häufig gehört habe, während ich die beiden heutigen Kapitel geschrieben habe. Nur falls ihr Lust habt, ihn auch anzuhören. Er ist aus dem Film Pearl Harbour und ich liebe die Musik von Hans Zimmer. 

Das könnte in Zukunft übrigens auch immer mal der Fall sein, dass ich euch die Musikstücke zuwerfe, die mich in den richtigen Mood für bestimmte Kapitel oder Szenen gebracht haben. 💖


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