Die Mutter des Hexenmeisters

„Es war nicht optimal, wie das gelaufen ist und wenn es nach mir ginge, hättest du ihn nie kennengelernt. Wie ich sehe hat er dir zwar vieles gesagt, aber dir wohl auch einiges verschwiegen, was von Bedeutung gewesen wäre."

Erbost schnaubte ich. „So wie du mir verschwiegen hast, dass du einen Sohn hast? Dass du ein Kind hast, das du selbst verleugnest und das du missachtest?" Ich kam gerade richtig in Fahrt, doch mein Kreislauf sagte mir, dass er meine Aufregung nicht mochte. Kleine schwarze Punkte tanzten auf meiner Netzhaut und ich ließ mich kraftlos zurück ins Kissen sinken.

„Die Information macht dich auch jetzt nicht glücklich... Warum hätte sie es davor tun sollen? Du hättest Fragen gestellt und Dinge wissen wollen, die dich nur noch mehr hätten nachdenken lassen. Ich wollte dich nicht belasten. Und ich habe mein Kind nicht verleugnet. Ich habe ihm angeboten, ihn zu trainieren, ihn aufzuziehen und seine Ausbildung zu beaufsichtigen. Wäre er bei mir geblieben, dann wäre er jetzt nicht nur ein überaus fähiger sondern auch ein vernünftiger Hexenmeister, doch er hat sich von dem Hass und dem Gerede seiner Mutter einhüllen lassen und die falschen Lehren daraus gezogen."

Ich wusste, ich würde diese Frage wahrscheinlich bereuen, aber es ließ mir keine Ruhe. „Hast du noch mehr Kinder?"

Chan schüttelte den Kopf. „Nein, Jeanne war die einzige Frau, die ich jemals geschwängert habe... und zu meiner Verteidigung, es ist schon eine Weile her."

„Du nennst 17 Jahre eine Weile?", brummte ich verdrossen und bekam ein belustigtes Zucken der Mundwinkel zu sehen. „Das wäre dann doch wohl eher ein Wimpernschlag, Minnie. Um genau zu sein, sind es beinahe 600 Jahre."

Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt und hustete kurz, nur um dann mit ungläubigem Blick zu dem Dämon aufzusehen. „Wie bitte? 600 Jahre?", krächzte ich und erhielt nur ein Nicken. Bevor sich Chan nach vorn lehnte.

„Du siehst also, Christian hatte genug Zeit, all seinen Hass und seine Unverständnis immer weiter zu kultivieren."

„Das habe ich am eigenen Körper gemerkt", feuerte ich zurück und kniff dann die Augen etwas zusammen. Trotz dessen, dass seit dieser Liebschaft mehrere Jahrhunderte vergangen waren, fragte ich mich nun, wer Chans Aufmerksamkeit so angezogen hatte, dass er mit dieser Person ein Kind bekam. War er in sie verliebt gewesen? Waren sie ein Paar?

„Deine Vorstellungen sind wirklich zu süß, Puppy. Aber ich kann dich beruhigen... ich habe Jeanne nicht aus romantischen Empfindungen für sie, noch sonst einer gefühlstechnischen Anwandlung heraus geschwängert." Die gelben Augen blitzten auf. „Wenn ich es mir genau überlege, war es vielmehr die Herausforderung, eine Dienerin Gottes zu verführen. Und dass sie schwanger wird, war wohl eher meiner fehlenden Aufmerksamkeit dahingehend geschuldet."

Ich wusste nicht genau, ob mich seine Worte beruhigten oder mich nur noch wütender machten. Dass er so über ein Menschenleben sprach, über jemanden der Gefühle und Hoffnungen hatte, war für einen anderen Menschen nur schwer zu begreifen.

„Ach Seungmin, du musst doch selbst zugeben, die Herausforderung reizt jeden und sie war eine der schwierigeren Fälle. Immerhin hatte sie ihrem König und ihrem Land geschworen, für immer Jungfrau zu bleiben und ihre reine Seele Gott zu überantworten."

„Das haben sicher viele getan", knurrte ich immer noch verstimmt.

„Sicherlich, aber sie war eine von der Sorte, die es ernst meinten." Wieder war das Zucken um die Mundwinkel zu sehen und ein strahlender Gelbton erschien in seinen Augen. „Zumindest solange, bis sie bei mir schwach geworden ist und leider war sie danach zu stur, sich helfen zu lassen. Sie hat mir die Schuld an ihrem Unglück gegeben und sie war sehr verbittert."

„Und hattest du Schuld an ihrem Unglück?", fragte ich sicherheitshalber nach. Für mich war keineswegs auszuschließen, dass er eine Mitschuld trug.

„Nein, nachdem ich erfahren hatte, dass sie schwanger war, wollte ich ihr sogar zur Flucht aus den Kerkern verhelfen. Aber sie wollte meine Hilfe nicht. Stattdessen sprach sie davon, dass ich ihre größte Sünde war, was vermutlich auch stimmt. Dennoch habe ich Verantwortung übernommen. Wenn schon nicht für sie, dann für Christian, den sie in der Gefangenschaft gebar und später an eine ihrer ehemaligen Bediensteten übergab. Sich selbst versuchte sie mit Gebeten zu schützen und ich akzeptierte diese Entscheidung."

„Einen Moment, sie hat ihr Kind im Gefängnis bekommen? Wieso? Was ist mit ihr danach passiert?"

Chan schien einen Moment zu überlegen, dann strich er über meine Wange. „Das hat sie. Jeanne war für den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft. Nur falls es dir dann weniger leidtut, sie musste nicht allzu lange leiden. Sie wurde nach ihrem Prozess zum Tode verurteilt."

„Zum Tode verurteilt?! Weil sie sich auf dich eingelassen hatte? Weil sie ein Kind mit dir bekam?"

Erneut wirkte Chan ein wenig ungehalten und verneinte meine Fragen. „Nein, nicht meinetwegen und auch nicht wegen Christian. Ihr Schicksal war schon so gut wie besiegelt, als ich sie kennenlernte. Damals hatte sie gerade den Kampf um die Eroberung von Paris verloren und musste mit leeren Händen zurück zu ihrem König Karl VII.. Ich habe sie in einem Moment der Schwäche angetroffen. Und nein, ich habe ihr keine Gewalt angetan. Ich habe sie nur um den Finger gewickelt und sie hatte sowieso kaum noch etwas zu verlieren."

Er lehnte sich leicht über mich und schien kurz in meinen Augen zu prüfen, was ich von alledem hielt. „Jeanne d'Arc hat niemanden mehr geliebt als Gott und als dieser sich von ihr abwandte, habe ich ihr einen Handel vorgeschlagen. Wie gesagt, ich hätte sie gerettet. Nicht um meinetwillen, aber Christian hätte nicht ohne seine Mutter aufwachsen müssen. Allerdings lehnte sie ab, sie wollte ihre Seele nicht weiter beflecken. Sie betete wieder zu ihrem Gott und benannte ihr Kind ebenso christlich. Nun ja, vielleicht lag es auch daran, dass ich mich ihr damals als Christopher vorstellte. Sie meinte, ihr Kind immer an seine Herkunft erinnern zu müssen. Wie eine Art Strafe, die er dank seines Namens nie vergessen könnte. Etwa ein Jahr nach seiner Geburt starb sie auf dem Scheiterhaufen."

„Aber Christian sprach davon, dass seine Mutter ihm immer von dir erzählt hätte, dass sie ihm sagte, du seiest an ihrem Unglück schuld."

„Seungmin, mein Sohn ist ein Hexenmeister. Er ist ein übernatürliches Wesen. Natürlich konnte er auch mit seiner Mutter sprechen, wenn sie tot war. Er beschwor ihren Geist herauf und hoffte, sie dazu zu bringen ihn anzuerkennen. Doch diese Frau war selbst nach ihrem Tod unversöhnlich mit höllischen Kräften und ihr Kind war immerhin ein halbes Höllenwesen."

„Also hat er ihre Abneigung ihm gegenüber darauf geschoben, dass du sein Vater bist?", flüsterte ich. „Er dachte seine Mutter liebt ihn nicht, weil er dein Kind ist?"

„Ja, das ist die einfachste aber auch logischste Erklärung. Und er hat es mir in all den Jahrhunderten immer und immer wieder vorgehalten. Ich war geduldig, habe es ihm häufiger erklärt und ihm angeboten seine Kräfte selbst zu schulen, doch er war unbelehrbar. Er hat sich an Zauberei gewagt, die sich gegen alles richtete, was ich ihm beibringen wollte. Er wollte all das tun, was nicht nur ihm sondern auch den Zeitlinien geschadet hätte. Schließlich übertrieb er es, als er seine Mutter mit Nekromantie wiedererwecken wollte. Ihm war egal, was für einen Schaden er angerichtet hätte und ich musste ihn stoppen. Danach ist er vor mir geflohen."

Stumm und mit großen Augen lag ich da, versuchte halbwegs meinen klaren Verstand zu wahren und wog die Möglichkeiten ab, wer mir nun die Wahrheit sagte und wer mich anlog. Gut, es gab durchaus Parallelen in den Geschichten und wahrscheinlich waren sie sogar beinahe deckungsgleich... nur die Perspektiven waren anders.

„Und das war vor 600 Jahren? Dann-dann ist Christian ja schon sehr lang auf dieser Welt", murmelte ich überlegend.

Chans Gesichtszüge verhärteten sich. „Zu lange. Er hat deutlich bewiesen, dass er nicht willens ist zu verstehen. Außerdem hat er mich bei etwas sehr Wichtigem gestört."

Ich tastete nach seiner Hand und umschloss diese. „Was hast du vor Chan?", hauchte ich besorgt und fragte mich gerade ernsthaft, ob ich Angst vor dem hatte, was er Christian antun wollte oder doch eher froh sein sollte, dass er ihn wohl künftig von mir fernhalten würde.

„Er wird sterben, Seungmin. Er ist nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für dich." Man sah ihm förmlich an, dass er noch mehr hinzufügen wollte und als er es nicht tat, schluckte ich, sah auf unsere verschränkten Hände und wisperte dann leise.

„Und ein Hindernis für dich, weil er deine Pläne durchkreuzt hat?"

„Du hast es erfasst, Puppy."

Nun erschauderte ich doch leicht und blickte wieder in seine gelben Dämonenaugen.

„Wieso konntest du mich nicht selbst retten? Und warum hast du mir Berry hiergelassen? War das geplant?"

Der Höllenprinz lächelte schmallippig, so als würde er das Wissen, was er eindeutig verbarg, kurz abwägen, ob er es preisgeben konnte.

„Wie gesagt, ich hatte einen Moment lang in der Schule das Gefühl, es wäre etwas nicht in Ordnung. Das war vermutlich auch der Grund, warum ich Berry zu dir gebracht habe. Berry ist sehr zuverlässig aber ich hatte geglaubt, er müsse nicht eingreifen. Warum ich dich nicht selbst retten konnte... meine Kräfte hätten Einfluss auf dich genommen. Im Gegensatz zu deinem kleinen Engelsfreund ist meine Magie dunkel. Zwar wärst du schneller wieder regeneriert, doch im geschwächten Zustand wärst du auch anfällig für die Dunkelheit gewesen. Möglicherweise hätte sie deinen Geist und Körper beeinflusst und ich brauche nicht noch mehr Unannehmlichkeiten. Deshalb habe ich die sicherste Methode gewählt und den Naphil geholt."

War ich vorhin noch verwirrt, wenn nicht sogar traurig gewesen, dass nicht er mir geholfen hatte, so war ich jetzt dankbar. Oder? Das war doch Erleichterung?

Ich bettete meinen Kopf angenehmer auf das Kissen und blinzelte ihn an. Was wäre wohl passiert, hätte er mich geheilt? Wäre ich dann irgendwie auch dämonisch? Hätte er mich zu einem von ihnen machen können? Doch rasch versuchte ich das wieder zu vergessen und konzentrierte mich auf die grellen Augen. Allerdings hatte Chan meine Gedanken offenbar gelesen und schien sie kommentieren zu wollen.

„So einfach wird man nicht zum Dämon, Seungmin. Dazu benötigt es viel Blut. Das wäre die schnellste Lösung gewesen. Ich hätte dir mein Blut verabreicht. Doch erstens hättest du dafür sterben müssen und zweitens ist es nicht gestattet. Eine Verwandlung verlangt ein großes Opfer."

„Achso~", murmelte ich und schielte dann hinüber zu meinem Wasserglas, da sich meine Kehle so trocken anfühlte. Langsam löste ich meine Hand aus seiner und streckte die Finger nach dem Glas, als er es schon ergriff und mir an die Lippen führte.

„Trink."

Gehorsam öffnete ich den Mund einen Spaltbreit und ließ die kühle Flüssigkeit meinen Rachen hinabrinnen. Mühsam schluckte ich und schaffte es, ohne etwas zu verschütten und schließlich stellte der Dämon das Glas wieder zurück auf den Nachttisch und sah auf mich herab.

„Ich muss jetzt wirklich gehen. Es gibt immer noch wichtige Angelegenheiten zu klären. Christian wirst du nicht wiedersehen, dafür sorge ich."

Mehr als nicken konnte ich nicht. Zwar behagte mir die Vorstellung nicht, dass Chan mich allein ließ, doch in meinem Zustand konnte ich mich ihm kaum entgegenstellen. Außerdem hatte ich noch Berry und er hatte versprochen, ich wäre nun wieder sicher.

„Hoffentlich bist du erfolgreich", sagte ich leise und erhielt ein kurzes, aufmunterndes Lächeln von ihm, bevor er sich über mich beugte und einen Kuss gegen meine Schläfe drückte.

„Das bin ich immer. Ruh du dich aus." 


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Nur noch ein paar kurze Fakten zu Jeanne d'Arc. Vielleicht kennen einige von euch sie auch unter dem Namen die Jungfrau von Orleans (Leistungskurs Deutsch lässt grüßen). Diese junge Frau hat zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Frankreich gelebt und wurde dadurch bekannt, dass sie dem damaligen französischen Thronerben und späteren König Karl VII. dabei half, die Engländer aus der belagerten Stadt Orleans und einigen anderen Landstücken zu vertreiben. Sie war sozusagen eine Kriegerin unter Gottes Gnaden. Es heißt, sie habe Karl VII. ihre Visionen von dem Sieg über die Engländer und seiner Salbung zum König gezeigt, sodass er sie in seine Dienste aufnahm und ihr, einer Frau, erlaubte, für ihn zu kämpfen. Als jedoch ihre Eroberung von Paris fehlschlug, fiel sie in Ungnade. Sowohl Engländer als auch Franzosen wollten sie tot sehen und sie wurde angeklagt. Unter anderem dafür, Feenzauber verwendet zu haben, mit Dämonen im Bunde zu stehen, die ihre Visionen lenkten und des Mordes, da sie selbst Männer im Kampf getötet hatte, obwohl sie kein Ritter war (Nur Rittern war das Morden ohne anschließende Bestrafung erlaubt). Und nach einem Jahr Gefangenschaft hat man sie auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. 

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