Die Höhle der Schwerter
Felix Pov:
Schon den ganzen Morgen war ich seltsam unruhig und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich hatte abgewogen, Mittagessen zu kochen, doch als ich Mamas Dienstplan studiert hatte, verwarf ich den Gedanken wieder und versuchte mich selbst zu beschäftigen, indem ich mein Zimmer aufräumte.
Heute war Donnerstag und schon übermorgen würde Jisung sein Familientreffen bewältigen müssen. Ich sah dem immer noch mit gemischten Gefühlen entgegen. Trotzdem hatte er mich gestern Abend beruhigt und mit den Worten verabschiedet, ich solle mir auch mal ein wenig Zeit für mich nehmen.
Super. Da stand ich nun und hatte Zeit, aber nicht wirklich Lust irgendetwas Produktives zu tun. Halbherzig warf ich einige verteilte Kleidungsstücke aufs Bett und nahm sie dann von dort gesammelt auf, um sie ins Bad zum Wäschekorb zu tragen. Ich stopfte den Stoff eher grob in den Korb und wandte mich anschließend in Richtung meines Zimmers um, sodass ich meine begonnene Säuberungsaktion fortsetzen konnte. Sobald ich jedoch den Raum betrat und das Bett erblickte, ließ ich mich darauf fallen und streckte alle viere von mir. Ich lag wie ein Seestern auf der zerknitterten Decke und starrte vor mich hin.
Mir war langweilig. Außerdem sah mein Zimmer gar nicht so chaotisch aus, dass ich es wirklich aufräumen müsste. Kurz dachte ich auch darüber nach, mit meinen Naphilfähigkeiten nachzuhelfen. Aber wenn man alle Arbeit einfach mithilfe von Magie erledigte, wo war dann noch der Anreiz etwas zu tun? Irgendwas musste mir doch für den Augenblick helfen, meine Rastlosigkeit und die Lustlosigkeit zu mindern.
Einen Moment dachte ich noch nach bevor ich meine Augen schloss und das wiederholte, was ich schon einmal getan hatte. Ich achtete auf die Verbindung, die in meinem Geist zu dem Dämon herrschte und dann entschied ich mich, den Teufel bei den Hörnern zu packen. Fest entschlossen ließ ich Changbin wissen, dass ich ihn sehen wollte. Mittlerweile war ich im Umgang mit den mentalen Verknüpfungen recht sicher. Zumindest fühlte es sich vertraut an und so hoffte ich, dass Lucifer nicht gerade zu beschäftigt damit war, Sünder zu foltern.
„Du hast nach mir gerufen?", fragte eine ruhige Stimme und ruckartig drehte ich meinen Kopf, stützte mich dann recht hastig auf die Unterarme und blickte zu Changbin auf, der keine zwei Meter vor mir stand und mich so intensiv betrachtete, als würde ich ganz seine Erwartungen von einem faulen Teenager erfüllen. Seine Augenbraue war leicht gehoben und ein nahezu spöttisches Lächeln zierte seine Lippen.
Wieso war mir diese sanft mitschwingende Überheblichkeit eigentlich nie aufgefallen? Hatte er sie mir gegenüber überhaupt jemals so konkret gezeigt?
„Was machts du da?", fragte er, nachdem er mich gründlich gemustert hatte und fast schon demonstrativ auf das Bett sah, so als würde er mich fragen, ob ich ihn verführen wollte.
„Herumliegen... faul sein... nichts?", murrte ich und fügte mit einem Verschränken der Arme hinzu. „Mir ist langweilig." Meine Güte ich klang ja schon wie ein eingeschnappter Fünfjähriger, den man in die Ecke gestellt hatte.
„Und nun soll ich das wieder ausbügeln und was genau dagegen tun?" fragte der Dämon und trat ein wenig näher, sodass er auf mich herabsehen konnte.
„Jaaaa~", dehnte ich das Wort und dachte kurz nach, bevor ich die Schultern zuckte. „Ich weiß es nicht, lenk mich ab." Ich stützte mich weiter auf, bis ich praktisch saß und sah ihm fest in die Augen. „Du weißt doch sicher, was man gegen Langeweile tut."
Jetzt erhellte sich die Miene meines Gegenübers und dann stieß er ein leises aber deutlich erheitertes Lachen aus.
„Süß."
Meine Augen wurden etwas schmaler und ich deutete auf mich, um sicherzugehen, dass er es zu mir gesagt hatte. Als er weiterhin mit einem Lächeln auf seinen hübschen Lippen nickte, brummte ich nur widerwillig und schüttelte den Kopf.
„Bin ich nicht. Ich bin ein ernstzunehmender junger Mann und kein niedliches Kleinkind."
„Alles klar", antwortete Changbin. Doch als ich schon glaubte, dass er aus seinem Fehler gelernt hatte, fügte er hinzu. „Gerade kann ich nur ganz schlecht zwischen Kleinkind und süßem Kleinkind unterscheiden."
Ich stieß mich mit Schwung von der Matratze ab, sodass ich direkt vor ihm zum Stehen kam und ihn etwas missmutig anfunkelte. „Ich weiß genau, was du da tust. Du willst mich provozieren. Aber ich bin ein standhafter, ausgeglichener Naphil."
Dabei hatte ich meinen Zeigefinger erhoben und stupste ihm fest gegen die trainierte Brust. Zudem war ich stehend minimal größer als der Dunkelhaarige. Und somit fühlte ich mich neben seiner sonst so eindrucksvollen Persönlichkeit und dem Ruf, den sein Name mit sich brachte, nicht so eingeschüchtert.
„Habe schon verstanden, Felix." Diesmal zuckten die Mundwinkel nur kurz. „Dann werde ich dem kleinen Engel vor mir also einen Gefallen tun und ihm einen schönen Ort auf dieser Welt zeigen."
Sogleich zog ich den Finger zurück, bohrte ihn nicht länger in die Haut, sondern legte meine Hand nun flach auf seine Brust. Ein kleiner Schauer durchlief mich und augenblicklich stieg die Freude in mir auf. Es war schon länger her, dass er etwas mit mir unternommen hatte und bei der Erinnerung an den Taj Mahal war ich schon ganz gespannt darauf, was wir uns heute ansehen würden.
„Au ja! Wie wäre es diesmal mit dem Eifelturm oder den Pyramiden von Gizeh?" Nun wäre ich am liebsten vor ihm auf und ab gehüpft, so sehr wollte ich endlich wissen, was er im Sinn hatte. Aber ich hielt mich zurück und wartete geduldig. Er betrachtete belustigt meine funkelnden Augen und schüttelte sanft den Kopf.
„Das wäre wohl zu einfach... Wieso soll ich dir Sehenswürdigkeiten zeigen, die du schon auf Bildern gesehen hast? Nein, ich denke, wir nehmen ein interessanteres Ziel."
Sekundenlang schwankte ich zwischen Schmollen, weil ich nicht das bekam, was ich wollte und noch mehr Vorfreude, weil Changbin die Spannung steigerte.
„Verräts du mir wohin es geht?", fragte ich und konzentrierte mich für einen Augenblick auf mein Outfit, um es dahingehend zu verändern, dass ich etwas Ansehnliches trug. Ich stellte mir meine engen Bluejeans und einen lockeren babyblauen Pullover vor und schon trug ich das Gewünschte.
Anerkennend nickte der Dämon, legte eine Hand an meine Hüfte und zog mich näher. „Du siehst hübsch aus." Er lehnte sich nach vorn, drückte seine Lippen gegen meine und küsste mich besitzergreifend. Dann jedoch löste er sich und seine nun weiß strahlenden Augen funkelten geheimnisvoll. „Ich werde es nicht verraten, aber so viel, du hättest dich gar nicht schick machen müssen. Wir werden ganz allein sein."
Überrascht weitete ich die Augen, doch da wurde ich auch schon gegen ihn gedrückt und ich hatte das Gefühl, die Luft würde aus meinen Lungen entweichen, als er uns zu dem Ort brachte, den er ausgewählt hatte.
Als wir landeten, knirschte der Boden unter unseren Füßen. Es klang wie loses Gestein und nur zur Sicherheit hielt ich mich weiterhin an Binnies Schultern fest. Ich blinzelte, musste aber feststellen dass selbst die Engelssicht mir nur einen dumpfen Blick auf den Raum um mich ermöglichte. Es war fast unheimlich sich umzusehen, überall wuchsen seltsame Gebilde wie lange Speere aus der Dunkelheit und ich blinzelte erneut, um meine Sicht weiter zu schärfen. Ich brauchte mehr Licht.
„Warte einen Augenblick." Changbin löste sich von mir und plötzlich erstrahlte eine gleißende Helligkeit auf seiner Handfläche. Diesmal war ich klug genug, sie nicht für ein Irrlicht zu halten. Der Stern wurde kontinuierlich größer, sendete sein reines Licht aus und schon hob Lucifer die Hand und ließ ihn hinauf zur Decke schweben.
Ich verfolgte seinen Weg und sah nun mehr und mehr, wie er den Raum oder besser gesagt die Höhle, in der wir standen, erhellte. Der Morgenstern schien noch einmal zu wachsen und strahlte noch intensiver auf uns herab, bis auf einmal das Licht von überall zurückgeworfen wurde und ich nicht anders konnte, als mich gründlich umzusehen.
Als ich dies nun tat, blieb mir fast der Atem weg. Jedenfalls starrte ich wie gebannt auf meine Umgebung, bewunderte die feinen Lichtbrechungen und das reine Weiß, was um mich herum vom Licht angeschienen erstrahlte. Ganz langsam drehte ich mich auf den Zehenspitzen mit meiner Blickrichtung, ließ die Details auf mich wirken und konnte mich gar nicht satt sehen.
„Einzigartig, nicht wahr?" Der Dämon war wieder dichter zu mir getreten und schlang seine Hand kurz entschlossen um meine.
Als ich nichts weiter tat, als verträumt zu nicken, entschied er wohl, dass er mir noch einen Moment Zeit geben musste, um den Anblick zu verarbeiten.
Die Höhle, in der wir standen war gleichzeitig bizarr und außergewöhnlich ästhetisch. Ich verstand sofort, dass dieser Ort absolut natürlich entstanden sein musste, denn niemand wäre in der Lage ihn so zu erschaffen.
Überall um uns herum ragten kreuz und quer gewachsene Kristalle auf. Das Außergewöhnliche an diesen weißen Kristallen war, dass die meisten von ihnen den Durchmesser eines ausgewachsenen Baumstammes aufwiesen. Zudem sahen die unterschiedlichen Wuchsrichtungen des weißlich durchscheinenden Steins aus wie ein Wald nach einem Windbruch. Sie hielten sich zwar alle an die runde, langgestreckte Form aber sie standen manchmal so schief oder lagen halb übereinander, sodass man Angst haben könnte, sie würden gleich abbrechen.
Zeitgleich hingen an Decke und Wänden kleinere Gebilde aus ähnlich hellem Kristall und auch als ich auf den Boden unter meinen Füßen blickte, stand ich auf weißem, leicht abschüssigem Gestein. Es war beinahe überall.
Was das Ganze jedoch noch magischer und ätherischer aussehen ließ, war das strahlende Licht des Morgensterns. Er sandte seine Helligkeit jetzt direkt von der Höhlendecke aus, strahlte die einzelnen Kristallsäulen an und ließ sie schimmern und funkeln. Gleichzeitig kreierte er dort Schatten und Dunkelheit, wo ihm die Monolithe den Weg versperrten. Fast konnte ich nicht glauben, dass es sich bei diesem Anblick nicht um eine Fantasie handelte.
„Wow, es ist so wunderschön", hauchte ich und wandte mich nun zu Changbin. Ich sah ihn immer noch mit großen Augen an und fragte neugierig. „Wo genau sind wir hier? Was für eine Art Höhle ist das?
„Wir sind in der Höhle der Schwerter. Sie liegt in etwa 120 Meter Tiefe in der Mine von Naica. Sie befindet sich in Mexiko und beheimatet die größten Kristalle eurer Welt."
Erneut musterte ich die Pracht aus funkelndem sauberen Weiß und konnte nur zustimmen, dass ich noch nie so große Kristalle gesehen hatte wie diese hier. Dann betrachtete ich die langen manchmal fast spitz aufragenden Gesteinsformationen.
„Nennt man sie deshalb Höhle der Schwerter, weil die Kristalle teilweise spitz zulaufen?"
Anerkennend nickte der Dämon und fügte hinzu. „Sehr richtig, die Formen haben ihren Namen bestimmt."
„Dann sind wir ja gar nicht die Ersten, die diesen Ort sehen. Du meintest, dass du keine Sehenswürdigkeit auswählst." Dies wollte ich jetzt doch etwas genauer erklärt haben und Changbin grinste.
„Schon richtig... aber diese Höhle ist der Öffentlichkeit auch nicht vollständig zugänglich. Somit hast du einen exklusiven Eindruck von diesem kleinen Wunder." Er hob die Hand, deutete auf den Raum um sich. „Außerdem ist das nur die erste Höhle, die ich dir zeigen wollte. Wenn du diese schon für prächtig gehalten hast, wirst du gleich staunen."
Ich folgte seiner Hand, sah mich nochmal gründlich in dem unterirdischen Hohlraum um, der solch faszinierende Aussichten bot und griff anschließend entschlossen nach Changbins Hand.
„Dann überrasch mich."
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