Die heilige Jungfrau

„Wer hat wen entführt?"

Sofort drehten wir uns zu der angenehm tiefen Stimme um. Felix stand im Türrahmen und sah ziemlich erschöpft aus. So, als wäre er eine sehr weite Strecke gelaufen und würde jetzt erst durchatmen können.

Mit einem spitzen, erleichterten Aufschrei sprang Innie auf ihn zu und zog ihn stürmisch in eine Umarmung. „Oh Gott Felix. Wir dachten schon, dass sie dich gekidnappt hätten", schluchzte der Jüngste und kuschelte sich sogleich an den Rothaarigen.

„Nein, keine Sorge. Niemand hat mich gekidnappt", sagte der Junge ein wenig bitter und sah dann über die Schulter des Weißhaarigen zu mir. „Aber offenbar habe ich trotzdem auf ganzer Linie versagt", stellte er fest.

Ich schaffte es endlich wieder, mich auf die Seite zu drehen und wollte gerade einen wahrscheinlich ziemlich kläglichen Versuch machen aufzustehen, aber Felix hielt mich zurück indem er zu mir trat und mich wieder auf mein Bett drückte.

„Es tut mir leid Jisung. Ich konnte es nicht verhindern", sagte er leise und strich mir über die Schläfe.

Ich sah ihm an, dass irgendetwas passiert war und dass er ziemlich aufgewühlt schien, also hob ich meine Arme und zog ihn zu mir herab, um ihn so fest wie möglich zu umarmen. „Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür." Ich strich sanft über seinen Rücken. „Wo warst du Lixie? Was ist passiert? Du wirkst so durch den Wind", murmelte ich und blickte meinen besten Freund fragend an, als er sich aus meinem Griff wand.

„Ich habe den Dämon getroffen, den ich beschworen habe", seufzte er und sofort breitete sich Sorge in mir aus. „Hat er etwas getan, was du nicht wolltest? Bist du verletzt?"

„Nein, mir geht es gut. Er hat nicht das mit mir getan... aber er hat mir ein paar Antworten gegeben. Zusätzlich zu denen, die im Buch selbst stehen." Mit jedem Wort war er etwas leiser geworden und schien mit seinen Emotionen zu ringen. Doch dann drehte er sich zu Innie um und lächelte schwach.

„Aber wir werden erst morgen darüber reden. Und zwar zu viert", entschied er nun mit etwas festerer Stimme. „Wir stecken da alle zusammen drin. Es betrifft Seungmin genauso und deshalb sollten wir das morgen besprechen. Meinst du, du schaffst das Jisung?" Er sah auf mich herab und seine Augen verrieten seinen Unmut darüber, dass ich hier so vollkommen hilflos lag und mir wahrscheinlich jeder Schritt wehtun würde.

„Alles ok Lix. Ich schaffe das", sprach ich überzeugt von mir selbst und zog dann aber die Augenbrauen zusammen. „Warum hast du eigentlich davon gesprochen, dass du mir nicht helfen konntest? Das wäre doch sowieso nicht möglich gewesen."

Felix biss sich unwohl auf die Unterlippe. „Ich habe diesen Minho getroffen. Er hat sich kurz mit Changbin unterhalten. Ich war sauer auf ihn und habe ihn dafür angeschnauzt, dass er dir wehgetan hat." Der Junge vor mir, fuhr sich durch sein kupferrotes Haar und seufzte unwohl. „Er meinte, dass du selbst seine raue Behandlung genießen würdest und dass er dich gleich besuchen wollte. Und das hat er offenbar auch getan." Beendete er seinen Satz mit in Falten gelegter Stirn.

„Tia, ganz unrecht hatte er da nicht." Jeongin kicherte trotz der komischen Situation und kam näher. „Also wenn Jisung vieles leugnen kann, aber nicht, dass es ihm gefällt, dass dieser Minho ihn so gut rannimmt." Er lachte beinahe ausgelassen und ich legte beschämt einen Unterarm über mein Gesicht, um die aufsteigende Röte und meine Verlegenheit nicht zu zeigen.

„Was?! Woher weißt du das Innie?!" Der Rothaarige zog mir den Arm vom Gesicht und sah ungläubig auf mich herab. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass es das ist, was ich denke, dass es ist oder?"

„Woher soll ich denn wissen, was du denkst Lixie?", murmelte ich leise und versuchte seinem Blick auszuweichen. Doch Jeongin schien das alles viel weniger zu stören als mich und er antwortete Felix freigiebig.

„Jop, Minho hatte vor meinen Augen mit ihm Sex."

„Oh heilige Mutter Gottes." Stieß Felix in vollkommenem Unglauben hervor und starrte ins Leere.

„Nein, da liegst du jetzt aber sehr falsch Hyung. Es war ein Dämon und nicht die Jungfrau Maria", korrigierte ihn Jeongin mit einem verschmitzten kleinen Lächeln. „Wir sollten jetzt auch keine große Sache daraus machen, Jisung Hyung ist so schon verlegen genug." Nun kam auch der Junge mit den weißblonden Haaren zu mir und strich über meinen Arm.

„Du hast Recht. Ein bisschen Ruhe und das Überdenken der ganzen Angelegenheit kann nicht schaden. Wir können gerade sowieso nicht viel an unserer Lage ändern, also ist das wohl die beste Option." Felix straffte seine Schultern und sah zu dem Jüngsten.

„Es wird langsam spät und ich denke, du solltest nach Hause gehen bevor deinen Eltern auffällt, dass du wieder so lange weg warst. Keine Sorge, ich werde hierbleiben und meiner Mum sagen, dass ich bei Sungie übernachte. Sie kennt das Spiel ja schon." Er seufzte und sah zu mir herab. „Egal, was du jetzt gleich sagst, aber ich lasse dich heute nicht mehr allein. Ich war viel zu wenig für dich da und du kannst ein bisschen Gesellschaft gebrauchen." Die letzten Worte hatte Felix so sanft und zuvorkommen in meine Richtung gehaucht, dass ich mich gleich viel geborgener fühlte.

„Du hast vermutlich recht Hyung. Es ist besser, wenn nur einer von uns hierbleibt. Aber morgen erzählst du uns, was du Neues über unser Problem in Erfahrung gebracht hast." Der Jüngste ging hinüber zur Couch und griff nach seinem Schulrucksack. „Können wir uns dann morgen wieder hier treffen? Ich meine, das ist doch am einfachsten oder?" Er drehte sich nochmal zu uns um und lächelte zaghaft.

Ich nickte schnell. „Jaa, wir treffen uns dann einfach bei mir und dann werden wir das klären." Dann sah ich erschrocken zwischen Felix und Jeongin hin und her. „Was ist eigentlich mit Seungmin? Weiß er schon von dem Ganzen?" 

„Er weiß es Jisung. Zumindest hat Changbin mir gesagt, dass der Dämon, den Seungmin beschworen hat heute bei ihm war. Aber ich habe mein Handy ja hier gelassen und auch als ich bei Minnie zu Hause geklingelt habe, hat niemand aufgemacht. Ich-ich hoffe einfach, dass es ihm gut geht." Felix sah wieder ein wenig geknickt aus und erhob sich dann vom Bett.

„Ok." Jeongin stand neben der Tür und schien auch leicht verunsichert. „Ich werde dann mal nach Hause gehen. Wir sehen uns morgen." Er winkte uns zu und versuchte, uns ein beruhigendes Lächeln zu schenken, doch es erreichte seine sonst so strahlenden Augen nicht.

„Bis morgen Innie." Ich winkte erschöpft und sah dann hinüber zu Felix, der gerade auf sein Handy sah und nur ein kurzes „Tschüss Innie" murmelte. Dann tippte er wieder auf dem Handy herum und hielt es sich schließlich ans Ohr. Nach einer gefühlten Ewigkeit stieß er einen erleichterten Seufzer aus. „Oh Gott sei Dank Minnie. Geht es dir gut?" Er lauschte kurz und zog die Stirn in Falten aber nickte eifrig. „Ok, dann bin ich froh, ich-ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir uns morgen bei Jisung treffen. Nach der Schule." Er lauschte wieder und schien mit der Antwort zufrieden. „Gut Minnie. Wir sehen uns morgen früh." Dann legte er auf und massierte sich leicht die Schläfe.

„Er hat sich ganz normal angehört", sagte er an mich gewandt und ich stieß die angehaltene Luft aus.

„Vielleicht ist sein Dämon ja nicht ganz so krass drauf."

Ich musste nun selbst ein belustigtes Schnauben ausstoßen und rollte mich wieder auf die Seite. „Du meinst, nicht so krass drauf wie meiner? Ich hoffe es sehr für Minnie. Aber sag mal... wie ist es eigentlich mit deinem? Ich weiß, du willst uns erst morgen erzählen was du erfahren hast, aber du kannst mir ja wenigstens berichten wie dieser Changbin so ist."

Felix drehte sich mit einem entnervten Gesichtsausdruck zu mir um. „Hör mir auf. Dieser Dämon verursacht schon beim an ihn Denken Kopfschmerzen."

Behutsam kloppte ich auf das Bett neben mir und sah bittend zu Felix. „Ich will es trotzdem hören. Du weißt wie neugierig ich bin."

Der Jüngere setzte sich und stieß ein leises Schnauben aus. „Er ist kleiner als ich", merkte er an, so als sei das ein KO-Kriterium. Aber dann seufzte er und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Und er sieht trotzdem verdammt sexy aus. Er hat ziemlich breite Schultern und einen gut trainierten Oberkörper." Zählte er weiter auf. „Er ist richtig sarkastisch, aber er hat mir auf meine Fragen sehr präzise geantwortet. Irgendwie glaube ich, dass er die Wahrheit gesagt hat."

Dann schwiegen wir eine Weile. Ich lag da und sah an die Zimmerdecke, während Felix auf der Bettkante saß und ebenfalls Löcher in die Luft starrte. Schlussendlich atmete er tief durch und erhob sich. „Ich darf mir doch sicher gemütliche Sachen von dir nehmen oder? Dann gehe ich mich kurz duschen und bin gleich wieder bei dir."

Ich nickte nur und sah ihm dabei zu, wie er sich etwas zum Anziehen aussuchte. Seine Bewegungen waren etwas fahrig und er benötigte recht lang bis er sich für etwas entschieden hatte.

Während Felix im Bad war, versuchte ich mich aufzusetzen. Es gelang mir glücklicherweise auch und schnell verfrachtete ich die zweite Decke von der Couch auf mein Bett und legte auch noch ein Kissen zurecht. Heute brauchte ich meinen besten Freund einfach nahe bei mir.

Als er schließlich zurückkam, lächelte er mich sanft an. „Also schlafen wir heute zusammen?"

Ich nickte bekräftigend und lief dann mit langsamen, tapsigen Schritten auf die Tür zu. „Ich gehe mich auch noch duschen." Teilte ich ihm mit und versuchte halbwegs sicher zum Bad zu kommen. Doch Felix schien meine Unzulänglichkeiten zu bemerken.

„Soll ich mitkommen Jisung? Nicht, dass dir noch etwas passiert." Bevor ich auch nur versuchen konnte, ihn zu besänftigen, stand er bereits neben mir und verfrachtete mich ins Bad. Mit federleichten Berührungen half er mir beim Ausziehen. Seine Augen wanderten über meinen nackten Körper und verfinsterten sich, als er die roten Flecken sah. „Es tut mir leid Jisung. Ich hätte ihn nicht provozieren sollen."

„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen Felix. Es ist nicht deine Schuld." Mit diesen Worten stellte ich mich unter die lauwarme Dusche und wusch mich. Es dauerte länger als gewohnt aber das war in Ordnung. Felix wartete mit einem großen Handtuch auf mich und legte es fürsorglich um mich. Er rubbelte auch meine Haare trocken und bestand darauf, mir eine Salbe auf die malträtierten Stellen aufzutragen. Seine Finger fuhren fachkundig über meine Haut und erleichtert schloss ich die Augen, als die kühlende Wirkung des Balsams einsetzte.

Kurze Zeit später lagen wir aneinander gekuschelt in meinem Bett und waren offenbar beide noch dabei, die Geschehnisse des heutigen Tages so weit zu verarbeiten, dass wir einschlafen konnten.

„Lixie?"

„Mhm?"

„Was denkst du, kommen wir heil aus der Sache raus?"

Mein bester Freund schwieg einige Sekunden. „Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es. Vielleicht gibt es ja auch die Möglichkeit, sich mit diesen Wesen zu arrangieren. Schließlich werden sie nicht vierundzwanzig Stunden am Tag bei uns seien wollen. Aber jetzt sollten wir wirklich schlafen."

„Du hast Recht. Wir schaffen das irgendwie." Ich drehte mich zu Felix und legte meinen Arm um ihn. „Gute Nacht Lix."

„Gute Nacht Ji." 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top