Die Gnadenfrist
Jeongins Pov:
„Ist alles ok, Seungmin? Soll ich dir etwas zu trinken bringen?"
Wir alle wuselten wie die aufgescheuchten Glucken um den Jungen mit den karamellfarbenen Haaren. Seit auch Jisung und ich ihn am Sonntagnachmittag besucht hatten und endlich erfuhren war vorgefallen war, ließen wir ihn kaum noch allein und lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Seungmin ging es schon wesentlich besser und nachdem ich gestern bei ihm übernachtet hatte, waren wir heute wieder zusammen zu Jisung gegangen und verbrachten den Tag bei ihm.
Mir schien es so, als fühle sich Seungmin hier wohler. Naja, lag wahrscheinlich daran, dass er erstmal verarbeiten musste, was in seinem Elternhaus passiert war. Jedenfalls lehnte er nun vor sich hindösend auf der Sonnenliege und hatte Berry neben sich, der nun wesentlich aufmerksamer die Umgebung scannte.
Seit ich wusste, dass er nicht ausschließlich so ein süßes, kleines Hündchen war, verhielt ich mich ihm gegenüber doch vorsichtiger. Zwar traute ich mich, ihn zu streicheln, aber ich baute vorher immer Blickkontakt auf und versuchte zu ergründen, ob er auch gestreichelt werden wollte. Vorsicht war besser als Nachsicht.
„Mir geht es gut, Jisung. Es ist alles ok", nuschelte der Jüngere und streckte sich kurz. „Und nein, ich brauche nichts. Danke." Damit drehte er sich leicht zur Seite und beobachtete Felix dabei, wie er das Einhorn aufpustete, da es seit unserem letzten Besuch etwas Luft verloren hatte.
„Was denkt ihr? Wie lange werden wir noch auf sie verzichten müssen?", fragte ich nachdenklich. „Hat Chan irgendwas gesagt, wie lange sie noch in der Hölle bleiben?"
„Nein, er hat nur davon gesprochen, dass er noch einiges klären muss. Wahrscheinlich wird es also noch ein paar Tage dauern."
Alle schienen nach dieser Aussage ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Wir schwiegen und hatten wohl alle kein richtiges Gesprächsthema. Zumindest so lange, bis Felix das Einhorn zurück aufs Wasser setzte, dann elegant in den Pool glitt und sich zu uns umdrehte. „Will jemand mit reinkommen?"
Rasch richtete ich mich auf und tapste zum Rand, nur um erst die Fußspitze in das angenehm kühle Wasser zu tauchen und dann doch über die Treppe hineinzusteigen. Auch Seungmin erhob sich und folgte mir, während Jisung noch einen Moment draußen auf der Liege entspannte.
Diesmal war es wirklich anders als sonst. Normalerweise ärgerten wir uns gegenseitig, schupsten uns ins Wasser und lieferten uns kleine Schlachten mit den Spritzpistolen. Heute jedoch waren wir besonders vorsichtig mit Seungmin. Felix hielt sogar das Einhorn fest, während es sich Minnie darauf bequem machte.
„Hey Lix, wollen wir ein Wettschwimmen machen?" Ich mochte es nicht ganz so ruhig. Das waren irgendwie nicht wir. Aber uns allen saß wohl noch der Schrecken über Seungmins Bericht in den Knochen und außerdem machten wir uns immer noch Sorgen, was unsere Dämonen taten und ob es weitere Naturkatastrophen geben würde. Zwar hatten sich die Vulkane und das Meer wieder beruhigt, aber so schnell wie es abgeflaut war, konnte es ja auch wiederkommen. Jedenfalls drehte sich der blonde Junge nun zu mir und funkelte mich vergnügt an.
„Klar. Eine Bahn hin und zurück?" Felix deutete vom einen Ende des Beckens zum anderen. "Der Sieger darf entscheiden, wo wir später Essen bestellen."
„Bin dabei", erwiderte ich eifrig und streckte mich dann, um meine Muskulatur auf die Anstrengung vorzubereiten und zu dehnen. Dann schwamm ich das letzte Stück zur Umrandung und stoppte neben Felix, der kurz nochmal die Entfernung zur gegenüberliegenden Seite mit den Augen abmaß und sich dann bereitmachte.
„Seid ihr startklar?", fragte Jisung und hatte sich an den Rand neben uns gehockt. Er spielte gern den Schiedsrichter und so nickten wir ihm knapp zu.
„Alles klar... dann... LOS!" Sofort stieß ich mich von der Poolumrandung ab, schnellte nach vorn und ließ mich durch das Wasser gleiten. Sobald ich etwas an Geschwindigkeit verlor, nutzte ich meine Arme und Beine und schwamm in schnellem Kraulstil auf die andere Seite zu. Ich sah, dass ich ungefähr gleichauf mit Felix war, zumindest noch. Mit dem Ziel, die andere Seite schneller zu erreichen als er, legte ich mehr Kraft in meine Schwimmzüge und fühlte, wie das Wasser mich umschloss. Schon waren wir beide am anderen Rand, berührten diesen nur kurz und kehrten um, um die Bahn zurückzuschwimmen und uns den Sieg zu holen.
Kurz tauchte ich ein kleines Stück, hörte das Rauschen des aufgewühlten Wassers und sekundenlang strömten Bilder in meinen Kopf, die mich in die Tiefe ziehen wollten. Da waren wieder der kalte Ozean und das Blut. Ich sah für einen Moment nicht mehr viel, spürte aber instinktiv die Gefahr. Dann war es auch wieder vorbei und ich tauchte auf. Schwer atmend schwamm ich weiter, hatte aber wertvolle Sekunden verloren und kam immer noch verwirrt und leicht zitternd neben Felix an, der mich nun besorgt musterte.
„Ist alles ok, Jeongin? Du warst wirklich gut", versuchte er mich aufzumuntern, doch ich ging kaum darauf ein und atmete tief durch.
Was auch immer mit mir los war, ich wollte aus dem Wasser raus. Ich versuchte mich an einer beruhigenden Aussage, sodass ich niemanden zusätzlich verängstigte. Wir hatten bei Gott genug Probleme, da musste ich nicht auch noch anfangen rumzujammern, nur weil ich diese eine Szene nicht aus dem Kopf bekam.
„Schon gut, ich dachte nur, ich bekomme einen Krampf im Bein", erfand ich eine glaubhafte Ausrede und zog mich dann am Beckenrand empor und stieg aus dem Pool. „Also dann, wo werden wir nachher bestellen, Felix?"
Dieser strich sich gerade die nassen Strähnen aus der Stirn und überlegte einen Moment mit funkelnden Augen, bevor er sich kurz zu Seungmin und Jisung umdrehte.
„Was haltet ihr von Tacos? Ich hätte mal wieder Lust auf mexikanisches Essen."
Wir nickten einstimmig und ich wickelte mich in ein Handtuch, bevor ich mich auf eine der Sonnenliegen sinken ließ und kurzzeitig die Augen schloss. Ich entspannte mich, als keine schlechten Eindrücke oder Erinnerungen auftauchten und tat den Vorfall von gerade eben als einen Zufall ab.
Stattdessen genoss ich nun die wärmenden Strahlen auf meiner Haut, machte mir nicht die Mühe, mich erst zu trocknen, sondern ließ das die Sonne übernehmen. Es wehte nicht einmal das kleinste Lüftchen. Dieser Sommer war warm und trocken. Im Hintergrund hörte ich meine Freunde im Pool plantschen und auch ab und zu etwas sagen. Dann fiel ein Schatten auf meinen Oberkörper und ich öffnete blinzelnd die Augen, bevor ich Jisungs Gesicht vor mir saß.
„Hier Innie. Du solltest dich eincremen." Er hielt mir die Sonnenmilch entgegen und ich nahm sie widerwillig an, weil ich keine große Lust hatte, mich einzucremen. Auch wenn ich wusste, dass es besser war. Der Älteste bemerkte mein Zögern und grinste dann. „Soll ich dir helfen, du Faulpelz?" Er platzierte sich auf dem Rand meiner Liege und tätschelte meinen Oberschenkel, sodass ich ihm Platz machte und er sich bequemer setzen konnte.
„Dreh dich auf den Rücken."
Mit einem zufriedenen Kichern wandte ich ihm meine Kehrseite zu und spürte dann, wie Ji ein wenig von der Sonnenmilch auf meinen Rücken gab und diese dann mit langsamen, kreisenden Bewegungen einmassierte. Ich schloss meine Augen wieder, genoss die wohltuende Massage und summte leise.
„Du kannst das richtig gut, Hyung", murmelte ich und fühlte, wie mich die Wärme und die Entspannung langsam schläfrig machten.
„Ach ja", kicherte Jisung und lehnte sich dann über mich, bevor er mich mit einer Hand fester auf die Liege drückte und mit dem Zeigefinger der anderen Hand in meine Seite piekte. „Du frecher, kleiner Fluchs lässt mich hier die ganze Arbeit machen und schläfst selbst fast ein."
Ich bäumte mich auf, versuchte freizukommen und lachte. Verzweifelt wollte ich seinen Fingern entkommen, krümmte mich und strampelte mit den Beinen.
„Aufhören, nicht, Hyung."
Doch er dachte gar nicht daran aufzuhören. Stattdessen tanzten seine Finger noch schneller über die empfindliche Haut und piekte sie immer wieder, obwohl ich mich bemühte, ihn davon abzuhalten. Schließlich japste ich erschöpft, schlug seine Finger zur Seite und kicherte angestrengt.
„Jisung?"
Endlich stoppte die süße Folter des Älteren, als seine Mutter von der Terrasse hinab zum Pool kam und ihren Sohn aufmerksam ansah.
„Dein Vater und ich würden gerne übernächste Woche Mittwoch mit ein paar Freunden und Verwandten Essen gehen. Du weißt, wir haben sie alle länger nicht gesehen und es ist eine gute Gelegenheit alle mal wieder an einem Tisch sitzen zu haben." Kurz schien sie zu zögern und ich drehte meinen Kopf, sodass ich zu Jisung sehen konnte, der auch etwas fragend zu seiner Mutter blickte. „Naja, und wir dachten uns... du könntest diesen jungen Mann mitbringen."
Zunächst war ich ziemlich verwirrt, aber dann erinnerte ich mich daran, dass Jisung uns berichtet hatte, wie er seinen Eltern beichten musste, dass er auf Jungs stand, weil sie Minho und ihn beim Knutschen überrascht hatten. Und wahrscheinlich meinte Mrs. Han also den Dämon. Rasch warf ich meinem Hyung einen prüfenden Blick zu und bemerkte, dass auch meine beiden anderen Freunde neugierig zu uns herübersahen.
Jisung hingegen war ein wenig blass geworden, dann färbten sich seine Wangen rötlich und ich spürte, wie seine Finger sich von meinem Rücken lösten. Ich konnte zwar nur raten, aber wäre ich in seiner Situation, wäre ich wohl überfordert. Er hatte erwähnt, dass seine Mama nicht begeistert gewesen war. Warum bot sie es dann jetzt so offensichtlich an?
„Bist du dir sicher, Mama?", fragte Ji vorsichtig und seine Mutter seufzte und nickte dann.
„Es wäre eine Möglichkeit, ihn besser kennenzulernen und wenn er dir etwas bedeutet, dann werde ich mich nicht dagegenstellen." Sie musterte ihren Sohn prüfend, der immer noch recht unentschlossen wirkte.
Ich sah es förmlich in seinem Kopf rattern. Sicher fühlte er sich nicht gerade wohl dabei, einen Dämon auf seine Eltern loszulassen. Andererseits könnte er sich so offener mit ihm zeigen. Aber war es dieses Risiko wert? Immerhin wussten wir nicht einmal, ob die Dämonen bis dahin zurück waren.
„In Ordnung, ich werde ihn fragen." Die Antwort klang dann doch zumindest nach einer halben Zusage und seine Mutter schien sich damit zufriedenzugeben. Sie nickte und lächelte nochmal in die Runde, bevor sie zurück zur Terrasse lief und sich dort um die Blumen kümmerte.
„Hyung? Hältst du das für eine gute Idee? Was ist, wenn Minho irgendwas Unangemessenes sagt? Und dann auch gleich noch vor deiner ganzen Familie..."
Auch Felix stieg jetzt aus dem Wasser, kam zu uns herüber, gerade als wir uns nebeneinander auf die Liege gesetzt hatten.
„Innie hat recht, ich kenne ein paar deiner Verwandten. Denkst du es ist clever, sich vor ihnen allen zu outen, wenn noch nicht mal deine Eltern richtig mit der Situation vertraut sind? Gerade ihre uneingeschränkte Unterstützung wäre wichtig. Und es stimmt... Was ist, wenn Minho dann ein paar anzügliche oder sogar unangemessene Kommentare bringt? Das könnte zu mehr Problemen führen, als es löst."
Jisung sah leicht überfordert zwischen uns hin und her. Seungmin beobachtete uns nur aufmerksam, aber hielt sich mit Ratschlägen zurück. Zumindest so lange, bis Jisung nun auch ihn anblickte und sein Urteil erwartete.
„Was siehst du mich an?", murmelte der Junge mit den karamellfarbenen Haaren und seufzte dann. „Ich würde das Risiko eingehen. Du willst akzeptiert werden und ich weiß, dass du für dich selbst einstehen kannst, Ji. Außerdem ist es ja noch nicht sicher, dass Minho überhaupt kommt. Also hast du möglicherweise doch noch eine Schonfrist."
Ich strich kurz über Jisungs Schulter.
„Minnie hat recht. Am Ende musst du darüber befinden und egal wie du entscheidest, wir sind für dich da."
Zustimmend nickten die anderen zwei. Seit all das hier angefangen hatte, waren wir uns wirklich noch näher gekommen. Manchmal fühlte ich mich mit ihnen wahrhaft unbesiegbar.
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Heute kommt nur dieses eine Kapitel. Ich hab noch einiges für die Uni zu erledigen, bis das neue Semester beginnt...
Ihr seid ja voll Feuer und Flamme für die Onlineparty. Dann ist es jetzt beschlossene Sache, dass wir es über Discord machen. Ich werde euch demnächst den Link für den Server zukommen lassen und das Datum mitteilen.
Die liebe LouWing64 möchte noch ein kleines Organisationsteam für Spiele und Unterhaltung zusammenstellen, also wenn ihr mithelfen wollt, diese Party unvergesslich zu machen, dann meldet euch gern bei ihr. Ich freue mich total auf euch. 💕
I love you Stay. 💖
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