Die Blume des Meeres

Jeongins Pov: 

Hyunjin schwamm direkt neben mir, seine silbrigen Strähnen klebten nun nass an seiner Haut, aber dafür blitzten seine Augen in einem satten Dunkelblau und seine Bewegungen waren ruhig und ausgeglichen.

„Erlaubst du mir wieder, dass ich meine Kräfte mit dir teile? Das Schiffswrack liegt diesmal nicht so tief, aber wir müssen dennoch ein Stück tauchen."

Statt einer verbalen Erlaubnis, schwamm ich näher zu ihm und griff nach seinem Oberarm, um mich festzuhalten. Dann sah ich ihn entschlossen an und wartete darauf, dass er es mir ermöglichte, unter Wasser zu atmen.

Seine langen, kalten Finger strichen sanft über meine Haut, legten sich beruhigend über meine Brust und zeichneten eine Art Muster auf meinen Hals. Anschließend zog er mich näher an sich und seine weichen Lippen drückten sich gegen ebenjene Stellen. Als er bei meinem Gesicht angelangt war, drückte er mein Kinn nach oben und aus einer Intuition heraus streckte ich mich ihm entgegen und ließ zu, dass sich unsere Lippen fanden.

Und zum wiederholten Mal fragte ich mich, wie ich je an Hyunjin hatte zweifeln können. Allein ihn zu küssen erfüllte mich mit all den positiven Empfindungen. Ich verstand nicht, wie ich es je hätte ablehnen können, ihm nahe zu sein. Selbst in seiner wahren Gestalt war er absolut vollkommen. Wieso gab es dann Momente, in denen ich Angst vor ihm hatte? In denen ich ihm zutiefst misstraute und mir nahezu sicher war, dass er mir und allen um mich herum Schaden zufügen würde?

Ich verstand die Welt selbst nicht mehr. Aber jetzt gerade war die Furcht nicht präsent. Sie wurde verdrängt und lieblich übertüncht von Zuneigung, Geborgenheit und einer allmächtigen Verbindung, der ich sowieso nichts entgegensetzen konnte.

Sanft trafen sich unsere Lippen erneut, während die Wellen uns umspülten. Meine Arme schlangen sich fester um seinen Nacken, klammerten sich an ihn und er erwiderte meine Küsse genauso begeistert. Sobald er sich doch von mir löste, festigte auch er seinen Griff um meine Taille und lächelte mir unbefangen entgegen.

„Lass uns aufbrechen."

Bevor ich wie aus Gewohnheit nochmal tief Luft holen konnte, zog er mich schon nach unten. Es schien ihn kaum Mühe zu kosten, uns immer tiefer sinken zu lassen und ich starrte währenddessen einfach nur fasziniert in seine Augen. Das Wasser um uns herum wurde dunkler, doch nicht so dunkel, dass man nichts mehr erkennen konnte. Es erreichte höchstens ein tiefes Königsblau. 

Nun kamen auch die ersten Felsen in Sicht und mit ihnen die Meeresbewohner. Kleine Krebse und bunte Fische, die sich zwischen Korallen versteckten.

Hier unten schien alles in bester Ordnung zu sein und die Unterwasserwelt faszinierte mich immer stärker, je länger ich sie gemeinsam mit dem Dämon erforschen konnte.

Auch Hyunjin schien sich hier unten wesentlich geborgener zu fühlen, so als wäre all das seine Heimat. Ich beobachtete, wie er einige Meter vorausschwamm, sich dann mit einer eleganten Rolle zu mir umdrehte und mir zuwinkte. Seine Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, seine Augen sahen sich aufmerksam um und sein Körper bewegte sich so geschickt und vorsichtig zwischen den Korallen und Seegräsern hin und her, dass es beinahe aussah, als würde er tanzen. Auch die Meeresbewohner fürchteten sich nicht vor ihm, sondern kamen zutraulich näher. Kleine Fischschwärme umringten seine Hände, stupsten seine Haut immer wieder an und als er eine Moräne aus ihrem Versteck aufscheuchte, schlängelte sie nur nahe an seinem Bein vorbei und suchte Schutz unter einem der tiefer gelegenen Felsen.

All das konnte ich aus nächster Nähe mitverfolgen und den Anblick auf mich wirken lassen.

Selbst von einem knallgelben Kugelfisch schien sich der Leviathan nicht abschrecken zu lassen. Stattdessen streckten sich seine langen Finger keck nach dem giftigen und in der eindeutigen Warnfarbe gewandeten Wesen aus und dann stupste er es doch tatsächlich an. Etwas empört über so viel Wagemut plusterte sich der Kugelfisch auf und schwamm davon. Hyunjin kicherte und wandte sich zu mir um. Erneut machte er eine Handbewegung, die mich einlud, ihm zu folgen.

Ich schwamm immer noch wesentlich vorsichtiger als er und bemerkte, dass die Fische zu mir einen kleinen Sicherheitsabstand hielten. Doch das war für mich in Ordnung, immerhin war es schon ein Traum, sie so nahe bei mir zu wissen und ihre schillernden Schuppen und durchscheinenden Flossen begutachten zu können.

Als nächstes umrundeten wir einige Felsen, die über und über mit farbenprächtigen Korallen bewachsen waren. Besonders die dunkelroten Korallen erweckten meine Aufmerksamkeit und nach einem genaueren Blick wusste ich auch warum. Zwischen den einzelnen verzweigten Wucherungen fanden sich viele Seepferdchen, die gemächlich durchs Wasser zogen. Die meisten von ihnen hatten eine sandige Färbung, andere waren auffallend zitronengelb. Fasziniert beobachtete ich, wie ein Seepferdpärchen dicht nebeneinander schwamm und dabei die Enden ihrer Schwänze miteinander verhakten.

„Diese Tierchen sind wirklich geschickt", kommentierte Hyunjin, der mein Innehalten bemerkt hatte und nun neben mir schwamm und zusah, wie sich die Tierchen trotz ihrer Verbindung noch erstaunlich sicher durchs Wasser fortbewegten und nun ein dichtes Seegrasbüschel ansteuerten. Abermals zierte ein Schmunzeln Hyunjins volle Lippen und er zog mich vorsichtig weiter.

„Lassen wir ihnen ihre Privatsphäre. Die beiden befinden sich gerade in ihrer Balz. Dann tanzen sie sogar füreinander und um sich nahe zu sein, verbinden sie ihre Schwanzenden."

Nachdem wir also die Seepferdchen ihrem eigenen Vergnügen überlassen hatten, umschwammen wir noch einige aufragende Felsen und schließlich tauchten einige schräg aufragende Holzplanken in meinem Sichtfeld auf. Sie waren mit Seetang und Muscheln bedeckt und kaum noch als Holz zu erkennen. Ähnlich wie bei dem anderen Schiff, das mir Hyunjin gezeigt hatte, schien dieses Wasserfahrzeug bereits sehr lange hier zu liegen. Erst als wir noch näher herantauchten, konnte ich erkennen, dass dieses Segelschiff gekippt war und fast vollständig auf der Seite lag. Nur ein spitz aufragender Fels hielt noch den hinteren Teil der fragilen Konstruktion in einer halbwegs aufrechten Position.

Trotz des fortgeschrittenen Verfalls überblickte ich jetzt erst die tatsächliche Länge des Wracks und betrachtete das, was einmal das Oberdeck gewesen sein musste. Der Hauptmast war beinahe vollständig zersetzt und nur ein mickriger kleiner Stumpft deutete ihn noch an. Die Planken des Decks und auch die Außenhülle des Schiffes waren an so vielen Stellen bereits eingebrochen, dass ich mich nicht traute, mich irgendwo festzuhalten oder abzustützen. Ich versuchte zum Bug zu gelangen und vielleicht herauszufinden wie das Schiff hieß, doch da waren nur noch Algen und vermodertes Holz.

„Das Wrack sieht dem der Conception irgendwie ähnlich", stellte ich fest und musste mich zunächst wieder daran gewöhnen, meine Worte nur als Gedanken zu formulieren, um sie dem Dämon zu übermitteln. Gleichzeitig beobachtete ich Hyunjin aufmerksam, der ganz behutsam einen Krebs zurück auf den Boden setzte.

„Verständlich, immerhin ist das hier einer der Vorgängertypen der Galeone. Das hier ist eine Karacke, eines der ersten Hochseesegelschiffe, das ebenso für den Kampf gerüstet war."

Meine Augen huschten über das morsche Deck hin zu der Erhöhung am Heck des Schiffes. Zwar war auch dort nicht viel von der einstigen Raffinesse des Seglers zu erkennen, doch ich versuchte es mir vorzustellen.

„Ein Vorgängertyp... dann ist dieses Schiff also noch früher gesunken, als das auf der Silver Bank?"

„Ja, etwas mehr als hundert Jahre früher." Hyunjin war mir näher gekommen und verfolgte amüsiert mit, wie ich meinen Mund zu einem kleinen überraschten O formte und anschließend kurz rechnete, wann dieses Schiff ungefähr in diesen Gewässern gesegelt war.

„Bevor du dir dein hübsches Köpfchen drüber zerbrichst; es war im Jahr 1511 als die Flor de la Mar gesunken ist. Übrigens befinden wir uns gerade im Indischen Ozean, genauer gesagt auf einer Seepassage, die sich die Straße von Malakka nennt. Sie liegt zwischen Indonesien und Malaysia."

Nun war ich nur noch neugieriger. „Und was genau macht dieses Wrack so interessant, dass du es mir unbedingt zeigen wolltest?"

Der Silberhaarige grinste hochmütig und griff nach meinen Unterarmen, sodass er mich an sich ziehen konnte und dann meine wild umherflutenden Haare zurückstrich.

„Ich habe mich daran erinnert, wie abenteuerlustig du bist und da dachte ich, dieses Schiff ist genau das richtige für dich." Er zwinkerte mir zu und griff sanft nach meinem Kinn. Sein Daume strich über meine Unterlippe, verfolgte die Geste selbst genau und als ich meine Lippen teilte, um ihn zu fragen, inwiefern diese gesunkene Karacke mir von Nutzen sein konnte, drückte er seinen Körper an meinen.

„Warum ist es das richtige für mich?"

„Mhm~ ich glaube dafür muss ich dir genauer erklären, was für einen Zweck dieses Schiff verfolgt hat. Ursprünglich sollte die Karacke Handelswaren von Indien nach Portugal transportieren. Aber da dies auch die Zeit war, in der die Spanier und Portugiesen Indien und die Nachbarländer ausbeuteten, kam es immer wieder zu Konflikten. Deshalb rekrutierte man auch geeignete Handelsschiffe als Kriegsschiffe."

Ich legte den Kopf schief und starrte an Hyunjin vorbei auf die modrigen Holzplanken. „Du meintest doch, dass es heute ohne Gewalt und Grausamkeit abläuft."

Eine Hand legte sich behutsam an meine Wange und stellte sicher, dass ich meine Aufmerksamkeit erneut dem Dämon schenkte.

„Keine Sorge, ich werde dir die schmutzigen Details vorenthalten. Jedenfalls beteiligte sich die Flor de la Mar unter dem Kommando von einem portugiesischen Adligen, Alfonso de Albuquerque, an der Eroberung von Malakka. Sie wurde sogar zum Flaggschiff und jetzt kommt der wirklich interessante Teil für dich. Als sie gerade mit all den erbeuteten Reichtümern zurück nach Portugal segelte, geriet sie in einen Sturm, lief sie auf ein Riff auf und sank hier."

Zunächst verstand ich nicht genau, wieso das für mich von Bedeutung sein sollte, allerdings erinnerte ich mich an seine Formulierung.

„Was genau darf man unter "Reichtümern" verstehen?"

Der Dämon grinste zufrieden und gab mir die Antwort, die meinen Atem stocken ließ.

„Edelsteinbesetzte Statuen, 60 Tonnen Gold, Rubine und Diamanten aus den Schatzkammern des letzten Sultans."

„Oh wow~" Ehrfürchtig sah ich auf das stark lädierte Schiff, das einst so wertvolle Fracht transportiert hatte. Dann aber weiteten sich meine Augen und ich deutete unsicher auf die gesunkene Karake. „Du-du willst mir aber nicht sagen, dass-"

„Doch, Jeongin. All die Schätze sind noch an Bord." 


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Für die, die kein Portugiesisch/Spanisch können: Flor de la Mar heißt übersetzt die Blume des Meeres oder einfacher auch Meeresblume, deshalb der Titel für dieses Kapitel. 

Und es gibt sogar eine Nachbildung des Schiffes. Ich füge euch einfach ein paar Bilder ein, dann kann man sich besser vorstellen, wie groß es eigentlich ist. 

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