Der Schatz des Drachen
Jeongins Pov:
„Doch, Jeongin. All die Schätze sind noch an Bord."
Die blauen Augen funkelten zufrieden und dann fügte er erklärend hinzu. „Du warst schon das letzte Mal so enttäuscht, als ich dir keine der schönen Silbermünzen anbieten konnte. Aber heute kannst du dir etwas von dem Gold oder den Edelsteinen aussuchen."
Noch wusste ich nicht, wie ich auf das reagieren sollte, was mir der Dämon da erzählte. Zum einen weil ich immer noch überwältigt von den Informationen war, andererseits weil Hyunjin sich all das gemerkt hatte und das hier offenbar wirklich eine Überraschung für mich sein sollte.
„Wie- wieso ist die Flor de la Mar nie geplündert worden? So tief liegt sie doch gar nicht." Es erstaunte mich tatsächlich und kurz maß ich das Wrack nochmal mit Blicken. Geschätzt würde ich behaupten, dass das Schiff gute vierzig bis fünfzig Meter lang war und man es trotz des fragwürdigen Zustandes schon längst entdeckt haben müsste.
Allerdings hatte Hyunjin auch dafür eine einleuchtende Erklärung.
„In diesen Gewässern liegen ziemlich viele Schiffswracks und vielleicht habe ich auch ein wenig nachgeholfen." Auf diese Tatsache schien er besonders stolz zu sein. „Ich habe sozusagen einen gestohlenen Schatz verschwinden lassen. Das ist doch der Stoff, aus dem man später gute Geschichten spinnen kann."
„Ja, ein bisschen wie bei Atlantis", murmelte ich und die Mundwinkel meines Gegenüber zuckten vergnügt.
„Ganz genau so. Bei Atlantis seid ihr Menschen immerhin recht nahe an der Wahrheit. Auch wenn die Zerstörung weniger auf die Arroganz der Bewohner zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf Gottes Wunsch die Stadt auszulöschen."
„Weißt du was, mich überrascht heute gar nichts mehr", übermittelte ich ihm meine Gedanken und löste mich so weit von Hyunjin, dass ich nun dichter an das Schiff herantauchen konnte. Zuvor fragte ich ihn dennoch. „Also hattest du auch damit zu tun, dass Atlantis untergehen musste?"
Mein Begleiter nickte nur und griff nach meiner Hand, um mich mit sich zu ziehen. Er lotste mich zu einem großen eingebrochenen Teil des Achterdecks und verschwand dann mit mir im Inneren des Schiffsbauches. Dort konnte man tatsächlich mehrere vollkommen von Algen überwucherte Statuen ausmachen, die kreuz und quer herumlagen, teilweise auch übereinander und ineinander verkeilt. Ebenso gab es mehrere Kisten oder große Fässer, die schon einen Teil ihres Inhaltes preisgaben. Goldene Münzen quollen aus einer Kiste hervor, ebenso aus einem der umgekippten Fässer.
Fast alles war mit einer Schicht aus feinem Sand oder Gemisch aus Schlamm und Kies bedeckt. Also tauchte ich zum Boden und hob eine der Münzen auf, strich mit den Fingern über die Oberfläche und begutachtete die Prägung. Sie sah so anders aus, als ich von Münzen gewohnt war und dennoch seltsam vertraut.
Schließlich entdeckte ich eine Kiste, die deutlich kleiner und kompakter aussah, als die übrigen. Behutsam befreite ich sie zunächst von der Schicht aus Sedimentgestein und versuchte sie anschließend zu öffnen. Aber gelingen wollte es mir nicht wirklich. Hilfesuchend blickte ich zu Hyunjin auf, was diesen dazu veranlasste, zu mir zu schwimmen, seine Hand vorsichtig auf das Schloss der Truhe zu legen und den Deckel mühelos anzuheben.
Sogleich quollen durchscheinende Edelsteine hervor und einige schwebten im Wasser zu Boden. Doch der Großteil blieb in der ausgepolsterten Kiste und funkelte mir immer noch entgegen. Das Wasser hatte den Diamanten nichts anhaben können und der Schutz der Truhe hatte sie ebenso vor Schleifspuren des Sandes oder anderer Krafteinwirkungen geschützt.
Die Ehrfurcht vor dem unvorstellbaren Reichtum, der dort direkt vor mir auf dem Grund des Ozeans lag, wollte mich bereits dazu bringen, die Kiste zu schließen und zurückzustellen. Immerhin war das hier ein gestohlener Schatz. Die portugiesischen Seefahrer hatten sich all die Kostbarkeiten, die sie auf ihrem Schiff nach Hause transportieren wollten, unrechtmäßig angeeignet.
„Such dir ruhig etwas von dem aus, was du hier findest. Alles wirst du nicht mitnehmen können, aber wenn dir etwas besonders gefällt, dann nimm es dir."
Langsam schüttelte ich den Kopf und vollführte eine halbe Drehung im Wasser, um meinen Begleiter ansehen zu können. „Das ist nicht richtig. Diese Dinge wurden anderen Menschen weggenommen, vielleicht haben sie sogar mit dem Leben dafür bezahlt."
„Jeongin, diese Menschen sind schon lange tot und auch die Verursacher ihres Leides sind es. Reichtümer und Geld bedeuten nichts... sie sind auf Dauer wertlos. Du tust niemandem weh, wenn du es nimmst", versuchte er mich nun zu überzeugen und ich zögerte einen Augenblick, bevor ich den Deckel der Kiste zurück nach unten drückte.
„Für mich wäre es nicht wertlos", meinte ich leise und machte dennoch einige Schwimmzüge zurück, sodass ich mich noch besser im Inneren des Schiffsbauches, oder von dem, was noch übrig war, umsehen konnte.
Etwas zwischen einem Seufzen und einem verstehenden Laut kam in meinem Kopf an, als Hyunjin sich jetzt selbst nach vorn bewegte und den Deckel der kleinen Truhe wieder öffnete. Zielsicher griff er hinein, zog einen der wertvollen Diamanten heraus und betrachtete ihn eingehend. Er schloss ihn in seiner Hand ein und tauchte hinüber zu einem der Fässer mit Gold- und Silbermünzen. Auch hier nahm er einige der silbernen Münzen an sich und legte sie zu dem Stein. Anschließend formte er seine Hände zu einer Art Schale und starrte intensiv auf das, was sich auf seinen Handflächen befand.
Ich selbst konnte nicht sehen, was er tat, da er es äußerst geschickt vor meinen Augen verbarg. Erst nach weiteren Sekunden der Stille, öffnete er seine Handflächen und brachte eine filigrane Silberkette zum Vorschein, an der der Diamant nun hing. Doch da war noch ein zweiter Gegenstand, der sich teilweise wie eine kleine halbrunde Schale um den tropfenförmigen Stein bog. Das Objekt schillerte in einem Meerblau und zunächst glaubte ich an eine Lichtreflexion. Dann kam Hyunjin mitsamt der Kette näher und streckte sie mir entgegen.
„Wenn du sie nicht selbst nehmen willst, schenke ich sie dir. Die Steine haben nichts davon, hier unverwendet liegenzubleiben... Du willst dich nicht an ihnen bereichern, das akzeptiere ich. Dieser Schatz gehört dem Meer, also kann und werde ich dir einen Teil dieses Schatzes zum Geschenk machen."
Bei diesen Worten wurde mir warm ums Herz und mein Blick huschte zwischen Dämon und Kette hin und her. Und da ich mich nicht dagegen wehrte, schwamm Hyunjin zu mir, legte die filigrane Kette um meinen Hals und verschloss sie in meinem Nacken. Ich selbst schielte auf den Diamanten und dann hob ich ihn sanft an, mitsamt dem zweiten Gegenstand, den ich nun auch deutlich erkannte.
„Und warum schenkst du mir das?"
Dabei deutete ich auf die sichelförmige Schuppe, die mir entgegenfunkelte.
„Weil ich es kann und weil ich es möchte." Diese Worte klangen so simpel und doch auf ihre eigene Weise wie ein Eingeständnis. Deshalb drehte ich mich zu ihm, hielt immer noch sein Geschenk in Händen und war mir darüber bewusst, dass seine Schuppe wohl viel wertvoller war als dieser Diamant.
„Aber das ist zu viel", erwiderte ich leise und strich zärtlich über die glatte Oberfläche beider Gegenstände. Es fühlte sich an, als sei ich dieser ganzen Aufmerksamkeit und dieses Geschenks nicht würdig. Doch schon schlossen sich Hyunjins Finger um meine, drückten meine Hände enger um die Schuppe und den Edelstein.
„Du wirst sie behalten." Seine Augen musterten mich eindringlich und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet er würde mich gerade mit seinen Kräften beeinflussen. Dann wurde sein Gesichtsausdruck sanfter und ein zartes Lächeln erhellte auch seine sturmblauen Augen. „Ein Drache verschenkt nicht oft etwas von seinem Schatz... Also trag es. Mir zuliebe."
Als er merkte, dass ich nicht länger gegen seine Großzügigkeit argumentierte, löste er seine Finger von meinen und streichelte stattdessen durch mein Haar.
„So kann ein Teil von mir bei dir sein, ohne dass ich in deiner Nähe sein muss. Außerdem wirst du so daran erinnert, dass diese Bindung nicht nur in eine Richtung funktioniert."
Überrascht blinzelte ich.
Hatte er mir gerade indirekt gestanden, dass er ebenso für mich empfand oder bildete ich mir das auch nur ein?
Jedenfalls konnte ich nicht lange darüber nachdenken, denn seine Lippen schwebten bereits dicht vor meinen und dann schmiegten sie sich behutsam gegen meine. Und ich musste zugeben, dass diese Art unter Wasser rumzuknutschen eindeutig Suchtpotential hatte. Man fühlte sich behütet und gleichzeitig so leicht. Man konnte es also vollkommen genießen.
Viel zu schnell für meinen Geschmack löste sich mein Gegenüber aus dem Kuss, den er Sekunden zuvor erst vertieft hatte und seine Zunge bedacht und zärtlich in meine Mundhöhle geschoben hatte. „Ich würde ja gern länger bleiben, aber es gibt noch eine Menge zu tun und man fordert meine Anwesenheit", erklärte er leicht bedauernd und zog mich näher an sich. „Wohin soll ich dich bringen? Zurück zu Jisung oder nach Hause?"
Kurz überlegte ich und entschied dann. „Zu Ji. Er wird erstens keine Fragen stellen und zweitens sind all meine wichtigen Sachen bei ihm."
Nickend bestätigte Hyunjin, dass er verstand und wiederholt wurde ich in den tiefblauen Strudel gezogen.
Pitschnass landeten wir auf dem hübschen Teppich in Jisungs Bad. Hastig riss ich die Tür zur Duschkabine auf und sprang hinein, ebenso geistesgegenwärtig zog ich Hyunjin mit und seufzte leise, als ich sah, dass wir dennoch eine große Wasserpfütze auf den Fliesen hinterlassen hatten. Etwas umständlich begann ich mich aus dem nassen Shirt zu winden und auch die Hose abzustreifen. Dann hörte ich die Stimmen vor der Tür und überlegte, ob ich schon auf uns aufmerksam machen sollte.
„Wenn ich es dir doch sage, Ji. Mein Vater wird uns helfen."
„Das ist schön und gut Lix, aber wenn er sich einmischt, könnte es genauso schwierig werden. Du weißt was mir Minho bedeutet, was ist, wenn er sich von mir hintergangen fühlt, sobald..." An diesem Punkt entschied ich mich, die Unterhaltung zu unterbrechen. Immerhin konnten die beiden nicht wissen, dass nicht nur ich unfreiwillig lauschte, sondern auch Hyunjin sicherlich jedes Wort vernahm.
„Jisung! Felix!?"
Für einige Sekunden war es still, dann hatten beide meinen Standpunkt lokalisiert und die Tür zum Bad öffnete sich. Überrascht blickte Ji zu mir und Hyunjin und erkannte das Problem.
„Ähm, einen Moment." Er lief hinüber zu einer Kommode mit Handtüchern und reichte uns jeweils zwei. „Ich-ich bring euch noch was zum Anziehen." Schon verschwand er, während Felix im Türrahmen lehnte und den Dämon musterte, der sich nun ebenfalls ganz ungeniert die Kleidung abstreifte.
„Ist alles in Ordnung, Jeongin?"
Hastig nickte ich und versteckte den sanften Rotschimmer auf meinen Wangen, als ich mich ganz entblößte und sogleich einen kleinen Klaps auf den Hintern bekam.
„Alles bestens, Lix."
Die folgenden Minuten waren wirklich komisch, nicht nur, dass Hyunjin erstaunlicherweise die Kleidung akzeptierte, die Jisung ihm hinhielt, sondern auch die Rücksicht die er zeigte. Weder hatte er die große Klappe meinen Freunden gegenüber, noch ließ er mich einfach allein.
Er verabschiedete sich sogar sehr nachdrücklich von mir, indem er mich in einen Kuss verwickelte und mir zuwinkte, bevor er aus Jisungs Zimmer verschwand.
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Jetzt habt ihr noch mehr Stoff zum Nachdenken, warum Hyunjin auf einmal so freundlich ist ^^
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