Der Preis des Lebens

Jisungs Pov:

„Wir sind hier fertig."

Immer noch vertraute ich meinem Körper nicht so ganz. Mein Herz schlug schnell und kräftig, meine Umgebung war unglaublich scharf und ich erkannte selbst in der Dunkelheit mehr, als gut für mich war. Ich sah nicht nur die einzelnen Blutflecken und deren Farbnuancen, ich konnte sogar die kleinsten Kratzer im Blech unseres schwarzen Wagens sehen. Es war beinahe beängstigend. Ganz zu schweigen von meinem Gehör und der unglaublichen Wärme, die sich in meinem Inneren festsetze wie eine hartnäckige Erkältung.

„Minho" Ich hatte seinen Namen nur leise gesprochen, weil ich glaubte mein Gehirn würde alles Laute nicht ertragen.

Der Dämon drehte sich zu mir, musterte mich einen Augenblick lang sehr aufmerksam und streckte dann seine Hand nach mir aus.

Doch ich war unfähig mich zu bewegen oder auch nur zu verstehen, was gerade alles passiert war. Jetzt war es wie ein Schlag ins Gesicht. 

Ich müsste eigentlich tot sein. Jemand hatte mich erschossen. Und dennoch stand ich hier. 

Wie hatte all das passieren können?

„Lass uns von hier verschwinden." Der Dämon sah sich sekundenlang in dem Chaos um, das er geschaffen hatte. Schlussendlich blieb sein Blick nur kurz am Aston Martin hängen, bevor er mit dem Finger schnippte und der Wagen verschwand. Als er merkte, dass ich seine Hand immer noch nicht ergriffen hatte, zog er mich einfach an sich und schon verschwamm alles um mich herum. Schon wieder stürzte ich durch Raum und Zeit und kam stolpernd auf Sand zum Stehen.

Minho löste sich von mir, schien mir den nötigen Freiraum zu geben, den ich wirklich ganz dringend brauchte.

Ich stand ein wenig schwankend da, schlang schließlich die Arme um meinen Körper und versuchte die letzte halbe Stunde nochmal in Gedanken zu durchlaufen. Aber alles auf was ich mich fokussieren konnte war, wie ich immer und immer wieder starb. 

Das Brennen in meinen Lungen, der Schmerz der Wunde, wenn ich versuchte zu atmen und dann Minhos kalte Worte. Wie er zugesehen hatte. Einen Deal mit mir schließen wollte und mich fast hätte sterben lassen.

Plötzlich schien alles um mich herum etwas dunkler zu werden. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, alles würde mit einmal auf mich einstürzen. Die Geräusche wurden leiser, mir war nicht mehr unerträglich warm und auch meine Sicht schien sich wieder auf das gewöhnliche Maß zu reduzieren. Jedenfalls das schien sich zu normalisieren. Doch meine Gedanken folgten diesem noblen Beispiel nicht. Sie schlugen mit aller Macht auf mich ein, stellten die Tatsachen glasklar dar, sodass ich sie nicht ignorieren konnte. 

Ich wäre gestorben... wenn Minho mich nicht gerettet hätte... aber wollte er das überhaupt? Hatte ich meine Antwort nicht eigentlich schon?

Meine Beine gaben unter mir nach und ich stürzte in den Sand, fiel fast vornüber und stützte rasch meine Hände auf, bevor ich hastig ein- und ausatmete und versuchte, erneut Herr über meinen Verstand zu werden. Am liebsten wollte ich weinen. Aber irgendwie funktionierte es nicht. Ich zitterte zwar am ganzen Körper, aber alles andere war in diesem Augenblick nicht möglich.

„Jisung."

Schuhe tauchten in meinem Sichtfeld auf und dann beugte sich Minho zu mir herab. Ich spürte seine Fingerspitzen an meiner Schulter, doch ich blickte nicht auf. Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich setzte mich aufrecht hin. Kniete dort im Sand und starrte stumm vor mich hin. 

Mir half das Schweigen. Es war leer und sinnbefreit, doch es gab mir einen Teil meiner Kontrolle zurück und schließlich ebbte das Beben ab, ebenso wie die rasenden Gedanken.

„Du wolltest mich sterben lassen."

„Dann hätte ich dir kaum einen Deal angeboten."

„Aber du wolltest mich kaufen... ich sollte den Preis bezahlen." Meine Stimme war voller Bitterkeit und ich fühlte mich belogen, ausgenutzt.

„Dann ist es ja gut, dass ich dich dennoch gerettet habe." Etwas wie Missbilligung schwang in Minhos Stimme mit und es machte mich stutzig und wütend. Er hatte kein Recht, mich jetzt für meinen Entschluss zu kritisieren.

„Ich bin nicht dein fucking Spielzeug, das du herumkommandieren kannst! Ich wäre fast gestorben! Und es war meine Entscheidung! Ich sollte bestimmen ob und wie ich lebe oder sterbe!" Ich riss meinen Kopf in die Höhe und funkelte ihn meinerseits wütend an. Zuerst hörte ich sein Knurren, dann sah ich die rot flammenden Augen.

„Du hast ja keine Ahnung, du dummer Mensch. Dir ist nicht klar, was mein Blut mit dir anrichten kann! Dein Tod oder ein verdammter Deal wären wesentlich simpler gewesen als das hier!" 

Minho machte eine undeutliche Handgeste in meine Richtung und dann fuhr er sich aufgebracht durch die Haare. „Verstehst du überhaupt nicht, dass solche Handlungen auch Folgen haben? Aber nein, du musstest mir ja jede andere Option verwehren." 

Aufgebracht wandte sich der Dunkelhaarige ab und machte einige Schritte von mir weg. Seine Stimmung war schwer einzuschätzen, doch während seiner Worte hatte ich nachgedacht. Ich hatte versucht ihn zu verstehen. Aber ich war mir nicht sicher, ob meine Schlussfolgerungen aus seinen Worten richtig waren. Jedenfalls hatte der kurze Ausbruch auch mein Gemüt wieder etwas abgekühlt und ich betrachtete den Dämonen verwundert.

Er hatte so gesehen recht, dass ich ihm die Entscheidung abgenommen hatte, doch warum hatte er sich dann dazu entschlossen, mich zu retten?

Schwankend kämpfte ich mich auf die Beine, taumelte unsicher auf ihn zu und berührte ihn zart an der Schulter. Als er sich tatsächlich zu mir umdrehte und mir kühl entgegensah, schlang ich meine Arme unvermittelt und sehr fest um seinen Hals und seinen Rücken und schmiegte mich an ihn. Zunächst schien es so, als würde er sich versteifen und mich abschütteln wollen, doch dann legten sich seine Arme ebenso um meinen Rücken.

„Danke", nuschelte ich und lehnte mich an ihn. „Danke, dass du mein Leben dennoch gerettet hast. Ich hatte solche Angst... vor allem davor, dich nie wieder zu sehen."

Ein Seufzen kam von Minho und dann drückte er meinen Kopf mit einer Hand nach oben. Seine roten Augen bohrten sich in meine und er wirkte noch immer aufgebracht. „Bedanke dich nicht. Ich habe dir keinen Gefallen getan, Jisung. Mein Blut wird dich verändern."

Blinzelnd blickte ich zu ihm auf und eigentlich hätte ich nun wieder Angst empfinden sollen, doch ich verdrängte diese Empfindung und nickte langsam. „Das ist dann wohl der Preis, den ich dafür zahlen muss, wenn ich mich erschießen lasse." 

Warum auch immer ich nun so ruhig darüber sprechen konnte. Es bedeutete mir in diesem Moment einfach alles, in Minhos Armen zu sein und zu wissen, dass er sich schlussendlich doch für mein Leben entschieden hatte. Etwas an ihm musste gut sein... oder zumindest ein Fünkchen Zuneigung verspüren. Außerdem war ich ihm jetzt nicht ähnlicher? Was war ich nun eigentlich?

Doch der Dunkelhaarige runzelte die Stirn. „Noch eine Sache, die eigentlich nicht hätte geschehen sollen. Meine Flammen hätten die Kugel abfangen müssen."

Ich zuckte die Schultern. „Vielleicht war die Kugel eher als dein Schutzschild."

Diese Worte schienen ihm keineswegs einleuchtend, denn seine Augen glommen flüchtig auf. „Du verstehst nicht, Jisung. Ich war nicht zu spät. Nichts hätte diese Flammen durchdringen können."

Da ich nicht diskutieren wollte, nickte ich nur, gab ihm somit stumm Recht. Dann verstand ich jedoch nicht, wie es doch hatte passieren können. Er könnte sich dennoch irren. Niemand war perfekt und schon gar nicht unfehlbar. Aber das wollte ich ihm nicht auch noch unter die Nase reiben.

„Du hast davon gesprochen, dass mich dein Blut verändert. Was wird das für eine Art Veränderung sein?"

Aufmerksam beobachtete ich ihn, wollte seine Mimik studieren und zumindest irgendwas Brauchbares abfangen, um zu sehen was er wirklich meinte. Mein Gegenüber sah mich an, seine Augen tiefrot und immer noch mit einer Mischung aus Unglauben und Resignation.

„Das kann ich dir nicht sagen." Er hob die Hand, als ich schon protestieren wollte und brachte mich so zum Innehalten. „Nicht, weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht genau kann. Dein Körper wird in irgendeiner Form reagieren. Wie er das tut, das kann nur die Zeit zeigen. Vielleicht passiert auch gar nichts."

Seine Augen glommen leicht und für einige Sekunden tanzten goldene Partikel wie Ascheflöckchen in einem Feuer durch seine Iris, doch dann blinzelte er und seine Augen waren wieder vollkommen rot und ließen keinen Schluss zu. Ich löste mich aus seinen Armen und verschränkte die meinen vor der Brust, um mich vor der kühlen Briese zu schützen, die mein viel zu dünnes Outfit traf. Ich fror ein wenig und wollte es aber nicht so deutlich zeigen. Ich wusste nicht einmal, ob die Kälte nur vom Wetter ausging oder auch von den erstaunlich nüchternen Gedanken, die sich meines Verstandes bemächtigten.

Ich sah alles rational, schien an meiner Situation nichts ändern zu können und stellte mir sogar vor, dass dieses Geschehen nicht das Schlimmste war, was hätte passieren können. Vielleicht war es mir nun möglich, Minho besser zu verstehen und so auch eine tiefere Verbindung zu ihm aufzubauen. Es bestand noch Hoffnung. Wenn ich mehr so war wie er, konnte er mich dann möglicherweise auch mögen?

Sanft kaute ich auf meiner Unterlippe, rieb mir über die Oberarme, um die empfindliche Kälte von mir fernzuhalten und spürte dann eine sanfte Berührung an meiner Schulter. Minhos Hand legte sich auf mein Hemd, die zweite schlang sich ebenso behutsam um meinen Bauch und sein Daumen strich über meine Seite.

„Lass mich dich nach Hause bringen."

-----------

Hier noch ein bisschen Gefühlschaos für euch. 😈🔥

Was denkt ihr, wird sich Jisung verändern? Und wenn ja, wie? 👀

I love you Stay 💕 Habt ein schönes zweites Adventswochenende. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top