Dem Wahnsinn nahe
Triggerwarnung: Beleidigungen, seelische Gewalt
Jeongins Pov:
„Und du bist dir sicher, dass ich zu mir nach Hause soll und du allein zu dir willst?", fragte ich Seungmin skeptisch, der mit Felix und mir durch die Siedlung lief. Felix schien ein wenig in Gedanken aber hatte unserem Kumpel ebenfalls angeboten ihn zu begleiten. Doch dieser winkte ab und deutete auf den kleinen Hund an seiner Seite.
„Ist schon gut, ich habe immer noch Berry und je eher ich mich dieser Angst stelle, desto schneller bin ich sie hoffentlich los." Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass er vielleicht auch einfach Ruhe von all dem Trubel brauchte. Sicher wollte er für sich nachdenken und alles Geschehene verarbeiten. Das würde ich wohl ähnlich machen.
Deshalb nickte ich bestätigend und sah dann zu meinem Elternhaus hinüber. „Na gut, dann habt beide noch einen schönen Abend. Kommt gut nach Hause und wenn etwas ist, sagt bitte Bescheid." Dann umarmte ich sie beide nochmal kurz und bog dann ab. Ich sah, dass Licht im obersten Stockwerk unseres Einfamilienhauses brannte und wunderte mich kurz, da es aus meinem Zimmer kam.
Hatte ich das Licht angelassen? Oder möglicherweise hatte mein kleiner Bruder etwas aus meinem Zimmer geholt.
Ich zog die Stirn in Falten und schloss die Tür auf.
„Hey, ich bin zuhause!", rief ich laut und deutlich. Doch ich erhielt keine Antwort. Das überraschte mich dann doch, zumindest bis ich den Zettel auf dem Tisch fand.
Wir sind bei den Mins zum Grillen. Wenn du willst, kannst du nachkommen. Kuss, Mama.
Irgendwie erinnerte mich die Szene kurz an meinen ersten Abend mit Hyunjin. Als ich ihn in meinem Zimmer sitzend vorgefunden hatte und noch vollkommen überwältigt von der Tatsache war, dass er ein Dämon sein sollte. Sogleich bemächtigte sich eine Art Anspannung meines Körpers und mein Kopf wollte mir schon verklickern, dass es diesmal ja genauso sein könnte. Womöglich wartete er erneut auf mich. Vielleicht war er wirklich wieder da.
Mein Herz schlug schneller und rasch lief ich zur Treppe, erklomm die Stufen ebenso eilig und lief dann zielstrebig zu meinem Zimmer. Unter dem Türrahmen hindurch sah ich das warme Licht auf den Flur fallen und öffnete dann ungeduldig die Tür.
Ich trat ein, sah wie automatisch zum Schreibtisch und war diesmal wesentlich weniger schockiert, als mich die hochgewachsene Gestalt mit den silbrigen Haaren und den übereinandergeschlagenen, langen Beinen mit einem süffisanten Grinsen begrüßte.
Automatisch schlich sich ein erleichtertes Lächeln auf meine Lippen und ich schloss die Tür hinter mir.
„Du bist wieder da." Ich versuchte mit diesem einen Satz all meine Sorgen, die ich in der letzten Woche ausgestanden hatte, auszudrücken. Denn ich hatte so lange darum gebangt, dass ihm etwas passieren könnte, dass er bei den Kämpfen verletzt oder sogar getötet werden würde. Doch jetzt war er wieder hier. Er saß lässig im Stuhl und sah mir entgegen.
Nur kurz irritierten mich sein Erscheinungsbild, aber ich trat schon näher und streckte meine Hand nach ihm aus. Seine Augen folgten dieser Bewegung und als meine Finger seine Haut streiften, knurrte er leise. Es war ein so unvermittelter und ungewohnter Laut in dieser Situation, dass ich meine Finger eilig zurückzog und verlegen zu ihm herabsah.
„Bist du noch sauer wegen unserer letzten Unterhaltung?", fragte ich traurig und wollte mich schon erklären, als er aufstand und mich an den Schultern fasste.
„Nicht schon wieder dieses sinnlose Geplapper", brummte er verstimmt und ich blinzelte verwundert.
„Wa-was meinst du mit wieder?"
Doch er überging meine Frage und griff stattdessen fester nach meinen Oberarmen, seine Finger bohrten sich in die Haut und es schmerzte bereits leicht. Dennoch traute ich mich nicht, mich ihm gerade zu widersetzen.
„Hör einfach auf, meine Nerven zu strapazieren, Jeongin", fauchte er und ich zuckte zusammen. Etwas tief in mir wollte mich warnen, mir sagen, dass ich flüchten sollte, mich vor ihm schützen musste... zur Not auch gegen ihn ankämpfen musste.
„A-aber ich tue doch gar nichts, Hyunjin. Was ist los mit dir? Ist etwas passiert?"
Nun blickte er mich aus braunen, bedrohlich funkelnden Augen an und eine Spur von blau zog sich durch die Iris. Es war jedoch kaum mit der sonstigen Intensität zu vergleichen und ich sah genauer hin.
„Was ist mit deinen Augen los? Bist du im Kampf verletzt worden?"
Für einen Moment schien sich Hyunjin über irgendetwas maßlos zu ärgern und dann nahm die Iris ein tiefes und dennoch trübes Blau an.
„Gar nichts ist los... mir geht es blendend. Was man von dir wohl nicht mehr lange behaupten darf."
Kalte Schauer liefen über meine Haut. Es fühlte sich an, als würden eisige Wellen mich mitreißen wollen und ich bemerkte kaum, wie ich zu zittern begann. Je länger ich in die fies glänzenden Augen sah, desto stärker wurde es.
„Was-was meinst du damit?"
„Genau das, was ich gesagt habe." Immer noch überfordert schüttelte ich den Kopf und versuchte nun aus der Umklammerung seiner Arme zu entkommen.
„Das kannst du nicht ernst meinen... ich-ich dachte- du beschützt mich." Woher mein Mut kam, wusste ich nicht. „Sonst hättest du mich doch kaum vor dem Ertrinken gerettet oder mich geheilt? Was sollte das? War das alles umsonst?"
Ich wollte es nicht akzeptieren. Nein, ich konnte es nicht. Es war mir unbegreiflich, warum er nun davon sprach, mir etwas anzutun. Es ergab keinen Sinn. Oder mein Verstand wollte nur die aufsteigende Angst unterdrücken, die auf jede Zelle meines Gehirns kroch. Aber bevor ich mich noch mehr um Kopf und Kragen reden konnte, packte der Dämon vor mir mein Kinn, drückte es nach oben und sah mir fest in die Augen.
„Ich meine es ernst. Zweifle nie wieder an meiner Aussage. Aber ich werde dir eine einzige Chance geben... ich werde dir die Wahl lassen. Wenn du es schaffst, mich umzubringen, dann wird dieser Alptraum für dich enden." Er kicherte fies. „Ich mache es dir leicht, Jeongin. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder tötest du mich und du bist frei von all deinen Ängsten und meinem Einfluss... oder ich töte dich und es kann dir sowieso egal sein, was wäre wenn. Höchstens deine kleinen Freunde würden um dich trauern. Aber auch das vergeht."
Tränen sammelten sich in meinen Augen und mein Hals schnürte sich zu. „A-aber ich-ich mag dich. Ich kann dich nicht umbringen." Meine Zuneigung kämpfte gegen meine Rationalität. Beide lieferten sich einen erbitterten Schlagabtausch, bewarfen sich mit Argumenten und mein Kopf drehte sich. Am liebsten wäre ich auf die Knie gesunken und hätte meinen Kopf festgehalten, damit er aufhörte nachzudenken. Ich wollte es nicht wahrhaben. Es musste anders gehen.
„Das ist bedauerlich Jeongin... glaubst du wirklich, ich erwidere diese widerlichen Gefühle? Bist du tatsächlich so naiv? Ich wollte nie etwas anderes, als dich zu zerstören. Ich habe deinen Verstand immer weiter vergiftet und dich zu meiner Marionette gemacht. Du bist wertlos."
Ich schluchzte auf, entwand mich seinem Griff und versuchte ihn von mir zu schieben, weil ich seine Nähe nicht ertragen konnte.
„Du-du bist ein Monster", wimmerte ich leise und wollte mein Herz davor schützen, so zertrampelt zu werden. Ich wollte diese Worte nicht glauben, auch wenn sie so abgrundtief ernst und voller Hass an mich gerichtet worden waren.
Mein Körper bebte und hastig versuchte ich, den Tränenschleier vor meinen Augen zu durchbrechen. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augenlider und presste meine Lippen aufeinander, bevor ich ein weiteres gebrochenes Schluchzen ausstoßen konnte. Stattdessen versuchte ich durchzuatmen.
„Das meinst du nicht ernst. Warum solltest du wollen, dass man dich umbringt?", brachte ich einigermaßen sicher hervor, bevor ich wieder die Schultern hängen ließ und an all die Momente dachte, in denen er bereits angedeutet hatte, dass er mich vollkommen wahnsinnig machen könnte und mich irgendwann töten würde.
„Wo bliebe sonst der Spaß für mich, wenn es kein Risiko gibt? Es ist ungemein amüsant deine Verzweiflung zu sehen." Seine Augen blitzten auf, wurden wieder so komisch blaugrau. „Ich werde es genießen, den Hoffnungsschimmer in dir am Leben zu erhalten... denn nichts anderes ist es. Ich gebe dir eine Chance, eine aussichtslose Chance, die dir einen Ausweg bietet. Und selbst wenn du stark genug bist, um mich anzugreifen, dann wirst du mich dennoch nicht besiegen können."
„Dann ist alles, was du gesagt hast eine Farce... eine wunderschöne Lüge", flüsterte ich tonlos und sank in mir zusammen.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte recht. Selbst wenn ich es schaffen sollte, meine Zuneigung für ihn zu überwinden, dann würde er mich mit spielender Leichtigkeit besiegen und mich dennoch töten. Ich hatte von Anfang an keine Chance.
„So kann man es auch nennen. Ich wusste, du bist clever. Manchmal schon fast zu clever", gab Hyunjin nun zu und lächelte dennoch so hämisch, dass es mich anwiderte.
„Dann tu es doch jetzt. Bring mich um. Es ist mir egal", meinte ich gebrochen und ließ meine Arme neben meinem Körper herabhängen. Ich versuchte gar nicht erst, mich auf das Kommende vorzubereiten. „Wenn ich sowieso keinen Ausweg habe, dann tu es jetzt gleich."
„Oh nein, das werde ich nicht. Das wäre zu einfach, Jeongin. Ich habe dich in der letzten Woche bereits mehrmals besucht und dich immer wieder mit kleinen Häppchen des Wahnsinns gefüttert. Sozusagen habe ich die perfekten Voraussetzungen dafür geschaffen, dich zu einem ebensolchen Monster zu machen... nur weißt du es noch nicht. Aber es wird der Augenblick kommen, indem ich dir erlaube, dich zu erinnern und wenn du dann dazu bereit bist mich zu töten, dann werde ich dich vernichten."
Wie versteinert stand ich da, bebte am ganzen Körper und wusste nicht, ob ich mir überhaupt noch selbst trauen konnte.
„W-was hast du getan?", murmelte ich geschockt und es erschreckte mich vielmehr, dass ich keine Kontrolle über das zu haben schien, was passierte. Ich fühlte mich wie eine Marionette, wie sein billiges Spielzeug.
„Oh, ich habe nur ein bisschen mit deinem Verstand experimentiert... was du daraus machst, ist allein deine Sache. Aber vielleicht gibt es dir im richtigen Moment die Stärke, um dich aus meinen Fesseln zu befreien... aber sei bis dahin auf der Hut. Nicht dass dich meine Macht dazu treibt, zu morden oder deinen kleinen Freunden etwas anzutun."
Nun brannten der Verrat und die Wut in mir. Er wollte mich dazu benutzen, Unschuldigen wehzutun? Meinen Freunden? Das konnte er nicht! Das würde ich ihm nicht erlauben.
„Du bist ein rücksichtsloses Monster. Ich weiß nicht, wie ich mich je in dich verlieben konnte", brachte ich hasserfüllt hervor und ballte meine Hand zur Faust. „Ich werde das nicht zulassen. Lass uns das jetzt austragen."
Ich wusste nicht, wer da aus mir sprach. War das nun der Wahnsinn, von dem er erzählt hatte? Aber wie sollte ich ihm auch nur ein Haar krümmen? Verdammt, ich musste es versuchen.
Mit geballten Fäusten und einem Stechen im Herzen sah ich mich in meinem Zimmer um, suchte irgendwas, um ihm wehzutun. Denn wenn er mich schon dazu brachte durchzudrehen, dann würde ich meine Wut ganz sicher nicht auf die Falschen richten. Nicht auf meine Freunde. Nur auf ihn.
Kurz schloss ich die Augen.
Nur ihn. Nur Hyunjin. Er ist dein Feind. Lass nicht zu, dass jemand anderem ein Leid durch dich geschieht.
„Ich sehe schon... du nimmst es ernst. Das freut mich sehr."
Der Dämon trat näher und grinste. „Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich werde diesen bestimmen und wenn es so weit ist, werde ich dir eine Waffe geben. Es soll ja nicht heißen, ich würde dich mit bloßen Händen gegen ein Monster kämpfen lassen."
Zornig wollte ich nach ihm schlagen, dieses schrecklich überhebliche Lächeln aus seinem makellosen Gesicht wischen. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen, als ich die Fäuste fester zusammendrückte.
„Ich werde nicht aufgeben", knurrte ich zurück. „Ich lasse nicht zu, dass du mich als Schachfigur für dich benutzt."
Einen Moment blitzten die Augen vor mir, so als würde etwas ihn irritieren, doch dann schmolz die braune Iris zu einem stechenden Silber und der selbstgefällige Ausdruck kehrte zurück.
„Du lässt dich bereits benutzen, Jeongin. Ich tue es die ganze Zeit. Ich habe so lange mit dir gespielt und ich werde es weiterhin tun, ohne dass du es bemerkst. Aber das wirst du in dem Augenblick erkennen, wenn es zu spät ist. Du wirst dich erinnern. An alles." Er streckte seine Hand aus, seine silbernen Augen glänzten, als er meine Schläfe rasch berührte, bevor ich etwas dagegen tun konnte.
„Aber fürs Erste wirst du ein braver Junge sein und unsere Begegnung heute vergessen. Trage sie tief in deinem Kopf verborgen, bis ich dich verstehen lasse."
Verwirrt sah ich auf meine zu Fäusten geballten Hände. Eilig entspannte ich sie, bewegte sie, um die Verkrampfung zu mindern. Dann sah ich die rötlichen Abdrücke auf meinen Handballen, die von meinen Fingernägeln stammten.
Warum waren sie dort? Wieso hatte ich das getan?
Auch der Rest meines Körpers war verspannt und mein Atem ging flacher als sonst. Erst nach einigen Minuten, in denen ich tief durchatmete, konnte ich mich beruhigen.
Dennoch verstand ich es nicht.
Hatte es irgendwas mit den Dämonen zu tun? War Hyunjin in Gefahr? Spürte ich, dass etwas nicht in Ordnung mit ihm war?
Die Angst wollte in mir aufsteigen, doch ich ließ sie nicht mein Denken übernehmen.
Ich musste einfach mehr Geduld haben. Sicher ging es Hyunjin gut. Er würde zu mir zurückkommen.
Es wird alles gut.
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Ich habe vergessen zu fragen, welcher Wochentag euch für unsere kleine Discord-Party am angenehmsten wäre? Ich selbst tendiere ja zu einem Freitagabend, einfach weil ich euch da sowieso die Kapitel hochlade. Aber schreibt es gern in die Kommentare und ich versuche es zu berücksichtigen.
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