Das Kennenlernen

Felix Pov:

"Felix! Könntest du mir mal kurz helfen?"

Meine Mom stand bereits in der Küchentür, als ich aus meinem Zimmer trat, um nachzusehen weshalb sie nach mir rief.

"Was ist los Mama?" Ich lief zu ihr, doch sie verschwand schon in der Küche und deutete dann auf den Herd.

"Würdest du aufpassen, dass nichts anbrennt, dann gehe ich in den Keller und hole noch die Erbsen... Naja, und wenn ich es finde, dann bringe ich auch das Erdbeereis mit... Ich habe irgendwie Lust darauf."

Ich nickte nur rasch, trat an den Herd und sah kurz in die Töpfe, um zu erraten was Mama kochte.

"Kein Problem, ich passe auf", versicherte ich ihr.

Sobald sie die Küche verlassen hatte, schnappte ich mir einen der Kochlöffel und tauchte ihn in die helle Soße, die bereits mit Kräutern versetzt war. Probehalber kostete ich sie und wusste einmal mehr, woher ich mein Talent zum Kochen und Backen hatte.

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"Möchtest du noch Soße?"

Mama saß mir gegenüber am Tisch und zückte die Schöpfkelle, als ich begeistert nickte. Dann aßen wir schweigend weiter. Schon das gesamte Abendessen über war Mama erstaunlich still und beinahe nachdenklich. Doch ich wusste sie würde etwas sagen, wenn sie dazu bereit war.

"Felix."

Ich sah auf, um sie wissen zu lassen, dass ich ihr zuhörte.

"Wie geht es dir? Also ich meine wie fühlst du dich?"

Sie war immer noch besorgt um mich. Nachdem ich ihr zumindest von den Schmerzen und dem unguten Gefühl berichtet hatte, die mich vor meiner Verwandlung geplagt hatten, machte sie sich wohl Sorgen, dass es wieder passieren könnte. Was natürlich verständlich war. Aber seit meiner Offenbarung als Naphil hatte ich keine weiteren Schmerzen. Im Gegenteil, es ging mir fast schon blendend.

"Mir geht es gut, Mama. Ich fühle mich sehr gesund und ausgeruht. Wie geht es dir?", fragte ich sanft und sprach damit auf ihre nachdenkliche Miene an.

"Mir geht auch gut", antwortete sie für meinen Geschmack etwas zu schnell, doch sie redete schon weiter. "Endlich ein weiteres Mysterium, das ich klären konnte." Sie lachte leise. "Als du jünger warst, habe ich mich immer gefragt, warum du nie krank geworden bist. Du hattest nicht einmal Masern oder eine Grippe. Egal wie krank die Kinder um dich herum waren, du bist munter zwischen ihnen herumgehüpft und hast dich kein einziges Mal über einen Husten beschweren können."

Ich musste selbst lächeln und nickte.

"Ja, ich erinnere mich. Als ich acht oder neun war und Ji mindestens eine Woche lang krank im Bett lag... Ich war trotzdem bei ihm und hab den ganzen Tag mit ihm gekuschelt und Filme geschaut. Und ich habe mich nicht angesteckt."

Es war überraschend, dass mir erst jetzt immer mehr Details auffielen, die mir schon viel früher zu denken hätten geben sollen.

Als Kind hatte ich mich auch nie ernsthaft verletzt. Keine gebrochenen Knochen, keine großen Wunden. Nur einige kleine Schnitte und Kratzer, die immer schnell und gut verheilt waren. Aber da diese Tatsache schon immer existierte, hatte ich sie wohl für normal gehalten und mich nie darum gekümmert.

"Immerhin wissen wir es jetzt", murmelte Mama und aß den Rest ihres Abendessens. Sie schenkte mir ein liebevolles Lächeln und räumte dann unsere Teller ab, während ich noch am Tisch saß und neugierig zusah.

"Mama? Wie hast du Papa damals kennengelernt?" Die Frage interessierte mich schon, seitdem ich wusste, dass die Möglichkeit bestand, dass er ein Engel war.

Sie hielt kurz in der Bewegung inne, drehte sich dann zu mir und seufzte leise, so als würde die Erinnerung an diese Begegnung sowohl traurige als auch glückliche Komponenten in sich tragen.

"Es war reiner Zufall... Zumindest dachte ich das immer. Weißt du, damals bin ich noch mit meinen Eltern in die Kirche gegangen. Nicht wirklich wegen des Glaubens, viel mehr um den Familienfrieden zu wahren und manchmal tat es gut, sich Dinge von der Seele zu reden. An dem Abend war ich noch etwas länger dort und wollte einfach allein sein. Naja, und ich bin wohl eingeschlafen, denn ich war noch nicht so sehr gewöhnt an die schwere Arbeit im Krankenhaus... Und als ich wieder aufgewacht bin, stand dein Vater vor dem Altar. Er stand da und blickte auf das Kreuz. Erst dachte ich, er würde mich gar nicht wahrnehmen. Doch als ich mich schon leise davonschleichen wollte, damit er in Ruhe beten konnte, hat er mich angesprochen."

Sogar jetzt erkannte ich die zarte Röte auf ihren Wangen und musste ungewollt lächeln.

"Er war unglaublich gutaussehend. Und seine Stimme sehr charismatisch und beruhigend zugleich. Es war wie unter einem Bann zu stehen. Wir haben uns stundenlang in der Kirche unterhalten, haben miteinander gelacht oder lediglich die Stille genossen. Naja, und dann hat er mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen würde."

"Oh wow... Da hat er ja nicht lange gefackelt."

Meine Mum überlegte kurz und nickte. "Stimmt. Aber er war nie aufdringlich. Er war sehr nett und hat mich immer nach Hause begleitet, hat mich abgeholt und mir zugehört. Er war in jeder Hinsicht ein Gentleman."

"Ein wahrer Engel von einem Mann...", meinte ich halb sarkastisch bevor wir uns beide ansahen und dann grinsen mussten.

"Oder das..." Mama zuckte die Schultern und seufzte dann bedauernd. "Hätte er es mir doch damals einfach gesagt... Ich glaube, ich hätte es verstanden. Es wäre weitaus weniger schmerzhaft gewesen, als seinen Tod zu betrauern."

Stumm starrte ich vor mich hin und fragte mich was ich wohl in der Situation getan hätte.

"Vielleicht durfte er es nicht. Immerhin hat er meine Kräfte auch versteckt. Möglicherweise gab es auch für ihn keinen anderen Weg."

"Du hast ja recht." Mama kam zu mir und strich über meine Schulter. "Und vielleicht erfahren wir nie, was wirklich geschehen ist und wieso. Aber jetzt muss ich mich umziehen und dann fahre ich los zur Spätschicht. Pass auf dich auf Liebling."

Ich lächelte sanft zu ihr auf und nickte. "Ich werde mich zwar nicht aus dem Haus bewegen und höchstens noch einen Film gucken, da ich morgen Schule habe, aber ja, ich passe auf. Du bitte auch Mama."

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Ich war schon halb über dem zugegebenermaßen sehr langweiligen Film eingeschlafen, als mich ein eigenartiges Gefühl überkam. Es war nicht bedrohlich oder beängstigend. Viel eher verspürte ich den Drang, mich von meinem Verstand leiten zu lassen. Und dieser sagte mir, ich solle von der Couch aufstehen und nach draußen gehen.

"Folge deinem Instinkt. Komm zu mir."

Die Stimme hallte leise, mit einem sanften Summen in meinem Kopf nach. Sie war ruhig, vollkommen ungefährlich, stattdessen hinterließ sie ein wohliges Prickeln auf meiner Haut. Und aus irgendeinem Grund tat ich, was sie verlangte. Ich behielt die kurze Jogginghose und das T-Shirt an, da es draußen trotz der Dämmerung noch immer recht warm war. Nur meine Sneaker zog ich mit rasch über und schnappte meinen Hausschlüssel von der Kommode.

Draußen wandte ich mich in der langsam aufziehenden Dunkelheit automatisch nach rechts. Lief den Bürgersteig entlang und achtete ungewöhnlich stark auf meinen Weg. Er führte mich schließlich zu der nahen Wiese und dem Wald, der dahinter lag. Zunächst blieb ich auf dem breiten, ausgetretenen Wanderpfad und lief zwischen den Buchen und hohen Eichen entlang. So konnte ich das letzte Tageslicht noch ausnutzen und den Weg zumindest halbwegs erkennen. Doch selbst als die Bäume dichter wurden und ihre langen Schatten warfen, konnte ich erstaunlich klar sehen.

Ich fragte mich zwar, wo genau ich hinwollte und was dann mit mir geschah, doch immer noch spürte ich weder Bedrohung noch Sorge. Deshalb riskierte ich es und vertraute auf meinen Geist und meine übernatürlichen Fähigkeiten, die mich hoffentlich schützen würden, sollte es doch eine Falle sein.

Dann blieb ich plötzlich stehen. Bog vom Pfad ab und schlug mich durch das Unterholz. Trotz dem Dickicht, das mich umgab, kam ich erstaunlich schnell vorwärts, so als würden die kleinen, knorpeligen Bäume und die stacheligen Sträucher vor mir zurückweichen, um meinen Weg nicht zu behindern. Und plötzlich war vor mir alles frei.

Eine kleine, annähernd runde Grünfläche erstreckte sich und offenbarte sogar den Blick auf den klaren Sternenhimmel, an dem bereits die größten und hellsten Sterne leuchteten.

Neugierig sah ich mich um, da nun auch der Drang verschwunden war, weiterzulaufen. Instinktiv wusste ich, dass das hier das Ziel meines Ausfluges war und eine angenehme Anspannung und Aufregung machte sich in mir breit. Das sanfte Prickeln auf meiner Haut nahm zu, doch es passierte nichts Ungewöhnliches. Deshalb trat ich weiter auf die Lichtung. Blickte mich um und versuchte zu verstehen, warum ich hier war.

Ich sah hinab zu meinen Füßen, bückte mich nach einer besonders hübschen Blume, die jedoch auf dieser Lichtung verteilt häufiger wuchs und strich über den kleinen Kelch der Blüte. Erneut verstärkte sich das Bitzeln, so als würde sich alles um mich herum statisch aufladen.

"Felix."

Diesmal war die Stimme näher. Sie war klar und deutlich und nicht nur in meinem Kopf.

Ich stand auf und drehte mich dann ruckartig um, nur um in zwei hellblaue Augen zu starren, die mich gütig anstrahlten und mich ebenso neugierig beobachteten.

Wenige Meter vor mir stand ein hochgewachsener Mann. Er hatte blonde, lockige Haare, die seine Schultern gerade so streiften. Er war schlank und dennoch wirkten seine Schultern kräftig und ich war mir fast sicher, dass er mehr von seiner Stärke unter dem reinweißen Gewand verbarg, das er trug.

Die Anspannung meines Körper schien langsam ihr Maximum zu erreichen, als der Mann nun zwei oder auch drei Schritte nach vorn trat. Dann blieb er aber wieder stehen und betrachtete mich abwartend.

Es hatte eigentlich gar nicht so lange gedauert, bis ich die Fakten in meinem Kopf sortiert hatte, dennoch lag das folgende Wort schwer auf meinen Lippen. Ich hatte es zu selten benutzen können. Und schon gar nicht um einen Mann zu adressieren.








"Papa?" 




Seelen begegnen einander niemals zufällig. – Neale Donald Walsch 

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