Das Gefolge eines Königs

Felix Pov:

Die Hörner verschwanden ebenso und dann sackte der Getroffene auf die Knie, bevor er seitlich wegkippte und tot am Boden liegenblieb.


Doch damit endete die Szene nicht. Michael blieb in der Erinnerung und schien mich noch nicht von der Szenerie losreißen zu wollen. Also musste ich schweren Herzens zusehen, wie sich Lucifer nun zu dem leblosen Höllenfürsten herabbeugte und diesen verzweifelt an sich drückte. Dann sah er hasserfüllt hinauf zu dem Wesen, das den tödliche Strahl abgefeuert hatte. Mir blieb der Anblick Gottes jedoch verborgen, also beobachtete ich nur, wie Changbin reglos stehenblieb, wohl in Erwartung eines weiteren Anschlags auf sein Leben. Als dieser ausblieb, rammte er sein Schwert in den Boden vor sich, bevor es sich in Funken auflöste. Anschließend beugte er sich nach vorn und hob den Leichnam behutsam an und verschwand gemeinsam mit diesem.

Nun packte mich der Strudel aus Weiß erneut und riss mich zurück in die Realität. Ich blinzelte ein paar Mal schnell hintereinander, um die aufgestiegenen Tränen der Ergriffenheit zu kaschieren. Nun befand ich mich wieder mit meinem Vater auf der Lichtung, die vom sanften Sternenglanz des Engels erhellt war. Michael saß noch immer direkt vor mir und beobachtete neugierig meine Reaktion.

„Das- das hast du erlebt? Du hast zugesehen, wie Satan von Gott getötet wurde? Ich dachte beinahe, Changbin würde ihn gleich umbringen. Aber dann hat er sich tatsächlich dagegen entschieden. Hat er wirklich um Satan getrauert?" Alle Eindrücke brachen irgendwie ungefiltert aus mir hervor und ich verarbeitete das Gesehene teilweise selbst erst dadurch, dass ich darüber sprach.

„Ich war ebenso überrascht, welches Maß an Schmerz und Leid ich an diesem Tag von Lucifer sehen konnte. Vor allem wenn man bedenkt, dass er seinen höllischen Verbündeten nicht so lang kannte." Bei den nächsten Worten klang seine Stimme selbst etwas belegt und nachdenklich. „Ich vermute, sie hatten eine viel tiefere Bindung, als ich zugeben mag. Denn ich bin mir sicher, dass er um ihn getrauert hat. Er wird Gott das nie verzeihen." Michael setzte sich wieder kerzengerade hin und fügte hinzu. „Selbst für mich hat sich dieses Szene grausam angefühlt. Als Lucifer im Himmel war, konnte durch unsere Verbindung in den schlimmsten Momenten auch seinen Schmerz spüren... und auch die aufrichtige Bewunderung, die er für Satan empfand. Ich befürchte, er hat ihn damals so gesehen wie zuvor mich. Sie waren sich in einigen Dingen so ähnlich und in diesem Augenblick habe ich sie beinahe um ihre neue Freundschaft beneidet. Doch mit Satans Tod verschwamm alles. Es kam mir vor, als wäre Lucifer selbst nicht mehr Herr über seine Sinne und dann brach das Band zwischen uns vollständig. Seitdem fühle ich mich beinahe einsam."

Der Engel lächelte traurig und legte seine Hand an die Stelle, wo seine Rune saß. „Diese Rune hat uns Jahrhunderte lang verbunden. Sie besaß die Kraft, unsere Stärken und unsere Schwächen zu teilen. Wir kannten unser tiefstes Inneres, ich konnte ihn selbst verstehen, als er sich immer weiter von mir entfremdet hat. Es gab zuvor nie Geheimnisse zwischen uns und dann hörte das alles schlagartig auf. So als hätte er mich aus seinem Leben ausgesperrt."

Ich spürte das Mitleid in mir aufsteigen und legte meinem Vater eine Hand auf den Unterarm. „Du hast ihn nie vergessen... und ich denke, dass hat er auch nicht. Egal ob er sich mit Satan kurzzeitig über euren zerbrochenen Bruderbund getröstet hat. Als ich Binnie das erste Mal auf die Rune angesprochen habe, konnte ich sehen wie schwer dieser Verlust auf ihm lastet. Und wenn ich mich richtig erinnere, konnte ich es sogar fühlen. Vor einer Woche hat er mir von einem eurer gemeinsamen Erlebnisse erzählt. Das hätte er nicht getan, wenn du ihm vollkommen gleichgültig wärst."

Mein Vater strich sich die blonden Locken aus der Stirn und nickte. „Du hast recht. Wir haben uns beide wohl ein schweres Los auferlegt."

Kurz herrschte Schweigen zwischen uns, da wohl jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, solange bis eine neue Frage in mir aufstieg.

„Du meintest, dass Changbin nie Herrscher über die Hölle sein wollte, zumindest solange Satan existierte... aber hätte er nicht ein Anrecht auf diese Position? Schließlich wird er auch in den meisten Religionen als der Teufel gesehen."

Mein Vater schien meinem Gedanken nur zu gut folgen zu können. „Vollkommen richtig, Felix. Wenn man seine höllische Reputation betrachtet, dann hätte er durchaus einen Anspruch. Wenn nicht sogar den größten Anspruch. Ich kann es dir nur so erzählen, wie es passiert ist. Er hat den Platz nach dem Tod von Satan nicht selbst eingenommen. Er hat zugelassen, dass ein anderer Höllenfürst, Baal, der sich selbst als erster König der Hölle bezeichnete, den Thron besteigen konnte. Er hat nicht einmal darum gekämpft oder versucht, diese Machtergreifung zu verhindern. Es schien so, dass der Verlust seines neu gewonnen Freundes ihm jegliche Ambitionen geraubt hatte."

Die Schilderung klang durchaus logisch und dennoch runzelte ich bei einem Detail die Stirn. „Hast du vorhin nicht gesagt, nicht einmal die Engel wüssten, wer derzeit die Herrschaft über die Hölle innehat? Dann wisst ihr es also doch?" Etwas verwirrt legte ich den Kopf schief und ließ meine Finger durch mein leicht zerzaustes Haar gleiten.

„Dir entgeht tatsächlich nichts." Der Engel lächelte anerkennend. „Es ist etwas komplizierter. Bis vor wenigen Wochen war Baal ganz sicher der König der Hölle. Wir standen in Korrespondenz und haben unsere Angelegenheiten recht entspannt mit ihm verhandeln können. Er hat sich immer an die Regeln gehalten und keinen Streit zwischen unseren Spezies provoziert. Doch vor etwas mehr als drei Wochen brach die Verbindung ab, keine Nachrichten drangen mehr zu uns durch und das Gefüge der Welt schien sich zu verschieben. Ihr habt es ja ebenfalls gespürt und erfahren, dass etwas nicht stimmte. Die Vulkanausbrüche, Stürme, Flutwellen, all dies waren Folgen einer radikalen Veränderung. Wir Engel vermuten, dass es seitdem einen neuen Fürsten der Unterwelt gibt. Auf jeden Fall gab es Kämpfe und um eine so starke Aufmerksamkeit zu erregen, müssen mächtige Wesen gewirkt haben. Das letzte Mal als ich solche Erschütterungen der Erde wahrgenommen habe, war damals bei Satans Aufstieg zum Herrscher."

Meine Augen hatten sich geweitet und wie von allein wanderten meine Gedanken zu dem Abend vor zweieinhalb Wochen zurück, als Changbin mich besuchte und mich dann zum Salto Ángel brachte... Wie er mich fast schon gleichgültig von der Klippe in die Tiefe gestoßen hatte und zusah, wie ich fiel. Als hätte er mir schon damals mitteilen wollen, wer er wirklich war. Womöglich hatte ich ihn bisher maßlos unterschätzt.

„Könnte es sein, dass Changbin jetzt doch die Macht an sich gerissen hat? Was ist, wenn er nun entschieden hat, den Thron zu übernehmen?"

Michael neigte den Kopf. „Das wäre eine erschreckend logische Erklärung", murmelte er vor sich hin und schien abzuwägen, ob es möglich war. „Ich dachte, er wäre nicht interessiert am Thron der Hölle, aber seine Kraft wäre ausreichend, um ihn zu erobern. Doch für so grundlegende Veränderungen bräuchte selbst Lucifer mächtige Verbündete und einen starken Rückhalt unter den Dämonen."

„Den hat er, Vater. Ich weiß nicht, ob ich dir von Chan erzählt habe. Das ist der Dämon, den mein Freund Seungmin beschworen hat. Er ist ein Prinz der Hölle."

Hellhörig geworden, drehte der Engel nun seinen gesamten Oberkörper in meine Richtung. „Welcher der vier?"

„Asmodeus."

„Dann ist es durchaus denkbar", überlegte Michael. „Du sagtest einmal, dass einer deiner anderen beiden Freunde den Leviathan an sich gebunden hat. Der Leviathan war einst die rechte Hand des Satan. Er war sein Berater und so treu, dass er Großadmiral der Armeen der Unterwelt wurde. Damit war sein Einfluss zumindest im militärischen Bereich ebenso bedeutend, wie der der Prinzen. Der Leviathan hätte sich Baal niemals freiwillig angeschlossen. Eher hätte er selbst die Herrschaft beansprucht." Einen Augenblick lang zögerte mein Vater. „Doch wenn Satan so große Stücke auf Lucifer hielt, würde er diesem möglicherweise dienen. Zumindest würde der Leviatan dieses Vorhaben unterstützen und sich damit an jedem rächen, der seinen geschätzten Fürsten verraten oder nach seinem Tod geleugnet hat. Ebenso würde Asmodeus sich nur einem rechtmäßigen Thronanwärter beugen. Er und sein Bruder Azael waren ebenfalls loyale Anhänger Satans, schließlich hat er sie erschaffen. Mich würde es nicht wundern, wenn sie sich eher Lucifer anschließen und dessen Machtergreifung befürworten, als einen Usurpator auf dem Thron zu dulden. Es ergibt alles Sinn."

Für einen Augenblick schwieg ich, um meine Gedanken zu sortieren und das Gehörte einzuordnen. Doch selbst ich musste zugeben, dass es gut zusammenpasste. Dadurch dass sich die Dämonen in unserer Gegenwart nie verhalten hatten, als sei Changbin etwas Besonderes, konnten sie die perfekte Tarnung aufrecht erhalten. Schließlich sollten wir nicht einmal erfahren, wie ihre wahren Namen lauteten. Sie hatten nicht riskieren wollen, dass wir irgendeine Verbindung zwischen ihnen erkannten. Offenbar hatten sie vieles besser vor uns verstecken können als erwartet. Allerdings war sich auch keiner von uns dem gesamten Ausmaß dieser Intrige bewusst gewesen. Somit konnten wir gar nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Wir waren Unwissende. Unwissende, die man einfach hatte lenken können. Wir waren ein Teil des Spiel geworden, ohne überhaupt die Spielregeln erklärt zu bekommen, noch das Ziel zu kennen – bis jetzt.

„Also ist es möglich, dass Changbin mithilfe seiner Verbündeten die Macht ergreifen konnte... Immerhin hat er Satans Befehlshaber über die Armee, mindestens zwei Prinzen der Hölle und einen vollkommen verrückten Kreuzungsdämon an seiner Seite", überlegte ich laut und sah hinab auf einen Grashalm, den ich soeben gedankenverloren ausgerissen hatte und nun zwischen meinen Fingern drehte.

„Nun ja, die Erstgenannten werden gewiss hilfreicher sein, als ein durchschnittlicher Kreuzungsdämon", meinte mein Vater etwas abschätzig, doch ich wiegte bedächtig den Kopf hin und her.

„Ich weiß nicht so recht. Ich empfinde Minho als eine starke Persönlichkeit. Wenn ich am Anfang hätte wählen müssen, welcher der vier Dämonen mir am gefährlichsten erscheint, dann hätte ich mit Abstand ihn gewählt. Und selbst jetzt wo ich weiß, dass er nur ein sehr mächtiger Kreuzungsdämon ist, würde ich ihn nicht unterschätzen. Außerdem haben wir die Vermutung, dass er, wie die anderen drei Dämonen, eine der sieben Todsünden verkörpert."

Ein leises Schnauben drang an mein Ohr und ich wusste nicht so recht, was es bedeuten sollte, bis mein Vater dann in einem für ihn untypischen spöttischen Tonfall weitersprach. „Ein sehr mächtiger Kreuzungsdämon? Hat er sich diesen albernen Titel selbst gegeben?" Dann dachte er einen Moment über meine Worte nach. „Die Theorie mit den Todsünden ist durchaus einleuchtend... auch wenn es nicht zwingend zwischen allen Dämonen eine Verbindung geben muss. Nur weil ihr vier Freund seid, müssen eure Dämonen das nicht sein." Nun lächelte er grimmig. „Welche der verbleibenden drei Sünden habt ihr ihm denn zugeordnet?"

Verwundert über Vaters schroffe Worte zu Dämonen dieser Art, zog ich die Stirn in Falten. „Hat es irgendwas mit den Kreuzungsdämonen auf sich?" Dann jedoch besann ich mich wieder auf das Wesentliche. „Wir denken, er könnte Mammon sein, die Habgier. Er hat eine Vorliebe für schöne und teure Dinge, vor allem für Autos... und für meinen besten Freund."

Mein Vater spannte seinen Körper leicht an und zupfte dann etwas umständlich sein Gewand glatt. Offenbar war die erste Frage doch nicht so harmlos, wie geglaubt. „Nun, sie sind die lästigsten Biester, die man sich vorstellen kann. Dank ihnen haben wir Engel die meisten Scherereien. Sie verführen die Menschen, rauben ihnen bei ihren Deals oder später die Seele und wir müssen dann den armen Sterblichen erklären, dass sie nicht in den Himmel kommen." Etwas verdrießlich starrte er vor sich hin und lauschte meinen Worten aufmerksam. „Mammon also... es könnte passen. Über ihn kann ich nur wenig sagen. Weder weiß ich, wem er treu ist, noch welcher Seite er zugeneigt wäre, falls er sich entscheiden muss. Ehrlich gesagt, kenne ich ihn kaum."

Dann verfielen wir beide für kurze Zeit in Schweigen, doch ich wollte es noch etwas genauer wissen. „Würde es nicht helfen, Lucifers Verhalten den anderen Dämonen gegenüber zu analysieren? Schließlich haben wir sie auch schon zu viert gesehen. Kann das nicht als Zeichen dafür gewertet werden, dass sie sich schon mal nicht hassen?"

„Ist dir je in den Sinn gekommen, dass Dämonen lügen und die Wahrheit verdrehen, um ihr Ziel zu erreichen? Sie sind Meister der Täuschung... das sind wir ab und an alle, doch sie könnten euch nur vorgespielt haben, sich zu verstehen. Schließlich haben sie auch nicht durchblicken lassen, dass dein Dämon der Höchstgestellte unter ihnen ist, oder?"

Ich musste meinem Vater leider recht geben und seufzte etwas frustriert. „Und wie finden wir dann heraus, ob Lucifer nun über die Hölle herrscht?"

„Eine durchaus berechtigte Frage... auf die ich auch noch keine konkrete Antwort habe. Aber wir brauchen dringend Klarheit darüber. Sollte etwas an diesen Überlegungen der Wahrheit entsprechen, muss der Himmel es wissen."

„Aber wie willst du es dann in Erfahrung bringen? Ich meine, so leicht wird Changbin es dir nicht machen. Wenn er selbst regiert, wird er das ja kaum zugeben, außer es bringt ihm einen Vorteil." Langsam schwammen die Gedanken nur noch träge in meinem Kopf. Es war einfach zu viel für diese späte Stunde und als ich einen kurzen Blick auf mein Handy warf, konnte ich sehen, dass es bereits nach zwei Uhr war.

Plötzlich erhob sich mein Vater elegant und richtete seine Kleidung. „Überlass das mir. Ich werde eine Lösung finden und dann gebe ich dir Bescheid." Er breitete seine Flügel aus und bedachte mich mit einem mahnenden Blick. „Wir sollten diese Vermutungen zunächst für uns behalten. Es könnte Konsequenzen haben, so tief in den Angelegenheiten der Hölle herumzustochern. Sie haben es nicht umsonst so kompliziert gemacht, an Informationen zu gelangen."

Gerade als Michael zurücktreten wollte, um die Flügel auszubreiten, hielt er inne. „Da es möglicherweise zur Lösung beiträgt, könntest du mir diesen Dämon beschreiben, den dein bester Freund beschworen hat? Sollte ich seine Identität entschlüsseln können, lasse ich es euch ebenfalls wissen."

Zustimmend nickte ich und dachte dann kurz darüber nach, wie Jisung uns Minhos Fähigkeiten geschildert hatte.

„Schon von Beginn an war er unglaublich besitzergreifend und dominant, sogar grob zu Ji. Rücksicht war für ihn ein Fremdwort... das hat sich aber gebessert, laut Jisung. Minho wirkt immer sehr entschlossen, so als wüsste er genau wie er zu handeln hat." Nun sprachen eindeutig meine eigenen Erfahrungen aus mir. „Seine Worte sind messerscharf und er scheut sich nicht davor, sie so zu sagen, wie er sie meint." Unschön wurde ich an meine erste Begegnung mit ihm erinnert, als er mir sagte, was er mit Jisung getan hatte... wie er es formuliert hatte. "Ich glaube nicht, dass er etwas zu verbergen versucht... das hat er nicht nötig." Kurz dachte ich nach, ob Ji noch mehr brauchbare Informationen mit uns geteilt hatte. „Und er kann Flammen kontrollieren, er erschafft sie aus dem Nichts und seine Augen sind ebenso rot wie das Feuer. Aber Jisung sagt, dass sie manchmal auch golden werden."

Das war alles, was ich dem Engel mit auf den Weg geben konnte. 


„Es ist keine Religion oder Gesetz höher als die Wahrheit!" — Helena Petrovna Blavatsky


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