Auf der Suche
Seungmins Pov:
Dienstage waren sonst immer die besonders entspannten Tage meiner Schulwoche. Ich hatte heute ähnlich wie die anderen drei Chaoten lediglich sechs Stunden und das auch noch in Fächern, die tatsächlich ertragbar waren. Mittlerweile musste ich nicht mal mehr auf den Stundenplan sehen, um zu wissen, dass jetzt zwei Stunden Biologie auf mich zukamen. Dann hatten wir nach der ersten Pause eine zweite Blockstunde, die heute Geschichte hieß. Eines meiner wirklich heißgeliebten Schulfächer und gerade noch interessanter, da wir uns mit berühmten Persönlichkeiten beschäftigten. Es folgten noch die letzten beiden Stunden. Ethik. Noch einfacher konnte es nicht werden. Die verschiedenen philosophischen Ansätze zu bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen waren zwar nur mäßig spannend, aber doch durchaus ertragbar, da die Lehrerin häufig kleine Filmausschnitte mit uns ansah und sie uns dann das moralische Wertbeispiel analysieren ließ. Ein Kinderspiel, wenn man erst einmal hinter das Prinzip gekommen war.
Doch mein heutiger Dienstag begann schon komisch genug. Zuallererst, war ich noch immer leicht konfus durch das gestern Erlebte. Nachdem ich bis halb acht Uhr abends geschlafen hatte und erst durch Felix Anruf aufgewacht war, musste ich feststellen, dass der hübsche Junge weg war und nicht einmal eine Nachricht oder seine Handynummer dagelassen hatte. Es grämte mich ein wenig und irgendwie hoffte ich, als ich das Schulgelände betrat, ihm wieder zu begegnen. Diesmal hielt ich regelrecht Ausschau nach ihm, konnte aber in den Menschenmengen nichts erkennen und seufzte frustriert. Ich machte mich auf den Weg zum Eingang und entschied spontan, in der Klasse auf die anderen drei zu warten.
Als Felix gestern angerufen hatte, klang er irgendwie besorgt, doch ich wusste nicht warum.
Langsam schlenderte ich zu den Spinden und öffnete den meinen. Es war schon seltsam. Gestern hätte ich noch wirklich alles dafür gegeben, wenn dieser Chan mich in Ruhe gelassen hätte und heute wartete ich regelrecht darauf, dass er hier auftauchte und einen seiner Sprüche klopfte. Ich ließ mir sogar extra viel Zeit beim Umpacken der Bücher, doch leider tauchte niemand neben mir auf.
Naja, vielleicht hatte er auch einfach die ersten beiden Stunden frei und musste erst zur nächsten Doppelstunde hier sein.
Halbwegs besänftigt von meiner eigenen Erklärung machte ich mich auf den Weg in mein Klassenzimmer und entdeckte dort bereits einen verschlafen aussehenden Jisung und den neben ihm sitzenden Felix, der unserem Kumpel sanft über den Rücken strich.
„Guten Morgen, was ist denn bei euch los? Jisung, du siehst ja immer noch so müde aus. Alles ok bei dir?", begrüßte ich meine zwei Freunde etwas zerstreut und ließ mich auf die Bank neben ihnen fallen.
Jisung blinzelte mir zu und lächelte dann aber warm. „Guten Morgen Minnie. Alles gut, mach dir keine Sorgen." Felix neben ihm warf einen prüfenden Blick zu unserem Ältesten und wandte sich dann an mich. „Du denkst daran, dass wir uns nach der Schule bei Sungie treffen stimmts? Ich denke, wir können auch einfach gleich zusammen nach der letzten Stunde zu Ji."
Während ich meine Federmappe und meinen Block auspackte, nickte ich andächtig und signalisierte dem Rotschopf, dass ich unsere Verabredung nicht vergessen hatte. Mittlerweile füllte sich der Klassenraum immer weiter und ich blickte nachdenklich auf den leeren Platz neben mir. Normalerweise war Jeongin sehr pünktlich, doch es waren nur noch zwei Minuten bis Unterrichtsbeginn und langsam fragte ich mich, ob er noch auftauchen würde.
Wie auf Kommando betrat der Junge mit dem weiß gefärbten Haar den Raum und eilte mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht zum Platz neben mir. „Guten Morgen Sonnenschein. Du siehst irgendwie so aus, wie ich mich fühle", begrüßte ich ihn aus Spaß und musste ebenfalls leise zischen, als ich mich herüberbeugte, um ihn eingehender zu mustern. Er hingegen biss sich unwohl auf die Unterlippe und nuschelte nur ein undeutliches „Morgen" in meine Richtung. Dann beeilte er sich, sein Unterrichtsmaterial hervorzukramen und es auf seinen Platz zu werfen.
So konnte ich ihn weiterhin verwundert von der Seite beobachten und fragte mich, was jetzt auch noch mit ihm los war. Doch letzten Endes lenkte mich das Eintreffen unseres Biolehrers ab und ich versuchte dem Unterricht zu folgen, der sich heute wieder um die Verschmutzung der Meere und die unangenehmen Folgen für unsere Umwelt drehte. Dummerweise hörte ich nur mit halbem Ohr zu, da meine Gedanken schon wieder zu meinem gestrigen Tag wanderten. Besser gesagt zu Chan und seinen himmlischen Lippen, zu seinen starken Armen, die mich so fest gehalten hatten, dass ich mich am liebsten wieder hineinwerfen würde.
„Seungmin!?" Mein Lehrer stand vor der Tafel und hatte seine Stirn leicht zornig in Falten gelegt. „Wir haben noch nicht mal eine halbe Stunde geschafft und du und deine Freunde sind schon jetzt abwesend. Was ist denn nur los heute? Gerade du bist doch sonst nicht so." Ich zuckte heftig zusammen und sah schuldbewusst nach vorn zum Lehrerpult. Es war mir sehr unangenehm auch noch beim Tagträumen erwischt worden zu sein.
„Tut mir leid Herr Cho, ich passe ab jetzt auf", versprach ich ihm und versuchte mit höchster Konzentration seinen Ausführungen zu lauschen.
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Mittlerweile war Mittagspause und meine Laune kam dem Tiefpunkt wirklich verdammt nahe. Nach den ersten Stunden, die ich krampfhaft versucht hatte, nicht an den hübschen Jungen zu denken, versuchte ich ihn auf dem Pausenhof in den Schülermassen zu finden, doch vergeblich. Und jetzt, in der Cafeteria, wo normalerweise jeder vernünftige Schüler zum Mittagessen vorbeischaute, konnte ich ihn auch nirgends entdecken.
Zweimal hatte mein Herz angefangen schneller zu schlagen, als die Tür der Kantine geöffnet wurde, da beide Male Jungen eintraten, die zumindest eine ähnliche Haarfarbe und Statur aufwiesen. Doch keiner davon war Chan gewesen und langsam verfluchte ich mich selbst dafür, dass mein Blick immer wieder über meine Mitschüler schweifte oder ich jeden neu Eintretenden kurz musterte. Meine drei Freunde waren für ihre sonstigen Verhältnisse sehr still und alles andere als mitteilsam. Dies kam mir allerdings zugute, da ich sowieso meinen eigenen Gedanken nachhing und mich an ihren Gesprächen nur halbherzig beteiligt hätte.
Jisung hatte immer noch dunkle Schatten unter den Augen, doch jetzt nach seinem zweiten Kaffee hing er zumindest nicht mehr auf der Schulbank, als würde er gleich umkippen. Seine sonst so übersprudelnde gute Laune und die neckenden Sprüche waren heute dennoch sehr verhalten und ich nahm mir fest vor, ihn später wenn wir unter uns waren, zu fragen was los ist.
Zum gefühlt hundertsten Mal ruckte mein Kopf nach oben als jemand eintrat, doch schon wieder war es nicht die gewünschte Person. Missmutig schob ich mein Essen von mir und stand auf. „Ich gehe schon mal vor Leute... Ich muss noch etwas aus meinem Spind holen", sagte ich und erntete zustimmendes Nicken. „Alles klar, wir kommen dann auch gleich."
Schnell brachte ich mein Tablett weg und ärgerte mich über mich, dass ich Essen verschwendete. Aber ich brachte einfach keinen weiteren Bissen herunter. Schnurstracks verließ ich die Cafeteria und machte mich auf die Suche. Ich wusste, dass es albern war, nach jemandem zu suchen, von dem man nicht mal weiß wo man ihn suchen soll. Leider fiel mir keine bessere Option ein. Ich lief sogar am Kunstraum vorbei und versuchte, die Tür zur Besenkammer zu öffnen. Diese war heute jedoch fest verschlossen.
Meine Laune sank immer weiter und ich wollte schon fluchend kehrt machen, als ich geradewegs in eine Person hineinlief. Zwei Arme schlagen sich um meinen Körper und aus einem Impuls heraus schmiegte ich mich fester an die Brust vor mir.
Eine sehr dumme Idee, wie sich nur wenige Sekunden später herausstellte. Denn sobald ich den Duft meines Gegenübers einsog, war mir klar, dass es nicht Chan sein konnte. Denn dieses Parfum kannte ich.
Wonpil.
Rasch hob ich den Kopf, sah ihm in die Augen und versuchte mich aus seinem Griff zu lösen. „Tut mir leid, ich habe nicht darauf geachtet wo ich hinlaufe", murmelte ich schuldbewusst. Doch anstatt mich einfach loszulassen, zog mich der Ältere fester in seine Arme.
„Kein Problem Minnie. Ich hab dich ja schließlich noch auffangen können", sagte der Schwarzhaarige und hielt mich für einen Augenblick einfach dicht an sich gedrückt. „Ist alles ok bei dir? Du wirkst irgendwie so zerstreut? Geht es dir nicht gut?" Nun schob er mich ein Stück von sich weg und blickte mich aus großen, braunen Augen fragend an.
„Nein, nein, es ist alles gut", versicherte ich schnell, offenbar zu schnell, da er eine Augenbraue hob und mich musterte.
„Wir hatten zwar nur ein paar Dates und seit einer Weile scheinst du mich vollkommen ignorieren zu wollen, doch dass du mich anlügst kann ich dennoch erkennen", gab er enttäuscht von sich. „Ist es wegen dem Jungen von gestern?"
Shit. Wieso war er nur so clever? Hätte er nicht etwas weniger aufmerksam sein können? Oder mir nicht gerade jetzt über den Weg laufen können? Auf eine gewisse Art tat es mir fast leid, dass ich ihn so komisch behandelte und dass ich ihm nie eine richtige Erklärung dafür geliefert hatte, weshalb wir uns nicht mehr trafen. Dass ich ihn einfach von mir geschoben hatte und ihn links liegen ließ. Er war ein wirklich netter Junge und hatte so ein schlechtes Verhalten nicht verdient.
Also riss ich mich zusammen und sah ihn entschuldigend an. „Es tut mir leid Wonpil." Ich atmete tief durch, um meine Gedanken zu sortieren und meine negativen Gefühle nicht aufkommen zu lassen. „Ich hätte dich nicht so behandeln dürfen. Es war falsch von mir, dich einfach zu ignorieren. Ich habe mich richtig dämlich benommen und ich entschuldige mich aufrichtig dafür." Kurz haderte ich mit mir selbst aber sprach dann auch das aus, was mir noch auf dem Herzen lag. „Und auch für das gestrige Ereignis möchte ich mich entschuldigen. Das hättest du nicht sehen sollen und es war sehr unhöflich, dass du es so erfahren hast." In mir stieg die Hitze auf und meine Wangen färbten sich wahrscheinlich ziemlich rot.
Einen Moment war es still, dann ergriff mein Gegenüber das Wort. „Entschuldigung angenommen Minnie. Nur tu mir einen Gefallen und ignoriere mich nicht als würden wir uns nicht kennen." Er lächelte mich warm an und tat dann so, als müsse er angestrengt nachdenken. „Ach, und wegen gestern... was war denn gestern?", fragte er, als könne er sich nicht mehr erinnern. Dann machte er mit den Fingern eine Bewegung, als würde er seinen Mund verschließen und einen kleinen Schlüssel über seine Schulter werfen. „Ich habe nichts gehört und nichts gesehen, also kann ich auch nichts sagen." Er grinste und aus einer Laune heraus umarmte ich ihn stürmisch.
„Danke."
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