Angst oder Faszination
Jeongins Pov:
Nachdem wir uns von Jisung verabschiedet hatten, liefen wir lachend und schwatzend durch die Siedlung. Es war noch immer recht warm draußen, auch wenn die Sonne bereits am Horizont versank und nur noch die letzten wärmenden Strahlen zu uns herübersendete. Die Grillen zirpten und schienen es sich in jeder Hecke und jedem Blumenbeet der gepflegten Vorgärten gemütlich gemacht zu haben.
Diesmal war ich derjenige, der sich zuerst verabschieden musste. Fröhlich fiel ich den beiden Älteren nochmal um den Hals, bevor ich in die Seitenstraße einbog und mich jetzt auf dem direkten Weg nach Hause befand. Ich müsste nur noch die Straße runter, dann links und dann sollte ich mein Elternhaus bereits sehen können.
Doch sobald ich die Seitenstraße betrat und das Gerede meiner beiden Freunde nicht mehr zu hören war, überkam mich eine unbeschreibliche Angst, die ich nicht zu deuten wusste.
Auf einmal kam mir die Straße leer und verlassen vor. Kein Auto fuhr an mir vorbei, kein Mensch goss gerade seine Blumen oder mähte noch den Rasen, nicht einmal eine Katze oder ein kleiner Spatz ließ sich blicken. Mit jedem Schritt, den ich in Richtung meines Ziels machte, schien die gespenstische Stille zuzunehmen und ein eisiger Schauer lief über meinen Rücken, als ich beim Einbiegen in meine Straße nicht einmal mehr das sanfte, fast beruhigende Zirpen der Grillen vernehmen konnte. Es war so leise, dass ich glaubte, man würde eine Stecknadel fallen hören können.
Durch die anhaltende Stille, überkam mich fast schon die Panik. Hinter jedem Busch, jedem kleinen Zierbaum vermutete ich eine Gefahr und es wirkte beinahe so, als würde etwas in der Dunkelheit auf mich lauern. Dieser Anflug von Wahnvorstellungen ging so weit, dass ich dachte, verfolgt oder beobachtet zu werden. Ich lief bereits schneller und drehte mich mehrmals um, nur um dann festzustellen, dass niemand hinter mir war.
Das war doch wirklich absurd. Da war keiner. Meine Fantasie musste mir einen Streich spielen. Es gab keinen Grund, sich zu fürchten. Immerhin war ich hier mitten in einem dicht bebauten Wohngebiet. Niemand würde mir hier etwas tun können. Dennoch fuhr ich erschrocken herum, als ich ein leises Rascheln hörte.
Doch da war nichts. Kein Mensch, kein Tier, nicht einmal eine alte Zeitung die im Wind über den Boden flatterte. Sekundenlang starrte ich mit schreckgeweiteten Augen auf die grauen Gehwegplatten. Dann wandte ich mich um und beschleunigte meine Schritte aufs Neue. Jetzt kam es mir auch noch so vor, als würde eine dunkle und kalte Aura langsam nach mir greifen. Sie schien immer näher zu kommen und mich unbemerkt einzukreisen. Meine Hände zitterten leicht und mein Herz pochte schnell und sorgenvoll. Im Laufschritt überwand ich die letzten fünfzig Meter und kramte eilig den Schlüssel aus meiner Tasche.
Erleichtert atmete ich aus, als ich durch den entstandenen Türspalt ins Innere des Wohnhauses schlüpfte und die Haustür hinter mir wieder ins Schloss fiel. Ein Teil der unangenehmen Atmosphäre schien von mir zu weichen, doch sie verschwand nicht gänzlich.
„Mama, Papa, ich bin wieder zu Hause!"
Ich lauschte kurz auf eine Erwiderung und wunderte mich, als keiner der beiden mir antwortete. Normalerweise waren sie an einem Samstagabend nicht arbeiten. Eilig streifte ich mir die Schuhe ab und warf meinen Rucksack im Flur auf die Kommode. Dann rief ich nochmal in die mich umfangende Stille.
„Mama?! Seid ihr da?!"
Doch es kam keine Antwort. Alles blieb totenstill.
Mein Puls beschleunigte sich bereits wieder und eine noch viel unangenehmere Unruhe umfing mich. Mein Kopf malte sich bereits alle möglichen Szenarien aus, die diesen Zustand der Angst nur noch unterstützten. Schließlich rang ich mich dazu durch, kurz in das dunkle Wohnzimmer zu spähen.
Da war schon mal keiner. Normalerweise saß mein Vater im Sessel und sah fern, wenn ich erst so spät von Jisung oder einem der anderen nach Hause zurückkehrte. Meine Mutter bereitete dann meist das Abendessen vor. Also war meine nächste Anlaufstelle die Küche, die genauso verlassen und düster vor mir lag. Um nicht mehr vollkommen im Dunkeln zu stehen, machte ich das Licht an und erblickte einen kleinen weißen Zettel auf dem Esstisch. Schnell schnappte ich ihn und las die wenigen Worte, die meine Eltern mir über ihren Verbleib hinterlassen hatten. Allein bei den folgenden Worten erfasste ein leichtes Zittern meinen Körper.
Hallo Liebling. Papa und ich sind zu einer Gartenparty bei den Mins eingeladen. Könnte spät werden.
Kuss Mama.
Am liebsten wäre ich direkt wieder zu Jisung gegangen. Denn eine Gartenparty bei den Mins endete nie vor drei Uhr morgens und meine Eltern hatten viel zu viel Spaß mit ihren langjährigen Tennispartnern, als dass sie früher von dieser Festlichkeit nach Hause kommen würden.
Das bedeutete, ich war allein. Mutterseelenallein und obendrein von etwas verängstigt, das nicht einmal real war. Gerade heute... Was war nur los mit mir? Woher kam diese unerklärliche Furcht? Oder besser gesagt was hatte sie ausgelöst? Ich war doch jetzt zu Hause und sicher.
Ich versuchte mich selbst zu beruhigen und atmete tief durch. Mehrmals sog ich die Luft in meine Lungen und stieß sie dann allmählich wieder aus. Tatsächlich half diese Methode und ich beschloss, dass ich jetzt einfach so schnell wie möglich ins Bett gehen und schlafen würde. Dann musste ich mir keine finsteren Horrorszenarien ausmalen oder mich grundlos fürchten. Das würde wohl das Beste sein.
Dennoch trat ich eher zögerlich zurück in den Flur, griff nach meinem Rucksack und stieg dann die kleine Wendeltreppe zur zweiten Etage hinauf. Mit jedem Schritt, dem ich meinem Zimmer näherkam, wurde ich langsamer und schließlich blieb ich unsicher mitten im Gang stehen. Hier oben schien die Anspannung erneut viel greifbarer und bedrohlicher zu werden. Es war wirklich skurril doch etwas in mir sträubte sich mit aller Kraft davor, den Raum, mein Zimmer, zu betreten. Dennoch zwang ich mich letztendlich, weiterzugehen, meine Hand auf die kühle Klinke zu legen und die Tür zu öffnen. Geräuschlos schwang diese nach innen auf und ich trat scheu ein. Jeden Moment rechnete ich mit einer unerwarteten Überraschung, mit einem Schock, einem lauten Knall. Doch es passierte gar nichts während ich in die Dunkelheit lauschte.
Da war nichts. Alles war leise.
Dann betätigte ich den Lichtschalter.
Kurz blinzelte ich, geblendet durch die Helligkeit und sah dann hinüber zu meinem Bett. Alles so, wie ich es gestern verlassen hatte. Mit zwei kleinen tapsigen Schritten trat ich ganz in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Die blassblaue Decke lag ordentlich auf der Matratze, mein Pyjama thronte fein säuberlich gefaltet auf dem Kopfkissen und wartete nur darauf, dass ich ihn gleich anzog und mich unter die wärmende, schutzspendende Decke verkroch. Alles war so, wie es sein sollte.
„Hallo Jeongin."
Mit einem leisen Aufschrei fuhr ich herum und blickte in Unglauben zu meinem Schreibtisch. Oder besser gesagt zum dem Drehstuhl und dem Jungen, der in diesem saß. Er hatte sich elegant zurückgelehnt, sein rechtes Bein über das linke geschlagen und sah mich aus eisblauen Augen an.
Verdammt. Wie konnte jemand nur so blaue Augen haben?
Und was zum Henker dachte ich hier eigentlich? Da saß ein Fremder in meinem Zimmer und ich machte mir als allererstes Gedanken über seine Augen? Ernsthaft? Ich war eindeutig nicht mehr bei klarem Verstand. Hatte ich wegen ihm ein so mulmiges Gefühl gehabt? Hatte dieser Junge meine Panik ausgelöst und mir das Gefühl gegeben, verfolgt zu werden? Aber nein... er hätte nicht vor mir hier eintreffen können, wenn er mir gefolgt war.
Wir starrten uns noch immer gegenseitig an. Mein Herz drohte, jeden Moment aus der Brust zu springen, so schnell schlug es. Ich rührte mich keinen Millimeter vom Fleck und je länger ich den Jungen vor mir ansah, desto verwirrter oder besser gesagt faszinierter war ich. Der Eindringling hatte hellgraue Haare, die schulterlang waren. Zumindest der Teil, der nicht in einem kleinen Zopf zurückgebunden war. Die Frisur stand ihm wirklich perfekt, auch wenn sie eher messy und nicht akkurat zurückgebunden war. Als nächstes fielen mir seine Lippen auf. Sie waren so groß, voluminös und rund.
Oh Gott... jetzt hatte ich schon wieder angefangen, ihn zu bewundern. Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf und machte einen unsicheren Schritt zurück.
„Was-was tun Sie hier?" Meine Stimme hörte sich selbst in meinen Ohren viel zu leise und verängstigt an. Nichts war von meiner sonst so lässigen, manchmal sogar ziemlich aufmüpfigen Art geblieben.
Der Junge mit den silbergrauen Haaren legte den Kopf amüsiert schief und sah mich dann so intensiv und gleichzeitig herablassend an, dass ich schlucken musste.
„Du gehörst mir Yang Jeongin."
Ich zuckte heftig zusammen. Seine Stimme und die gesprochenen Worte brachten etwas in mir zum Klingen und ich keuchte überrascht auf. Genau diese Worte hatte ich in meinem Traum gehört. Genau die gleiche Stimme und der herrische Ton.
„Wer-wer bist du?" Ich stand wie versteinert da und konnte mich leider nicht von dem Anblick vor mir lösen. So sehr ich es auch versuchte. Mein Körper und mein Verstand schrien mich an, zu fliehen. Drängten mich dazu, diesen stechend blauen Augen zu entkommen, der kalten und bedrohlichen Aura dieses Jungen zu entgehen. Doch ein kleiner Teil in mir, keine Ahnung welcher, hielt mich genau an diesem Ort.
Anstatt mir zu antworten, erhob sich der Junge aus meinem Stuhl und ich staunte über seine Größe. Mit langen geschmeidigen Schritten trat er auf mich zu und blieb dicht vor mir stehen. Er blickte auf mich herab und aus der Nähe sah er noch viel besser aus. Er hob eine Augenbraue und lächelte mich spöttisch an.
„Namen haben Macht. Und du glaubst, du bist in der Position meinen zu erfragen? Du bist nicht nur dumm genug, mich zu beschwören... nein, du erweist mir nicht einmal Respekt."
„Wie-wie m-meinst du das?" Ich war wirklich verwirrt.
Warum redete er jetzt etwas von Respekt? Oh nein... hatte er gerade beschwören gesagt?
Für einen Moment setzte mein Herz vollkommen aus und schlug dann viel zu hastig weiter.
Die Beschwörung. Sie hatte funktioniert? Das müsste dann aber heißen, dass er, der Junge vor mir, ein Dämon war.
Jetzt zitterte ich und schluckte hektisch. „Ich-Es tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Ich-ich wusste nicht, dass es funktionieren würde." Immer leiser und brüchiger war meine Stimme mit dem letzten Satz geworden und ich sah zu Boden.
Zwei Fingerspitzen legten sich unter mein Kinn und hoben es an. Die Finger waren kühl, aber nicht unangenehm. Nein, vielmehr ließen sie eine Art Spannung durch meinen Körper fließen und ich konnte nicht anders, als fasziniert und zeitgleich ziemlich verschreckt zu dem grauhaarigen Schönling aufzusehen.
„Ich denke, ich werde dir eine Lektion in Sachen Respekt geben. Danach wirst du es dir zweimal überlegen, ob du einen Dämon rufen willst oder nicht." Seine eisblauen Augen blitzten auf und er packte mit seinen langen, schlanken Fingern meinen Kiefer.
„Bitte-bitte tu mir nichts", wimmerte ich aus Reflex. „Ich wollte niemanden wütend machen. Wir haben doch nur aus Spaß den Spruch ausprobiert. Wir konnten doch nicht ahnen, dass es funktionieren würde." Ich blickte flehend in die kühlen Augen und hoffte, dass auch ein übernatürliches Wesen Einsicht zeigen konnte oder zumindest Verständnis für solche kindischen Aktionen aufbrachte.
Ein beängstigendes Lachen ertönte. Gleichzeitig klang es schon fast sexy und ich biss mir auf die Lippen, um mich zur Ordnung zu rufen.
„Wie unvorsichtig von euch, einfach mal einen Spruch aufzusagen, nur um ein bisschen Spaß zu haben. Aber keine Sorge. Ich werde dir zeigen, was es heißt, einen Dämon zu beschwören."
Für einige Sekunden schloss mein Gegenüber die Augen und als er sie wieder öffnete, waren sie wie flüssiges Silber und sein Griff um mein Kinn verstärkte sich.
„Du gehörst jetzt mir Yang Jeongin. Allein mir."
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Hey ihr Lieben,
heute kommt leider nur dieses eine Kapitel. Mehr hab ich zwischen den ganzen Hausarbeiten nicht korrigieren können. 😪
Ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen.
Habt ein schönes Wochenende. 💕
I love you.
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