Alltagswahnsinn
Jeongins Pov:
„Kannst du das Spiel nicht ein bisschen leiser stellen? Ich würde gern noch etwas von meinem Video verstehen, was ich mir hier ansehe", knurrte ich meinen kleinen Bruder frustriert an, da er mich schon seit geschlagenen fünf Minuten ignorierte und weiterhin irgendwelche feindlichen Spieler abschlachtete, die versuchten seinen Charakter anzugreifen.
„Ist grade ganz schlecht...", antwortete er mir zum gefühlt hundertsten Mal. „Bin gerade auf einer wichtigen Mission, das kann ich nicht unterbrechen."
„Mit können meinst du wohl eher du willst nicht", murmelte ich und versuchte mich dann wieder auf mein Handy zu konzentrieren. Es gelang mir sogar irgendwie und ich blendete die lauten Geräusche des Spiels aus. Allerdings nahm ich auch den Rest um mich herum eher verschwommen wahr, weshalb ich die Klingel an der Tür ebenso wenig für voll nahm und lieber weiter auf meinen Bildschirm hinabstarrte.
„Ohh~, gleich habe ich dich." Mein Bruder schien offenbar erfolgreich bei seiner Challenge zu sein, denn kurz darauf jubelte er und beugte sich auf der Couch weiter nach vorn. „Geil. Jetzt habe ich endlich die bessere Ausrüstung", teilte er mir freudestrahlend mit und ich nickte nur abwesend.
„Schön für dich", meinte ich halbherzig und sah dann doch auf, als meine Mama durch den Hausflur rief.
„Jeongin! Hier ist jemand für dich an der Tür."
„Huh? Wer will denn an einem Samstag zu dir?", fragte mein Bruder spöttisch und ich warf ihm einen strafenden Blick zu. Allerdings kannte ich die Antwort auch nicht. Deshalb überlegte ich einen Moment und kam zu dem Schluss, dass es weder Jisung, Felix noch Seungmin sein konnten, denn die kannte meine Mama bestens und hätte sie schon längst hereingelassen. Doch dann erinnerte ich mich, dass Minjae, ein Klassenkamerad am Donnerstag gefragt hatte, ob ich mit ihm für Französisch lernen könnte. Ich war recht gut in diesem Fach und so hatte ich zugesagt und angeboten, er könne vorbeikommen wenn es ihm passt. Deshalb machte ich mir nicht allzu viele Gedanken und rief dann ohne wirklich aufzusehen.
„Das ist mein Klassenkamerad. Wir lernen für Französisch. Lass ihn rein, Mama."
„Nein ehrlich... wer kommt an einem Samstag freiwillig zu dir, außer diese anderen drei Jungen mit denen du immer abhängst?" In letzter Zeit ging mir mein Bruder gehörig auf die Nerven. Er war frech und teilweise echt unausstehlich.
„Halt die Klappe", zischte ich ihm zu und wollte mich gerade aus dem Sessel erheben, um ihm einen kleinen Denkzettel zu verpassen, als meine Mutter im Türrahmen erschien. Mit leicht geweiteten Augen und wie es aussah etwas zittrigen Händen umklammerte sie ihren Rock. Zunächst dachte ich, es sei etwas nicht in Ordnung. Doch sie sah viel eher aufgeregt als verängstig aus. Dennoch verstand ich die Situation nicht ganz. Zumindest nicht solang, bis hinter meiner Mama ein silberner Haarschopf auftauchte und Hyunjin seinen Kopf schieflegte und an meiner Mutter vorbei ins Wohnzimmer sah.
„Hey Innie."
„Yang Jeongin... seit wann kennst du so viele Leute?", fragte meine Mama und versuchte ihre nun offensichtliche Verlegenheit zu überspielen, während mein kleiner Bruder sich tatsächlich an seinem Getränk verschluckte und dann laut hustete. Nur ich blieb einigermaßen still. Was daran lag, dass in mir doch etwas Panik aufkam als ich den Dämon inmitten meiner Familie sah. Doch ich konnte ihn ja jetzt auch schlecht vor den Augen aller verbannen oder ihn anschreien.
„Ähm~ dass- dass ist ein..." „Wir kennen uns aus der Schule. Ich gehe in seine Parallelklasse." Log Hyunjin vollkommen unbekümmert und verzog keine Miene. Seine Stimme war dabei honigsüß und er reichte meine Mutter dann formvollendet die Hand. „Schön, sie kennenzulernen."
Meine Mama sah aus, als hätte sie gerade ihr größtes Idol vor sich und brachte kaum einen klaren Satz hervor.
"F-freut mich a-auch."
Na super. Er hat diese Wirkung also auf jedes gottverdammte Wesen auf diesem Planeten.
„Und was hast du mit meinem Bruder zu tun?" Mischte sich dann auch noch dieses Biest von einem jüngeren Geschwisterchen ein. „Hast du ne Wette verloren oder warum triffst du dich mit ihm?" Kurz entschlossen griff ich nach einem Buch, ging auf ihn zu und schlug es unsanft auf seinen Hinterkopf. Das war einfach unverschämt.
„Ich sagte du sollst die Klappe halten."
Ein helles Lachen ertönte und selbst ich musste mir eingestehen, dass es unglaublich sexy klang. Ich drehte mich leicht schuldbewusst zu Hyunjin um, der mittlerweile ins Wohnzimmer getreten war und sich kurz umsah.
„Nein, ich habe keine Wette verloren. Ganz im Gegenteil. Ich habe sie haushoch gewonnen." Der Dämon mit dem silbergrauen Haar zwinkerte mir vielsagend zu und richtete seine Aufmerksamkeit für eine Sekunde auf den Bildschirm, der ein Standbild zeigte, auf dem ein paar tote Soldaten auf dem Boden lagen und überall Blutspritzer verteilt waren. Seine Mundwinkel zuckten kurz.
„Dann bist du also mit Jeongin befreundet?"
Seit wann war diese Nervensäge auch noch so unerträglich neugierig?
„Könnte man so sagen." Hyunjin sah mich nun forschend an, da ich immer noch erstaunlich wenig gesprochen hatte und als ich auch jetzt nicht weiterwusste, übernahm er das Sprechen. „Wollen wir nicht in dein Zimmer und ein bisschen lernen? Immerhin kannst du mir Französisch sicher viel besser beibringen als die anderen." Ich schluckte trocken als mir bewusst wurde wie versaut das schon wieder von seinen sündhaft tollen Lippen klang. Und sicherlich war das auch seine Absicht gewesen. Deshalb nickte ich, warf meinem kleinen Bruder noch einen vernichtenden Blick zu und wandte mich dann an meine Mutter.
„Wir nehmen gleich etwas Limonade mit. Dann musst du uns nicht extra etwas zubereiten", sagte ich und wollte somit verhindern, dass sie dieser Ausgeburt der Hölle noch näher kam als ohnehin schon.
„Alles klar, Liebling."
Das Schicksal musste mich heute ganz besonders hassen. Jetzt verwendete sie auch noch Kosenamen, nur um mich noch weiter vor Hyunjin zu blamieren. Großartig.
Beinahe hätte ich nach Hyunjins Hand gegriffen und ihn hinter mir hergeschleift, doch rasch zog ich meine Finger zurück und lief vor ihm den Flur entlang.
„Geh du schon mal nach oben. Ich komme gleich nach", wies ich ihn an und war positiv überrascht, als er ohne zu zögern das tat, was ich verlangt hatte. Ich hingegen lief zurück zur Küche und atmete tief durch, als ich dort ankam.
Das war alles noch blöder gelaufen als erwartet. Ich durfte ihn heute nicht verbannen. Schließlich würde ich sonst in Erklärungsnöte geraten, weil Hyunjin zwar durch die Haustür aufgetaucht war aber nicht wieder ging. Wieso musste das nur immer mir passieren?
Missmutig griff ich nach zwei Gläsern, plus der Limonade und machte mich auf den Weg zu meinem Zimmer, in dem der Dämon bereits wartete. Er stand direkt vor meinem Fenster und sah hinaus auf den kleinen Vorgarten unseres Hauses. Umsichtig zog ich die Tür hinter mir ins Schloss und musterte ihn.
„Was soll das?"
„Was soll was, Jeongin?" Nun drehte er sich zu mir um und seine Augen funkelten, so als hätte er den Spaß seines Lebens.
„Warum tauchst du hier auf?"
„Weil ich dich sehen wollte." Seine schlichte Antwort machte mich nun doch wütend und ich schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht... Wieso tauchst du hier auf und zeigst dich meiner Familie? Warum präsentierst du dich ihnen so offen?"
„Ist ja nicht so, als ob sie wüssten wer ich bin", schnaubte Hyunjin belustigt und zog die Schultern nach oben. „Also mach dir keine Sorgen. Sie erfahren nichts."
„Du meinst sie erfahren nicht, dass du ein verdammter Dämon bist?", fauchte ich ihn an und schlagartig verengten sich seine Augen. Ihm gefielen die Worte die ich nutzte offenbar nicht besonders. Doch jetzt war ich auch sauer. „Und obendrein bist du ein Lügner und manipulierst mich. Leugne es gar nicht erst. Ich weiß es." Anklagend streckte ich den Finger aus und deutete auf seine Brust. „Ich hätte dir nie so leicht vertrauen sollen. Es war ein Fehler dich zu akzeptieren", stieß ich unbedacht hervor.
Ein wütendes Grollen war zu vernehmen und dann flammten die gerade noch braunen Augen in einem unheilvollen Silber, das wie eine glänzende Oberfläche alles reflektierte und so hell war, dass man kaum hinsehen konnte. „Wie kannst du es nur wagen." Er durchquerte mit großen Schritten den Raum, schloss seine Finger um meinen Hals und drängte mich gegen die nächstgelegene Wand. Dort gruben sich seine Fingernägel leicht in meine Haut und er lehnte sich gegen mich, bevor er mit einem unheimlichen Fauchen seine Zähne bleckte und so aussah, als wolle er sich auf mich stürzen. Doch stattdessen drang mir seine Stimme düster und bedrohlich durch Mark und Bein. „Jetzt willst du also anfangen zu rebellieren? Du willst dich mir widersetzen? Hältst du das für clever?"
Mit schreckgeweiteten Augen sah ich ihn an. Die Angst konnte ich klar fühlen. Sie rauschte durch meinen Körper und strömte vermutlich aus jeder Pore aber da war noch etwas. Unter all der Panik kämpfte sich die Bewunderung für dieses Wesen nach oben. Es war beinahe so, als würde mein Körper die Gefahr dadurch verdrängen, dass er mir zu vermitteln versuchte wie wunderschön dieses Wesen doch war. Ungeachtet seiner Begierde für die Zerstörung konnte man es nicht bestreiten. Hyunjin war tödlich schön.
Mit bebenden Gliedern streckte ich meine Finger nach seiner Wange aus und strich hauchzart über die kühle Haut.
„E-entschuldige. Ich wollte dich nicht verärgern."
Warum lenkte ich nur so schnell ein? War das die Manipulation von der Jungkook gesprochen hatte? Konnte ich gar nicht anders? Was tat er nur mit mir?
Mutig hob ich auch noch meine zweite Hand und legte diese auf die andere Wange, dann sah ich tief in die silbrigen Seen, zog seinen Kopf zu mir herab und küsste die weichen Lippen, die sich so passend gegen meine schmiegten. Mit einem erleichterten Seufzen vertiefte ich den Kuss und streckte mich ihm entgegen.
„Ich werde mich nicht widersetzen. Ich gehöre dir."
Ein zustimmendes Brummen war zu hören und schon versiegelten seine Lippen wieder die meinen. Allmählich löste sich auch der starre Griff um meinen Hals und die Fingernägel kratzten nur noch leicht über meine Haut, bevor sie ganz verschwanden.
„Darf ich dich etwas fragen?", hauchte ich leise und blickte äußerst vorsichtig in sein Gesicht, so als würde ich erwarten eine wutverzerrte Grimasse zu sehen. Doch ich stieß nur auf geschlossene Augen, die sich jetzt langsam wieder öffneten und ein etwas helleres Blau offenbarten, das mir deutlich zeigte, dass er noch nicht komplett abgekühlt war, sondern immer noch wütend auf mich zu sein schien. Nun musste ich besonders diplomatisch vorgehen.
Ein knappes Nicken folgte und der Dämon brachte von sich aus mehr Abstand zwischen uns. Beinahe als wolle er sichergehen, mich nicht gleich wieder anzufallen.
„Benutzt du deine Kräfte um mich zu manipulieren? Willst du mich wirklich wahnsinnig machen?"
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