41. Der endgültige Umzug
Nachdenklich saß ich in der Garage meiner Eltern und kramte in der letzten Kiste herum. Das war es jetzt endgültig. Ich hatte all meinen Kram aussortiert, weggeschmissen, gespendet, verschenkt oder gepackt. Es hatte auch nur zwei Tage gedauert was bedeutete, dass ich noch fünf Tage hier hatte mit meiner Familie ohne, dass ich etwas für den Umzug tun musste. Darüber war ich froh, aber irgendwie auch nicht. Nichts zu tun bedeutete auch automatisch nur noch aufgeregter zu sein bis Julien und Rezo mich am 10. Januar abholen würden.
Ich griff ein letztes Mal in die Kiste und starrte auf die alten Schulhefte. Über 20 Jahre meines Lebens hatte ich hier verbracht und in fünf Tagen begann dann ein neuer Lebensabschnitt. Einer auf den ich mich so freute, dass ich nicht mal mehr Angst verspüren konnte.
So musste es auch sein.
"Hey..." Jemand klopfte an den Türrahmen.
Als ich aufsah entdeckte ich Anne. Sie lächelte schwach.
"Hi", ich erwiderte es nur kurz und warf die Hefte wieder in die Kiste. Auch das konnte in den Müll.
"Ich hab Kuchen gemacht. Willst du auch ein Stück?"
"Den mit der Schokolade und den Himbeeren?"
"Ja, und vor allem eben der Schokolade", sie lachte leise und setzte sich neben mich auf den Boden. "Ist es nicht zu kalt hier?"
"Geht schon. Hab ja den Heizer angemacht solange ich hier bin", ich winkte ab und schob die Kiste weg.
"Irgendwie ist das komisch."
"Was?" Kurz sah ich sie an.
"Naja, du ziehst wirklich weg."
"Sieht so aus." Ich nickte.
Schweigen.
Mehrere Minuten. Allerdings war es nicht direkt unangenehmen. Es war nur ungewohnt.
"Krissi?"
"Mh?", machte ich nur.
"Das alles mit Julien tut mir wahnsinnig leid. Ich weiß, du hast gesagt, dass das Schnee von gestern ist und du auch nicht sauer bist, aber ich kann nicht so tun als wäre nichts gewesen. Es tut mir aufrichtig leid..."
"Anne, du hast..."
"Ja, ich habe eine psychologisch festgestellte Krankheit. Das weiß ich, aber ich hab es nicht nur wegen dem ADHS gemacht. Ich hab mich auch von der Eifersucht zerfressen lassen... Ich hab mir wohl auch ziemlich dumme High School Filme zum Vorbild genommen und hab eigentlich nur gemeine Ausreden gesucht damit ich etwas hatte womit ich dir schaden konnte damit es mir besser ging... Die Wahrheit ist, es ging mir nach allem noch viel schlechter."
Ich schluckte. Innerlich hatte ich nicht mit so einer Reaktion meiner Schwester gerechnet. Das letzte Mal, dass wir ein vernünftiges Schwestern-Gespräch geführt hatten war als Anne 12 Jahre alt gewesen war. Seit dem war das Verhältnis von Streit und wohl auch Eifersucht geprägt worden. Zugegeben. Ich war nicht immer unschuldig gewesen, aber Anne hatte es mir nie wieder leicht gemacht. Ich hatte sie nach zwei Jahren auch einfach nur machen lassen. Es war mir egal gewesen wie sie gerade drauf war. Vor allem als ich umgezogen war.
Im Moment war es deshalb umso befremdlicher, dass sie so offen und ehrlich mit mir redete... Und dabei auch noch zugab was wirklich hinter der Aktion gesteckt hatte.
"Ich weiß im Nachhinein lassen sich solche Dinge immer leicht sagen, aber es sind einfach die Tatsachen... Ich habe dich so oft beneidet... Um das Kleid für deinen Abiball, um deinen ersten Freund, um deine Noten... Ich kam mir Zuhause immer vor als wäre ich die Enttäuschung der Familie. Die Versagerin die in ihrer eigenen Welt lebt... Die Sache mit Julien war auch die Spitze... Ich hab die Welt einfach nicht mehr verstanden... Meine Psychologin hat gesagt, dass meine Krankheit nur diese Gefühle verstärkt hat. Es war also wirklich nicht die Krankheit selbst die mich das machen ließ. Sicher, das impulsive Handeln gehört dazu und deshalb ist alles so eskaliert, aber trotzdem..."
"Anne", ich unterbrach sie leise und winkelte meine Beine an. "Ich will ehrlich sein, ich bin dir dankbar, dass du offen darüber mit mir redest, aber die Dinge sind geschehen. Keiner kann sie rückgängig machen und klar hab ich früher auch nicht gerade immer richtig auf dich reagiert... Wir alle haben unsere Fehler gemacht. Es wird auch nicht leicht werden wieder alles aufzubauen was wir alle kaputt gemacht haben, aber es wird besser. Ich habe dir auch nicht vergeben weil du eine Krankheit hast die man Jahre lang als Pupertät und Trotzreaktionen und Verträumtheit angesehen hat; ich hab dir vergeben weil ich die letzten Monate gesehen hab wie leid es dir tat und wie sehr du an dir arbeitest."
Anne sah mich mit ihren großen braunen Augen an. Sekunden später umarmte sie mich einfach.
"Danke! Einfach nur danke!", gab sie mit einem leisen Schluchzen von sich.
"Nichts zu danken", ich erwiderte die Umarmung und drückte sie kurz fest. "Wozu sind große Schwestern da? Und wenn was ist, dann kannst du dich auch jederzeit melden. Auch wenn du wieder das Gefühl bekommst, dass hier im Haus etwas schief geht. Okay?"
"Okay."
"Versprochen?"
"Versprochen!" Sie sah zu mir auf und nickte mit einem schwachen Lächeln.
"Also, dann schmeisse ich jetzt noch die Sachen weg und komme zum Kuchen essen." Ich ließ sie schließlich los und stand auf.
"Klar", Anne sprang auch auf, dann hielt sie inne und musterte noch die Kartons. "Darf ich dich dann auch Mal in Aachen besuchen?"
"Ich bin mir sicher, dass darfst du. Julien wird auch nicht Nein sagen", ich schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
"Danke... Aber naja, erstmal musst du ja auch noch umziehen." Sie lächelte zurück.
Ja, genau das musste ich.
Leider zogen sich die restlichen Tage bis ich endlich mit meinen Sachen und zusammen mit Ju und Rezo meine Reise nach Aachen antreten konnte. Mom hatte sich mit den Tränen kaum zurückhalten können als ich mich bei allen verabschiedet hatte. Felix hatte mit Julien schon ausgemacht, dass er auf alle Fälle im Sommer vorbei kommen wollte um mit uns Aachen auf den Kopf zu stellen. Dad war stolz wie eh und je und Anne hielt sich schüchtern zurück, blieb höflich und wischte sich heimlich eine Träne von der Wange als ich sie umarmte hatte.
Ich war froh, dass sich das Verhältnis wirklich so verbessert hatte, auch wenn ich wusste, dass das Vertrauen erst wieder ganz wachsen musste. Im Moment zählte allerdings nur, dass alles so lief wie es sich richtig anfühlte. Ich wusste zwar, dass das nicht die letzten Herausforderungen gewesen waren, aber ich wusste genau: auch diese würde ich schaffen...
...und jetzt hatte ich auch noch jemanden an meiner Seite den ich über alles liebte und der auch in jeder Situation für mich da war. Was wollte ich noch mehr?
1083 Wörter
Guten Mittag meine liebsten Kekse ♥️
Ich hoffe sehr euch hat das vorletzte Kapitel gefallen. 😄 Lasst mir sehr gerne Rückmeldung da. 🥰 Vielen Dank für alles! Bis zum letzten Kapitel und habt noch einen schönen Feiertag. ❤️
xoxo eure Luna ♥️
1. Mai 2o2o
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