Kapitel 19
Die Stille im Auto war erdrückend. Stumm saß ich da und starrte wie gebannt auf meine Hände. Auch Ethan entwich kein einziges Wort, während er wohl krampfhaft versuchte sich auf das Fahren zu konzentrieren.
Nachdem Ethan bemerkt hatte, wie seltsam er sich doch benommen hatte, war er sofort einige Schritte auf Abstand gegangen. Ich weiß noch genau, wie er mich angesehen hatte. Sein Blick voller Schock über sich selbst und ein Hauch Scham. Ich war es dann, die - sofern meine Nervosität das erlaubt hatte - die Stille unterbrochen hatte. Räuspernd habe ich vorgeschlagen schon loszufahren, was Ethan mit einem knappen Nicken bejaht hatte. So sehr ich versuchte Vergangenes zu verstehen, ich tat es nicht. Sein Verhalten war mir ein Rätsel gewesen. Ich verstand nicht, warum es ihn so gestört hatte mich in Lucas' Sachen zu sehen. Lucas war ein guter Freund und selbst wenn, so hatte es Ethan so gesehen nichts zu interessieren. Offiziell, jedenfalls. Inoffiziell, wovon er aber nach wie vor nichts wusste, war ich seine Mate. Wir waren füreinander bestimmt und ja dann könnte man ein solches Verhalten vielleicht rechtfertigen, jedoch war es so aber nun mal nicht. Ethans Mate war Lauren, sie hatte seine Aufmerksamkeit, er hatte Gefühle und Augen nur für sie. Ich war lediglich ein unwichtiger Nebencharakter in seinem Leben. Der Charakter, der als Boxsack des Schicksals diente, nicht mehr und nicht weniger. Vermutlich würde es ihn nicht einmal stören, wenn ich verschwinden würde, wenn es denn überhaupt auffallen würde.
Leise atmete ich aus. Mein Blick glitt seitlich zu ihm, jedoch nur so, dass er nichts davon mitbekommen würde. Unauffällig.
Lucas war sein bester Freund. Vielleicht wollte er verhindern, dass Probleme zwischen ihm und Caleb entstehen, sofern er denn davon Bescheid wusste. Aber selbst wenn, Lucas war schwul. Wäre er auch an Mädchen interessiert, so hätte er nicht das Wort schwul in diesem Zusammenhang in den Mund genommen. Also wieder eine Sackgasse.
"Ethan?", gab ich etwas verwundert von mir, als ich bemerkte, dass er falsch fuhr. "Du fährst total falsch. Du hättest da abbiegen müssen. Wenn du weiter fährst, sind wir bald aus der Stadt raus."
Ethan regte sich nicht, stattdessen behielt er den Blick fest auf die Straße ohne Anstalten zu machen die Richtung zu ändern. Ich wollte nicht, dass die Dinge zwischen uns so waren. Für einige Sekunden musterte ich ihn. Aus irgendeinem Grund schien er in Gedanken versunken. Ob es wohl an der Situation vorhin lag?
"Oh... echt? Ist mir gar nicht aufgefallen", schien auch seine Worte nach einiger Zeit wiedergefunden zu haben. Noch immer schien er total neben der Spur, nicht bei der Sache. Zwar zurechnungsfähiger als zuvor, aber nach wie vor eben wie ein kleines Rätsel, zu dem ich nicht durchdringen konnte. Die Situation musste ihm ganz offensichtlich genauso zusetzen, wie es bei mir der Fall war, was verständlich war. Es war eine seltsame Situation gewesen, er hatte sich sonderbar benommen. Was würde ich dafür geben, sein Verhalten mehr verstehen zu können.
Ruckartig drehte er das Lenkrad um, so dass das Auto eine scharfe Kurve machte. Es kam so unerwartet, dass meine Hände sich erschrocken in den Sitz krallten und ich hörbar nach Luft schnappte. Als nächstes ertönte Hupen und dann ein Knall, dessen Druck mich leicht zurückstieß. Unser Auto hielt, so wie das Auto, das durch die unerwartete Wendung in uns gefahren war. Mein Atem ging schwer, etwas zittrig, als ich mit geweiteten Augen langsam zu Ethan sah, welcher eine Weile brauchte, um zu realisieren, was geschehen war. Einige Sekunden später, als er sich gefasst zu haben schien, schlug er laut fluchend gegen das Lenkrad des Autos. Völlig ausgebracht stieg er aus, was ich ihm schnell gleich tat.
Wie zur Hölle hatte er das bitte geschafft?!
"Spinnen sie eigentlich komplett?!", ertönte eine Schrille weibliche Stimme, bei der es sich wohl um die andere Fahrerin war, die Opfer von Ethans sonderbaren Verhalten wurde. Mein Blick glitt zu ihr und musterte sie etwas. Eine Frau mittleren Alters, vielleicht Mitte 30. Sie trug ein Hosenanzug und an sich schien sie recht geordnet. In Anbetracht der Uhrzeit vermutete ich mal, dass sie auf dem Weg zur Arbeit war.
"Hören sie, es tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich war völlig in Gedanken gewesen." Mit einem kritischen Blick musterte Ethan den Schaden. "Was sagt man in solchen Momenten normalerweise immer? Immerhin gibt es keine Verletzten?"
"Keine Verletzten?!", entkam er der Frau etwas lauter als vorher. "Mein Auto ist jetzt mal primitiv ausgedrückt am Arsch! Außerdem komme ich nun zu spät zur Arbeit, da kann es egal sein, ob sie oder ihre Freundin wohl auf sind!"
Sofort wollte ich protestieren, immerhin ich war nicht Ethans Freundin, so sehr mir der Gedanke gefiel. Jedoch beließ ich es einfach dabei, da es mir gerade nicht sehr passend schien die hitzige Diskussion mit einem solchen Detail zu unterbrechen. Stattdessen verfing meine Unterlippe sich zwischen meinen Zähnen, um mich selbst davon abzuhalten etwas unpassendes zu sages.
"Ich stell mal ein Warndreieck auf", erwiderte ich leise. Ethan nickte mir nur dankend zu. Während die Frau mürrisch die Polizei anrief, begab ich mich zum Kofferraum von Ethans Auto. Eine Weile brauchte ich, fand es dann aber doch und stellte es auf. Leise, aber dennoch hörbar ausatmend begab ich mich dann wieder zu Ethan. Es dauerte nicht sonderlich lange, bis die Polizei eintraf und ihr übliches Ding durchzog. Die übliche Befragung, Kontrolle von Führerschein und was nicht sonst noch alles. Es würde teuer für Ethan werden, so viel stand fest. Nachdem die Kontaktdaten ausgetauscht waren, verschwand sie Polizei und die fremde Frau wieder.
"Fuck", fluchte Ethan. Diesmal landete seine Faust jedoch scheppernd auf dem Metall seines womöglich recht teuren Wagens. Wieder konnte ich es nicht unterlassen bei dem leichten Knall zusammenzuzucken. "Tut mir leid, Fay", seufze er dann, während er sich zu mir drehte. Sein Körper lehnte sich gegen sein Auto, oder das, was man davon noch erkannte. Okay, das war jetzt eine dezente Übertreibung, ganz so schlimm war es jetzt nicht. Eine kleine Delle. Naja... einer ganz schön große kleine Delle.
Um zu zeigen, dass alles okay war, schenkte ich Ethan ein ehrliches Lächeln. Dabei stellte ich mich mit etwas Abstand vor ihn. Sicherheitsabstand? Konnte man das so bezeichnen?
"Schon okay, Ethan. Wirklich, mach dir keine Vorwürfe. Es ist niemand verletzt. Das zählt doch am meisten."
"Nein, Also.. -Schon. Aber, du hast dich auf mich verlassen und ich hab es ziemlich krass vermasselt. Was für ein Idiot muss ich sein, um so ein dämlicher Unfall zu bauen? Scheiße, da kann selbst meine Oma besser fahren und sie hat nicht mal mehr einen Führerschein." Wieder fuhr er durch sein Haar. Eine Geste, die er so oft tat, wenn er gestresst war. So schien es mir jedenfalls. "Außerdem tut es mir leid, weil ich jetzt beim besten Willen keine Lust mehr auf Schule habe. Ich mache es wieder gut, versprochen. Jetzt gleich noch. Du musst dich nur in das Auto setzen, dieses mal bau ich auch keine Scheiße mehr, und dir den Rest des Tages für mich freinehmen."
Ethan wollte erneut den Tag mit mir verbringen? Müsste er nicht allmählich die Nase voll von mir haben? Für einen kurzen Moment sah ich etwas perplex zu ihm. Ich hatte nichts dagegen, absolut nicht. Der Gedanke, Zeit mit Ethan zu verbringen, imponierte mir sogar ziemlich. Mein Verstand war es jedoch, der mich davon abhielt. Lauren würde es im Gegensatz zu mir nicht gefallen und dies war vermutlich noch sehr net ausgedrückt. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn sie davon erfuhr. Der Traum mit meinen Eltern kam mir in den Sinn. Sie wollten, dass ich glücklich war... Und glücklich war ich bei Ethan.
"Wehe, ich bereue es danach", stimmte ich entschlossen zu. Ein leichtes, freudiges Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, als ich mich auf die andere Seite des Autos begab und einstieg. Zum zweiten Mal an jenem Tage. Auch auf Ethans Lippen schien sich ein leichtes Grinsen zu legen. Eine Weile blieb er in der Position, ehe er sich löste und sich ebenfalls in der Auto setzte. Wenig später fuhren wir los, raus aus dieser Stadt. Diese Stadt, mit der ich so viel Schlechtes verband.
Ich wusste nicht genau, wie lange wir fuhren, wie viele Lieder aus dem Radio dröhnten, bis wir endlich anhielten. Wir waren schon ein ganzes Stückchen gefahren, bis wir in der benachbarten Stadt ankamen. Als wie jedoch ausstiegen, schien die Erkenntnis mich wie ein Schlag zu treffen. Ich war so sehr versunken in den Gesprächen mit Ethan gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wohin wie fuhren. Der Ort meiner Geburt. Der Ort, an dem ich alles verlor. Meine Heimat.
"Alles okay? Du wirkst so blass."
Ethan, der offensichtlich gerade aussteigen wollte, hielt in seiner Bewegung inne. Eine Antwort bekam er nicht, ich bekam nicht mal wirklich mit, dass er zu mir sprach.
"Fay?", harkte er weiter nach, als keine Antwort kam. Seine Hand, die sich etwas besorgt auf meine Schulter legte, war es, die mich aus meiner Starre löste. Mit einem leichten Zucken schellte mein Blick zu Ethan. Ich sah verschreckt aus, etwas panisch. Was wenn ich auf Menschen aus meinem alten Leben treffen würde? Wie sollte ich es ihnen erklären? Wie sollte ich es Ethan erklären? Ich wusste noch genau, dass Lauren ihm irgendeine Geschichte bezüglich meiner Herkunft erzählt hatte und ich hatte zugestimmt. Die Gefahr, dass er erfuhr, was tatsächlich passierte, war zu groß. Es wäre gleichzeitig aber auch zu auffällig jetzt kehrt zu machen, zumal ich es nicht wollte. Alles in mir sträubte sich dagegen und gegen den eigenen Willen konnte man kaum etwas machen.
"N..Nein." Ich zwang mich zu einem leichten Lächeln. "Alles okay, wirklich. Lass uns los."
Ethan schenkte mir ein letzten kritischen Blick, beschloss es dann aber einfach darauf beruhen zu lassen, wofür ich mehr als nur dankbar war. Nachdem er aus dem Auto gestiegen war, tat ich es ihm gleich. Es war selstam wieder Zuhause zu sein, bei meinem richtigen Zuhause. Nicht das, was Blaine und Lauren mir aufgezwungen haben. Gleichzeitig konnte ich ein leichtes Stechen in meiner Brust spüren. Ich hätte nicht gedacht, jemals wieder hier zu sein und doch war ich es nun.
~●~
Weil vorher so lange nichts kam, habe ich beschlossen noch ein Kapitel hochzuladen. Hoffe es gefällt euch, auch wenn ich selbst nicht ganz zufrieden bin.😅
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