Kapitel 35
Meine Augenringe sprachen vermutlich Bände über meinen Gemütszustand, eigentlich wäre ich lieber im Bett liegen geblieben und hätte einen weiteren Tag Schule geschwänzt. Einen weiteren Tag mich vor den fragenden Gesichtern gedrückt, vor Fragen, die ich entweder nicht beantworten konnte oder wollte. Aber ich musste da durch. Schließlich stand mein größeres Problem, die Jagd am Wochenende, kurz bevor.
,,Du siehst schrecklich aus", sagte Brie, als ich mich neben Spencer auf einen Stuhl fallen ließ. ,,Würdest du dich anders fühlen, nach der Situation?", konterte Spencer sofort und seufzte. Ich packte mein Schulzeug aus und bereute die Entscheidung hergekommen zu sein nur noch mehr. ,,Es wird herum erzählt, dass Jess in eine der Mienen geklettert und dort gestürzt ist", fuhr Brie fort und ich nickte. Was hätte die Presse auch anderes schreiben sollen? Bürgermeistertochter, halb tot und ausgeblutet bei einem Ritual gefunden? Da war ihre Variante doch etwas schonender formuliert. ,,Wollen wir nach der Schule ins Daker? Damit du etwas abgelenkt wirst?", schlug Spencer vor und griff mit seiner Hand nach meiner. Dabei lächelte er mich schwach an. Vielleicht war Spencer auch einer der Gründe, wieso ich überhaupt hergekommen war, seine Nähe tat einfach gut. Er war da und stellte keine Fragen. ,,Das wäre toll", erwiderte ich, bevor die Stunde los ging.
Der Unterricht zerrte sich wie Kaugummi, während meine Gedanken immer wieder abschweiften. Was ich merkwürdig fand, dass Matt sich nicht meldete. Ich hatte schon gestern erwartet, dass er mich anrufen würde und nach Antworten verlangte. Aber es kam nichts. Kein Anruf. Keine Nachricht. Naja, soll mir Recht sein. In der Mittagspause saßen wir auf unserem üblichen Platz. Brie hatte aufgehört über das Thema zureden, sondern berichtete uns von dem neuesten Tratsch an unserer Schule, wobei mir bewusst wurde, dass ich nicht mal die Hälfte der Leute kannte, die sie aufzählte. Kaden knallte sein Tablett auf den Tisch und ich zuckte zusammen, da hatte aber jemand beste Laune. ,,Wo warst du? Du hast die ersten drei Stunden geschwänzt", begann Brie vorwurfsvoll, als sie Kaden auf den Platz neben sie setzte. ,,Ich war bei Matt. Beziehungsweise im Krankenhaus", erklärte er kurz und knapp, was mich aufhören ließ. Jess müsste schon längst wach sein und allein das würde Grund für neue Fragen in den Raum werfen. Bisher wussten nur Jaime, Ian und ich was davon...aber wie ich Ian kannte, würde er Matt schon längst die neusten Ereignisse gesteckt haben. ,,Wie geht es Jess? Ist sie wieder stabil?", fragte Spencer und ich versteifte mich. Dieses Gespräch wollte ich nun wirklich sehr ungern in der Schule führen. ,,Den Umständen entsprechend. Sie schläft immer noch", erklärte Kaden. ,,Wie? Sie ist noch nicht wach?", entwich es mir eine Spur zu schnell und hysterisch, dass ich gleich drei irritierte Blicke erntete. Kaden war der Erste, der sich wieder fing. ,,Nein. Ian meint es ist ungewiss, wann sie wieder aufwacht, da sie so viel Blut verloren hat. Ein Menschlicher Organismus braucht eben seine Zeit", fuhr er fort und ich schluckte. Er hatte ihnen nicht gesagt, das Jess kein Mensch mehr war. Anscheinend wusste nicht mal Matt davon, aber wieso? Aber in oder her, wer nun davon wusste. Es gab keinen Sinn, dass sie noch schlief. Ihre Verwandlung müsste alle ihre Wunden geheilt haben und dadurch hätte sie eigentlich gestern schon ihre Augen öffnen müssen...irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht. Oder war etwas schief gelaufen, als Jaime sie verwandelt hatte? ,,Sawyer? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", sagte Spencer besorgt und riss mich somit aus meinen Gedanken. ,,Alles gut. Ich bin nur total übermüdet", was nicht mal gelogen war.
,,Vielleicht sollten wir das Daker sein lassen und ich komm einfach später vorbei, dann könntest du noch einmal Schlafen", schlug Spencer vor, als wir das Schulgebäude verließen und ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, ich kann eh nicht schlafen. Mir schwirrt soviel im Kopf herum", sagte ich fast schon verzweifelt. Die letzten Tage waren einfach zu viel. Aber gerade als ich wieder ansetzten wollte, spürte ich ihn. Ich musste nicht mal auf den Parkplatz gucken, um zu wissen das er dort stand und auf mich wartete. Naja, ich wollte eh mit ihm reden. ,,Spencer, ich muss noch was erledigen", begann ich und ging schon einige Schritte Richtung Parkplatz, als Spencer nach meinem Handgelenk griff. ,,Ich hoffe, du weißt, was du tust. Erklärst du es mir später? Dass du es Brie und Kaden nicht erzählen willst, verstehe ich. Aber bitte Sawyer, red mit mir", sagte er und sah mich eindringlich an. Spencer war seitdem Autounfall mein engster Freund, dem dem ich alles erzählen konnte, weshalb ich nickte, bevor ich meinen Weg Richtung Parkplatz fortsetze. Jaime lehnte lässig an einen der Bäume im Schatten. Als er mich sah richtete er seinen Blick auf mich. Eigentlich hatte ich schon mit einem selbstgefälligen Lächeln gerechnet, aber seine Miene blieb ausdruckslos. ,,Sie ist nicht aufgewacht", sagte ich als Begrüßung und sah ihn an. Er hatte selbst Augenringe und sah fertig aus. Belastete ihn das wirklich so sehr? ,,Deswegen bin ich hier", erwiderte er knapp und stieß sich von dem Baum los. ,,Ohne Fremdeinwirkung ist es unlogisch, dass sie noch nicht wach ist. Irgendwer verhindert das", fuhr er ohne weiteres fort. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und sah sich um, als wollte er sicher gehen, dass uns niemand zuhören konnte. ,,Wer könnte das machen?", fragte ich und seine Augen richteten sich wieder auf mich. Für einen kurzen Moment vergas ich alles und sah nur in seine Augen. Irgendetwas ist in dieser Nacht passiert, denn Jaime, der anfangs lediglich mit mir gespielt hatte, vertraute mir plötzlich und sah mich mit einem komplett anderen Blick an, den ich selbst nicht beschreiben konnte. ,,Vielleicht der, der auch dieses Opferritual mit ihr durchgeführt hat", warf er ein und ich nickte langsam. Aber wie konnte er sich ungehemmt Zugang zu ihr verschaffen, ohne dass es auffiel? ,,Was war das für ein Ritual? Vielleicht sollten wir Matt einweihen, er kennt sich mit sowas aus", begann ich, aber Jaime schüttelte den Kopf. ,,Wir weihen niemanden ein, nicht bevor wir mehr wissen. Das Matt so ein Freak ist, weiß ich, das ist einer der Gründe, wieso ich in das Anwesen will", erklärte er. Er griff nach meiner Kette um den Hals und drehte sie in seinem Fingern. Eigentlich sollte ich protestieren, aber ich war von der Geste so perplex, dass mir die Worte im Hals stecken blieben. Eher gesagt sein Blick irritierte mich, denn für einen kurzen Augenblick flackerte etwas wie Traurigkeit auf...ein tiefliegender Schmerz. So schnell wie der Augenblick gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei. ,,Wir sehen uns bei der Jagd", mehr sagte er nicht, bevor er sich blitzschnell über den Parkplatz bewegte und verschwand. Er ließ mich mit mehr Fragen zurück, als ich vorher schon hatte. Nur eins war klar. Ich würde jemanden einweihen und zwar Spencer. Und es war mir egal, was Jaime davon hielt.
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