Kapitel 2

Kapitel 2

Jadelyn fühlte sich reichlich unwohl und Raphaels fast schon emotionslose Art, in der er ihr über seltsame Begebenheiten berichtete, trug nicht unbedingt dazu bei.

In den Seen bestimmter Regionen gab es seltsame Fische, dich sich von Moskau aus wohl nun auch hierher ausbreiteten. Laut Raphael hatte er diese vor gut einem Monat entdeckt und sie waren immer zahlreicher geworden. Doch dazu kamen auch noch Probleme mit neu erschaffenen Gestaltwandlern, die trotz Tests die Wandlung nicht überlebten und deren Leichen seltsame tumorartige Auswüchse bildeten.

Aber was Jadelyn am meisten Angst machte, war die Erzählung eines Engels, der fast vom Himmel gestürzt war, weil seine Flügel in der Luft begonnen hatten zu verfaulen.

Diese Vorstellung jagte ihr mehr Angst ein, als es Raphael konnte.

"Viele gehen davon aus, dass die Dämonen Schuld daran tragen, doch ich möchte nicht voreilig urteilen. Daher möchte ich, dass du mich dabei unterstützt die Ursache zu ergründen."

Jadelyn konnte nicht leugnen, dass sie überrascht darüber war, dass Raphael die Schuld nicht sofort auf die Dämonen schob. Das machte ihn in ihren Augen fast schon ein Stück sympathisch. Aber nur ein Stück. Sie erinnerte sich noch sehr gut an die Grausamkeiten, die er an den Tag gelegt hatte, als er sein Territorium übernommen hatte. Natürlich hatte er es von dem Dämonen Azrael befreit, doch er war nicht sonderlich barmherzig aufgetreten.

Für Jadelyn waren das noch immer albtraumhafte Erinnerungen, auch wenn sie viele der Dinge nur von Erzählungen kannte. Sie war damals noch nicht geboren, denn Raphael war wesentlich älter als sie.

Immer wieder gab es Nachrichten, was Raphael getan hatte, um sein Territorium zu bewahren und sie konnte manche Dinge sogar ein wenig nachvollziehen, doch das hieß nicht, dass sie es guthieß.

Unruhig rieb Jadelyn ihre Hände aneinander, denn sie bemerkte Raphaels kühlen Blick, der ihr eine Gänsehaut bescherte. Sie wusste, dass er eine Antwort erwartete, doch sie war sich nicht so sicher, ob sie das konnte.

"I-Ich forsche nur für mich", versuchte sie sich ungelenk zu erklären. "Ich-Ich weiß nicht, ob ich hilfreich bin", stotterte sie und versuchte seinen Blick zu meiden. Seine ganze Anwesenheit war so ungewohnt und sie spürte seine Kraft, wie sie förmlich an ihrer Haut leckte. Eigentlich wusste sie, wie viel stärker ein Erzengel einem normalen Engel gegenüber war, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass es wirklich so einen großen Unterschied machte. Nun konnte sie auch verstehen, warum es in der Welt nur sehr wenige Erzengel gab. Vier waren es momentan.

Raphael, Michaela, Gabriela und Uriel waren die Erzengel, die aktuell die Seite der Engel unter Kontrolle hielten.

Raphael lehnte sich zurück und musterte sie nachdenklich. "Dennoch könnten deine Forschungsergebnisse hilfreich sein", stellte er fest und Jadelyn hob ein wenig den Blick, um ihn verstohlen zu mustern. Sie musste sagen, dass die Macht, die ihn umgab, nur dafür sorgte, dass er auf sie noch anziehender wirkte. Dennoch würde sie nie im Leben mit ihm ausgehen. Dazu hing sie zu sehr an ihrem Leben, auch wenn sie wusste, dass viele Engel durchaus Interesse an kurzzeitigen Beziehungen hatte. So war sie jedoch nicht. Sie wollte lieber ein feste Beziehung, auf die sie sich verlassen konnte. Nur war das nicht so einfach.

Als Engel war sie noch sehr jung und in ihrer Generation gab es nicht so viele Engel. Oder zumindest niemand, der sie interessierte. Mit der älteren oder jüngeren Generation kam sie jedoch kaum in Kontakt.

"Wenn es Euch hilfreich sein könnte, dann werde ich so gut helfen, wie ich kann", versicherte Jadelyn, denn sie wusste, dass sie nicht ablehnen konnte, ohne unhöflich zu sein. Außerdem wusste sie, dass ihr womöglich sogar eine Strafe drohte, wenn sie ablehnte.

Raphael nickte. "Dir wird im Hauptquartier ein Forschungsraum eingerichtet. Du wirst alle technischen Geräte zur Verfügung haben, die du brauchst. Pascal wird sich darum kümmern, dass der Forschungsraum nach deinen Wünschen ausgestattet ist", erklärte er plötzlich und Jadelyn riss ein wenig die Augen auf.

Sie sollte hier arbeiten? Raphael würde ihr einen kompletten Forschungsraum herrichten lassen? Sie konnte es kaum glauben.

Außerdem sagte ihr der Name Pascal etwas, auch wenn sie nicht wusste, ob der Pascal gemeint war, den sie aus der Schule kannte. Er war einige Jahrzehnte jünger als sie, doch er war ein Genie auf seinem Gebiet. Auf dem Gebiet der Mechatronik machte ihm niemand so schnell etwas vor. Nicht einmal die älteren Engel. Wenn wirklich dieser Mann ihr Labor herrichtete, konnte es nicht schlecht werden.

Jadelyns Augen strahlten bei dieser Eröffnung förmlich. All die Möglichkeiten, die sich ihr bieten würden, doch das Problem war, dass sie direkt unter Raphaels Aufsicht stehen würde. Solange sie sich im Hauptquartier aufhielt, würde man sie beobachte, da war sie sich sicher. Die Frage war nur, wer auf sie Acht geben würde. Vielleicht jemanden, den sie kannte? Obwohl das unwahrscheinlich war. Raphaels Gruppe war sehr alt und die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit einem von ihnen schon einmal zu tun hatte, war eher gering.

Jadelyn, die mit dem Rücken zum Fahrstuhl saß, der hinab in das Gebäude führte, hörte wie ein leiser Gong ertönte, als eben jener Fahrstuhl in ihrer Etage hielt. Die Türen öffneten sich und Jadelyn versteifte sich ein wenig. Sie traute sich nicht, sich umzudrehen und zu schauen, wer da aufgetaucht war, doch sie spürte deutlich eine gewisse Neugier der anderen Person.

"Sir? Ihr habt nach mir verlangt?", erklang eine weibliche, sehr ruhige Stimme, die jedoch nur die starken Gefühle verstecken sollte, die in ihr wallten. So stark, dass Jadelyn sie deutlich spüren konnte. Besser als bei anderen Personen. Für Raphael mussten diese Gefühle ein Festmahl sein. Vorausgesetzt sie war kein Engel.

"Lillien. Das hier ist Jadelyn", erklärte Raphael und nur, weil die junge Frau neben Jadelyn trat, konnte diese sie aus den Augenwinkel betrachten.

Sie hatte wunderschöne, hellbraune Haare, die irgendwie seltsam schimmerten. Fast wie eine Seifenblase, doch das konnte daran liegen, dass Jadelyn sich nicht traute, Raphael aus den Augen zu lassen, um sich ihr direkt zuzudrehen.

Schließlich trat die Frau direkt in Jadelyns Blickfeld, als sie sich neben Raphael stellte. Sie war kleiner als er, aber größer als Jadelyn. Ihr Körper sehr grazile und doch irgendwie drahtig. Was Jadelyn allerding mehr überraschte war das überraschen freizügige Kleidungsstück, dass sie trug. Der Ausschnitt war nicht tief, aber trotzdem war kaum Haut verdeckt. So wie sie das sah, war wohl ihr kompletter Rücken ebenfalls frei, so wie ihre Seiten.

Lillien war eine wirklich schöne Frau und auch stark. Natürlich war sie kein Mensch, doch noch konnte Jadelyn nicht genau sagen, welche Art von Gestaltwandler sie war.

Fasziniert blickte sie auf das Tattoo von wunderschönen, filigranen Libellenflügeln auf ihren Rücken, versuchte jedoch mit den Gedanken nicht abzudriften.

"Hallo Jadelyn", grüßte die Frau und neigte leicht den Kopf. "Ich bin dafür zuständig, dass du hier im Hauptquartier einen eigenen Bereich bekommst, in dem du arbeiten kannst", erklärte sie mit melodischer Stimme, die jedoch noch immer versuchte nicht zu emotional zu klingen.

Ein wenig überfordert und mit dem Wunsch wegzurennen, doch zu gelähmt von der Kraft der beiden Wesen neben sich, erhob sich Jadelyn mit zittrigen Beinen und schluckte ein wenig.

Lillien lächelte sie an und reichte ihr eine Hand. "Schön dich kennenzulernen. Komm mit, ich zeige dir alles", meinte sie und vorsichtig griff Jadelyn nach ihrer Hand. Die Frau wirkte eigentlich sehr freundlich, ihr sollte nichts passieren. Hoffte sie.

~*~*~

"Das ist ein fürchterlicher Gestank", murmelte Akira und hielt sich die Hand vor die Nase, als er zusammen mit Shadow das Haus betrat, in dem Hirofumi gefunden worden war. Das Gebäude war heruntergekommen und größtenteils zerfallen, dennoch war zu erkennen, dass es sich hierbei wohl um einen alten Bauernhof handeln musste.

"Tote Tiere", murmelte Shadow, wie ein Tuch vor dem Gesicht trug, so dass nur noch ihre Augen herausschauten.

"Sicher, dass das nur von den Tieren kommt?", fragte Akira, der mit seinem feinen, maßgeschneiderten Anzug ein wenig fehl am Platz wirkte.

"Der Stall ist voller toter Schweine", murmelte Shadow wenig begeistert, als sie Akira hinauf in die zweite Etage des Farmhauses führte. "Dennoch war die Farm so weit außerhalb, dass niemand aufgefallen ist, was hier los ist", murmelte sie, da sie sich die Unterlagen alle genau angesehen hatte.

"Also das perfekte Versteck", murmelte Akira, dem es nicht gefiel, wie die Treppe unter ihm seltsame Geräusche von sich gab und der Gestank eine Note annahm, die in seiner Nase brannte.

Shadow nickte, auch wenn sie wusste, dass der Vampir in ihrem Rücken das sowieso nicht sehen konnte. Dennoch schwieg sie, bis sie das immer betraten.

Dort war der Gestank fast unerträglich, gerade dann, wenn man besonders gute Nasen hatte.

Akira trat neben Shadow ein und ließ seine braunen Augen über das Szenario wandern.

Das Zimmer war klein und bis auf ein Bett und einen Schrank recht leer. Zwischen diesen beiden Gegenständen lag ein Mann. Genau wie auf den Fotos, die Akira bereits gesehen hatte. Man hatte die Leiche also nicht bewegt.

Er wirkte, als wäre er vom Bett aufgestanden, zum Schrank gegangen und davor zusammengebrochen. Seine Haltung zeigte, dass er sich vor Schmerzen gekrümmt haben musste.

Akira kniete sich nicht zu Shadow, die gerade den Mann untersuchte. Er besah sich lieber die Umgebung, die jedoch sehr unpersönlich wirkte. Als wäre der Mann nur hier, um sich zu verstecken. Was wohl auch der Fall war. Immerhin hatte Luxuria nach ihm suchen lassen.

"Ich habe sowas noch nie gesehen", murmelte Shadow, die sich sogar Handschuhe anzog, obwohl Dämonen sich eigentlich nicht um so etwas sorgen musste. Dass sie krank wurden, war fast unmöglich. Doch da das bei Vampiren auch der Fall war und dieser hier wohl krank gewesen war, wollte sie lieber kein Risiko eingehen.

"Hieran ist alles ungewöhnlich. Lass es uns fotografieren und dann bringen wir die Leiche ins Labor", meinte Akira und zog somit Shadows Aufmerksamkeit auf sich. Diese nickte stumm. Das war wohl die beste Idee.

~*~*~

Raphael trat hinaus auf den geländerlosen Balkon seines Hauses und breitete in den ersten Sonnenstrahlen des Tages seine Flügel aus.

Wie es für ihn üblich war, hatte er kaum geschlafen und war dennoch nicht müde. Er brauchte einfach weniger Schlaf als die jungen Engel. Allerdings wusste er auch, dass sein Territorium gerade unter den jungen Engeln beliebt war. Das war auch der Grund, warum er Jadelyn noch nicht zu sich hatte rufen lassen. Sie war so erschöpft gewesen, dass ein wenig Ruhe ihr sicher guttat. Zudem erwartete er jemand anderen.

Raphaels Blick glitt in den Himmel und aus den Wolken kam ein Rabe geschossen, der direkt auf den Engel zuhielt.

Kurz bevor er auf den Balkon aufschlagen konnte, breitete er die Flügel aus und landete sanft zu Raphaels Füßen.

Die schwarzen Federn plusterten sich auf und der Rabe wuchs, während er sich immer weiter verformte. So lange, bis ein großgewachsener Mann vor ihm stand, dessen rabenschwarzes Haar ihm sanft in den Nacken fiel.

Die stechend grünen Augen richteten sich auf Raphael, bevor er kurz auf die Knie ging und den Kopf neigte.

"Willkommen zuhause, Blake", schmunzelte der Engel, der sich nicht davon beirren ließ, dass die einzige Kleidung des Mannes aus schwarzen Federn bestand, die seine Intimstellen bedeckten.

Gestaltwandler waren nackt, wenn sie sich von einem Tier in einen Menschen verwandelten und nur die wenigsten konnten ihr Fell oder ihre Federn nutzen, um sich zu bedecken.

Blake war einer davon, denn es half ihm, seine Aufgaben zu erfüllen. Für ihn war es nicht möglich immer auf Kleidung zurückgreifen zu kennen.

"Zieh dich an, dann berichte mir", befahl Raphael, auch wenn seine Stimme dabei sanfter klang, als sie es bei den meisten anderen getan hätte.

Blake nickte und trat in das Innere des Raumes, von dem er wusste, dass sein Herr ihm dort Sachen hinterlegt hatte.

Angezogen trat er wieder heraus und berichtete, was ihm auf seiner Reise durch die anderen Engels-Territorien aufgefallen war.

Es war mehr Politik, als sich Raphael gewünscht hatte, denn sein momentan größtes Interesse galt den seltsamen Mutationen.

Dennoch hörte er genau zu und speicherte sich alles ab, was sein Spion ihm mitteilte.

"Blake, ich weiß, dass du gerade erst zurückgekommen bist, aber ich habe schon das nächste Anliegen an dich", meinte der Engel in ruhigem Ton und musterte den Mann ihm gegenüber.

"Wenn es Euer Wunsch ist, werde ich noch heute wieder aufbrechen", antwortete Blake, doch Raphael schüttelte den Kopf. "Das wird nicht nötig sein. Ruh dich erst einmal aus und sammel deine Kräfte. Morgen ist früh genug."

Erneut erhielt Raphael ein Nicken.

"Was ist es, das ich für Euch tun soll?", wollte Blake mit ruhiger Stimme wissen, die Raphael so an ihm schätzte.

"Ich möchte, dass du Beobachter und Bote für mich bist. Du wirst dich auf Luxurias Territorium begeben und ihr etwas von mir überreichen", klärte Raphael ihn auf und holte aus seinem dünnen Mantel, den er nur aus Modegründen trug, einen kleinen Zettel, den er Blake reichte.

Dieser entfaltete ihn und las, bevor er eine Augenbraue nach oben zog. "Seid Ihr Euch sicher, dass sie dem zustimmen wird?", wollte er skeptisch wissen. Dabei war es nicht der Wunsch Raphael von dieser Sache abzubringen. Viel mehr wollte er in der Lage sein, die Gefahren, die auf ihn zukommen konnten, einzuschätzen. Dann konnte er sich besser vorbereiten.

"Nein. Aber ich bin in einer Lage, in der es mir sinnvoll erscheint, es wenigstens zu versuchen", antwortete der Erzengel überraschend offen. Das lag aber auch daran, dass Blake die Dinge, die sich hier zusammenbrauten, wahrscheinlich besser im Blick hatte, als Raphael selbst. Er war immerhin seine Augen und Ohren.

Blake nickte. "Ich verstehe und werde mich darum kümmern", stimmte er schließlich zu und wirkte dabei fast emotionslos.

Raphael nickte ihm zu, bevor er sich abwandte. "Ruh dich eine Weile aus."

~*~*~

Die Türen zum Thronsaal von Pekings Verbotener Stadt wurden geöffnet und ein junger Mann schritt in den Raum. Sein kurzes, schwarzes Haar war gut gepflegt und die violetten Augen strahlten einen gewissen Stolz aus.

Aufrecht trat er auf den Thron zu, auf dem es sich Luxuria gemütlich gemacht hatte und die Kerzen im Raum ließen seine Haut in einem wunderschönen, dunklem Rotschimmer.

"Willkommen zurück Damien", grüßte Luxuria und der Dämon faltete seine schwarzen, fledermausartigen Flügel, während sein roter Teufelsschwanz eng um seine Hüfte lag und so wirkte, wie ein Gürtel. Dennoch zeigten auch seine zwei schwarzen, langen Hörner, dass er zur dämonischen Rasse gehörte.

"Mylady", grüßte er und verneigte sich kurz, bevor er seinen Blick wieder auf diese richtete. "Ich habe Euren Auftrag erfüllt", erklärte er und Luxuria musste schmunzeln.

"Wie zu erwarten war. Lief alles nach Plan?", wollte sie wissen und wirkte nicht sonderlich überrascht über seine Aussage.

Damien nickte. "Ich habe den Übeltäter gefunden und ausgeschalten", erklärte er kurz angebunden.

Luxuria nickte erneut. "Dann kannst du dich ausruhen gehen und wir besprechen später die Einzelheiten", meinte sie und Damiens Lippen verzogen sich zu seinem leichten, zweideutigen Lächeln.

"Ich würde mich viel schneller erholen, wenn ihr mir Gesellschaft leisten würdet", sagte er und nahm kein Blatt vor den Mund.

Luxuria musste grinsen. "Ein verlockendes Angebot", meinte sie mit einem schnurrenden Ton. "Später werde ich sicher darauf zurückkommen", fügte sie zwinkernd hinzu.

So langsam schien es, als würden all ihr innerer Kreise sich wieder sammeln. Sie hoffte nur, dass sie alle rechtzeitig auftauchten. Es war ihr lieber, wenn sie in ihrer Nähe waren, da sie schwer einschätzen konnte, ob die Probleme, die aktuell in ihrem Reich kursierten, ein Angriff auf sie und ihre Position waren.

Luxuria war nicht dumm und wusste sehr gut, dass sie die Schwächste unter den Höllendämonen war. Doch ihr politisches Geschick hatte ihr bisher immer geholfen. Sollte es allerdings zu einem Krieg kommen, würde es viele unnötige Opfer geben. Da war sie sich sicher. Gerade die älteren Höllendämonen schleiften ein Territorium gern. Luxuria verstand den Sinn dahinter, den Gegner so zu schwächen, doch warum sollte man ein kaputtes Territorium übernehmen, nur um es dann wieder aufzubauen?

Wahrscheinlich hatte sie sich diese Denkweise von den Engeln abgeschaut.

Sie seufzte und erhob sich, bevor sie die Treppe nach oben lief und auf den Balkon trat.

Ihr Blick glitt über die Verbotene Stadt und ein wenig belustigt beobachtete sie das Treiben ihrer Diener, die überall hier unterwegs waren. Das hier war ihr Rückzugsort und nur die vertrauenswürdigsten Wesen hatten hier Zugang.

Sie schloss für einen Moment die Augen und genoss die warme Luft, als ein leises Geräusch an ihr Ohr dran.

Nachdenklich schlug Luxuria die Augen auf und bemerkte eine Krähe, die sich ihr näherte. Es dauerte nur einen Herzschlag, bis ihr klar wurde, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Tier, sondern einen Gestaltwandler handelte. Doch da er alleine war, entschied sie sich gegen einen Angriff und pfiff mit einem mentalen Ruf ihre Untergebenen, die sich in den Türmen bereits zum Schießen vorbereitet hatten, wieder zurück.

Diese Krähe kam ihr bekannt vor und löste ein Gefühl in ihr aus, das sie noch nicht ganz fassen konnte.

Luxuria blieb dort stehen, wo sie war und beobachtete die Krähe dabei, wie sie immer näher kam und sich schließlich vor sie auf das Geländer setzte.

Ein musternder Blick verriet ihr, dass es sich um einen Boten handelte. Aber einen mächtigen Boten. Sie spürte die Macht der Krähe, die definitiv nicht zu unterschätzen war. Außerdem bemerkte sie das kleine Band um den Hals der Krähe, an dem sich ein Zettel befand.

Als sie ihre Hand danach ausstreckte, bemerkte sie, dass die Krähe ein wenig zurückwich, sich dann aber scheinbar wieder auf ihre Aufgabe besann.

"Keine Angst, ich töte keine Boten", meinte sie mit einem schmunzelnden Unterton und streckte ihre Finger erneut nach dem Zettel aus. Dieses Mal hielt die Krähe still und ließ zu, dass sie das Papier vorsichtig zwischen die Finger nahm und aus der Halterung löste.

Luxuria war dabei vorsichtig, denn sie hatte noch keine Ahnung von wem der Bote kam und daher wäre es töricht ihn aus versehen zu verletzen, wenn das einen Krieg heraufbeschwören würde.

Da die Krähe nicht abhob, nachdem sie den Zettel in den Händen hielt, ging sie davon aus, dass er wohl auf eine Antwort wartete. Also faltete sie den Zettel, las die Zeilen, blinzelte und las sie gleich noch einmal, bevor sich auf ihre Lippen ein Lächeln zauberte.

"So, so", murmelte sie grinsend vor sich hin, auch wenn der Anlass eigentlich nicht zum Grinsen war. "Sag deinem Erzengel, dass ich seiner Einladung nachkommen werde. In zwei Tagen werde ich an unserem Treffpunk sein", erklärte sie und konnte spüren, dass die Krähe überrascht war und nicht sonderlich viel verstand. Wahrscheinlich hatte er den Zettel gelesen und dort stand nichts von einem Treffpunkt.

Aber Luxuria hatte auch nicht erwartet, dass Raphael all seine Geheimnisse mit seinen Leuten teilte. Manche waren zu alt und zu geheim, um sie zu teilen. "Er kann, wenn er das möchte, einen seiner Vertrauten mitbringen", fügte sie hinzu, da sie der Meinung war, dass es an der Zeit wurde, wenigstens einen Vertrauten einzuweihen.

Raphael würde sicherlich richtig wählen und niemanden mitbringen, den man später töten musste.

Soweit vertraute sie dem Engel dann doch.

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