Kapitel 10

Kapitel 10

Kurz blieb Janette stehen und wandte ihren Kopf zu ihm herum. „Natürlich. Ich werde mir das holen, was ich brauche", sagte sie mit einem zweideutigen Ton, bevor sie in ihr Zimmer ging.

Luciens raues, tiefes Lachen begleitete sie den Weg über.

Nach nur wenigen Minuten kam Janette als eine andere Person heraus. Mit ernsteren Gesicht und ihrer für sie normalen Kleidung, die eigentlich stets aus einem engen Minikleid bestand und sehr viel Haut zeigte.

Lucien musterte sie, doch für ihn war es mittlerweile ein gewohnter Anblick. "Können wir los?"

Ein Nicken war die Antwort, als sie in den Fahrstuhl stieg und sich wieder neben ihn stellte. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre das Knistern zwischen ihnen weg, doch das täuschte. Nur ließ sich die Ärztin nichts anmerken, sondern lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Fahrstuhlanzeige.

Gemeinsam fuhren sie wieder nach unten ins Labor und traten dort in die Kühle hinein.

Das mochte die Ärztin sehr gerne, da die brütende Hitze ihr einfach nicht zusagte. Sofort ging Janette an den Schrank, in der saubere Kittel hingen und zog sich einen an. „Wann soll die Leiche eintreffen?", erkundigte sie beiläufig.

"Demnächst", meinte Lucien, der die Schultern zuckte. "Schwer zu sagen, wie lange die Spurensicherung braucht."

„Dann habe ich Zeit, alles vorzubereiten", erklärte Janette, die sich auch sofort daran machte, die gebrauchten Instrumente herzurichten. In der Zeit, in der sie bereits hier war, hatte sie herausgefunden, dass zu dem Labor auch ein Raum gehörte, in dem untersucht werden konnte. Nicht nur den einen, in dem sie bereits gewesen war.

Generell war der Komplex riesig und sie hatte Zugang zu allen möglichen Bereichen dieses Labors.

Ihr war anzusehen, dass sie wusste, was sie tat. Mit welcher Sorgfalt sie die Instrumente zurechtlegte und dabei vor sich hin summte, als würde sie gerade einen Kuchen backen. Ihr Dämonenschwanz wackelte beim Summen mit und ließen sie attraktiv wirken.

Lucien betrachtete ihre Kehrseite, wie er es schon sehr oft getan hatte und wurde nur durch das leichte Vibrieren seines Handys gestört. Er ging ran und informierte kurze Zeit später Janette darüber, dass die Leiche auf den Weg hierher war.

Zufrieden nickte die Ärztin und machte eine Handbewegung zum Untersuchungstisch, neben dem ein kleiner Wagen mit den Instrumenten stand. „Alles ist vorbereitet."

"Sehr gut", meinte Lucien und ging auf eine Wand zu, die mehrere längere Fächer hatte. Sie waren groß genug, um dort Leichen zu kühlen und wie es schien, waren sie sogar von beiden Seiten zugänglich. Denn Lucien öffnete eine der Klappen und von der anderen Seite wurde gerade eine Barre mit einem Tuch reingeschoben.

Begeistert stürzte Janette mit leuchtenden Augen auf die Klappe zu und wäre beinahe gestürzt, doch Lucien stand im Weg, weshalb sie ihn anrempelte. „Entschuldigung", keuchte sie erschrocken. Das kam davon, wenn man so übereifrig war!

Sofort schlang Lucien einen Arm um sie, um sie zu halten und gleichzeitig etwas zu beruhigen. Er half ihr dabei, die Barre, deren Fahrgestell eingeklappt war, aus der Klappe zu ziehen und auf den Boden abzustellen, damit Janette die Leiche auf den Tisch fahren konnte.

Erstaunt, dass er ihr ohne zu zögern half, lächelte sie. „Danke", sagte Janette erleichtert und zog die Leiche auf den Untersuchungstisch, bevor sie das Tuch wegnahm.

Ein blasser Toter, der bereits leicht lila angelaufen war, verbarg sich darunter. Er wirkte wie ein ganz normaler Toter, doch etwas irritierte sie. An manchen Stellen konnte sie Blut durch die Adern pulsieren sehen. Gerade an der Stirn oder am Oberarm war es sichtbar.

"Dieser Tote ist anders", bemerkte Lucien. "Er ist nicht explodiert, obwohl er tot ist. Schon ein paar Tage, wie es scheint."

Vorsichtig, beinahe sanft, fuhr Janette mit dem Finger an den Venen entlang. „Das ist sehr interessant, dass das Blut noch pulsiert", brabbelte sie zu sich selbst und nahm ein kleines Gerät, auf dem sie einen Knopf betätigte, bevor sie ihre Entdeckung sprachlich aufzeichnete.

Lucien zog sich zurück und beobachtete sie dabei, wie sie die Leiche untersuchte. Sehr viel mehr konnte er auch nicht tun.

Noch einmal überprüfte Janette ihre Kleidung, bevor sie mit der Arbeit anfing.

Stundenlang war sie hochkonzentriert dabei, den Toten aufzuschneiden und zu untersuchen. Dabei ging ihr Summen oft in den Geräuschen der Instrumente wie Hammer oder Bohrer unter.

Von den Organen nahm sie Proben, die sie sofort untersuchte und die Ergebnisse davon aufschrieb. Nebenbei sprach sie immer wieder auf das Aufnahmegerät ihre neuesten Befunde und wirkte in allem so routiniert, als wäre sie eine Pathologin und keine Ärztin.

Ihr einst weißer Arztkittel war über und über mit schwarzem Blut bespritzt, doch das schien sie gar nicht zu stören. Es sah sogar aus, als würde sie diese Untersuchung und Forschung richtig genießen.

Sie kam sogar zu einigen, neuen Erkenntnissen. Unter anderem schien sich das schwarze Blut verändert zu haben. Angepasst, wie es eine Krankheit bei manchen Medikamenten fertigbekam. So, als würde das Blut nun den Körper nicht mehr auseinanderreißen. Allerdings würde das auch die Suche nach Infizierten schwierig machen.

Ebenfalls eine neue Erkenntnis war, dass die Proben, die sie bisher von den anderen untersucht hatte, alle viel zu hohe Werte in allen Bereichen hatten. Egal, ob derjenige tot oder lebendig war.

Das war höchst seltsam, denn sie kamen aus unterschiedlichen Stadtteilen und, wie Gino herausgefunden hatte, waren die Menschen nicht miteinander bekannt gewesen. Lediglich zwei oder drei hatten sich wohl eher flüchtig gekannt.

Zudem hatte Janette noch immer nicht herausgefunden, was nun genau diese Dinge auslöste. Es gab kein Teilchen in den Gewebeproben oder im Blut, das dort nicht hingehörte. Im Grunde gab es nichts ungewöhnliches, außer die zu hohen Werte.

Bisher war sie noch nie einem so unerklärlichen Fall gegenübergestanden. Dennoch gab sie nicht auf, sondern forschte einfach weiter. Nach einigen Stunden hatte sie von allen was sie als wichtig erachtete, von dem Toten entnommen und ihn anschließend wieder zugenäht, bevor sie das weiße Tuch über ihn legte und ihn zurück in die Klappe schob.

Mit den ganzen restlichen Proben verließ sie den Raum, nachdem sie sich ihre schmutzige Arbeitskleidung ausgezogen hatte und ging an Lucien vorbei, der in der Zeit ruhig gewesen war.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Janette fest, dass es kurz nach Mitternacht war. Nun würde sie die restlichen Proben untersuchen und hoffte, endlich mehr herauszufinden. Ihr war klar, dass sie unter Druck geriet, wenn sie nicht bald etwas herausfand.

Die Engel wollten Ergebnisse sehen und sie musste diese liefern. "Denkst du, man könnte mit den Dingen, die man bereits hat, eine Art Gegenmittel produzieren?", wollte Lucien wissen. Er wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern holte sein Handy heraus, um heranzugehen. Kurz unterhielt er sich, während er Janette folgte.

Mit ihrer Antwort wartete die Ärztin, da sie ihn nicht unterbrechen wollte. Ähnliche Gedanken hatte sie schon gehegt, doch solange sie nicht wusste, was der Auslöser war, konnte sie nichts herstellen und testen.

Es dauerte etwas, bis Lucien auflegte. Da er in seiner Sprache gesprochen hatte, hatte Janette kaum etwas mitbekommen. "Es sieht so aus, als wäre der Mann vor seinem Tod in eine Art ... Blutrausch ... geraten", sagte er. Das war eigentlich etwas, das man eher von Vampiren kannte. Der Mann war jedoch ein Gestaltwandler.

Diese Information führte dazu, dass Janette erschrocken keuchte. War das eine neue Tatsache, die sich ergeben hatte? „Heißt das, er hat mehr Menschen infiziert?", fragte sie mit einem Schaudern. Sollte das der Fall sein, mussten sie diese so schnell wie möglich finden.

"Ich würde nicht infizieren sagen", meinte Lucien nüchtern. "Er hat sie ... gefressen", erklärte er und schauderte selbst. Das war für die Gestaltwandler wirklich nichts übliches. Nicht einmal die, die sich in Tiere wie Löwen verwandeln konnten, knabberten an Menschen herum, auch wenn sie gern rohes Fleisch verzehrten. Aber nie menschliches.

Würgend musste sich die Ärztin an der Tischkante festhalten. Dieser Gedanke war ... abartig. Dass Tiere andere Tiere oder Menschen fraßen, um zu überleben, war natürlich. Auch, dass Menschen viele Tiere töteten, um zu leben. Aber dass ein Mensch andere Menschen fraß, grenzte an Kannibalismus.

Vampire tranken Blut, was auch schon irgendwie so ähnlich war, doch eher selten töteten sie die Menschen dabei. Zudem tranken auch viele Vampire nicht, ohne Erlaubnis. Trotzdem war das etwas gänzlich anderes.

"Für eine Dämonin nimmt dich das sehr mit", bemerkte Lucien, der seine Überraschung nicht ganz verbergen konnte.

Ihr Blick, den sie Lucien zuwarf, war nicht gerade freundlich. Das er wohl eine festgefahrene Meinung von Dämonen hatte, bemerkte sie ab und zu. Gerade in diesem Moment. Anscheinend waren alle Dämonen bei Engeln ausnahmslos schlecht, bösartig und töteten Menschen.

War es nicht ein Zeichen, dass Janette anders war, wenn sie eine Ärztin war? Warum sonst hatte sie es sich zum Beruf gemacht, anderen zu helfen?

"Du musst mich nicht so böse anschauen", bemerkte er Engel. "Ich hab nur nicht erwartet, dass dich diese Information so mitnimmt. Sogar Engel reagieren nur selten so."

„Ich bin Ärztin", erwiderte Janette eindringlich. Ihr waren die Menschenleben wichtig.

"Selbst das hat nicht viel zu bedeuten", winkte Lucien ab. "Jeder Engel und Dämon wird mit der Zeit kälter und abgehärteter. Gerade in deinem Beruf solltest du es eigentlich gewohnt sein", meinte er. Dabei kam er nicht umhin zu bemerken, dass diese Frau viel gefühlvoller war, als er je für möglich gehalten hatte.

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