K. 3 ~ Briefe an Neves ♣


Für den Ausgleich erschufen sie Ice,
Von Kälte gebannt,
Denn in Feuer und Eis
Loderte tiefster Hass gegen sich
Und waren dabei, den anderen zu vernicht.

Epistulas

Aria

Meine Zähne klapperten wie die Rassel einer Klapperschlange. Es half nichts, im Wasser umher zu rudern, um meine Körpertemperatur zu halten, ich verlor nur stets mehr Energie. Eigentlich hatte ich die glorreiche Idee gehabt, so lange im Wasser zu warten, bis die Schüssel bis nach ganz oben angelaufen war, sodass ich einfach nur heraus klettern brauchte. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass sich der Gang ebenfalls mit dem Wasser volllaufen musste und dieser war wirklich lang. Also fing ich wieder an, die Felswand hinauf zu klettern, rutsche zum tausendsten Male ab und landete mit einem platsch im eiskalten Nass. Mittlerweile fühlte es sich nicht mehr wie sanftes Wasser an, sondern wie ein vereistes Brett, welches wieder und wieder auf meinen Körper eingedroschen wurde.

Voller Hoffnung blickte ich zum Himmel hinauf, zum Einen um Kraft und Motivation zu sammeln, zum Anderen, um zu mich zu vergewissern, dass ich, seit das Wasser in den Gang hinein floss, kein Stück weiter gekommen war. Ich musste mehrmals blinzeln, als blaue, handgroße Schuppen von Oben auf mich hinab rieselten und sich der Himmel plötzlich in einer unglaublichen Schnelligkeit bewegte, bis er verschwand und den echten Himmel frei gab.

Mit einem unwohlem Gefühl im Bauch schwamm ich zum Gang, um mich in dem Tunnel etwas zu verstecken.
Mir blieb beinahe das Herz stehen, als ich das gefährliche Zischen hörte, welches mich vorhin noch gejagt hatte. Die Kreatur, sie war die ganze Zeit über mir gewesen.

Meine Finger zitterten, doch ich krallte sie fester an die Felswand und trat noch einen Schritt zurück in den Gang hinein. Der Oberkörper der Schlange beugte sich immer weiter in die Tiefe. Voller Angst hielt ich den Atem an, als das Monster anfing das Wasser zu trinken, nein zu schlürfen sogar, wobei es mir seine Reißzähne entblößte. Es hatte den Kopf eines Drachen, die Augen eines Reptils, den Kamm einer Echse, den gewaltigen Rumpf einer Schlange und weiße, sowie eisblaue Schuppen eines Fisches. Das Wasser im Tunnel stand nun bis zu meinem oberen Rippenbogen. Wenn es weiter so rapide anstieg, musste ich mich entscheiden. Entweder in die Schüssel zu der Kreatur, oder den endlosen Gang schwimmen und vor Entkräftigung ertrinken oder an Unterkühlung sterben. Schon wieder diese Frage, welchen Tod ich bevorzugte. Doch diese Frage wurde mir genommen, als die gelben Alligatorenaugen des Wesens mich fixierten und mit dem flüssigen Element in der Kehle knurrte, welches in einem Gurgeln unter ging. Wenn ich jetzt in den Gang zurück schwamm, hatte ich überhaupt keine Chance mehr zu fliehen. Dieses Untier brauchte nur sein fenstergroßes Maul aufreißen und mich verschlingen. Ihm gegenüber wäre ich wahrscheinlich nicht größer als für mich ein Hase war.
Das Vieh begann komisch zu nicken und Laute von sich zu geben, die auch von einer abgeschlachteten Robbe stammen konnten. War das eine Warnung gewesen? Oder ein Schlachtruf?

Zu meiner Verwirrung erhob sich das Tier und verschwand aus meinem Sichtfeld. Auch als ich einige Augenblicke wartete, passierte nichts. Also kratzte ich all meinen verbliebenen Mut zusammen und machte einen Schritt nach vorne, trotz butterweicher Knie und blickte wieder zum Himmel hinauf. Ein Fehler, den ich sogleich bereute. Mit der Geschwindigkeit eines Pistolenschusses schoss das Tier zu mir herunter. Reflexartig war ich aus meinem Versteck heraus gesprungen, zu meinem Glück, da dieses Wesen direkt in den Tunnel schwamm. Sein endlos schienender Rumpf floss nun in die Höhle hinein, während ich zu einer anderen Ecke des Beckens schwamm.
Erleichtert, dass sein Rumpf in der Länge eines Zuges auch ein Ende hatte, atmete ich aus. Doch ich hatte mich zu früh über das Verschwinden dieses Untieres gefreut, als sein Kopf wieder am Ausgang erschien. Er musste wohl gewendet haben. Dieses wutgeladene Ungeheuer schnappte nach mir, doch ich konnte noch gerade so seinen großen Kopf von mir weg treten, wobei ich dabei wie ein Hund auf dem Wasser paddelte. Ein Gurgeln kam aus seiner Kehle und verursachte einen fetten Kloß in meinem Hals und einen Querbalken in meiner Magengegend. Wozu wehrte ich mich noch, wenn ich jeden Moment sterben konnte? Doch dann wurde es mir klar. Ich wollte um alles in der Welt leben.

***

❄Neves❄


Die Kälte um mich herum umgab meine versteinerten Glieder mit einer Wärme und Geborgenheit, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie war eine lange Zeit da, wich nicht von meiner Seite. Ich fühlte mich wie in einem goldenen Käfig gefangen, der mich vergrub, umhüllte, nur um mich vor der Welt zu beschützen. Langsam blinzelte ich mit meinen eingefrorenen Wimpern. Etwas kratzte über mir im Schnee und zog mich aus meinem tranceähnlichen Zustand. Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass sich weiße Pfoten zu mir hindurch gruben. Danach zeigte sich mir eine schwarze Nase, die seinen Platz an einer länglichen Schnauze fand. Zwei ruhige kleine Knopfaugen starrten mich einen überraschtem Blick an. Zweifelnd wippte das Wesen mit dem plattgedrücktem Kopf eines Hundes nach oben und unten, als würde es mich beschnuppern. Seine Nase zuckte wild, während er mich weiter ausgrub, unberührt, dass er gerade einem Menschen gegenüberstand. Als Erstes begann ich meine Nase und meine Augenbrauen zu bewegen, danach den Rest meines Gesichtes. Anschließend meine Finger und Zehen und zum Schluss meine Arme und Beine. Was sich so einfach anhörte, war allerdings eine Tortur, zusammengeschlossen aus den Symptomen eines dreifachen Katers und einer trächtigen Tracht Prügel. Stöhnend richtete ich mich auf, wobei der weiße Fuchs so elegant beiseite sprang, dass er dabei nicht das kleinste Geräusch verursachte.
Zu meiner Verwunderung war er so zutraulich, dass er nicht einfach flüchtete, sondern an seinem Punkt stehen blieb, als sei er dort verwachsen. Vielleicht beobachtete er mich ja auch nur, abwägend, ob ich nicht etwas Dummes anstellte. Oder er wartete nur auf die nächste Gelegenheit, um mir das Fleisch von den Knochen zu nagen, wie ein ausgehungertes und tollwütiges wildes Tier. Ich blinzelte mehrmals. Hatte er da Schaum vor der Schnauze, oder halluzinierte ich?

Ein wenig beunruhigt begann ich den Fuchs anzulächeln und sah mich ein wenig in der Umgebung um, mit dem Ziel, mich von den Gedanken eines Horrorfilmes mit einem Zombiefuchs und mich, als quiekenden Hauptdarsteller, in einer Eiswüste, abzulenken.
Kahle Bäume die vom Schnee zugeschüttet wurden, überall Eis rings um mich herum. Der Himmel war in einem hellen Mittagsblau, jedoch entdeckte ich keine Sonne. Als hätte jemand eine Glühbirne in meinem Kopf angedreht, viel mir alles wieder ein. "Ella!", rief ich entgeistert. Sie wartete bestimmt unten auf mich, wahrscheinlich besorgt bis in die Knochen hinein. Ich würde einen riesigen Einlauf von ihr und meinen Lehrern bekommen, dafür, dass ich auf der für uns verbotenen Piste war. Jetzt konnte sie mich nicht mehr vor dem Ärger beschützen, da musste ich nun leider selbst durch.
Aber ich lebte! Ich hatte die Lawine überlebt und das war doch die Hauptsache, oder nicht? Mit zittrigen Fingern grub ich mein Snowboard aus, machte es an meinen weißen Stiefeln fest und rutschte die unebene Strecke entlang herunter. Während der Fahrt überlegte ich mir schon unzählige Ausreden, um meine Bestrafung zu lindern. Ob ich wieder nach Hause fahren musste und die Abschlussfahrt für mich hiermit beendet war? In meinem Falle musste ich wahrscheinlich vom Schlimmsten ausgehen. Suspension von der Schule? Strafarbeiten mit dem seltsamen Hausmeister, der eigenartigerweise in Kunst begabter war, als unsere Kunstlehrerin? Obwohl das schon wieder etwas cooles an sich hatte.

Als ich mich unserer Herberge näherte, entging mir nicht, dass der Platz menschenleer war. Selbst die Gondeln blieben eingerostet im Himmel schweben, wie ein intergalaktisches Raumfahrtkommando. Nur der Wind gab ihnen ab und zu einen Stoß um ihnen ihr gefährliches Quietschen zu verleihen.

Das wäre wieder einer der Gründe gewesen, um mich wie in einem Zombiefilm zu fühlen. Mein gesunder Menschenverstand meldete sich allerdings bei mir und argumentierte, dass sie den Platz aus Sicherheitsgründen geräumt haben könnten. Irgendwie fand ich meine Version nicht plausibler, dafür aber um einiges spannender.

Unten angekommen schnallte ich mein Board ab und warf es unbekümmert in den Schnee. An der Drehtür angekommen versuchte ich durch die beschlagenen Scheiben etwas zu erkennen, doch mich empfing nicht mehr als die Dunkelheit. Ich rüttelte panisch an den gläsernen Türen, hämmerte wie ein Verrückter, jedoch bewegte sich nichts. Doch ich wollte nicht aufgeben, sodass ich mich zum Hintereingang begeben wollte. Unter meinen Stiefeln hörte ich etwas zerbrechen. Verwirrt blickte ich nach unten und machte sofort einen Satz nach hinten, als ich sah, dass ich auf eine Gedenkstätte getreten war. Ich war umringt von einem Meer aus erloschenen Altarkerzen und getrockneten Rosen. War ich vorhin so auf Snowboarden fixiert gewesen, dass ich das alles übersehen hatte? Schuldbewusst ging ich in die Hocke um ein Bild aufzurichten, dessen Glas ich aus Unachtsamkeit zertreten hatte. Mir stockte der Atem, als mir etwas Bekanntes auf dem Bild ins Auge fiel. Blitzschnell zog ich meine Handschuhe aus und befreite das Bild von dem Rahmen und dem zerbrochenem Glas, um die abgebildeten Personen freizulegen. Es war, als würde eine eiskalte Hand über meinen Rücken laufen, als ich das Bild erkannte. Es zeigte mich und Ella, wie wir uns lachend küssten. Übelkeit überkam mich und das Schuldbewusstsein trieb mir Tränen in die Augen. Wenn Ella meinetwegen etwas passiert wäre, könnte ich mir das nie verzeihen. War der Altar für sie? Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Es musste ein Missverständnis sein, was anderes kam gar nicht in Frage. Doch als ich den gelblichen Briefumschlag im Schnee entdeckte, begann auch meine innere Stimme zu verstummen. Zaghaft, als könnte der Brief jeden Moment unter meiner Berührung zerbrechen, hob ich ihn auf und nahm die beiden mehrmals gefalteten Papierstücke heraus.

Hey Neves,

Waren die ersten blau geschriebenen Worte des karierten Papiers. Der Brief ging an mich? Aber, wieso?

Hier is dein Kumpel Brand und deine verückte Klasse. Wir wissen zwar, dass du das nicht mehr liesen kannst, da du jetzt wo anders bist, doch Ella und Frau Stock-im-Arch, unsere Englischlehrerin (weist du noch?), haben drauf bestanden.
Du warst schon immer sehr beliebt bei uns, weshalb uns dein Verlust (Mrs Stock-im-Arch hat mir das Wort vorgeschlagen) sehr weh tut.

Es waren einfach mal alle total geschockt und so, als sie die Schneelawine sahen, doch als dan auf einmal Ella angerannt kahm und meinte, dass du diese Strecke herunter fährst, haben viele plötzlich angefangen zu weinen. Die eine Strebertante zum Bespiel. Chloe hieß sie, oder? Die ist übelst ausgetickt und wollte dich sofort suchen gehen. Es war übelst krass. Das hätttest du mal sehn sollen.

Naja, einiege haben das hald nicht gleich geglaubt. Wie ich zum Beispiel. Ich wollte nicht so schnell glauben, dass du aufgeben hast.
Selbst Wochen später haben sie deine Leiche nicht gefunden.
Also wen du Arschloch dich irgendwo in einer Höle verkrochen, Steinzeitmenschen getroffen hast und irgendwann wider zurück kommst will ich dir sagen, dass du die Wette verloren hast. Coventry Blaze hat doch den Sieg im Play-Off geholt und nicht Nottingham Panthers. Du schuldest allen Jungs ein Bier auf der nächsten Fete. Veranstalte sie im Himmel, kleiner Bruder. Würde mich wundern, wenn du dort oben ünerhaupt hingekommen bist, bei der Kacke, die wir gemacht hatten. Hald mir einen Platz frei.

LG

Unter den Briefen standen sämtliche Unterschriften von den Schülern meiner Klasse.

Brand; Justin; Mark; Jonas; Nathan; Thomas; Ella; Sophia; Chloe; Miriam; Lena; Kathrin; Nina; Nora; Louise; Freddie; Michael; Adriano; Tobias; Christoph und alle Lehrer.

Kopfschüttelnd begann ich zu grinsen. Selbst ein Gorilla hätte mit verbundenen Augen weniger Rechtschreibfehler eingebaut, als er. Als ich Ella's Handschrift in dem nächsten Brief erkannte, begann mein Blut zu gefrieren.

Neves,

Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen, nur um mir Ellas Stimme vorzustellen. Mir vorzustellen, wie sie mir diesen Brief persönlich vorließt. Auch wenn es nur Worte auf einem Stück Papier waren, hatten sie so eine Macht über mich, dass mir wieder Augenblicklich warm ums Herz wurde.

Seit du plötzlich weg bist, fühle ich mich so leer. Du fehlst mir. Denn du bist ein wichtiger Teil von mir und das weißt du. Es wird mir schwer fallen : Ein Leben ohne dich, denn ich kann es einfach nicht akzeptieren. Jeden Abend drehe ich mich im Bett um und denke daran, wie schön es war, als du noch bei mir lagst, mich umarmt hast, wie du mich geküsst hast. Ich werde es nie vergessen. Ich werde uns niemals vergessen. Dafür ist zu viel Schönes passiert. Du hast mein Leben verändert und nicht nur meinen Beziehungsstatus, Neves. Ich liebe dich und werde dich immer lieben. Und ich hoffe, du mich auch.
Ich weiß, dass du das nicht mehr lesen kannst, doch es erleichtert mich irgendwie, diesen Brief an deinen Namen zu schreiben, während mir meine Tränen auf das Blatt Papier tropfen, die Tinte verläuft und ich ihn immer und immer wieder schreiben muss, weil man ihn einfach nicht mehr lesen kann.

Der schönste Tag in meinem Leben war mit dir, als wir am See waren und wir die Schaukel gefunden haben. Du hast mich angeschoben und weil ich so unachtsam war, bin ich herunter gefallen. Als ich dich angesehen habe, hast du mich ausgelacht und ich musste mitlachen. Du hast mich nicht wie ein rohes Ei behandelt, wie die anderen und das habe ich so sehr an dir geliebt.
Weißt du noch, als du mir gesagt hast, das Neves für Never forget steht? Ich werde niemals vergessen. Das verspreche ich dir.

Noch eines, was ich dir niemals vergessen werde und was mich bis in meine Träume verfolgt - etwas, was du auf der Piste, mit deinem letzten Atemzug, ausgerufen hast. Ich werde dir darauf niemals richtig antworten können, aber:

Ich liebe dich auch.

Mit Tränen in den Augen faltete ich die Briefe zusammen und steckte sie, zusammen mit dem Bild, in meine Jackentasche. Also hielten mich alle für tot? Ich hoffte, das war kein schlechter Scherz. Wie lange um Gottes Namen war ich denn dort oben im Eis gefangen gewesen? Kurzerhand fasste ich einen Entschluss: Ella hatte es verdient, zu erfahren, dass ich wohlauf war. Also hieß es: Ade, auf nach Hause.

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