Das geflügelte Miststück (14)
Alice rannte durch die Gänge, Wilhelms Ärmel fest umklammert. "Was hast du uns da eingebrockt?", jammerte Tamaras Schwarm. Alice verdrehte die Augen. So ein Jammerlappen.
"Weniger jammern, mehr wegrennen!", fauchte sie. Im Hintergrund waren die Kampfschreie der Rentner gut zu hören. Irgendein seniler Kerl brüllte etwas darüber, dass ihn die Situation total an seinen Tage in der Stasi erinnern würde und eine andere Rentnerin merkt skeptisch an, dass sie ihn da aber nie getroffen hätte.
"Was ist mit Tamara? Wir können sie da doch nicht einfach zurücklassen!", winselte Wilhelm und sah verzweifelt über seine Schulter.
"Die kommt klar.", schnappte Alice und schleifte Wilhelm eine Treppe hinunter.
"Sicher?"
"Absolut sicher. Außerdem ist mein Vater bei ihr, der passt bestimmt auf sie auf."
"Ich glaube nich..."
"Halt die Klappe und renn einfach!", verfauchte Alice völlig außer Atem. Warum musste dieser verdammte Sports-Freak sich unbedingt mit ihr streiten? Und warum konnte er nicht wenigstens ein bisschen außer Atem sein?
Sie rannten um eine weitere Ecke und fanden sich in einem Treppenhaus wieder. Ohne zu zögern begann Alice die Stufen hinunter zu sprinten und dachte nicht einmal daran auf Wilhelm zu warten.
Sollte der doch gucken wo er blieb! Schließlich hatten sie im NWT Unterricht gelernt: erst kam Selbstschutz, dann der Schutz anderer Personen und dann der Schutz von Sachen.
Und Alice nahm vorallem diese Regel nicht nur im Unterricht sehr ernst. Einzig vielleicht den Schutz ihres Handys hätte sie mit dem Selbstschutz auf eine Ebene gesetzt. Aber das war wohl eher Selbstschutz als Sachschutz...
Beim Gedanken an ihr mobiles Endgerät knirschte sie zornig mit den Zähnen. Sie würde diesen Monstern ihr geliebtes Handy schon noch abnehmen!
Hoffentlich würden die vorher nichts peinliches posten...
Alice war so in Gedanken versunken, dass sie ein Tablett mit matschigem Krankenhausessen, das seinem Aussehen nach zu urteilen schon seit vielen Monaten auf dieser Treppe stand, vollkommen übersah und darauf ausrutschte.
Besteck und unidentifizierbare, schimmlige Masse flogen in alle Richtungen.
Alice gab ein Geräusch von sich das an einen getretenen Chihuahua erinnerte.
Bestimmt würde sie jetzt auf ihr Gesicht fallen, und sich ihre wunderschönen Instagram-modelzähne ruinieren! Ihre Follower würden sich von ihr abwenden!
Eine Katastrophe!
Vor ihren Augen kamen die gemeinen Stufen immer näher. Das Chihuahua Geräusch wurde immer lauter und Alice konnte hören wie Wilhelm hinter ihr über das Missgeschick lachte.
Dieser Drecksack!
Vielleicht, dachte Alice, würde sie auch sterben. Dann könnte sie ja mit Marianne einen die-Treppe-runtergefallen-und-dabei-draufgegangen-Club eröffnen! Schließlich sagte Herr Grün immer, dass unten an der Treppe mal jemand gestorben war.
Ja, das Gehirn arbeitet viel während man fällt.
Kurz bevor Alice aber auf den Stufen aufschlagen konnte und entweder ihre Zähne oder ihr Leben aushauchte, sie war sich selbst noch nicht sicher was davon sie schlimmer fand, wurde sie an ihrem T-Shirt nach oben gerissen und blieb in der Luft hängen.
"Bei Malus, du bist schwer.", keuchte eine Stimme von oben.
"Bin ich gar nicht, du Miststück!", fauchte Alice, durch deren Venen immer noch das Adrenalin sauste, "Wetten du bist auch gar nicht so sportlich!"
Von oben erklang ein verächtliches Schnauben und Alice krachte auf die Stufen.
Das Miststück hatte sie fallen lassen!
Wütend sah sie nach oben. In der Luft über ihr schwebte, mit surrenden Insektenflügeln, ein genauso wütend dreinblickender Junge, mit pinken Haaren und einer grünen Strähne im Ponny. Er war winzig, höchstens einen Meter groß, aber er sah aus, als sei er mindestens genauso alt wie Alice. Diese, immer noch wirklich wütend und mit schmerzenden Knien, funkelte den Typen an und fauchte: "Geflügeltes Miststück!"
Das gefühlte Miststück schüttelte seinen, sehr Alice Missfallen mit perfekter, reiner, dunkler Haut ausgestatteten Kopf und lachte. Seine pinke Mähne schwebte wie ein bedrohlicher Zuckerwatteball um seinen Kopf.
Wieso musste das Miststück nur so perfekt aussehen? Konnt es nicht Akne haben? Oder schiefe Zähne? Oder weniger stramme Muskeln?
"Beschütze die Menschen, hat Luri gesagt. Du wirst wundervolle Freunde finden, hat Luri gesagt!", pruste er.
"Boar, dann sei halt freundlich!", motzte Alice, "Dann bin ich das vielleicht auch."
Oben, auf dem Treppenabsatz, lachte sich Wilhelm immer noch schlapp.
Alice fühlte sich ein bisschen verarscht, weil sie die einzige war die nicht lachte. Sie wünschte sich, Tamara wäre hier.
Tamara hätte in diesem Moment liebend gern mit Alice getauscht. Die Erdlady hatte nämlich beschlossen sie vorerst einmal mitzunehmen, um sich vor den erwachsenen Menschen, wie der
Metalltyp den Clown und Herr Grün nannte, in Sicherheit zu bringen.
Tamara hatte inzwischen gelernt, dass die Erdlady Edres hieß und Mariannes beste Freundin war, im Moment aber nichts mit ihr zu tun haben wollte, das hatte etwas mit einem Portal zu tun und die Erwähnung sorgte für mächtig Stress.
Edres und Marianne konnten den Metalltypen nicht leiden.
Sie sagten es zwar nicht direkt, aber Tamara hatte da so einen Verdacht.
Er hieß Creep, wenn es nach Edres ging, Hohlpfosten, laut Marianne und nach einigener Aussage Copper.
Die kleinen Kinder waren mit dem echten Clown überhaupt nicht zufrieden gewesen und Tamara konnte ihre Stimmen immer noch hören, die lautstark den 'Clowni mit der Meerschweinchen- Geschichte' verlangten.
Wie konnte man mit so kleinen Lungen nur so unerträglich Laut sein?
Ein Teil der Rentner, die hinter Alice und dem süßen Wilhelm hergewesen waren, brüllten jetzt also die Kinder an, weil sie wohl zu laut weinten und man dafür überhaupt zu ihrer Zeit noch Schläge bekommen hätte.
Tamara war schon froh, dass sie da weg war.
"Also, was macht ein Rudel Monster in unserer Welt? Nennt man das bei euch überhaupt Rudel? Sippe? Gruppe?", wollte Tamara wissen.
"Horde!", verkündete Marianne stolz, die einige Zentimeter über den Boden schwebte und Tamara damit verdammt neidisch machte. Wieso musste sie laufen?
"Du hast einen Hilferuf an das Handy von dieser Alice geschickt. Du weißt schon, das Handy, das wir gefunden haben!", schilderte Edres.
"Und das ich entsperrt habe!", protzte der Copper-pfosten.
"Richtig! Das Handy, dass ihr meiner besten Freundin gestohlen habt! Das, wegen dem wir, und wegen Meerschweinchen, überhaupt in diesem ganzen Schlamassel stecken!"
"Ey, die ist selber Schuld, wenn die das in meinem Haus liegen lässt!"
"Marianne, das ist nicht mehr dein Haus!"
"Doch, Edres, doch!"
"Wohin laufen wir eigentlich?"
"Fresse, Copper!", riefen Tamara, Marianne und Edres gleichzeitig.
"Gabt ihr eigentlich noch mehr Nachrichten verschickt?", fragte Tamara besorgt.
Marianne lachte. "Ja! Total viele! Das war so lustig!"
"Genau, vorallem das mit diesem @ReinerderGeilste420. Wir haben dem so viel gequirrlte Scheiße geschrieben!"
Die Dämonen lachten.
Tamara wurde schlecht.
Das geflügelte Miststück streckte Alice seine Hand entgegen und sagte: "Ich bin übrigens Ellelib, du musst Alice sein. Luri hat mir von dir erzählt. Und du bist die, der Marianne das Endgerät abgezogen hat!"
"Ich bringe sie um.", murmelte Alice und schüttelte Ellelibs eiskalte Hand.
"Das könnte schwierig werden."
"Ich schaffe das schon."
"Meine Mutter ist Gardistin. Wenn du versuchst eine Dämonin zu töten muss ich das leider melden."
"Wow, ne Petze bist du auch noch? Nicht nur ein Miststück? Richtig miese Kombination. Ungefähr wie Waffeln mit Rosenkohl, Vanillesoße und rohen Eiern! Also richtig richtig miese Kombi..."
"Hey!", schritt Wilhelm ein, bevor die Situation weiter eskalierte, "Du bist ja richtig pissig ohne Internet. Lass den... das... was auch immer der Typ da ist in Ruhe! Der hat ja gar nichts gemacht! Um genau zu sein hat er dir sogar geholfen!"
"Genau!", fauchte Ellelib mit einem breiten Grinsen, das seine spizen Zähne zeigte, "Ich war total lieb zu dir. Übrigens, Fee. Ich bin ein Fee. Und jetzt lass uns Marianne suchen, dein komisches Kommunikationsgerät zurückholen und meine Klassenkameraden zurück in die Welt hinter der Welt schleifen. Ich habe nämlich Hunger und wenn ich nicht bald Knochen oder Calciumtabletten bekomme fresse ich einen von euch."
Wilhelm und Alice starrten den Fee schockiert an.
Er würde was?
"Wenn du Calcium brauchst, kannst du dann nicht einfach Milch trinken?", fragte Wilhelm vorsichtig.
Ellelib zuckte mit den Schultern: "Laktose. Vertrage ich nicht so richtig... das mit dem euch fressen war übrigens ein Scherz... noch."
Wilhelm nickte eilig. "Ich auch nicht, also ich vertrage Laktose nicht. Leute fressen tu ich erst recht nicht! Laktose! Einfach grässlich! Und immer dieser Durchfall danach..."
"BÄ! Das wollte niemand wissen!", rief Alice und warf eine Hand voll Schimmel nach Wilhelm, die ihn aber weit verfehlte.
"Wieso ist dieses furchtbare Zeug überhaupt hier? Ist das nicht ein Ort zur Heilung der Kranken und Verletzten?", fragte der Fee und verzog angewiedert das Gesicht.
Alice verdrehte die Augen.
"Er heißt Wilhelm und er ist verletzt. Vermutlich auch krank, aber diese art von krank behandeln die hier nicht."
"Eyyy!"
"Ich meinte das... war das mal Essen?"
"Ich weiß, ich wollte nur Wilhelm ärgern."
Wilhelm verschränkte die Arme und funkelte Alice an. "Das waren bestimmt irgendwelche Kinder, die sich für Hipp gehalten haben.", seufzte er.
"Hipp? Hipp?! Das sagt man seit dem letzten Jahrhundert nicht mehr!", prustete Alice.
Ellelib schien äußerst verwirrt.
Plötzlich flog die Türe des Treppenhauses auf. Tamara wurde von einem aus Marianne, Edres und Copper bestehenden Blob durch hindurch geschoben.
Marianne riss die Augen weit auch und zeigte anklagend auf Ellelib. "DUUUUU!", schrie sie.
Edres schlug sich die Hände vor den Mund.
Copper sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen.
Tamara sah ihre beste, mit Schimmel bedeckte, Freundin erleichtert an, rannte zu ihr und umarmte sie stürmisch.
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