3| Training

Am nächsten Morgen klopfte es an Thelias Tür. Als sie öffnete stand ihr Luzifer gegenüber. Sie holte schnell ihre Schwerter und folgte ihm anschließend in den Garten. Am anderen Ende befand sich ein eisernes Tor, welches sie gestern schon bemerkt hatte, aber nicht wusste, was sich dahinter befand. Luzifer ging mit ihr hindurch und sie fand sich auf einem Trainingsplatz wieder. Der Boden war sandig. Hindernisse waren an manchen Stellen aufgebaut, genau wie ein paar Zielscheiben.

»Da du keine magischen Fähigkeiten besitzt, werde ich auch von meinen keinen Gebrauch machen«, erklärte Luzifer ihr.

Er zog sich sein Hemd aus und stellte sich in die Mitte des Platzes. Sie konnte jede seiner trainierten Muskeln erkennen, was sie schlucken ließ. Luzifers gutes Aussehen war wahrlich eine verführerische Sünde, wie man ihr so oft erzählt hatte. Der König nahm Angriffshaltung an und auch sie begab sich in Position. Thelia wartete auf den ersten Angriff, der auch schon schnell erfolgte. Noch bevor sie reagieren konnte, lag sie auf dem Boden. Luzifer bewegte sich verdammt schnell, womit sie nicht gerechnet hatte. Fluchend kam sie wieder hoch und klopfte sich den Staub ab.

Erneut nahmen sie wieder Angriffsposition an. Wieder schoss Luzifer nach vorne, doch diesmal war Thelia vorbereitet. Geschickt wich sie aus. Nun holte sie mit einem der vier Schwerter aus und ließ es auf den König zu schnellen. Er wehrte den Angriff zwar ab, konnte aber nicht verhindern, dass die Spitze ihm eine Schnittwunde an der rechten Wange zufügte. »Nicht schlecht«, meinte er anerkennend, während er mit dem Handrücken das Blut wegwischte. Nach ein paar Sekunden war die Wunde wieder verheilt.

Immer wieder gingen sie aufeinander los. Thelia trug jedoch mehr Verletzungen davon als er. Sie hatte es bisher auch kein einziges Mal geschafft, Luzifer zu Boden zu ringen, während sich schon gefühlte tausend mal am Boden lag. 

Nach gut zwei Stunden beendete der König schließlich den Kampf. »Dafür das du noch so jung bist, kämpfst du recht gut. Deine Angriffe sind geschickt, allerdings teilweise noch zu unüberlegt. Außerdem ist deine Verteidigung noch verbesserungswürdig«, erläuterte er, »Aber du hast definitiv Potenzial.«

Thelia war stolz auf dieses Lob. Sie wusste, dass sie noch keine so gute Kämpferin war, wie manch andere ihres Volks. Aber ihr Training hatte auch erst vor kurzem begonnen und dafür war sie, wie sie fand, schon recht gut. Während sie so in Gedanken versunken war, bemerkte sie nicht, dass Luzifer ihr ganz nah kam. 

Erst als er sanft ihr Kinn hoch hob und ihr intensiv in die Augen sah, kehrte sie in die Realität zurück. Sie fühlte sich plötzlich unwohl und schluckte schwer. »Du bist wirklich schön«, raunte er. Eine Gänsehaut breitete sich auf Thelias Körper aus. Ihm so nah zu sein machte sie nervös und unsicher. Aber da war noch etwas anderes. Sie fühlte sich irgendwie... erregt. Und wieder breitete sich in ihr ein mulmiges Gefühl aus. 

Luzifer spürte, dass sich die junge Lamia dafür schämte, dass sie bei ihm so empfand. »Keine sorge, so geht es jeder, die mir nahe kommt«, meint er belustigt und auch ein wenig arrogant, wie sie fand. »Aber du brauchst dir keine Gedanken zu machen, ich würde dich nie anrühren.«

Irritiert blickte sie ihn an. »Wieso nicht?« Fand er sie etwa hässlich? Fand er, dass sie seiner nicht würdig war? Auch wenn Thelia nicht das geringste Interesse an ihm hatte, verletzte diese Aussage doch ihren Stolz.

»Wegen meinem Sohn«, antwortete er lediglich. Jetzt war sie noch verwirrter als vorher. Amüsiert betrachte er ihren Gesichts Ausdruck. »Du wirst irgendwann verstehen was ich meine.« Er zwinkerte ihr geheimnisvoll zu und ging dann zurück zum Palast.

Auf dem Weg dorthin teilte Luzifer ihr mit, dass sie die nächsten Tage und Wochen mit seinem Leibwächter Gusion trainieren würde. Dieser Dämon war ein mächtiger Schattendämon und, neben dem König, der beste Krieger im Palast. Er stellte ihn ihr vor und ließ die beiden dann allein.

Gusion ging mit Thelia den Trainingsplan durch. Es würde ein ziemlich hartes Programm werden. Dennoch freute sich die junge Lamia darauf. Immerhin lag ihr das Kämpfen im Blut. Außerdem hatte sie erfahren, dass sie die Leibwächterin von Prinz Sharon werde würde, sollte sie gut genug dafür werden. Was sie nur noch mehr anspornte.

Nach einigen Stunden ging sie in ihr neues Zimmer, dass kleiner war, als das Gästezimmer, aber dennoch genug Platz bot. Sie konnte von hier aus auch in den Garten sehen, nur das es keinen Balkon gab. Dennoch fühlte sie sich wohl. Thelia legte sich erschöpft in das Bett. Am liebsten hätte sie geschlafen, aber sie konnte nicht. 

Sie musste an Nuvak denken. Anfangs dachte sie noch, dass es nicht so schwer werden würde das Amulett zu holen. Doch jetzt plagten sie schon bei dem Gedanken daran Schuldgefühle. Allerdings würde sie nicht drum herum kommen können. Thelia musste es holen. Wenn man jemandem etwas schuldig war, musste man diese Schuld begleichen. Egal was der Schuldner dafür verlangte. Ein ungeschriebenes Gesetz unter Dämonen. So wurde es schon seit jeher gehandhabt.

Dennoch hatte die junge Lamia Angst davor, wie der König reagieren würde, wenn man sie erwischte. Würde er sie einsperren lassen oder sogar töten? Sie wusste zwar, dass nur diejenigen die Todesstrafe erwartete, die es wagten Luzifer zu verraten, doch konnte man ihn zu bestehlen auch als Verrat ansehen? Immerhin bestiehlt man in diesem Fall ja nicht irgendwen. Aber Nuvak hatte auch gesagt, dass dieses Amulett seinem Vater gehört hätte. Das wiederum würde bedeuten, dass sie Luzifer nicht wirklich bestiehlt. 

Wie sie es auch drehte und wendete, sie konnte sowieso keinen Rückzieher machen. Sie hatte dem zugestimmt. 

Nun saß sie hier also und wartete auf die Nacht. Je schneller sie ihre Schuld beglich desto besser. Nachdem nach und nach die Geräusche auf den Gängen verstummte, schälte sich Thelia aus dem Bett. Leise schlich sie zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Nachdem auf dem Gang niemand zu sehen war, trat sie raus. Dank ihres Schlangenleibes, konnte sie sich fast lautlos fortbewegen. Am Ende des Ganges befand sich eine Treppe, die nach unten führte. Wie ich Treppen hasse, dachte sie, während sie auf ziemlich seltsame Art nach unten ging.

Unten angekommen schaute sie sich erneut um. Auch hier war niemand zu sehen. Sie schlängelte sich nach rechts durch den Flur und blieb schließlich vor der Tür zur Bibliothek stehen. Wachsam öffnete sie diese und steckte ihren Kopf hinein. Sie war leer. Schnell huschte sie rein, schloss die Tür und begab sich zum Glaskasten. Thelia versuchte den Glasdeckel hochzuheben, was zu ihrem erstaunen funktionierte. Gut gesichert ist das nicht gerade, dachte sie. Sie nahm das Amulett heraus und versteckte es in ihrer Tasche, die sie sich zuvor um die Hüften geschnallt hatte.

Anschließend verließ sie die Bibliothek wieder. Sie ging durch den Thronsaal. Bisher hatte sie niemand entdeckt. Als sie die Türe, hinter dem sich der letzte Flur zum Haupttor befand, öffnete, stand sie plötzlich vor einer wunderschönen Dämonin mit blauer Haut und silbernen Haaren. Ninurta, die Gefährtin des Königs. 

Misstrauisch blickte sie Thelia an. »Wer bist du?«

»Ähm«, begann sie zögernd, »ich bin Thelia vom Stamm der...«

»Was tust du hier?«, unterbrach Ninurta sie.

»Der König hat mich aufgenommen, ich soll die Leibwächterin von Eurem Sohn Prinz Sharon werden.«

Die Meeresdämonin sah Thelia mit einem Blick an, den sie nicht deuten konnte. »Warum schleichst du dich mitten in der Nacht hier herum?«

Jetzt musste sie sich schnell eine Ausrede einfallen lassen. »Ich konnte nicht schlafen und wollte deswegen ein wenig in Iscaeria spazieren gehen.«

»Du lügst!«, grollte eine dunkle Stimme hinter Ninurta. Astaroth tauchte hinter seiner Mutter auf. Wieso hatte sie seine Anwesenheit nicht gespürt? Aber dann schoss ihr die Antwort in den Kopf, er hatte seine Ausstrahlung getarnt. 

Ängstlich schaute sie in seine dunklen Augen, die sich leicht rötlich verfärbten. Thelia wusste, dass Astaroth überall als grausam und kalt bekannt war. »Ich - Ich lüge nicht«, sagte sie mit zittriger Stimme. Eigentlich war das ja nicht wirklich gelogen, denn sie wollte sich diesen Ort wirklich mal genauer ansehen.

Astaroth glaubte ihr allerdings nicht. »Wachen!«, rief er laut und sofort kamen drei Dämonen angelaufen. »Durchsucht sie.«

Thelia schluckte. Panik machte sich in ihr breit. Wieso musste das Schicksal so gemein sein? Sie hätte es fast geschafft. Wäre sie sich so kurz vor dem Ziel nur nicht so sicher gewesen, dann wäre sie vielleicht vorsichtiger gewesen und hätte gemerkt, dass vor der Tür jemand war. Doch darüber nachzudenken brachte nichts. Es war ohnehin zu spät. Gedanklich gab sie sich selbst eine Ohrfeige. Wie konnte man auch nur so dumm sein?!

Die Wachen rissen ihr die Tasche weg und zogen das Schmuckstück heraus. Ninurta blickte überrascht darauf, während in Astaroth' nun glühend roten Augen Zorn zu sehen war. Der Prinz nahm das Amulett an sich und zog Thelia mit sich. Wütend stampfte er mit ihr durch die Flure. Ninurta und die Wachen folgten ihnen.

Der Weg kam der jungen Lamia bekannt vor. Sie war ihn gestern schon mit Luzifer gegangen. Und genau wie sie es befürchtete, blieb Astaroth vor dem Arbeitszimmer seines Vaters stehen. Ohne anzuklopfen ging er hinein. 

Luzifer sah überrascht von irgendeinem Buch, das er gerade las, auf. »Was ist los?«, fragte er auch schon an seinen Sohn gewandt.

»Sie hat uns bestohlen!«, knurrte der Prinz und schubste Thelia unsanft nach vorn, was sie stolpern ließ. 

»Was hat sie gestohlen?«

»Das hier«, antwortete der Prinz und hielt die Kette hoch.

Der König blickte nachdenklich darauf und sah dann Thelia an, die beschämt zu Boden sah. »Lasst uns allein«, befahl er. »Das gilt auch für euch beide«, ergänzte er an seine Gefährtin und seinen Sohn gewandt. Ninurta wollte protestieren, aber der Prinz zog sie schweigend hinaus. Nachdem sie allein waren, stand Luzifer auf und stellte sich vor die junge Lamia. »Sieh mich an.« Sie schüttelte nur den Kopf. Er konnte ihre Scham spüren. Sanft aber bestimmt hob er ihren Kopf an, so dass sie ihn ansehen musste. »Erklär mir, warum du das getan hast.«

Thelia sah ihm in die Augen. Keine Wut, kein Zorn, war darin zu erkennen. Stattdessen sah sie Enttäuschung. Wieso Enttäuschung?, fragte sie sich. »Ich - Also - Ich schulde jemandem etwas«, begann sie.

»Was hat das damit zu tun?«, fragte er nun misstrauisch.

»Auf meiner Flucht vor meinem Clan wäre ich in Aurus beinahe geschnappt worden. Aber einer der Minotauren hat mich gerettet und...«

»Er heißt nicht zufällig Nuvak oder?«, unterbrach er Thelia.

»Doch, aber woher wisst Ihr das?«

Aber Luzifer antwortete nicht. Er ging nachdenklich durch das Zimmer. »Deswegen hat er also damals so einen Aufstand gemacht«, meinte er mehr zu sich selbst. Thelia zog fragend eine Augenbraue nach oben. »Weißt du, wo er sich jetzt aufhält?«

Sie schluckte. »Ich möchte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.«

Luzifer lachte darauf. »Hast du das nicht schon mit deiner Geschichte? Aber keine Sorge, er wird keinen Ärger bekommen. Ich kann durchaus verstehen, warum er es zurück haben will. Wahrscheinlich hätte ich es ihm sofort nach dem Tod seines Vaters geben sollen, anstatt es zu behalten. Aber es hängen viele Erinnerungen daran und ich hab es einfach nicht über mich gebracht. Ziemlich egoistisch. Ich möchte es ihm persönlich geben.«

»Na gut, wenn das so ist, er ist in der Arena.«

»Gut, du kannst jetzt gehen. Ich werde dir nachher deine Bestrafung mitteilen.« Geschockt starrte sie ihn an. »Was denn? Du glaubst doch nicht, das du ungeschoren davon kommst oder?«

»Natürlich nicht«, antwortete sie ängstlich. 

»Du brauchst keine Angst haben, es wird nichts schlimmes sein. Versprochen. Immerhin war das nur ein kleines Vergehen. Und jetzt geh, ich hab noch was zu tun.«

Thelia verneigte sich und ging. Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer, zerbrach sie sich die ganze Zeit den Kopf darüber, was das wohl für eine Strafe werden würde. 

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