3| Luzifers Plan
Belphegor sollte recht behalten. Gut drei Tage wanderten sie ohne Pause durch das Lavatal. Wobei sie viel Zeit verloren hatten, da der dürre Dämon bis zum Kopf im Boden versunken war. Luzifer hatte einige Schwierigkeiten gehabt, ihn da wieder herauszubekommen. Doch es gelang ihm nach einer gefühlten Ewigkeit. Der Dämon sah danach ein wenig verkohlt aus, doch es hatte ihm wohl nicht viel ausgemacht, da sie danach ihren Weg sofort wieder fortsetzen konnten. Dennoch hatte ihn der Engel vorsichtshalber geheilt.
Nun hatten sie die Grenze von Tseořien erreicht. Vor ihnen befand sich ein breiter zähflüssiger Fluss. Die schwarze Masse darin stank bestialisch. Am anderen Ufer war dichter Nebel zu sehen. Da Luzifer weit und breit keine Brücke entdecken konnte, mussten sie wohl oder übel über den Fluss hinwegfliegen. Er hoffte, dass seine Flügel verheilt waren. Wenn nicht, würden sie hier vorerst festsitzen. Denn teleportieren kam nicht infrage, da der Engel nicht sehen konnte, was sich auf der anderen Seite befand. Also ließ er vorsichtig seine Flügel erscheinen. Luzifer faltete sie zu ihrer ganzen Größe auf und war erleichtert, als er keinen Schmerz spürte. Belphegor konnte indes nicht anders, als diese prachtvollen Flügel anzustarren.
»Halte dich nah an der Oberfläche, ich will nicht entdeckt werden«, wies Luzifer den dürren Dämon an.
Sie hoben ab und flogen über den Fluss hinweg. Dabei hielt der Gefallene den Atem an, sonst wäre ihm von dem Gestank wohl übel geworden. Am anderen Ufer landeten sie. Der dichte Nebel hüllte sie ein. Trotz ihrer guten Augen konnten sie nicht mal mehr die Hand vor Augen sehen. Der Engel versuchte mithilfe seines Schutzschildes den Nebel von ihnen ein Stückchen fernzuhalten, damit sie wenigstens sehen konnten, wo sie hintraten. Sein Plan ging auf. Da Luzifer sich hier nicht auskannte, übernahm Belphegor die Führung. Seiner Meinung nach würden sie wohl einen Tag durch diesen Nebel irren.
Etliche Stunden später lichtete sich die Nebelwand endlich. Was Luzifer dann sah, überwältigte ihn. Ein weites Tal, welches von einer c-förmigen Felswand eingegrenzt wurde. Breite Wasserfälle flossen daran hinab und speisten den großen See, der den Großteil des Tals einnahm. In der Mitte des Sees befand sich eine Insel mit einer solchen Vielfalt an Pflanzen und Farbenpracht, wie Luzifer sie noch nie gesehen hatte. Die Schönheit dieses Ortes stellte sogar den Garten Eden in den Schatten, wie Luzifer fand.
»Willkommen bei den Paradiesfällen«, hörte er Belphegor sagen. Doch der Engel war noch immer zu fasziniert von diesem Ort um zu antworten. Dass es einen so schönen Ort im Reich der Dämonen gibt, hätte er nicht gedacht. Dies war definitiv mehr nach seinem Geschmack. Belphegor hob ab und Luzifer folgte ihm. Sie flogen über den See hinweg und durch einen der Wasserfälle. Dahinter befand sich eine Höhle, deren Boden mit weichem Moos bedeckt war. Der dürre Dämon setzte sich und Luzifer sicherte die Höhle auf magische Weise, damit sie auch wirklich unentdeckt blieben. Anschließend ließ auch er sich auf dem Boden nieder.
Endlich ausruhen, dachte der Engel. Zwar brauchte er nicht viel Ruhe oder gar schlaf, aber das tagelange umherwandern durch schwierige Gebiete, hatten ihm viel abverlangt. Belphegor schien allerdings wesentlich erschöpfter zu sein. Der Gefallene erklärte ihm, dass sie sich jetzt erst mal ausruhen sollten. Ein zustimmendes Nicken war die einzige Antwort.
Sie hatten seit ihrer letzten Rast kaum mehr miteinander gesprochen. Noch immer hatte Belphegor viele Fragen bezüglich des Engels, doch hatte er sich noch nicht getraut sie ihm zu stellen. Zwar wurde immer behauptet, dass Engel reine und gütige Wesen waren, doch Luzifers kalte emotionslosen Augen erweckten in dem Dämon das Gefühl, dass dies nicht stimmte, weswegen er lieber vorsichtig blieb.
»Warum haben dich diese Dämonen eigentlich gefoltert?«, wurde er von Luzifer aus seinen Gedanken gerissen.
»Weil ich geflohen bin.« Verwundert sah der Engel ihn an. Da Belphegor keinen Grund sah, ihm seine Geschichte zu verschweigen, erzählte er sie.
Der dürre Dämon erklärte ihm, dass er aufgrund seiner schwach ausgeprägten magischen Fähigkeiten von niederstem Rang war und damit zu den Sklaven gehörte. Sein Vater habe einst dem König gedient, bis er wegen Verrat hingerichtet wurde. Dabei hatte er nur die Vorgehensweise des Herrschers kritisiert. Aber dem König hatte der Tod von Belphegors Vater nicht gereicht. Er ließ auch den Rest der Familie hinrichten. Der dürre Dämon hatte nur überlebt, weil seine Mutter ihn in einer geheimen Kammer versteckt hatte. Er war noch ein Kind gewesen, nicht älter als sieben Jahre, als das alles passierte. Luzifer spürte, wie schwer es seinem Begleiter fiel darüber zu reden, doch er unterbrach ihn nicht.
Nach dem Tod seiner Familie wanderte er ein paar Monate allein umher, bis er schließlich von den Sklavenhändlern eingefangen wurde. Jahrelang haben sie ihn gefoltert und versucht seinen Willen zu brechen, jedoch ohne Erfolg. Immer wieder hatte er versucht zu fliehen, was ihm nur noch mehr Folter eingebracht hatte. Belphegor erzählte ihm auch von der Reise zum Markt und wie er letztendlich von den beiden Dämonen wieder geschnappt und gefoltert wurde.
Es beeindruckte Luzifer, dass der Dämon trotz allem nie aufgegeben hatte. Dies zeugte von einer enormen Willensstärke, die er Belphegor niemals zugetraut hätte. Der Engel schätzte so etwas hoch an. Lange saßen sie schweigend da.
»Ist dieser See eigentlich ungefährlich?«, fragte Luzifer nach einer Weile.
»Ja«, kam es schmunzelnd von Belphegor, der sich über die Unwissenheit des Engels amüsierte, was ihm jedoch einen bösen Blick einbrachte.
Luzifer zog sich sein Gewand aus, das durch die Reise mittlerweile schmutzig und zerrissen war und ließ sich ins Wasser gleiten. Es fühlte sich angenehm warm an und er entspannte sich. Der Engel dachte darüber nach, was Belphegor über seine Vergangenheit erzählt hatte. Die Zustände in dieser Welt waren seiner Meinung nach nicht mehr tragbar. Wenn das so weiterginge, würden die Dämonen wohl nach und nach aussterben.
Er fasste einen Entschluss. Seinen Plan würde er wahr machen. Er hatte vor den König zu stürzen und selbst den Thron zu übernehmen. Da die meisten Völker mehr als unzufrieden mit dem momentanen Herrscher waren, könnte er gute Karten haben sie auf seine Seite zu ziehen. Vorausgesetzt, sein Engelsdasein macht ihm keinen Strich durch die Rechnung. Immerhin sind Engel und Dämonen natürliche Feinde, was durchaus zu Problemen führen könnte. Doch er sah dem Ganzen dennoch zuversichtlich entgegen. Außerdem war der Gedanke, dass er der neue Herrscher der Unterwelt werden würde, einfach zu verlockend. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen.
Während Luzifer in seine Gedanken vertieft war, beobachtete Belphegor ihn. Noch immer wusste er nichts über den Engel. Doch schließlich nahm er all seinen Mut zusammen. »Warum seid Ihr eigentlich hier?«
Aus seinen Gedanken gerissen sah Luzifer zu dem Dämon auf. Lange sah er ihn an und schien zu überlegen. Schließlich seufzte er. »Gott hat mich aus dem Himmel geworfen und hierher verbannt.«
»Warum?«, schoss die Frage aus Belphegor raus.
Doch der Engel winkte nur ab. »Ich will jetzt nicht darüber reden. Vielleicht erzähle ich es dir irgendwann.« Luzifer wollte es nicht zugeben, aber der Krieg gegen seine eigenen Geschwister hatte ihn sehr mitgenommen. Um sich von den trüben Gedanken abzulenken, erzählte er Belphegor von seinem Plan. »Keine Sorge, unter meiner Herrschaft wird einiges ganz anders laufen«, versicherte er dem Dämon abschließend.
»Der König ist sehr mächtig, glaubt Ihr, dass Ihr das schaffen könnt?«, kam es zweifelnd von Belphegor.
»Zweifelst du etwa an meiner Macht?« Luzifers Augen blitzten wütend auf. Natürlich wusste er, dass es nicht leicht sein würde ihn zu töten, doch unmöglich war es auch nicht.
»Das nicht, aber Euch muss klar sein, dass Ihr nur eine einzige Chance habt. Denn zu einem zweiten Versuch wird er es sicherlich nicht kommen lassen.«
»Das ist mir auch klar, ich hab auch nicht vor einfach drauf loszustürmen. Ich werde vorher genug Informationen über ihn sammeln und dann entscheiden, wie ich taktisch am besten gegen ihn vorgehe.«
»Gut, dann werde ich Euch dabei helfen so gut ich kann«, meinte Belphegor und Luzifer wusste, dass er einen wertvollen Verbündeten gefunden hatte.
Doch Luzifer ahnte, dass sein Plan sehr viel Zeit brauchen würde, bis er Früchte trug. Zuerst aber wollte er mehr von seiner neuen Heimat sehen, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Während er aus dem Wasser stieg, fragte er den Dämon, wo die Kriege zurzeit am schlimmsten waren.
»In Za'eočsian, dem Schattenreich, das gefährlichste Land dieser Welt. Die mächtigsten und grausamsten Dämonen leben da. Dort befindet sich auch das Nachtgebirge, wo seit Tagen gekämpft wird.«
»Wie weit ist es bis dorthin?«
»Sehr weit, die Reise wird einige Monate in Anspruch nehmen, wenn wir nicht die Abkürzung über Iscaeria nehmen wollen.«
Der Engel verneinte sofort. Die Abkürzung war definitiv zu riskant. Außerdem war der längere Weg genau das, was er wollte. So bekam er mehr zu sehen und begegnete sicherlich auch ein paar Dämonen, die sich ihm vielleicht anschlossen. Andererseits wären die Kämpfe dort bis dahin wohl schon längst vorbei, wenn sie dort ankamen, aber das Risiko musste er in Kauf nehmen. »Welchen Weg sollten wir am besten nehmen?«
Belphegor überlegte. »Da Ihr sicher nicht zurück nach Tseořien wollt, schlage ich vor, dass wir über den Todesgipfel nach Se'cian, dem Luftreich, reisen. Von dort aus kommen wir weiter nach Za'eočsian.«
Luzifer war damit einverstanden. In der Zwischenzeit ist es schon spät geworden. Den halben Tag hatten sie hier nun schon gesessen. Sie beschlossen sich zur Ruhe zu legen. Luzifer wollte den Tag morgen noch hier an diesem wunderschönen Ort verbringen und übermorgen zum Todesgipfel weiterreisen. Die Bezeichnung dieses Ortes gefiel ihm ganz und gar nicht. Er wollte lieber nicht wissen, warum man ihn so nannte.
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