20| Oase Der Weisheit

Helles Licht erhellte das weitläufige Gewölbe. Bäume und Pflanzen wuchsen Überall. Ein tropisches Klima herrschte hier. Etliche Meter vor ihnen befand sich ein kleiner See mit kristallklarem Wasser. Die Oberfläche schien spiegelglatt. Nicht eine noch seine kleine Bewegung war darauf zu sehen. Doch noch mehr als dieser Ort, versetzte den Dämonen das Wesen vor sich in Staunen. So eines hatten sie noch nie gesehen. Es war nackt und hatte schneeweiße Haut. Die Flügel bestanden nur aus Knochen. Auf den ersten Blick schien es so, als würde sich keine Haut drüber ziehen. Bei näherer Betrachtung jedoch, erkannte man, Das diese lediglich durscheinend war wie Glas. Dieses Wesen besaß ein leeres Gesicht. Es hatte weder Augen, noch Nase oder gar einen Mund. Ohren schienen ebenfalls zu fehlen. Da es überhaupt keine Geschlechtsmerkmale besaß, ahnten sie, Das dies der Besitzer der androgynen Stimme war. 

»Eošo*, ich bin der Wächter des Wissens. Herzlichen Glückwunsch, ihr hab alle Prüfungen bestanden«, erklang die Stimme auch schon. 

 »Irgendwie bezweifel ich das«, sprach Thelia niedergeschlagen. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass sie Diabolo getötet hatte. 

Das Wesen schwebte auf die Lamia zu. »Eines solltet ihr über diesen Ort wissen. Es kommt selten vor, dass mehrere Dämonen gleichzeitig ihn betreten und wenn sie es tun, sucht es sich selbst aus, wen es testen will. In diesem Fall hat sich der Ort nur die Prinzen und dich, Thelia, ausgesucht. Das du Diabolo getötet hast, spielt keine Rolle. Der Barghest hätte sich wehren können und hat es nicht getan. Einfach aus dem Grund, weil er von der Göttin selbst die Unsterblichkeit geschenkt bekommen hat.« 

»Da – dann, ist er gar nicht tot? Aber wie – ich meine, wieso hat die Göttin das getan?«, stotterte Gusion. Er konnte kaum glauben, dass Diabolo diese schlimmen Verletzungen wirklich überlebt haben konnte. 

 'Neben den Erzdämonen gibt es noch weitere Wächter. Ich bin einer davon', ertönte eine ihnen nur allzu Bekannte Stimme im Kopf. Ruckartig drehten sie sich um. Aus der schwärze des dunklen Nichts schälte sich eine Gestalt. Es war Diabolo. Gusion konnte nicht anders, er stürmte auf den Barghest zu und begutachtete ihn. Von den Wunden fehlte jede Spur. Selbst das Blut schien wie weggewischt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass er bis vor einigen Stunden noch tot war. Der Schattendämon hatte plötzlich viele Fragen, aber er freute sich nur, das sein Kamerad noch am Leben war. 

»Diabolo, ich... «, setzte Thelia betrübt an. 

'Schon gut, du brauchst dich nicht entschuldigen. Die Stimmen haben dich dazu gebracht. Das warst nicht du. Deswegen habe ich mich auch nicht gewehrt', ertönte seine Stimme in ihrem Kopf. Seine Schnauze verzog sich zu einem Lächeln, welches sie dankbar erwiderte. 

»Wir sind eigentlich nur hergekommen, um den schwarzen Tempel zu finden«, meinte Astaroth nach einer Weile nachdenklich. »Aber wie es aussieht, ist er nicht hier.«

»Da ihr die Prüfungen bestanden habt, ist es jedem von euch gestattet vom Wasser der Weisheit zu Trinken. Doch nur einer wird die Geheimnisse des Universums erfahren. Alle anderen werden nur etwas sehen, dass sie persönlich betrifft und wichtig ist«, sprach das seltsame Wesen. Auf die Frage, wer die Geheimnisse erfahren wird, antwortete das Wesen nicht. Vielleicht, weil es die Antwort selbst nicht wusste. 

Sie gingen gemeinsam zum See. An dessen Ufer knieten sie sich nieder und schöpften mit den Händen Wasser heraus. Zaghaft tranken sie davon. Noch nie hatten sie besseres Wasser getrunken. Es schmeckte so frisch und Klar wie kein anderes. Dazu hatte es einen leicht süßlichen Beigeschmack. Kaum hatten sie es hinunter geschluckt, als auch schon die Visionen einsetzten. 

Dialen sah in, für ihn, zwei Fremde Gesichter. Und doch schienen sie ihm seltsam vertraut. Es war offensichtlich ein Pärchen, denn sie küssten sich und wirkten überaus glücklich. Dialen konnte die Liebe in ihren Blicken sehen, wenn sie einander ansahen. Doch von jetzt auf gleich änderte sich ihre Mimik. Sie wirkten nun unendlich traurig. Ihre Augen voller Schmerz. Er sah ihnen zu, wie sie ein Baby, in Fellen eingewickelt, auf den weichen moosbedeckten Boden legten. Dialen schaute sich um. Sie befanden sich auf einer Lichtung. Ringsherum wuchsen Palmen mit saftig grünen Blättern und gelben Blüten. Blau Grüne Ranken hingen von den Bäumen herunter und schienen zu Leben. Er erinnerte sich daran, wie er oft als Kind hier gespielt hatte.

 Ein Verdacht schlich sich in seinen Kopf. Näher trat Dialen an die kleine Familie heran. Ein Blick auf das Baby bestätigte dies. Dieses kleine Wesen hatte eine erstaunliche Ähnlichkeit mit ihm. Die selbe hellblaue, fast weiße Haut, dieselben roten Augen und die selben weißen Hörner. Kein zweifel, dieses Baby war er. Dann waren diese beiden Dämonen sicher seine Eltern. Dialen schaute sie sich genauer an. Eine seltsame Sehnsucht machte sich in ihm breit. Zaghaft berührte er das Gesicht seiner Mutter. Obwohl sie eine Feuerdämonin war, die von Natur aus eine Hohe Körpertemperatur besaßen, konnte er ihre Wärme nicht Spüren. Wie auch, schallte er sich selbst. Dies hier war nicht real, egal wie er sich wünschte, dass es anders wäre. Er sah wie seine Mutter seinem jüngeren Ich einen Kuss auf die Stirn gab und meinte es selbst zu Spüren. Tränen liefen ihre Wange herunter, als sie ihn losließ und Aufstand. Wobei sein Vater sie stützen musste, auch er schien voller Trauer. 

Wie gern hätte er ihnen gesagt, dass es ihm gut gehen wird und sie sich keine Sorgen machen müsse. Er hätte auch gerne gewusst, warum sie ihn überhaupt ihr ausgesetzt hatten. Haben sie es getan um ihn in Sicherheit zu wissen? Waren sie oder er selbst überhaupt in Gefahr? Dass sie ihn weggaben, weil sie ihn nicht wollten, konnte er anhand dieser Szenerie ausschließen. Er musste herausfinden, was geschehen war. Einen Hinweis hatte er nun. Wie jeder Dämon trug auch seine Mutter ihr Zeichen wie ein kleines Tattoo auf ihrem Körper. Er hatte es hinter ihrem linken Ohr gesehen. Damit würde er seine Nachforschungen aufs Neue beginnen. Einen letzten Blick warf Dialen auf seine Eltern, ehe sie sich auflösten. Und mit ihnen die Vision. 

Sharon schlug die Augen auf und stutzte. Er lag in einem Himmelbett aus hellem Holz. Hellrote leichte Tücher fielen an allen Enden herab und tanzten leicht im warmen Wind, der durch ein offenes Fenster herein wehte. Der junge Prinz kannte dieses Zimmer. Es war sein Gemach in seinem eigenen Palast bei den hängenden Gärten. Er selbst hatte es eingerichtet. Er drehte sich um, als er hinter sich eine Bewegung spürte. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen als er Thelia sah. Sie wirkte so friedlich, wie sie so da lag. Als er seinen Blick über ihren Körper gleiten ließ, der nur von einer dünnen Seidendecke bedeckt war, stutzte er erneut. Eine leichte Wölbung war auf der höhe ihres Bauches zu sehen. Vorsichtig zog er die Decke beiseite und legte seine Hand darauf. Thelia war Schwanger. Etwa von ihm? Er konnte es kaum glauben. War dies etwa ein Blick in seine Zukunft? Wenn ja, könnte er sich nichts schöneres vorstellen. 

Sein Blick glitt wieder zu ihrem Gesicht. Sie war aufgewacht und strahlte ihn glücklich an. Die Lamia richtete sich auf und küsste ihn Leidenschaftlich. Er war wie betäubt. So hatte sie ihn bisher noch nicht geküsst. Er fühlte sich wie in einem wundervollen Traum. Ihre Hände Strichen zärtlich über seinen Körper. Erst jetzt merkte er, dass er nackt war. Sharon hätte ewig mit ihr hier verbleiben können. Doch dann änderte sich die Umgebung. 

Er stand nun im Palast seines Vaters. Genauer im Gemach seines Bruders. Doch der junge Prinz erkannte es kaum wieder. Jegliche Möbelstücke waren gänzlich zerstört. Inmitten dieses Chaos stand Astaroth und blickte ihn an. Das Gesicht seines Bruders schockierte ihn. Es war eine einzige aus Wut, Hass und Schmerz verzerrte Fratze. Sharon verstand nicht, was hier vor sich ging. War Astaroth etwa seinetwegen so unsagbar wütend?

»Ich werde sie zerstören«, knurrte Astaroth voller Zorn. »Ich werde sie Leiden lassen. Jeden Menschen werde ich töten, wenn es sein muss!« Das letzte nur noch ein verzerrtes fauchen. Und dann war er auch schon verschwunden. Sharon blieb entsetzt zurück. Immer wieder fragte er sich, was geschehen war. Eines war ihm jedoch Klar. Die Wut seines Bruders hatte nichts mit ihm zu tun, sondern mit den Menschen. Doch wieso? Hatte sein Bruder vielleicht recht und seine Gefährtin war ein Mensch? Wurde sie vielleicht getötet? Auch wenn ihm dieser Gedanke ganz und gar nicht gefiel, aber es war die einzige Erklärung die ihm einfiel. Oder vielleicht... Bevor er diesen Gedanken zu Ende bringen konnte, kehrte er in das hier und jetzt zurück.

Was sollte er nun tun? Sollte er seinen Bruder warnen? Würde das überhaupt etwas ändern? Er beschloss vorerst mit seinem Vater darüber zu sprechen, sobald er die Zeit dafür fand. Er würde schon wissen, was zu tun war.

------------------------------

Eošo ist eine veraltete Begrüßungsformel der Dämonen, die kaum bis gar nicht genutzt wird, da sich Dämonen (wie ihr vielleicht noch aus einem vorigen Kapitel wisst) meist mit einem einfachen Kopfnicken begrüßen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top