2| Beschwerliche Reise

Er konnte es nicht fassen. Gott hatte ihn tatsächlich aus dem Himmel verbannt, beziehungsweise verbannen lassen. Sein Vater hatte es nicht für nötig erachtet es selbst zu tun. Stattdessen musste sein Bruder diese Aufgabe übernehmen. Ausgerechnet Michael, dachte Luzifer verbittert, während er regungslos am Boden lag. Der traurige verzweifelte Blick in Michaels Augen würde ihn wohl für den Rest seines unsterblichen Lebens verfolgen.

Der gefallene Engel starrte in den rötlichen Himmel über sich. Die Luft um ihn herum war heiß und stickig. Er versuchte aufzustehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Der Fall in das Reich der Dämonen hatte ihn wohl doch mehr geschwächt, als er angenommen hatte. Der Gestank nach Schwefel, der ihm Übelkeit bescherte, half da auch nicht wirklich.

Eine Weile blieb Luzifer so liegen und versuchte immer wieder einzelne Körperteile zu bewegen. Als er sicher war, seinen Körper wieder weitestgehend im Griff zu haben, stand er vorsichtig auf. Seine Beine zitterten und drohten unter seinem Gewicht nachzugeben. Doch er zwang sich aufrecht stehenzubleiben. Der Boden unter seinen Füßen war hart und rostrot. Luzifer stand in einem Krater, den seine Landung verursacht hatte.

Der Engel versuchte seine majestätisch aussehenden Flügel zu bewegen. Doch ein Schmerz, der sich fast durch seinen ganzen Körper zog, sagte ihm, dass er sie sich beim Aufprall gebrochen hatte. Luzifer sah sie sich über die Schulter hinweg an und bemerkte erst jetzt das Blut, dass seine strahlend weißen Federn, die golden glänzten, hinablief. Unter weiteren Schmerzen ließ er sie verschwinden. So konnte er sicherstellen, dass sich die Brüche nicht verschlimmerten und seine Flügel in Ruhe heilen konnten. Doch es würde wohl einige Tage dauern, bis sie wieder einsatzfähig waren. Bis dahin hieß es wohl oder übel zu Fuß laufen zu müssen.

Schwankend setzte er einen Fuß vor den anderen. Mit jedem Schritt wurden seine Bewegungen sicherer. Er trat aus dem Krater heraus und spazierte durch die unwirkliche Landschaft, die sich vor ihm erstreckte. Hier muss ich nun also Leben, dachte der Gefallene grimmig. Er fragte sich, ob er zu seinem Unglück direkt in der Hölle gelandet sei. Wundern würde es ihn nicht. Diese düstere Gegend war nicht im geringsten mit seiner bisherigen Heimat zu vergleichen. Seit er von Gott aus reinem Licht erschaffen wurde, war der Himmel sein zu Hause gewesen. Dort erstrahlte alles in einem hellen Licht. Viele verschiedene Pflanzen und Blumen blühten dort, die die Luft mit einem wunderschönen Duft erfüllten.

Doch nun war Luzifer hier gefangen. Nie wieder würde er nach Hause zurückkehren können. Ich bin ja auch selbst schuld, schmunzelte der Engel. Er wurde aus dem Himmel verbannt, weil er einen Krieg gegen Gott geführt hatte. Einen Krieg, den er führen musste. Er bereute nichts von dem, was er getan hatte. Nur die Tatsache das er seine Geschwister, allen voran Michael, nie wieder sehen würde, ließ sein Herz schwer werden.

Zumindest einen seiner Brüder würde er hin und wieder mal sehen können. Denn Azrael, der Erztodesengel wurde anders als er, lediglich auf die Erde verbannt. Durch seine Position hatte der Todesengel auch weiterhin das Privileg in die Hölle und den Himmel zu reisen, zumindest in den Teil, in den die Seelen der Verstorbenen hinkamen. Der Rest des Himmels würde auch ihm für immer verschlossen bleiben. Immerhin war er im Krieg Luzifers Rechte Hand gewesen.

Seit Stunden lief Luzifer nun schon durch diese Landschaft. Bisher hatte er weder Städte oder Dörfer gesehen, noch ist er einem Dämon über den Weg gelaufen, was ihn sehr verwunderte. Abgesehen von der Dämonengöttin Sartana und den Erzdämonen, hatte er noch nie eine Begegnung dieser Wesen begegnet. Daher war der Engel schon sehr gespannt auf sie und ihre Art. Andererseits war es aber vielleicht auch ganz gut, dass er noch niemanden begegnet ist. Er kannte sich in dieser Welt nicht aus und wusste nicht, welche Gefahren hier lauerten. Da wäre es wahrscheinlich sehr gut, wenn er so lange wie möglich unentdeckt bleiben würde.

In einiger Entfernung sah Luzifer Berge und lief auf diese zu. Je näher er ihnen kam, umso schlimmer wurde der widerliche Geruch nach Schwefel. Irgendwann werde ich mich an diesen grässlichen Ort gewöhnt haben, dachte er bei sich und war selbst nicht ganz überzeugt davon.

Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, da er in der Ferne Schreie wahrnahm. Sie hörten sich wie die eines gequälten Tieres an. Vorsichtig schlich er sich näher heran, immer darauf bedacht kein Geräusch zu verursachen. Als der Gefallene den Ort des Geschehens erreicht hatte, versteckte er sich hinter einem Felsvorsprung. Er spähte an dem Felsen vorbei, um sehen zu können was sich dort genau abspielte.

Doch die Szenerie, die sich ihm bot, erschütterte ihn. Ein kleiner dürrer Dämon wurde von zwei anderen gefoltert. Luzifer hätte es nicht geglaubt, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Zwar wusste er, dass diese Wesen an Grausamkeit kaum zu übertreffen waren, doch was er sah, übertraf seine kühnsten Vorstellungen.

Der Dämon, der am Boden gefesselt war, war dem Tod wohl näher als dem Leben. Luzifer konnte die große Blutlache sehen, die sich unter dem dürren Dämon ausbreitete. Dennoch ließen die anderen beiden nicht von ihm ab. Während der Gefallene die Szene weiter beobachtete, überlegte er, ob er dem Gequälten helfen sollte. Er konnte spüren, dass der dürre Dämon kaum magische Fähigkeiten besaß, weswegen er keine Gefahr für ihn darstellte. Luzifer kam zu dem Schluss, dass sein Wissen über diese Welt sicherlich von Vorteil war. Also sammelte er seine Energie und schlich geduckt zu den beiden Angreifern. Als sie den Engel bemerkten war es schon zu spät. Sie wurden in eine Kugel aus gleißendem weißen Licht gehüllt, das nichts als Asche von ihnen übrig ließ.

Danach wand sich Luzifer dem schwerverletzten Dämon zu. Es war ein hässliches Geschöpf. Er hatte beige Pergamentartige Haut, ledrige Flügel, spitze Ohren und zwei kleine Hörner auf dem Kopf. Der Gefallene befreite das Wesen und heilte dessen Wunden.

»Z - Zia ziou o'a?«, fragte ihn der Dämon mit rauer Stimme ängstlich, kaum das er bei Bewusstsein war. Sartana hatte Luzifer vor langer Zeit die Sprache der Dämonen, genannt Ucada, gelehrt. Dennoch brauchte Luzifer ein wenig Zeit, um zu verstehen, dass er gerade gefragt wurde, wer er sei. Zwar hatten manche Völker ihre eigene Sprache, doch Ucada konnte jeder sprechen, da es die Sprache der Göttin war.

Ob sie wohl gewusst hatte, dass ich eines Tages in ihrem Reich würde leben müssen, fragte er sich, ehe er knapp mit »Luzifer« antwortete. Denkbar wäre es.

Belphegors Augen weiteten sich, als er den Namen vernahm. Er sah den Engel vor sich ungläubig an. Zwar hatte er sofort erkannt, dass da vor ihm eines dieser geflügelten Wesen stand, doch konnte das wirklich Luzifer sein? Der oberste Engel des Himmels und Gottes Liebling? Was tat er hier? War er für die Erschütterung vor einigen Stunden verantwortlich? All diese Fragen stürmten auf ihn ein, doch der dürre Dämon traute sich nicht auch nur eine einzige davon laut auszusprechen.

»Du wirst mich begleiten, ich brauche jemanden, der sich hier auskennt«, sprach Luzifer.

Der dürre Dämon nickte und nannte dem Gefallenen seinen Namen. Er betrachtete Luzifer genauer. Noch nie ist er einem Engel begegnet, er hatte nur von ihrer außergewöhnlichen Schönheit gehört und dieser Engel wurde diesem Gerücht mehr als gerecht. Der Gefallene hatte schwarze kurze Haare, ein Gesicht wie aus Stein gemeißelt und goldfarbene Augen, die leer und kalt wirkten. Doch dem dürren Dämon fiel auf, dass dieser goldene Glanz langsam nachließ. Belphegor fragte sich, woran das liegen könnte, behielt aber auch diese Frage lieber für sich.

Luzifer drängte zum Aufbruch und sie machten sich auf den Weg zu einem unbestimmten Ziel. Es war mittlerweile fast Nacht geworden. Der vorher rötliche Himmel war nun dunkel grau und wurde immer dunkler. Gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die gefährlichen Flammenberge. Jeder Vulkan konnte jederzeit ausbrechen. Überall zischte und brodelte es. Ab und zu behinderte aufsteigender Qualm ihre Sicht. Sie wollten diese Landschaft so schnell wie möglich hinter sich lassen. Am liebsten wäre Luzifer einfach darüber hinweggeflogen, doch seine Flügel waren noch längst nicht verheilt. Außerdem wäre er in der Luft leichter zu sehen gewesen und er hatte beschlossen, so lange wie möglich unentdeckt zu bleiben.

Nach Stundenlangem marschieren hatten sie endlich die Berge hinter sich gelassen. Nun gingen sie durch das Lavatal. Ein Ort der Luzifer noch weniger gefiel. Der Boden unter ihren Füßen war teilweise so weich, dass sie aufpassen mussten, nicht darin zu versinken. Dadurch kamen sie nur noch schleppend voran. Am Horizont sah der Engel undeutlich Dampf aufsteigen. Sein Begleiter erklärte ihm, dass dort die heißen Quellen zu finden seien. Jede davon war etwa 150° Grad heiß. Luzifer lief in die entgegengesetzte Richtung. Sie liefen die ganze Nacht ohne Pause.

Obwohl sie schon langsam gingen, blieb Belphegor immer weiter zurück. All die Strapazen der vergangenen Stunden forderten nun ihren Tribut. Der nagende Hunger tat sein Übriges. Der Dämon konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte. Allmählich war er am Ende seiner Kräfte.

Auch Luzifer entging das nicht. Aufmerksam sah er sich um. In einiger Entfernung sah er einen großen Gesteinsbrocken. Da dieser trotz seiner Größe und schwere nicht im Boden versank, vermutete der Gefallene, dass der Boden dort ausgehärtet war. Ideal um dort zu Rasten. Luzifer teleportierte sich mit dem Dämon dorthin und wies ihn an sich auszuruhen. Der Gefallene sicherte indes die Gegend ab und suchte gleichzeitig nach etwas essbarem, da ihm Belphegors Magenknurren nicht entgangen war. Doch alles, was er fand waren handgroße feuerrote Eidechsen, die er einsammelte. Hoffentlich kann man die auch essen, dachte er. Luzifer selbst brauchte keinerlei Nahrung.

Nachdem der Engel fertig war, setzte er sich zu dem dürren Dämon und gab ihm die Echsen. Dankbar nahm Belphegor sie an. Ein Feuer entfachen brauchten sie nicht, da der Boden heiß genug war, um die kleinen Tierchen darauf garen zu können. Geduldig wartete Luzifer darauf, dass sein Begleiter sich satt gegessen hatte.

Als dieser endlich fertig war, bat der Engel ihn, ihm etwas über diese Welt zu erzählen. Belphegor wollte gerade damit anfangen ihm was über die Erzdämonen zu erzählen, doch Luzifer winkte ab. Der Engel wusste, das diese fünf Dämonen von Sartana erschaffen wurden und mit ihr die Unterwelt geformt hatten.

Da Luzifer die Geschichte schon zu kennen schien, beschloss Belphegor ihn über die momentane Lage aufzuklären. Er erzählte ihm von der Grausamkeit des Herrschers. Auch das der Großteil der Städte und Dörfer durch die Kriege zerstört waren, ließ er nicht aus. Der Engel hörte aufmerksam zu. Je mehr er hörte, umso fassungsloser wurde er. Wie konnte ein König so mit seinen Untertanen umgehen? Diejenigen, die es wagten schlecht über den König zu sprechen, wurden auf grausamste Art öffentlich hingerichtet. Ganze Familien und Stämme hatte er schon ausgelöscht. Die meisten Dämonen haben sich aus diesen Gründen in verschiedenen Verstecken zurückgezogen.

Der Gefallene dachte lange darüber nach. Nun wusste er wenigstens, warum er fast niemandem begegnet war. »Sieht es eigentlich überall in der Unterwelt aus wie hier?«, wollte Luzifer wissen.

»Nein«, antwortete Belphegor, »die großen fünf Reiche wurden von den Erzdämonen erschaffen, die ihr jeweiliges Element widerspiegeln. Wir sind im Moment in Tseořien, dem Feuerreich. An dieses Reich grenzt weit im Osten Iauian, das Erdreich, an und wenn wir weiter Richtung Westen gehen, kommen wir nach Zeožiaen, dem Wasserreich, welches als der schönste Ort der gesamten Unterwelt gilt.«

Der Engel fühlte sich nach dieser Antwort sichtlich besser. Vielleicht könnte er sich hier doch noch wie zu Hause fühlen. Er beschloss die momentane Richtung beizubehalten, denn er wollte sich dieses Wasserreich selbst ansehen. Wer wusste schon, was Dämonen unter 'schön' verstanden. »Ich dachte eigentlich, dass es insgesamt sechs Reiche geben soll.«

»Das stimmt. Iscaeria ist allerdings kleiner als die anderen, da dies nur der Ort ist, an dem der König, samt seiner Dienerschaft lebt. Trotzdem bietet dieses Reich für tausende Dämonen ausreichend Platz. Das ist auch das einzige Land, das von Sartana selbst erschaffen wurde. Sie hat mit ihren Kräften auch den prächtigen Herrscherpalast erbaut. Der Thron, der sich dort drin befindet, ist in der gesamten Welt einzigartig, denn es ist der einzige, in den ein Teil der Kraft von der Göttin gespeichert ist.«

Das war sehr interessant, wie Luzifer fand. Er ahnte, dass diese Kraft sehr mächtig war. Auch das diese auf jeden neuen König übertragen wurde, konnte er sich ausmalen. Den ganzen Tag saßen die beiden noch zusammen da und hingen ihren Gedanken nach. In dem Engel reifte langsam ein Plan heran, den er jedoch noch für sich behalten wollte. Als es langsam Abend würde, fragte er Belphegor, wie lange sie wohl noch nach Zeožiaen brauchen würden. Dieser antwortete, dass es noch drei oder vier Tage dauern würde, je nachdem, wie gut sie vorankamen.

Sie standen auf und machten sich auf den Weg dorthin. Luzifer konnte es kaum Erwarten dieser roten Hölle zu entkommen.

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Hi, kurze Anmerkung zur Sprache;

In den Ländernamen Za'eočsian und Iscaeria ist das e in der Aussprache stumm.

Das c wird wie k gesprochen :)

Das wars auch schon wieder. Wenn ihr irgendwelche fragen habt oder sonst welche Anmerkungen, könnt ihr mir gern schreiben bzw. Einen Kommentar da lassen.

Viel Spaß beim weiterlesen ;)

Lg, eure Denise S. Winter

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