15| Trügerische Sicherheit

Trauer vernebelte ihm die Sicht. In seinen Armen lag ihr regloser Körper. Er hätte sie nicht mitnehmen dürfen. Es war seine Schuld, dass sie im Sterben lag. Zumindest redete Sharon sich das ein. Sämtliche versuche seitens seines Bruders ihn anzusprechen gingen ins Leere. Der junge Prinz reagierte auf nichts. 

 »Wir müssen irgendwie hier raus, damit ihr eure Kräfte zurück bekommt«, meinte Gusion. 

 »Das geht nicht«, erwiderte Astaroth frustriert. Wenn sie nun einfach zurück gingen, käme das aufgeben gleich und dies wiederum würde für sie alle der Tod bedeuten. Der Einzige, der Thelia sicher hier rausbringen könnte wäre Diabolo. Aber der war, wie sie Mittlerweile gemerkt hatten, einfach verschwunden. 

Astaroth schäumte innerlich vor Wut. Wenn er diesem Köter noch mal begegnen sollte, würde er ihm den Kopf abreißen. 

Währenddessen lief der Dämonenhund eilig aus dem Labyrinth heraus. In Gedanken rief er immer wieder einen Namen. Azor. Der Düsterdrache hatte ihm seine Unterstützung versprochen. Zuvor musste er ihn erstmal finden. Blindlings lief er immer weiter. Irgendwo hatten die Drachen hier ihren Brutplatz. 

Dann endlich bekam Diabolo eine Antwort. 'Was willst du?

'Die Lamia schwebt in Lebensgefahr. Ich brauche deine Hilfe'. Der Barghest lauschte, doch die Stimme des Drachen blieb still. Diabolo hielt im Laufen inne. Quälend langsam verging die Zeit. Er erschrak, als hinter ihm plötzlich Staub durch einen heftigen Windstoß aufgewirbelt wurde. Als der Dämonenhund sich umdrehte, stand der Drache dort. 

Azor hielt etwas in seinen Klauen. 'Hier nimm, das wird sie heilen'. Diabolo starrte auf das kleine Fläschchen, die der Drache ihm hinhielt. Darin befand sich eine schwarze Flüssigkeit. Der Barghest wusste, worum es sich handelte. Dankbar nahm er den Gegenstand vorsichtig mit seinen Zähnen entgegen. Diabolo verneigte sich vor Azor und lief auf schnellstem Weg zurück zu den Anderen. Er konnte nur hoffen, dass es noch nicht zu spät war. 

Der Dämonenhund bog um die letzte Ecke und sah die Gefährten. Er konnte ihre Verzweiflung förmlich schmecken. Astaroth entdeckte ihn als Erster. Die dunklen Augen des Prinzen wandelten sich plötzlich in ein glühendes rot. Bedrohlich schoss er auf Diabolo zu, doch der wich geschickt aus. 'Beruhige dich', drang er in Astaroth Kopf ein, 'ich hab nur etwas geholt um Thelia zu helfen'

Astaroth, der gerade erneut auf den Barghest losgehen wollte, hielt in der Bewegung inne. Ungläubig schaute er Diabolo dabei zu, wie er ein Fläschchen auf den Boden legte und es vorsichtig mit der Nase anstupste, sodass es zu ihm rollte. Der Prinz hob es auf und betrachtete es. »Was ist das?«

'Drachenblut', erklang die Antwort in seinem Kopf. 'Sie muss es sofort trinken'. 

Ohne lange zu überlegen rannte er zu seinem kleinen Bruder und gab ihm das Fläschchen. Er wusste, dass Drachenblut eine stark heilende Wirkung hatte. Allerdings kam man kaum bis gar nicht an diese Flüssigkeit heran. Sharon öffnete es und ließ den Inhalt langsam in Thelias Mund fließen. Als Astaroth von Diabolo wissen wollte, woher er das Blut habe, log dieser und behauptete einen im Sterben liegenden Drachen gefunden zu haben. Der Prinz spürte es, doch er wusste, dass die Kreaturen dieser Welt ihre Geheimnisse hüteten, weswegen er es dabei beließ. 

Sharon hebte Thelia vorsichtig auf seine Arme und stand auf. Er wollte das Labyrinth verlassen. Als Diabolo vorschlug, Thelia auf seinem Rücken zu tragen, schüttelte der junge Prinz nur den Kopf. Die Stimmung zwischen den Dämonen schien angespannt. Keiner redete mehr ein Wort. Sie schienen alle ihren eigenen Gedanken nach zu hängen. 

Diabolo war es recht so. Es dauerte nicht lange, bis sie den Ausgang des Labyrinths erreicht hatten. Vor ihnen versperrte ihnen schwarzer Nebel die Sicht. »Glückwunsch. Ihr habt die Prüfung der Kraft und des Zusammenhalts erfolgreich gemeistert«, erklang die androgyne Stimme zum ersten Mal seit ihrer Ankunft. »Ihr solltet euch ausruhen, bis es zur nächsten geht.« Darauf sind wir auch schon selbst gekommen, dachte Gusion. Sie ließen sich an Ort und Stelle nieder. Vollkommen ausgelaugt lagen sie da. 

Nach einer Weile fing Thelia an sich in Sharons Armen leicht zu bewegen. Kurz darauf schlug sie ihre Augen. Sharon sah sie eine zeitlang ungläubig an. Doch dann kroch die Freude und Erleichterung in ihm hoch. Ohne darüber nachzudenken, legte er seine Lippen auf ihre und küsste sie leidenschaftlich. Er war einfach nur unglaublich froh, dass sie am Leben war. 

Thelia dagegen fühlte sich zuerst vollkommen überrumpelt, aber dann erwiderte sie den Kuss. Sie glaubte zu Träumen. Seine Lippen fühlten sich so warm und weich an. Ewig hätte sie so in seinen Armen verbringen können. 

Allerdings beendete Sharon abrupt den Kuss. »En - Entschuldige, ich, also«, stammelte er etwas unbeholfen. Was war nur mit ihm los? Sie war gerade erst wieder zu sich gekommen und er tat sowas. Innerlich Ohrfeigte er sich selbst. 

»Was ist passiert?«, wollte sie wissen. Sharon erzählte es ihr. Thelia konnte es kaum glauben. Klar hatte sie gespürt, dass sie verletzt war. Aber das es fast tödlich für sie geendet hätte, war dann doch ein Schock. Ihr Blick ging nachdenklich zu Sharon. Sie fragte sich, warum er sie geküsst hatte und warum er es jetzt nichtmal mehr schaffte ihr in die Augen zu sehen. Schämte er sich etwa dafür? Oder empfand er den Kuss als Fehler? Sie wusste keine Antwort drauf. Zeit ihn zu fragen hatte sie auch nicht, da Astaroth zum Aufbruch drängte. Und plötzlich errötete sie. Hatten die anderen sie etwa dabei gesehen? Doch auch darauf wusste sie keine Antwort. Sie versuchte in deren Haltung und Verhalten ihr gegenüber etwas verdächtiges zu finden. Erfolglos. Thelia war noch nie gut darin gewesen die Körpersprache von jemanden zu deuten. 

Kaum hatten sie einen Schritt nach vorne gemacht, als sich der Nebel auflöste. Wieder mussten sie über eine Tiefe Schlucht. Nur das dieses mal nur ein einziger Weg hinüber führte. Hintereinander überquerten sie die kleine schmale Brücke. Auf der anderen Seite befand sich ein gut 10 Meter breiter Weg. Am Rand befand sich nichts als der gähnende Abgrund. Dialen ging zu nah an den Rand und stürzte beinahe in die Tiefe. Konnte aber zum Glück rechtzeitig zurück springen. Ein Stück des Gesteins hatte sich gelöst und ist, für einen kurzen moment, nach unten gefallen. Zum erstaunen aller tauchte der Brocken nur ein paar Sekunden später wieder wie von Geisterhand auf und schwebte schwerelos vor ihnen. Magnetisches Gestein. Dennoch würden sie alle in die Tiefe fallen, sollten sie nochmal so nah heran gehen. Denn fliegen würden sie nicht können, denn ein eigenartiger Luftstrom auf beiden Seiten würde es nicht möglich machen. 

Also beschlossen sie nur in der Mitte zu bleiben. Die einzig vernünftige Entscheidung. Doch da hatten sie die Rechnung ohne die hiesigen Bewohner gemacht. Unsichtbar warteten sie auf den richtigen Moment um zuzuschlagen. Einige Meter gingen die Dämonen unbehelligt ihrer Wege. Diabolo jedoch blieb plötzlich stehen. Er spürte die Gefahr. Konnte beinahe spüren, wie die Luft vor Anspannung knisterte. Warnen konnte und durfte er seine Begleiter nicht. Das würde gegen die hiesigen Regeln verstoßen. 

Weißer Nebel kam auf. Trennte die Gefährten voneinander. Zwar konnte sie die Anderen noch schleierhaft sehen, allerdings konnte sie sie nicht mehr hören. Es war, als ob dieser Nebel jegliches Geräusch verschluckte. Und dann geschah es. Die Truggeister kamen lautlos heraus. Sie widmeten sich jedem einzelnem Dämon. Umsorgten sie auf ihre ganz eigene bösartige Art. Diabolo beobachtete alles angespannt. Er hoffte, dass sie das hinterhältige Spiel überlebten. 

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Dialen versuchte indes zu Astaroth zu kommen. Doch egal wie schnell er auch lief, er schien nicht von der Stelle zu kommen. Mit einem mal stand der Prinz vor ihm. »Worauf wartest du? Wir müssen weiter!«, sagte er ungeduldig. 

Wie konnte das sein? Hatte Dialen sich die Schwierigkeiten zuvor nur eingebildet? Widerstandslos folgte er seinem vermeintlichen Meister. Bis plötzlich ein Frage sich in seinen Verstand schlich. Wo waren die Anderen? Er blieb stehen und schaute sich um, konnte aber niemanden sehen. Als er sich wieder zu Astaroth drehte, war dieser verschwunden. Stattdessen schien er sich nun in einer völlig anderen Umgebung zu befinden. 

Der Boden unter seinen Füßen war sumpfig. Dicke blau grüne Ranken hingen von den vielen Bäumen herab. Er befand sich im Beißenden Dschungel. Den Namen hatte dieser Ort durch die vielen großen fleischfressenden Pflanzen bekommen. In einiger Entfernung entdeckte Dialen eine wunderschöne Lichtung, auf welcher sich ein Dorf befand. Seine ehemalige Heimat. Die Echsendämonen, die dort lebten lebten, hatten ihn einst aufgenommen. Wer seine richtigen Eltern waren, wusste er nicht. Er war noch sehr jung gewesen, als sie ihn aufnahmen. Seine Fähigkeiten ließen jedoch vermuten, dass er ein Mischling zwischen Feuer- und Winddämon war. Er hatte oft versucht seine leibliche Familie zu finden, aber alle Hinweise liefen ins Leere. 

Wie von selbst trugen ihn seine Füße zu dem Dorf. Immer weiter auf den Abgrund zu. Die Bindung zur Realität hatte er längst verloren. 

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Währenddessen hatte Sharon ganz andere Probleme. Er lief so schnell er konnte um sein Leben. Hinter ihm ein großer Höllenhund. Ihm war bewusst, dass dies unmöglich war. Diese Wesen verließen die Hölle nie und hörten ausschließlich auf Baal. Wieso also waren sie hier? Anfangs hatte er sie für Trugbilder gehalten, bis sich einer der drei Köpfe schmerzhaft in seinem Arm festgebissen hatte. Noch immer floss Blut aus der Wunde und lief ihm über seinen Arm, seinen Rücken und den Bauch. Sein Hemd war mittlerweile schon getränkt mit der roten warmen Flüssigkeit. Dabei hatte er noch Glück gehabt. Das Vieh hätte ihm auch gänzlich seinen Arm abbeißen können. 

Jeder Schritt, den er lief trug ihn ein kleines Stück näher zu seinem Verderben. 

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Gusion war derweil gefangen. Schwere Ketten hielten an der kalten Wand. Diesen Ort kannte er nur zu gut. Es war der Kerker des Herrscher Palastes. Sein Körper fühlte sich an, als würde flüssige Lava darüber laufen. Seine Wunden brannten höllisch. Schritte näherten sich ihm. Kurz darauf spürte er, wie seine Wunden geheilt wurden. 

Als er seinen Kopf hob, sah er Luzifer vor sich, der ihn gerade von seinen Fesseln befreite. »Es geht los«, sprach er mit seiner dunklen Stimme. 

Gusion folgte seinem Meister durch die Gänge. Sie blieben erst vor der Tür stehen, die ins Innere des Palastes führte. Hinter ihnen eine ganze Horde kampfbereiter Dämonen. Etwas an der Szenerie kam Gusion seltsam bekannt vor. Und dann erinnerte er sich. 

Dies hier hatte sich alles ereignet, bevor sie ins Innere stürmten um Caacrino ein für allemal zu erledigen. Aber das lag schon gut Zweitausend Jahre zurück. Gusion zermarterte sich das Hirn und kam nur zu einem folgenden Ergebnis. Das alles hier war nicht echt. Konnte es nicht sein, egal wie real sich das alles anfühlte. 

Er ging auf die Knie, als die Trugbilder an ihm vorbei rauschten und schloss die Augen. Der Schattendämon würde sich nicht von der Stelle rühren, egal was auch geschah. Er ahnte, dass er sonst in den Tod stürzen würde. 

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